Orhan Pamuk, Mascha Kaléko
Der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk wurde am 7. Juni 1952 in Istanbul geboren. Pamuk studierte Architektur und Journalismus und lebte mehrere Jahre in New York. Für seine Romane erhielt er 1990 den "Independent Foreign Fiction Award", 1991 den "Prix de la decouverte europeene", 2005 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2006 den Nobelpreis für Literatur. Der in seiner Heimat oft angefeindete Autor ist der erste türkische Schriftsteller, der die renommierte Auszeichnung erhält. Das Nobelpreiskomittee lobte seine Vermittlerrolle zwischen Orient und Okzident. 2006 erhielt Orhan Pamuk die Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin und 2007 wurde er mit der Ehrendoktorwürde der Bosporus Universität in Istanbul ausgezeichnet. Pamuk lebt in Istanbul.
Aus: Das Museum der Unschuld (Übersetzt von Gerhard Meier)
„Die Geschehnisse und Zufälle, die meinem Leben einen anderen Verlauf geben sollten, nahmen einen Monat vorher ihren Anfang, nämlich am 27. April 1975, dem Tag, an dem ich zusammen mit Sibel in einem Schaufenster eine Handtasche der berühmten Marke Jenny Colon sah. Meine Fastverlobte und ich genossen in der Valikona˘gı-Straße den lauen Frühlingsabend, und beide waren wir etwas angeheitert und sehr glücklich. Im Fuaye, einem neueröffneten schicken Restaurant im Stadtteil Ni¸santa¸sı, hatten wir gerade beim Abendessen mit meinen Eltern ausführlich die Verlobungsvorbereitungen besprochen. Die Feier sollte Mitte Juni stattfinden, damit auch Sibels in Paris wohnende Freundin Nurcihan daran teilnehmen konnte, mit der sie in Istanbul bei den Dames de Sion zur Schule gegangen war und in Paris studiert hatte. Bei I˙pek, damals einer der angesehensten und teuersten Schneiderinnen von Istanbul, hatte Sibel schon längst ihr Verlobungskleid bestellt. Meine Mutter hatte mit Sibel zum erstenmal darüber beratschlagt, wie die Perlen, die sie ihr dafür geben würde, in das Kleid eingearbeitet werden sollten. Mein zukünftiger Schwiegervater wollte seinem einzigen Kind eine Verlobung ausrichten, die nicht minder prächtig ausfallen sollte als die Hochzeit selbst, und davon war meine Mutter sehr angetan. Mein Vater wiederum war hocherfreut
über eine Schwiegertochter, die in Paris an der Sorbonne studiert hatte (wenn aus der Istanbuler Bourgeoisie jemand seine Tochter in Paris studieren ließ, dann hieß es grundsätzlich, sie sei »an der Sorbonne«).
Ich war dabei, Sibel nach dem Essen nach Hause zu bringen, und dachte gerade voller Stolz, den Arm liebevoll um ihre Schulter gelegt, was für ein Glückspilz ich doch war, als Sibel plötzlich ausrief:
»Schau mal, die schöne Tasche!« Wenn auch mein Kopf vom Wein schon etwas benebelt war, merkte ich mir sogleich den Laden und die Tasche, um jene am Tag darauf zu erstehen. Eigentlich gehörte ich ja nicht zu den galanten Männern, die aus ganz natürlichem Antrieb eine Frau mit Geschenken verwöhnen und ihr beim geringsten Anlass Blumen schicken, aber vielleicht wollte ich so einer werden.“
Orhan Pamuk (Istanbul, 7. Juni 1952)
Die deutschsprachige Dichteren Mascha Kaléko wurde am 7. Juni 1907 in Schidlow - am Rande der ehemaligen Donaumonarchie - als Tochter eines russischen Vaters und einer österreichischen Mutter geboren.. Heute heißt der Ort Chrzanow und liegt in Polen. In Berlin gehörte Mascha Kaléko zum Kreis der schöpferischen Bohème, die sich Ende der Zwanziger und Anfang der Dreißiger Jahre das "Romanische Café" zum Treffpunkt erkoren hatte. Maler, Schauspieler und Literaten wie Tucholsky, Ringelnatz, Klabund, Else Lasker-Schüler, Erich Kästner, Walter Mehring saßen hier, dichteten und diskutierten, bis die meisten von ihnen in die Emigration gingen, in die äußere oder innere. Erst 1938 entschloss sich Kaléko auch zu gehen. In diesem Jahr hatte auch ihr privates Leben eine bedeutsame Wendung erfahren. Nach zehnjähriger Ehe war sie von dem Philologen Saul Kaléko geschieden worden und emigrierte mit ihrem zweiten Mann, Chemjo Vinaver, und beider kleinem Sohn nach New York. Nach dem Krieg fand sie in Deutschland wieder ein Lesepublikum, das Lyrische Stenogrammheft wurde erneut von Rowohlt erfolgreich verlegt (1956). 1960 Wandertesie ihrem Mann zuliebe mit ihm nach Jerusalem, Israel aus. Dort leidete sie sehr unter der sprachlichen und kulturellen Isolation und lebte enttäuscht und einsam. 1968 starb ihr musikalisch hochbegabter Sohn plötzlich in New York. Als auch Vinaver 1973 starb, fand sie im letzten Lebensjahr wieder Kraft zu schreiben. Sie selbst stabr 1975 – nur 14 Monate nach ihrem Mann – in Zürich an Magenkrebs.
Weil du nicht da bist
Weil du nicht da bist, sitze ich und schreibe
All meine Einsamkeit auf dies Papier.
Ein Fliederzweig schlägt an die Fensterscheibe.
Die Maiennacht ruft laut. Doch nicht nach mir.
Weil du nicht bist, ist der Bäume Blühen,
Der Rosen Duft vergebliches Bemühen,
Der Nachtigallen Liebesmelodie
Nur in Musik gesetzte Ironie.
Weil du nicht da bist, flücht ich mich ins Dunkel.
Aus fremden Augen starrt die Stadt mich an
Mit grellem Licht und lärmendem Gefunkel,
Dem ich nicht folgen, nicht entgehen kann.
Hier unterm Dach sitz ich beim Lampenschirmner;
Den Herbst im Herzen, Winter im Gemüt.
November singt in mir sein graues Lied.
»Weil du nicht da bist« flüstert es im Zimmer.
»Weil du nicht da bist« rufen Wand und Schränke,
Verstaubte Noten über dem Klavier.
Und wenn ich endlich nicht mehr an dich denke,
Die Dinge um mich reden nur von dir.
Weil du nicht da bist, blättre ich in Briefen
Und weck vergilbte Träume, die schon schliefen.
Mein Lachen, Liebster, ist dir nachgereist.
Weil du nicht da bist, ist mein Herz verwaist.
Mascha Kaléko (7. Juni 1907 – 21. Januar 1975)
Aus: Das Museum der Unschuld (Übersetzt von Gerhard Meier)
„Die Geschehnisse und Zufälle, die meinem Leben einen anderen Verlauf geben sollten, nahmen einen Monat vorher ihren Anfang, nämlich am 27. April 1975, dem Tag, an dem ich zusammen mit Sibel in einem Schaufenster eine Handtasche der berühmten Marke Jenny Colon sah. Meine Fastverlobte und ich genossen in der Valikona˘gı-Straße den lauen Frühlingsabend, und beide waren wir etwas angeheitert und sehr glücklich. Im Fuaye, einem neueröffneten schicken Restaurant im Stadtteil Ni¸santa¸sı, hatten wir gerade beim Abendessen mit meinen Eltern ausführlich die Verlobungsvorbereitungen besprochen. Die Feier sollte Mitte Juni stattfinden, damit auch Sibels in Paris wohnende Freundin Nurcihan daran teilnehmen konnte, mit der sie in Istanbul bei den Dames de Sion zur Schule gegangen war und in Paris studiert hatte. Bei I˙pek, damals einer der angesehensten und teuersten Schneiderinnen von Istanbul, hatte Sibel schon längst ihr Verlobungskleid bestellt. Meine Mutter hatte mit Sibel zum erstenmal darüber beratschlagt, wie die Perlen, die sie ihr dafür geben würde, in das Kleid eingearbeitet werden sollten. Mein zukünftiger Schwiegervater wollte seinem einzigen Kind eine Verlobung ausrichten, die nicht minder prächtig ausfallen sollte als die Hochzeit selbst, und davon war meine Mutter sehr angetan. Mein Vater wiederum war hocherfreut
über eine Schwiegertochter, die in Paris an der Sorbonne studiert hatte (wenn aus der Istanbuler Bourgeoisie jemand seine Tochter in Paris studieren ließ, dann hieß es grundsätzlich, sie sei »an der Sorbonne«).
Ich war dabei, Sibel nach dem Essen nach Hause zu bringen, und dachte gerade voller Stolz, den Arm liebevoll um ihre Schulter gelegt, was für ein Glückspilz ich doch war, als Sibel plötzlich ausrief:
»Schau mal, die schöne Tasche!« Wenn auch mein Kopf vom Wein schon etwas benebelt war, merkte ich mir sogleich den Laden und die Tasche, um jene am Tag darauf zu erstehen. Eigentlich gehörte ich ja nicht zu den galanten Männern, die aus ganz natürlichem Antrieb eine Frau mit Geschenken verwöhnen und ihr beim geringsten Anlass Blumen schicken, aber vielleicht wollte ich so einer werden.“
Orhan Pamuk (Istanbul, 7. Juni 1952)
Die deutschsprachige Dichteren Mascha Kaléko wurde am 7. Juni 1907 in Schidlow - am Rande der ehemaligen Donaumonarchie - als Tochter eines russischen Vaters und einer österreichischen Mutter geboren.. Heute heißt der Ort Chrzanow und liegt in Polen. In Berlin gehörte Mascha Kaléko zum Kreis der schöpferischen Bohème, die sich Ende der Zwanziger und Anfang der Dreißiger Jahre das "Romanische Café" zum Treffpunkt erkoren hatte. Maler, Schauspieler und Literaten wie Tucholsky, Ringelnatz, Klabund, Else Lasker-Schüler, Erich Kästner, Walter Mehring saßen hier, dichteten und diskutierten, bis die meisten von ihnen in die Emigration gingen, in die äußere oder innere. Erst 1938 entschloss sich Kaléko auch zu gehen. In diesem Jahr hatte auch ihr privates Leben eine bedeutsame Wendung erfahren. Nach zehnjähriger Ehe war sie von dem Philologen Saul Kaléko geschieden worden und emigrierte mit ihrem zweiten Mann, Chemjo Vinaver, und beider kleinem Sohn nach New York. Nach dem Krieg fand sie in Deutschland wieder ein Lesepublikum, das Lyrische Stenogrammheft wurde erneut von Rowohlt erfolgreich verlegt (1956). 1960 Wandertesie ihrem Mann zuliebe mit ihm nach Jerusalem, Israel aus. Dort leidete sie sehr unter der sprachlichen und kulturellen Isolation und lebte enttäuscht und einsam. 1968 starb ihr musikalisch hochbegabter Sohn plötzlich in New York. Als auch Vinaver 1973 starb, fand sie im letzten Lebensjahr wieder Kraft zu schreiben. Sie selbst stabr 1975 – nur 14 Monate nach ihrem Mann – in Zürich an Magenkrebs.
Weil du nicht da bist
Weil du nicht da bist, sitze ich und schreibe
All meine Einsamkeit auf dies Papier.
Ein Fliederzweig schlägt an die Fensterscheibe.
Die Maiennacht ruft laut. Doch nicht nach mir.
Weil du nicht bist, ist der Bäume Blühen,
Der Rosen Duft vergebliches Bemühen,
Der Nachtigallen Liebesmelodie
Nur in Musik gesetzte Ironie.
Weil du nicht da bist, flücht ich mich ins Dunkel.
Aus fremden Augen starrt die Stadt mich an
Mit grellem Licht und lärmendem Gefunkel,
Dem ich nicht folgen, nicht entgehen kann.
Hier unterm Dach sitz ich beim Lampenschirmner;
Den Herbst im Herzen, Winter im Gemüt.
November singt in mir sein graues Lied.
»Weil du nicht da bist« flüstert es im Zimmer.
»Weil du nicht da bist« rufen Wand und Schränke,
Verstaubte Noten über dem Klavier.
Und wenn ich endlich nicht mehr an dich denke,
Die Dinge um mich reden nur von dir.
Weil du nicht da bist, blättre ich in Briefen
Und weck vergilbte Träume, die schon schliefen.
Mein Lachen, Liebster, ist dir nachgereist.
Weil du nicht da bist, ist mein Herz verwaist.
Mascha Kaléko (7. Juni 1907 – 21. Januar 1975)
froumen - 7. Jun, 18:35