Marguerite Yourcenar, Ulf Stolterfoht
Die belgisch-amerikanische Schriftstellerin Marguerite Yourcenar wurde am 8. Juni 1903 in Brüssel als Marguerite Antoinette Jeanne de Crayencour geboren. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter wuchs sie jedoch in Paris auf. Stark beeinflusst von ihrem Vater begann sie sehr früh ihre literarischen Studien. Von Anbeginn machtesie immer wieder die unkonventionelle Liebe zum Thema. Mit dem Roman über die Erinnerungen des römischen Kaisers Hadrian, deutsch "Ich zähmte die Wölfin", aus dem Jahr 1951 erlangte sie Weltruhm. 1980 wurde sie als erste Frau in die Academie française gewählt. Am 17.12.1986 sarbt sie in den Vereinigten Staaten, ihrer Wahlheimat seit 1937.
Aus: Ich zähmte die Wölfin (Die Erinnerungen Hadrians, Übersetzt von Fritz Jaffé)
“Mein lieber Mark,
ich bin heute Morgen zu Hermogenes gegangen, meinem Arzt, der von einer längeren Reise in Asien wieder in die Villa zurückgekehrt ist. Da die Untersuchung in nüchternem Zustand vorgenommen werden sollte, hatte ich mich in den frühen Morgenstunden eingefunden. Nachdem ich mich des Mantels und der Tunika entledigt hatte, streckte ich mich auf ein Bett hin. Einzelheiten, die Dir ebenso zuwider sein würden, wie sie es mir sind, erspare ich Dir, und ebenso die Beschreibung des Körpers eines gealterten Mannes, der sich darauf gefasst machen muss, an Herzwassersucht zugrunde zu gehen! So begnüge ich mich damit, Dir zu sagen, dass ich gemäß den Anweisungen von Hermogenes hustete, tief einatmeteund den Atem anhielt. Das rasche Fortschreitender Krankheit erschreckte ihn, und er schien geneigt, dem jungen Jollas die Schuld daran zu geben, der mich in seiner Abwesenheit gepflegt hatte.
Es ist schwer, vor einem Arzt Kaiser zu bleiben, geschweige denn die Menschenwürde zu bewahren.
Vor seinem wissenden Blick schrumpfte ich zu einem Haufen Körpersäfte zusammen, zu einem armseligen Gemisch aus Lymphe und Blut. Zum ersten Mal enthüllte sich mir heute Morgenmein Körper, dieser alte Freund und treue Gefährte, den ich so viel besser kenne als meine Seele,als ein tückisches Ungeheuer, das gegen seinen Gebieter aufbegehren will. Geduld! Ich liebe meinen Körper. Er hat mir treu gedient auf jegliche Weise, und mir steht es fern, ihm die notwendige Pflege zu missgönnen. Aber anders als Hermogenes es immer noch zu tun vorgibt, vertraue ich nicht mehr auf die Heilkräfte der Kräuter und das Mengenverhältnis der Salze, die er aus dem Orient mitgebracht hat. Der sonst so gescheite Mann glaubt, mich mit Redensarten trösten zu müssen, zu nichtssagend, als dass sie den Leichtgläubigsten täuschen könnten. Wohl weiß er, wie sehr ich diese Art von Betrug verabscheue, aber man ist schließlich nicht umsonst mehr als dreißig Jahre lang Arzt gewesen. So verzeihe ich denn dem ergebenen Diener seinen Versuch, mir meinen baldigen Tod zu verheimlichen. Hermogenes ist gelehrt, sogar weise, und weit redlicher, als Hofärzte gemeinhin zu sein pflegen. Ich werde also besser betreut werden als irgendein anderer Sterblicher.“
Marguerite Yourcenar (8. Juni 1903 – 17. Dezember 1987)
Der deutsche Lyriker und Schrifftsteller Ulf Stolterfoht wurde am 8. Juni 1963 in Stuttgart geboren. Nach dem Zivildienst studierte er Germanistik und Allgemeine Sprachwissenschaft in Bochum und Tübingen. Stolterfoht verfasst sprachkritische Lyrik und Essays, die in zahlreichen Anthologien (u.a. Der Große Conrady) und Literaturzeitschriften veröffentlicht wurden. Er debütierte 1998 mit dem Gedichtband »fachsprachen I-IX« beim Verlag Urs Engeler Editor. 2005 erschien Stolterfohts Übertragung von Gertrude Steins »Winning His Way«. Seit 2008 ist er Gastprofessor am Deutschen Literaturinstitut Leipzig.
kurzes geschlinge. poren wie ein sieb
I
mutmaßlich MÜÜÜÜDE NOW des dürfte auswurfs seiner
liebsten lauten / lausch aufriß leiser wunden heißen:
vernäht sie die taschen bei lebigem leib? sagt daß es
besser so sei? ja nun das tut sie nebenbei. haupt-
amtlich aber glans verbreitend der unprüd-radikalen art
(dubliner bekenntnis). unirische umtriebe. erweiterter
shamrock-begriff: die arktischen blumen (es könnte sie
geben!) die flaggen des fleisches - gut englisch. dann
angenommen DURCH das drehen des wolfes ihr geschlecht zu
bestimmen - schwant ihm: hier findet sanft verwursten
statt. doch je nach zunge weiter dann (im urtext
anglo-schwäbisch) the swell of STÜRMERS/kruges RITTER
auf ganze oder halbe liter. aaah! saug ist nicht saug
da man altert. habeas corpus bis anthrax: wirsch wirsch!
die üblen greise flegeln sich davon. ihm spülts nen
klumpen hadern runter. entfährt ein höhnisches gekicher.
II
dann meilenweit nur mohn. die farbe rot in der er-
innerung. schon schön wenn sich die drücke bündeln
ließen. und wie! nach kleinem ausschweif die gesichte
schwinden. sich selbst forsch an den codex greifen:
erweiterter verschwitzt-begriff. (schwer leserlich im
folgenden. vermutlich «vormals lethe». dann: angst man
ausfranzt grenzt an abspenst / wo man unlängst wächst ver-
gang.) schwamm drüber augen zu und wisch - um jesu willen
ab. bedankt! in bälde wird hineingeheimnist. ob man denn
fragen dürfe wie: auch nerven hätten ein gedächtnis?
der mund wenn er bereits verdautes käut? vernäht sie die
lippen bei offenem und: sagt daß es besser so sei. daß es
ihrer meinung nach sicherer sei. scheint er im gegenzug ge-
neigt sich seines beinkleids zu entäußern. zeigt damit
«unbehaust» in quasi trauter wohnlichkeit. verschweigt
sein sinnerblassen nicht. und zag verrinnselt das gedicht.
Ulf Stolterfoht (Stuttgart, 8. Juni 1963)
Aus: Ich zähmte die Wölfin (Die Erinnerungen Hadrians, Übersetzt von Fritz Jaffé)
“Mein lieber Mark,
ich bin heute Morgen zu Hermogenes gegangen, meinem Arzt, der von einer längeren Reise in Asien wieder in die Villa zurückgekehrt ist. Da die Untersuchung in nüchternem Zustand vorgenommen werden sollte, hatte ich mich in den frühen Morgenstunden eingefunden. Nachdem ich mich des Mantels und der Tunika entledigt hatte, streckte ich mich auf ein Bett hin. Einzelheiten, die Dir ebenso zuwider sein würden, wie sie es mir sind, erspare ich Dir, und ebenso die Beschreibung des Körpers eines gealterten Mannes, der sich darauf gefasst machen muss, an Herzwassersucht zugrunde zu gehen! So begnüge ich mich damit, Dir zu sagen, dass ich gemäß den Anweisungen von Hermogenes hustete, tief einatmeteund den Atem anhielt. Das rasche Fortschreitender Krankheit erschreckte ihn, und er schien geneigt, dem jungen Jollas die Schuld daran zu geben, der mich in seiner Abwesenheit gepflegt hatte.
Es ist schwer, vor einem Arzt Kaiser zu bleiben, geschweige denn die Menschenwürde zu bewahren.
Vor seinem wissenden Blick schrumpfte ich zu einem Haufen Körpersäfte zusammen, zu einem armseligen Gemisch aus Lymphe und Blut. Zum ersten Mal enthüllte sich mir heute Morgenmein Körper, dieser alte Freund und treue Gefährte, den ich so viel besser kenne als meine Seele,als ein tückisches Ungeheuer, das gegen seinen Gebieter aufbegehren will. Geduld! Ich liebe meinen Körper. Er hat mir treu gedient auf jegliche Weise, und mir steht es fern, ihm die notwendige Pflege zu missgönnen. Aber anders als Hermogenes es immer noch zu tun vorgibt, vertraue ich nicht mehr auf die Heilkräfte der Kräuter und das Mengenverhältnis der Salze, die er aus dem Orient mitgebracht hat. Der sonst so gescheite Mann glaubt, mich mit Redensarten trösten zu müssen, zu nichtssagend, als dass sie den Leichtgläubigsten täuschen könnten. Wohl weiß er, wie sehr ich diese Art von Betrug verabscheue, aber man ist schließlich nicht umsonst mehr als dreißig Jahre lang Arzt gewesen. So verzeihe ich denn dem ergebenen Diener seinen Versuch, mir meinen baldigen Tod zu verheimlichen. Hermogenes ist gelehrt, sogar weise, und weit redlicher, als Hofärzte gemeinhin zu sein pflegen. Ich werde also besser betreut werden als irgendein anderer Sterblicher.“
Marguerite Yourcenar (8. Juni 1903 – 17. Dezember 1987)
Der deutsche Lyriker und Schrifftsteller Ulf Stolterfoht wurde am 8. Juni 1963 in Stuttgart geboren. Nach dem Zivildienst studierte er Germanistik und Allgemeine Sprachwissenschaft in Bochum und Tübingen. Stolterfoht verfasst sprachkritische Lyrik und Essays, die in zahlreichen Anthologien (u.a. Der Große Conrady) und Literaturzeitschriften veröffentlicht wurden. Er debütierte 1998 mit dem Gedichtband »fachsprachen I-IX« beim Verlag Urs Engeler Editor. 2005 erschien Stolterfohts Übertragung von Gertrude Steins »Winning His Way«. Seit 2008 ist er Gastprofessor am Deutschen Literaturinstitut Leipzig.
kurzes geschlinge. poren wie ein sieb
I
mutmaßlich MÜÜÜÜDE NOW des dürfte auswurfs seiner
liebsten lauten / lausch aufriß leiser wunden heißen:
vernäht sie die taschen bei lebigem leib? sagt daß es
besser so sei? ja nun das tut sie nebenbei. haupt-
amtlich aber glans verbreitend der unprüd-radikalen art
(dubliner bekenntnis). unirische umtriebe. erweiterter
shamrock-begriff: die arktischen blumen (es könnte sie
geben!) die flaggen des fleisches - gut englisch. dann
angenommen DURCH das drehen des wolfes ihr geschlecht zu
bestimmen - schwant ihm: hier findet sanft verwursten
statt. doch je nach zunge weiter dann (im urtext
anglo-schwäbisch) the swell of STÜRMERS/kruges RITTER
auf ganze oder halbe liter. aaah! saug ist nicht saug
da man altert. habeas corpus bis anthrax: wirsch wirsch!
die üblen greise flegeln sich davon. ihm spülts nen
klumpen hadern runter. entfährt ein höhnisches gekicher.
II
dann meilenweit nur mohn. die farbe rot in der er-
innerung. schon schön wenn sich die drücke bündeln
ließen. und wie! nach kleinem ausschweif die gesichte
schwinden. sich selbst forsch an den codex greifen:
erweiterter verschwitzt-begriff. (schwer leserlich im
folgenden. vermutlich «vormals lethe». dann: angst man
ausfranzt grenzt an abspenst / wo man unlängst wächst ver-
gang.) schwamm drüber augen zu und wisch - um jesu willen
ab. bedankt! in bälde wird hineingeheimnist. ob man denn
fragen dürfe wie: auch nerven hätten ein gedächtnis?
der mund wenn er bereits verdautes käut? vernäht sie die
lippen bei offenem und: sagt daß es besser so sei. daß es
ihrer meinung nach sicherer sei. scheint er im gegenzug ge-
neigt sich seines beinkleids zu entäußern. zeigt damit
«unbehaust» in quasi trauter wohnlichkeit. verschweigt
sein sinnerblassen nicht. und zag verrinnselt das gedicht.
Ulf Stolterfoht (Stuttgart, 8. Juni 1963)
froumen - 8. Jun, 18:29