Peter Rosei, Ferdinand Freiligrath
Der österreichische Schriftsteller Peter Rosei wurde am 17. Juni 1946 in Wien geboren. Peter Rosei ist der Sohn eines Eisenbahnbeamten und einer Ladenbesitzerin. Er wuchs in Wien auf, wo er das Gymnasium besuchte und seine Reifeprüfung mit Auszeichnung bestand. Anschließend studierte er an der Universität Wien Jura. 1968 promovierte er dort zum Doktor der Rechte. Von 1969 bis 1971 war er Sekretär und Manager des Wiener Malers Ernst Fuchs. Danach leitete er für kurze Zeit einen Schulbuchverlag. Seit 1972 lebt er als freier Schriftsteller in Wien; in den Jahren von 1975 bis 1981 hatte er seinen Wohnsitz in Bergheim bei Salzburg. Peter Rosei, der bis zu seinem Austritt von 1973 bis 1978 der Grazer Autorenversammlung angehörte, erhielt u. a. 1987 den Literaturpreis der Salzburger Wirtschaft, 1991 den Österreichischen Würdigungspreis für Literatur, 1993 den Franz-Kafka-Preis, 1997 den Literaturpreis der Stadt Wien, 1999 den Anton-Wildgans-Preis und 2007 das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst.
Aus: Verzauberung
“Zu zweit ist es natürlich ein bißchen eng hier.
Ich schaue zu meiner Freundin hinüber: Sie sitzt lässig vor dem Tisch und schenkt sich gerade ein Bier ein. Ich gehe zum Schrank hinüber und öffne die beiden Flügel der Schranktür.
Der Vorleger mit seiner schiefen Ecke.
Die Freundin beugt sich vor, sitzt jetzt, die Beine überschlagen, auf unserem Sessel, sie bückt sich zu ihren Zehen hinunter und begutachtet sie. Die Zehen sind rot lackiert.
Auf dem Tisch stehen in einer Vase Blumen.
Ich stehe, an die Wand gelehnt, entspannt und großmächtig da.
Vom Schrank her rinnt ein rotes Farbrinnsal gegen die Mitte des Zimmers. Dort muß der Boden ein bißchen tiefer sein als an den Rändern.
Aus dem Kasten dringt schrecklicher Gestank.
Ich kann's gleich zugeben: Wir haben die Leiche des Königs in den Kasten gestopft, und das tote Königsfleisch stinkt jetzt ganz jämmerlich. Es verstinkt uns die ganze Bude.
Meine Freundin tut Milchflaschen ins Netz, sie will einkaufen gehen. Aber ich kann sie nur warnen: Ich deute aus dem Fenster. Draußen -
»Das ist ja lebensgefährlich«, sage ich.
»Da hast du recht«, sagt die Feundin.
Ich versuche, die schwankende Bühnendekoration zu stützen. Mit den Händen. Die Freundin hat die Milchflaschen wieder neben den Ausguß gestellt.
Ich hole meine Schuhe unter dem Bett hervor und versuche, sie zu putzen. Ich spucke auf die Kappen, um sie blank zu kriegen. Ein kleines Tier, ein kleines, kluges Tier, steht, zwischen meiner Freundin und mir, auf den Hinterläufen aufgerichtet auf dem Tisch. Wir sind in irgendeiner Wirtschaft.
Aber da liege ich schon auf dem Fußboden und starre zur Lampe hinauf. Meine Freundin rührt in einer runden Schüssel den Gips an.
Das kleine Tier, Wiesel oder Ratte, steht auf dem Tisch, ich kann es aus den Augenwinkeln gerade noch ausnehmen.
Die Freundin kommt auf allen Vieren auf mich gekrochen, sie schiebt die Schüssel mit dem Gips vor sich her.
Auf der Straße draußen entfernt sich mein Bekannter.”
Peter Rosei (Wien, 17. Juni 1946)
Der deutsche Lyriker und Dichter Ferdinand Freiligrath wurde am 17. Juni 1810 in Detmold geboren. Der Sohn eines Lehrers besuchte in Detmold bis zu seinem 16. Lebensjahr das Gymnasium. Da sein Vater nicht die Mittel für ein Studium besaß und ein Onkel in Edinburgh ihn zu adoptieren versprach, wenn er Kaufmann werde, trat Freiligrath bei einem anderen Onkel in Soest eine Lehre an. Dort konnte er sich die neueren Sprachen aneignen und sich durch ausgedehnte Lektüre selbst weiterbilden; in dieser Zeit entstanden die ersten Gedichte. Nach dem Tod des Vaters (1829) und dem Bankrott des Edinburgher Onkels nahm Freiligrath 1832 eine Kontoristenstelle in Amsterdam an; 1837 wurde er Buchhalter in Barmen. Er verkehrte mit zahlreichen rheinischen Schriftstellern (u.a. Karl Immermann, Gottfried Kinkel, Simrock, Matzerath, Wolfgang Müller). Einer Aufforderung Cottas folgend veröffentlichte er 1838 eine erste Sammlung seiner Gedichte; der außergewöhnliche Erfolg veranlaßte ihn, 1839 seine Barmer Stelle zu kündigen und als freier Schriftsteller zu leben.
Ruhe in der Geliebten
So laß mich sitzen ohne Ende,
So laß mich sitzen für und für!
Leg deine beiden frommen Hände
Auf die erhitzte Stirne mir!
Auf meinen Knien, zu deinen Füßen,
Da laß mich ruhn in trunkner Lust;
Laß mich das Auge selig schließen
In deinem Arm, an deiner Brust!
Laß es mich öffnen nur dem Schimmer,
Der deines wunderbar erhellt;
In dem ich raste nun für immer,
O du mein Leben, meine Welt!
Laß es mich öffnen nur der Träne,
Die brennend heiß sich ihm entringt;
Die hell und lustig, eh' ich's wähne,
Durch die geschloßne Wimper springt!
So bin ich fromm, so bin ich stille,
So bin ich sanft, so bin ich gut!
Ich habe dich - das ist die Fülle!
Ich habe dich - mein Wünschen ruht!
Dein Arm ist meiner Unrast Wiege,
Vom Mohn der Liebe süß umglüht;
Und jeder deiner Atemzüge
Haucht mir ins Herz ein Schlummerlied!
Und jeder ist für mich ein Leben! -
Ha, so zu rasten Tag für Tag!
Zu lauschen so mit sel'gem Beben
Auf unsrer Herzen Wechselschlag!
In unsrer Liebe Nacht versunken,
Sind wir entflohn aus Welt und Zeit:
Wir ruhn und träumen, wir sind trunken
In seliger Verschollenheit!
Ferdinand Freiligrath (17. Juni 1810 – 18. März 1876)
Porträt von Johann Peter Hasenclever, 1851
Aus: Verzauberung
“Zu zweit ist es natürlich ein bißchen eng hier.
Ich schaue zu meiner Freundin hinüber: Sie sitzt lässig vor dem Tisch und schenkt sich gerade ein Bier ein. Ich gehe zum Schrank hinüber und öffne die beiden Flügel der Schranktür.
Der Vorleger mit seiner schiefen Ecke.
Die Freundin beugt sich vor, sitzt jetzt, die Beine überschlagen, auf unserem Sessel, sie bückt sich zu ihren Zehen hinunter und begutachtet sie. Die Zehen sind rot lackiert.
Auf dem Tisch stehen in einer Vase Blumen.
Ich stehe, an die Wand gelehnt, entspannt und großmächtig da.
Vom Schrank her rinnt ein rotes Farbrinnsal gegen die Mitte des Zimmers. Dort muß der Boden ein bißchen tiefer sein als an den Rändern.
Aus dem Kasten dringt schrecklicher Gestank.
Ich kann's gleich zugeben: Wir haben die Leiche des Königs in den Kasten gestopft, und das tote Königsfleisch stinkt jetzt ganz jämmerlich. Es verstinkt uns die ganze Bude.
Meine Freundin tut Milchflaschen ins Netz, sie will einkaufen gehen. Aber ich kann sie nur warnen: Ich deute aus dem Fenster. Draußen -
»Das ist ja lebensgefährlich«, sage ich.
»Da hast du recht«, sagt die Feundin.
Ich versuche, die schwankende Bühnendekoration zu stützen. Mit den Händen. Die Freundin hat die Milchflaschen wieder neben den Ausguß gestellt.
Ich hole meine Schuhe unter dem Bett hervor und versuche, sie zu putzen. Ich spucke auf die Kappen, um sie blank zu kriegen. Ein kleines Tier, ein kleines, kluges Tier, steht, zwischen meiner Freundin und mir, auf den Hinterläufen aufgerichtet auf dem Tisch. Wir sind in irgendeiner Wirtschaft.
Aber da liege ich schon auf dem Fußboden und starre zur Lampe hinauf. Meine Freundin rührt in einer runden Schüssel den Gips an.
Das kleine Tier, Wiesel oder Ratte, steht auf dem Tisch, ich kann es aus den Augenwinkeln gerade noch ausnehmen.
Die Freundin kommt auf allen Vieren auf mich gekrochen, sie schiebt die Schüssel mit dem Gips vor sich her.
Auf der Straße draußen entfernt sich mein Bekannter.”
Peter Rosei (Wien, 17. Juni 1946)
Der deutsche Lyriker und Dichter Ferdinand Freiligrath wurde am 17. Juni 1810 in Detmold geboren. Der Sohn eines Lehrers besuchte in Detmold bis zu seinem 16. Lebensjahr das Gymnasium. Da sein Vater nicht die Mittel für ein Studium besaß und ein Onkel in Edinburgh ihn zu adoptieren versprach, wenn er Kaufmann werde, trat Freiligrath bei einem anderen Onkel in Soest eine Lehre an. Dort konnte er sich die neueren Sprachen aneignen und sich durch ausgedehnte Lektüre selbst weiterbilden; in dieser Zeit entstanden die ersten Gedichte. Nach dem Tod des Vaters (1829) und dem Bankrott des Edinburgher Onkels nahm Freiligrath 1832 eine Kontoristenstelle in Amsterdam an; 1837 wurde er Buchhalter in Barmen. Er verkehrte mit zahlreichen rheinischen Schriftstellern (u.a. Karl Immermann, Gottfried Kinkel, Simrock, Matzerath, Wolfgang Müller). Einer Aufforderung Cottas folgend veröffentlichte er 1838 eine erste Sammlung seiner Gedichte; der außergewöhnliche Erfolg veranlaßte ihn, 1839 seine Barmer Stelle zu kündigen und als freier Schriftsteller zu leben.
Ruhe in der Geliebten
So laß mich sitzen ohne Ende,
So laß mich sitzen für und für!
Leg deine beiden frommen Hände
Auf die erhitzte Stirne mir!
Auf meinen Knien, zu deinen Füßen,
Da laß mich ruhn in trunkner Lust;
Laß mich das Auge selig schließen
In deinem Arm, an deiner Brust!
Laß es mich öffnen nur dem Schimmer,
Der deines wunderbar erhellt;
In dem ich raste nun für immer,
O du mein Leben, meine Welt!
Laß es mich öffnen nur der Träne,
Die brennend heiß sich ihm entringt;
Die hell und lustig, eh' ich's wähne,
Durch die geschloßne Wimper springt!
So bin ich fromm, so bin ich stille,
So bin ich sanft, so bin ich gut!
Ich habe dich - das ist die Fülle!
Ich habe dich - mein Wünschen ruht!
Dein Arm ist meiner Unrast Wiege,
Vom Mohn der Liebe süß umglüht;
Und jeder deiner Atemzüge
Haucht mir ins Herz ein Schlummerlied!
Und jeder ist für mich ein Leben! -
Ha, so zu rasten Tag für Tag!
Zu lauschen so mit sel'gem Beben
Auf unsrer Herzen Wechselschlag!
In unsrer Liebe Nacht versunken,
Sind wir entflohn aus Welt und Zeit:
Wir ruhn und träumen, wir sind trunken
In seliger Verschollenheit!
Ferdinand Freiligrath (17. Juni 1810 – 18. März 1876)
Porträt von Johann Peter Hasenclever, 1851
froumen - 17. Jun, 18:33