Robert Menasse, Wulf Kirsten
Der österreichische Schriftsteller, Übersetzer und Essayist Robert Menasse wurde am 21. Juni 1954 in Wien geboren und ist auch dort aufgewachsen. Er studierte Germanistik, Philosophie sowie Politikwissenschaft in Wien, Salzburg und Messina und promovierte im Jahr 1980 mit einer Arbeit über den "Typus des Außenseiters im Literaturbetrieb". Menasse lehrte anschließend sechs Jahre - zunächst als Lektor für österreichische Literatur, dann als Gastdozent am Institut für Literaturtheorie - an der Universität São Paulo. Dort hielt er vor allem Lehrveranstaltungen über philosophische und ästhetische Theorien ab, u.a. über: Hegel, Lukács, Benjamin und Adorno. Seit seiner Rückkehr aus Brasilien 1988 lebt Robert Menasse als Literat und kulturkritischer Essayist hauptsächlich in Wien.
Aus: Don Juan de la Mancha oder. Die Erziehung der Lust
“Lass uns etwas Verrücktes tun, sagte sie.Ja, sagte ich. Aber was? Wir haben schon das Allerverrückteste getan! Was könnte so verrücktsein wie deine Idee, zu heiraten?Nicht meine Idee, unser Entschluss!Ja, unser Entschluss! Und was könnte jetzt also angemessen verrückt sein?Wir gehen ins Kasino. Glück und Glücksspiel. Warst du schon einmal im Kasino?Nein.Komm, Nathan, bitte lass uns ins Kasino gehen. Wir haben heute Glück. Ich weiß es. Hast dueine Krawatte?Sie war so ausgelassen. Sie kicherte und schlug die Hände zusammen wie ein Kind. Bitte,Nathan!Dann, im Zuge der aufwändigen Herstellung eines kasinokompatiblen Äußeren, wurde sieernst, sachlich, vernünftig. Hör zu, Nathan, sagte sie, jeder nimmt zweihundert Schilling mit.Keine Karte, keine Schecks. Wenn es schiefgeht, hält sich der Schaden in Grenzen.Einverstanden?Ja.Wo sind deine Schecks, deine Karte? Zeig sie mir. Leg sie da in diese Lade. Ich will nicht, dassdu heimlich –Ja.Wir werden Glück haben. Aber sicher ist sicher.Ja. Glück ist – sicher ist sicher.Wir fuhren zum Kasino. Zahlten Eintritt, betraten den Saal mit den Roulette-Tischen – undschon war Martina verschwunden. Einige Minuten später fand ich sie an einem Tisch sitzend,geschäftig Einsätze machend. Tolle Frau, dachte ich, so sicher und selbstbewusst. Ich war dasnicht. Ich streunte zwischen den Tischen herum, konnte und konnte mich nicht entscheiden, einenEinsatz zu wagen. Probeweise stellte ich mir vor: Jetzt setze ich auf Rot. Ich setzte nicht, ichstellte es mir nur vor. Es kam Schwarz. Ich ging zum nächsten Tisch.Wissen Sie was, Hannah? Da haben Sie schon ein Bild für mein Sexualverhalten: Praxistheoretisch, Enttäuschung dann wirklich. Und wenn ich Glück habe, ist es auch ein Unglück, unddas kam so:Plötzlich sah ich einen Tisch, an dem ein Scheich saß. Der Scheich war ein Scheich, weil eraussah wie ein Scheich. Das ist ja so eine Eigentümlichkeit im Bereich der Weltfolklore: Ein Mann im Steireranzug muss kein Steirer sein, aber ein Mann im Scheich-Outfit ist ein Scheich.”

Robert Menasse (Wien, 21. Juni 1954)
Der deutsche Lyriker, Prosaist und Herausgeber Wulf Kirsten wurde am 21. Juni 1934 in Klipphausen bei Meißen geboren. Wulf Kirsten arbeitete nach einer Lehre als Handelskaufmann in den 50er- Jahren zunächst als Bauhilfsarbeiter und Buchhalter, ehe er 1960 sein Abitur an der Arbeiter-und Bauernfakultät in Leipzig nachmachte und begann, Germanistik und Russistik zu studieren. 1962 wirkte er am Wörterbuch für sächsische Mundarten mit. Dann verließ er seine angestammte Region. 1964 trat er eine Stelle als Lektor des Aufbau-Verlages im thüringischen Weimar an, die er bis 1987 einnahm. Er war bald geschätzt als kundiger Herausgeber zahlreicher Anthologien. In dieser Zeit begann aber auch sein eigenes Schaffen als Lyriker. In den 70er-Jahren machte er zunächst mit den Gedichtbänden "Ziegelbrennersprache" und "Der Landgänger" auf sich aufmerksam.
an warmen sommertagen
an warmen sommertagen
äpfel und birnen reifen
hochgeladene erntewagen
sperrige äste streifen
dorfeinwärts schleifen karren
roßhufe schüren den staub
träges huhn beginnt zu quarren
gelbhalme pendeln im laub
zehnfach in die scheuer rollt
was der erde beigemengt
frost und durst tribut gezollt
was nun in den leitern zwängt
see
kauderwelsch der möwen
strand libellenumblitzt
blaue signale der hitze
stumm ins heiße geritzt
horizont gezahnt
weiße falter blinken
leuchtschrift träger see
bis die segel sinken
schwarm der scheuen fische
hart unterm spiegel zuckt
glasig leib und augen
bis ihn die masche schluckt

Wulf Kirsten (Klipphausen, 21. Juni 1934)
Aus: Don Juan de la Mancha oder. Die Erziehung der Lust
“Lass uns etwas Verrücktes tun, sagte sie.Ja, sagte ich. Aber was? Wir haben schon das Allerverrückteste getan! Was könnte so verrücktsein wie deine Idee, zu heiraten?Nicht meine Idee, unser Entschluss!Ja, unser Entschluss! Und was könnte jetzt also angemessen verrückt sein?Wir gehen ins Kasino. Glück und Glücksspiel. Warst du schon einmal im Kasino?Nein.Komm, Nathan, bitte lass uns ins Kasino gehen. Wir haben heute Glück. Ich weiß es. Hast dueine Krawatte?Sie war so ausgelassen. Sie kicherte und schlug die Hände zusammen wie ein Kind. Bitte,Nathan!Dann, im Zuge der aufwändigen Herstellung eines kasinokompatiblen Äußeren, wurde sieernst, sachlich, vernünftig. Hör zu, Nathan, sagte sie, jeder nimmt zweihundert Schilling mit.Keine Karte, keine Schecks. Wenn es schiefgeht, hält sich der Schaden in Grenzen.Einverstanden?Ja.Wo sind deine Schecks, deine Karte? Zeig sie mir. Leg sie da in diese Lade. Ich will nicht, dassdu heimlich –Ja.Wir werden Glück haben. Aber sicher ist sicher.Ja. Glück ist – sicher ist sicher.Wir fuhren zum Kasino. Zahlten Eintritt, betraten den Saal mit den Roulette-Tischen – undschon war Martina verschwunden. Einige Minuten später fand ich sie an einem Tisch sitzend,geschäftig Einsätze machend. Tolle Frau, dachte ich, so sicher und selbstbewusst. Ich war dasnicht. Ich streunte zwischen den Tischen herum, konnte und konnte mich nicht entscheiden, einenEinsatz zu wagen. Probeweise stellte ich mir vor: Jetzt setze ich auf Rot. Ich setzte nicht, ichstellte es mir nur vor. Es kam Schwarz. Ich ging zum nächsten Tisch.Wissen Sie was, Hannah? Da haben Sie schon ein Bild für mein Sexualverhalten: Praxistheoretisch, Enttäuschung dann wirklich. Und wenn ich Glück habe, ist es auch ein Unglück, unddas kam so:Plötzlich sah ich einen Tisch, an dem ein Scheich saß. Der Scheich war ein Scheich, weil eraussah wie ein Scheich. Das ist ja so eine Eigentümlichkeit im Bereich der Weltfolklore: Ein Mann im Steireranzug muss kein Steirer sein, aber ein Mann im Scheich-Outfit ist ein Scheich.”

Robert Menasse (Wien, 21. Juni 1954)
Der deutsche Lyriker, Prosaist und Herausgeber Wulf Kirsten wurde am 21. Juni 1934 in Klipphausen bei Meißen geboren. Wulf Kirsten arbeitete nach einer Lehre als Handelskaufmann in den 50er- Jahren zunächst als Bauhilfsarbeiter und Buchhalter, ehe er 1960 sein Abitur an der Arbeiter-und Bauernfakultät in Leipzig nachmachte und begann, Germanistik und Russistik zu studieren. 1962 wirkte er am Wörterbuch für sächsische Mundarten mit. Dann verließ er seine angestammte Region. 1964 trat er eine Stelle als Lektor des Aufbau-Verlages im thüringischen Weimar an, die er bis 1987 einnahm. Er war bald geschätzt als kundiger Herausgeber zahlreicher Anthologien. In dieser Zeit begann aber auch sein eigenes Schaffen als Lyriker. In den 70er-Jahren machte er zunächst mit den Gedichtbänden "Ziegelbrennersprache" und "Der Landgänger" auf sich aufmerksam.
an warmen sommertagen
an warmen sommertagen
äpfel und birnen reifen
hochgeladene erntewagen
sperrige äste streifen
dorfeinwärts schleifen karren
roßhufe schüren den staub
träges huhn beginnt zu quarren
gelbhalme pendeln im laub
zehnfach in die scheuer rollt
was der erde beigemengt
frost und durst tribut gezollt
was nun in den leitern zwängt
see
kauderwelsch der möwen
strand libellenumblitzt
blaue signale der hitze
stumm ins heiße geritzt
horizont gezahnt
weiße falter blinken
leuchtschrift träger see
bis die segel sinken
schwarm der scheuen fische
hart unterm spiegel zuckt
glasig leib und augen
bis ihn die masche schluckt

Wulf Kirsten (Klipphausen, 21. Juni 1934)
froumen - 21. Jun, 18:34