W.G. Sebald, Yi Mun-yol
Der deutsche Schriftsteller und Literaturwissenschaftler W. G. (Winfried Georg) Sebald wurde am 18. Mai 1944 in Wertach, Allgäu, geboren. W. G. Sebald wuchs mit einer älteren Schwester in Wertach auf, wo sein Großvater mütterlicherseits, in dessen Haus er geboren wurde. 1954 besucht W. G. Sebald das Realgymnasium „Maria Stern“ in Immenstadt, dann die Oberrealschule in Oberstdorf, und legte dort auch im Jahr 1963 das Abitur ab. Wegen eines Herzfehlers vom Wehrdienst befreit, schaffte er schon nach zwei Jahren Studium der Literaturwissenschaft 1966 in Fribourg in der französischsprachigen Schweiz den Studienabschluss mit der „Licence ès (en les) Lettres“.
Im selben Jahr emigrierte er nach England, heiratete 1967 eine Österreicherin. Im Jahr darauf reichte er 1968 erfolgreich seine Magister-Arbeit über Carl Sternheim ein. Er war bis 1969 Lektor an der Universität Manchester. Dann lehrte er seit 1970 an der University of East Anglia in Norwich, 1973 promovierte er über Döblin. 1986 habilitierte sich Sebald an der Universität Hamburg mit „Die Beschreibung des Unglücks“. 1988 wurde er Ordinarius für Neuere Deutsche Literatur an der University of East Anglia. Neben seiner Universitätslaufbahn entstand seit Ende der 1980er Jahre sein literarisches Werk, das anfangs vor allem in Großbritannien, den USA, wo sich besonders Susan Sontag für ihn einsetzte - in beiden Ländern besitzt Sebald inzwischen Kultstatus - und Frankreich große Aufmerksamkeit fand. Dort wurde Sebald zuletzt sogar als Kandidat für den Nobelpreis gehandelt. Ab Mitte der 1990er Jahre wurde auch die deutsche Literaturkritik auf ihn aufmerksam. Er hat ein schmales, höchst eigentümliches, ganz und gar originelles Oeuvre hinterlassen.
Aus: Die Ringe des Saturn
“Unbegreiflich erschien es mir jetzt, als ich nach Lowestoft hineinging, wie es in einer verhältnismäßig so kurzen Zeit so weit hatte herunterkommen können.(...) Gleich einem unterirdischen Brand und dann wie ein Lauffeuer hatte der Schaden sich fortgefressen, Bootswerften und Fabriken waren geschlossen worden, eine um die andere, bis für Lowestoft als einziges nur noch die Tatsache sprach, daß es den östlichsten Punkt markierte auf der Karte der britischen Inseln. Heute steht in manchen Straßen der Stadt fast jedes zweite Haus zum Verkauf, Unternehmer, Geschäftsleute und Privatpersonen versinken immer weiter in ihren Schulden, Woche für Woche hängt irgendein Arbeitsloser oder Bankrotteur sich auf, der Analphabetismus hat bereits ein Viertel der Bevölkerung erfaßt, und ein Ende der stetig fortschreitenden Verelendung ist nirgends abzusehen. Obgleich mir dies alles bekannt war, bin ich nicht vorbereitet gewesen auf die Trostlosigkeit, die einen in Lowestoft sogleich erfaßt, denn es ist eine Sache, in den Zeitungen Berichte über sogenannte unemployment blackspots zu lesen, und eine andere, an einem lichtlosen Abend durch Zeilen der Reihenhäuser mit ihren verschandelten Fassaden und grotesken Vorgärtchen zu gehen und, wenn man endlich angelangt ist in der Mitte der Stadt, nichts vorzufinden als Spielsalons, Bingohallen, Betting Shops, Videoläden, Pubs, aus deren dunklen Türöffnungen es nach saurem Bier riecht, Billigmärkte und zweifelhafte Bed&Breakfest Etablissements mit Namen wie Ocean Dawn, Beachcomber, Balmoral Albion und Layla Lorraine.”
W.G. Sebald (18. Mai 1944 – 14. Dezember 2001)
Der südkoreanische Schriftsteller Yi Mun-yol wurde am 18. Mai 1948 in Yongyang geboren. Yi gehört zu den bedeutendsten und meistgelesenen koreanischen Schriftstellern der Gegenwart. Seine Romane und Erzählungen sind in viele Sprachen übersetzt worden. Kurz vor Ausbruch des Koreakrieges geboren, musste Yi schon bald ohne seinen Vater auskommen, der die Familie 1951 verließ und in das kommunistische Lager wechselte. Den Besuch der Oberschule in Andong brach er ab, um nach Obdachlosigkeit und längerer Krankheit seinen Abschluss nachzuholen. 1968 bestand er die Aufnahmeprüfung der Staatlichen Universität Seoul und studierte bis 1970 Koreanisch. Dann brach der das Studium ab, um Beamter zu werden. Er konnte aber die dafür nötige Prüfung mehrmals nicht bestehen und so trat er 1973 ins Militär ein. Nach seiner dreijährigen Dienstzeit arbeitet er als Dozent und Journalist. 1979 hatte er mit der Erzählung Saehagok seinen Durchbruch als Schriftsteller. Er bekam den Preis für Nachwuchsschriftsteller und schuf weitere Erzählungen und Romane, die mehrfach ausgezeichnet wurden. So erhielt er 1992 den Hyundae-Literaturpreis, den Koreanischen Preis für Literatur und Kunst sowie den französischen Verdienstorden für Kultur und Literatur. Von 1994 bis 1997 lehrte er koreanische Sprache und Literatur an der Sejong University. Später baute er eine kleine Akademie auf, in der er Dichter ausbildet.
Aus: Der entstellte Held (Übersetzt von Kim Hiyoul und Heidi Kang)
„Es muß Anfang Juni gewesen sein, denn die Akazien am Dammweg zu unserer Schule blühten. Yun Byongjo von der Wäscherei hatte etwas Besonderes mit in die Schule gebracht und prahlte in der Klasse damit. Es war ein teures vergoldetes Feuerzeug, eins von denen, die wir "runde Feuerzeuge" nannten. Es ging von Hand zu Hand und verursachte etwas Unruhe. Sokdae, der einen Moment draußen gewesen war, sah es, sobald er zurückkam. Er kam näher, streckte seine Hand aus und sagte:
"Zeig mal her!"
Die Schüler, die bis dahin lachend ihre Bewunderung gezeigt hatten, verstummten, und das Feuerzeug gelangte in Sokdaes Hände. Er drehte und wendete es eine Weile.
"Wem gehört es?" fragte er Byongjo ausdruckslos.
"Meinem Vater", antwortete dieser mit plötzlich erstickter Stimme.
"Hat er es dir geschenkt?"
"Nein, ich hab es nur mitgebracht."
"Wer weiß, daß du es genommen hast?"
"Nur mein Bruder."
Ein leichtes Lächeln umspielte Sokdaes Mund. Er begann, das Feuerzeug mit neuem Interesse zu untersuchen.
"Toll", sagte Sokdae schließlich, noch immer das Feuerzeug haltend, und blickte Byongjo fest an.
Ich hatte Sokdae von Anfang an beobachtet und war plötzlich gespannt. Aus meiner Erfahrung wußte ich, daß er mit seinen Worten etwas anderes meinte, als man allgemein darunter verstand.
Wenn er etwas haben wollte, das einem anderen gehörte, bedeutete sein Toll!, daß er es verlangte. Im allgemeinen reichte das aus, damit man es ihm gab, aber manchmal zögerte ein Schüler. Dann pflegte Sokdae zu sagen: "Leih es mir!" Natürlich wollte er damit sagen: "So gib schon her!" Niemand konnte sich dem widersetzen. Nie nahm er also den Jungen direkt etwas weg, es wurde ihm tatsächlich gegeben. Ich hatte damals noch keinen Begriff für indirekte Erpressung und hatte diese "Geschenke" immer in Ordnung gefunden, aber an diesem Tag erkannte ich, daß nicht einmal mehr ein Minimum an Schein gewahrt wurde.“
Yi Mun-yol (Yongyang, 18. Mai 1948)
Im selben Jahr emigrierte er nach England, heiratete 1967 eine Österreicherin. Im Jahr darauf reichte er 1968 erfolgreich seine Magister-Arbeit über Carl Sternheim ein. Er war bis 1969 Lektor an der Universität Manchester. Dann lehrte er seit 1970 an der University of East Anglia in Norwich, 1973 promovierte er über Döblin. 1986 habilitierte sich Sebald an der Universität Hamburg mit „Die Beschreibung des Unglücks“. 1988 wurde er Ordinarius für Neuere Deutsche Literatur an der University of East Anglia. Neben seiner Universitätslaufbahn entstand seit Ende der 1980er Jahre sein literarisches Werk, das anfangs vor allem in Großbritannien, den USA, wo sich besonders Susan Sontag für ihn einsetzte - in beiden Ländern besitzt Sebald inzwischen Kultstatus - und Frankreich große Aufmerksamkeit fand. Dort wurde Sebald zuletzt sogar als Kandidat für den Nobelpreis gehandelt. Ab Mitte der 1990er Jahre wurde auch die deutsche Literaturkritik auf ihn aufmerksam. Er hat ein schmales, höchst eigentümliches, ganz und gar originelles Oeuvre hinterlassen.
Aus: Die Ringe des Saturn
“Unbegreiflich erschien es mir jetzt, als ich nach Lowestoft hineinging, wie es in einer verhältnismäßig so kurzen Zeit so weit hatte herunterkommen können.(...) Gleich einem unterirdischen Brand und dann wie ein Lauffeuer hatte der Schaden sich fortgefressen, Bootswerften und Fabriken waren geschlossen worden, eine um die andere, bis für Lowestoft als einziges nur noch die Tatsache sprach, daß es den östlichsten Punkt markierte auf der Karte der britischen Inseln. Heute steht in manchen Straßen der Stadt fast jedes zweite Haus zum Verkauf, Unternehmer, Geschäftsleute und Privatpersonen versinken immer weiter in ihren Schulden, Woche für Woche hängt irgendein Arbeitsloser oder Bankrotteur sich auf, der Analphabetismus hat bereits ein Viertel der Bevölkerung erfaßt, und ein Ende der stetig fortschreitenden Verelendung ist nirgends abzusehen. Obgleich mir dies alles bekannt war, bin ich nicht vorbereitet gewesen auf die Trostlosigkeit, die einen in Lowestoft sogleich erfaßt, denn es ist eine Sache, in den Zeitungen Berichte über sogenannte unemployment blackspots zu lesen, und eine andere, an einem lichtlosen Abend durch Zeilen der Reihenhäuser mit ihren verschandelten Fassaden und grotesken Vorgärtchen zu gehen und, wenn man endlich angelangt ist in der Mitte der Stadt, nichts vorzufinden als Spielsalons, Bingohallen, Betting Shops, Videoläden, Pubs, aus deren dunklen Türöffnungen es nach saurem Bier riecht, Billigmärkte und zweifelhafte Bed&Breakfest Etablissements mit Namen wie Ocean Dawn, Beachcomber, Balmoral Albion und Layla Lorraine.”
W.G. Sebald (18. Mai 1944 – 14. Dezember 2001)
Der südkoreanische Schriftsteller Yi Mun-yol wurde am 18. Mai 1948 in Yongyang geboren. Yi gehört zu den bedeutendsten und meistgelesenen koreanischen Schriftstellern der Gegenwart. Seine Romane und Erzählungen sind in viele Sprachen übersetzt worden. Kurz vor Ausbruch des Koreakrieges geboren, musste Yi schon bald ohne seinen Vater auskommen, der die Familie 1951 verließ und in das kommunistische Lager wechselte. Den Besuch der Oberschule in Andong brach er ab, um nach Obdachlosigkeit und längerer Krankheit seinen Abschluss nachzuholen. 1968 bestand er die Aufnahmeprüfung der Staatlichen Universität Seoul und studierte bis 1970 Koreanisch. Dann brach der das Studium ab, um Beamter zu werden. Er konnte aber die dafür nötige Prüfung mehrmals nicht bestehen und so trat er 1973 ins Militär ein. Nach seiner dreijährigen Dienstzeit arbeitet er als Dozent und Journalist. 1979 hatte er mit der Erzählung Saehagok seinen Durchbruch als Schriftsteller. Er bekam den Preis für Nachwuchsschriftsteller und schuf weitere Erzählungen und Romane, die mehrfach ausgezeichnet wurden. So erhielt er 1992 den Hyundae-Literaturpreis, den Koreanischen Preis für Literatur und Kunst sowie den französischen Verdienstorden für Kultur und Literatur. Von 1994 bis 1997 lehrte er koreanische Sprache und Literatur an der Sejong University. Später baute er eine kleine Akademie auf, in der er Dichter ausbildet.
Aus: Der entstellte Held (Übersetzt von Kim Hiyoul und Heidi Kang)
„Es muß Anfang Juni gewesen sein, denn die Akazien am Dammweg zu unserer Schule blühten. Yun Byongjo von der Wäscherei hatte etwas Besonderes mit in die Schule gebracht und prahlte in der Klasse damit. Es war ein teures vergoldetes Feuerzeug, eins von denen, die wir "runde Feuerzeuge" nannten. Es ging von Hand zu Hand und verursachte etwas Unruhe. Sokdae, der einen Moment draußen gewesen war, sah es, sobald er zurückkam. Er kam näher, streckte seine Hand aus und sagte:
"Zeig mal her!"
Die Schüler, die bis dahin lachend ihre Bewunderung gezeigt hatten, verstummten, und das Feuerzeug gelangte in Sokdaes Hände. Er drehte und wendete es eine Weile.
"Wem gehört es?" fragte er Byongjo ausdruckslos.
"Meinem Vater", antwortete dieser mit plötzlich erstickter Stimme.
"Hat er es dir geschenkt?"
"Nein, ich hab es nur mitgebracht."
"Wer weiß, daß du es genommen hast?"
"Nur mein Bruder."
Ein leichtes Lächeln umspielte Sokdaes Mund. Er begann, das Feuerzeug mit neuem Interesse zu untersuchen.
"Toll", sagte Sokdae schließlich, noch immer das Feuerzeug haltend, und blickte Byongjo fest an.
Ich hatte Sokdae von Anfang an beobachtet und war plötzlich gespannt. Aus meiner Erfahrung wußte ich, daß er mit seinen Worten etwas anderes meinte, als man allgemein darunter verstand.
Wenn er etwas haben wollte, das einem anderen gehörte, bedeutete sein Toll!, daß er es verlangte. Im allgemeinen reichte das aus, damit man es ihm gab, aber manchmal zögerte ein Schüler. Dann pflegte Sokdae zu sagen: "Leih es mir!" Natürlich wollte er damit sagen: "So gib schon her!" Niemand konnte sich dem widersetzen. Nie nahm er also den Jungen direkt etwas weg, es wurde ihm tatsächlich gegeben. Ich hatte damals noch keinen Begriff für indirekte Erpressung und hatte diese "Geschenke" immer in Ordnung gefunden, aber an diesem Tag erkannte ich, daß nicht einmal mehr ein Minimum an Schein gewahrt wurde.“
Yi Mun-yol (Yongyang, 18. Mai 1948)
froumen - 18. Mai, 18:37