Czeslaw Milosz, Juli Zeh
Der polnische Dichter Czeslaw Milosz wurde am 30. Juni 1911 in Szetejnie bei Kedainiai, Litauen geboren. Er studierte Jura in Wilna, das damals zu Polen gehörte. 1931 war er Mitbegründer der Literaturzeitschrift Zagary (Feuersbrünste). 1933 wurde sein erster Lyrigband (Poemat o czasie zastyglym) in Polen veröffentlicht. 1934 ging Milosz als Stipendiat nach Paris. Nach seiner Rückkehr arbeitete er für den polnischen Rundfunk, zunächst in Wilna, später in Warschau. Den Zweiten Weltkrieg verbrachte er in Warschau, wo er im Untergrund aktiv war. Nach dem Krieg ging er in den diplomatischen Dienst und wurde polnischer Kulturattaché in New York, Washington und Paris. 1951 kam es zum Bruch mit der polnischen Regierung , Milosz ließ sich in Frankreich nieder. 1960 siedelte er in die USA und wurde 1961 Professor für Slawistik in Berkeley, Kalifornien. Seit 1970 war Milosz amerikanischer Staatsbürger. 1980 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.
Aus: Hündchen am Wegesrand (Übersetzt von Doreen Daume)
“Um mein Land kennenzulernen, hatte ich mich in einem Zweispännerauf den Weg gemacht. Ich hatte einen großen Vorrat an getrocknetem Futter dabei und einen hinten am Wagen angebundenen, klappernden Eimer, der dazu diente, die Pferde zu tränken. Auf dieser Reise lernte ich die verschiedensten Gegenden kennen, manche waren hügelig, andere waldig, wieder andere ähnlich der Pußta. Dort ballte sich der Rauch über den Dächern der Gehöfte zusammen, so daß es aussah, als würden diese brennen. Das kam daher, weil diese Gebäude keinen Rauchfang hatten. Ich fuhr auch durch Felder und Seenlandschaften. Wie herrlich war es doch, sich auf diese Art vorwärts zu bewegen, die Zügel schleifen zu lassen, zu warten, bis hinter den Bäumen langsam ein Dorf oder ein Park erschien und darin das Weiß eines Gutshofs. Und immer sprang uns sofort ein kleiner bellender Hund entgegen, eifrig und pflichtbewußt. Das war am Anfang des Jahrhunderts, an dessen Ende wir uns nun befinden. Ich erinnere mich nicht nur an die Menschen, die dort lebten, sondern auch an die Generationen von Hunden, die ihnen bei ihren täglichen Geschäften Gesellschaft leisteten, und einmal, ich weiß nicht woher, sicher war es in einem Traum, den ich gegen Morgen hatte, kam mir diese drollige und fast zärtliche Bezeichnung für sie in den Sinn: "Hündchen am Wegesrand". Ohne Kontrolle. Er konnte seine Gedanken nicht kontrollieren. Sie irrten herum, wo sie wollten, und wenn er ihnen nach ging, wurde ihm übel. Denn es waren keine guten Gedanken, sie brachten es an den Tag, daß er in seinem tiefsten Innern grausam war. Das mußte er sich eingestehen. Er dachte, daß die Welt ein einziges Jammertal sei und daß die Menschen nichts anderes verdienten als ihren eigenen Untergang. Gleichzeitig hatte er den Verdacht, daß die Grausamkeit seiner Phantasie und sein Schaffensimpuls irgendwie zueinander gehörten.Vorübergehend und nur zum Schein Morgens aufstehen und zur Arbeit gehen, mit den Menschen durch Gefühle der Liebe, der Freundschaft oder der Feindschaft verbunden sein - und sich die ganze Zeit darüber im klaren sein, daß all dies nur vorübergehend und zum Schein ist. Unerschütterlich und greifbar warin ihm eigentlich nur die Hoffnung, diese war so stark, daß ihn das Leben selbst bereits ungeduldig machte.”

Czeslaw Milosz (30. Juni 1911 – 14. August 2004)
Die deutsche Schriftstellerin Juli Zeh wurde in Bonn geboren und studierte Jura in Passau und Leipzig, wo sie 1998 ihr 1. Staatsexamen machte. Ebenfalls in Leipzig studierte sie von 1996 bis 2000 am Deutschen Literaturinstitut (DLL), an das sie später als Dozentin zurückgekehrt ist. Nach ihrem Diplom am DLL folgte 2003 das 2. Staatsexamen. Zahlreiche Auslandsaufenthalte u.a. für die UN in New York und Krakau und vor allem in Sarajevo, Bosnien und Herzegowina haben ihre Arbeiten geprägt. Juli Zeh wurde für ihr Werk vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Deutschen Bücherpreis, dem Rauriser Literaturpreis, dem Hölderlin-Förderpreis, dem Ernst-Toller-Preis und dem Solothurner Literaturpreis.
Ihr erster Roman Adler und Engel ist mittlerweile in 29 Sprachen übersetzt. Ihr Roman “Spieltrieb” wurde 2006 am Hamburger Schauspielhaus für die Bühne dramatisiert.
Aus: Adler und Engel
“Ich habe den Eindruck, dass diese Nacht ein paar Grad kühler ist als die Nächte zuvor. Das wäre, in Übereinstimmung mit meinen Berechnungen, sogar logisch. Es muss Ende August sein, also wird die Hitze nachlassen, falls die Erde nicht doch feststeckt auf ihrer Umlaufbahn, und es wird regnen, irgendwann, vielleicht schon bald.
Mir kommt der Verdacht, dass Clara im Schuppen überhaupt nur auf den Regen wartet, wie eine dieser Wüstenpflanzen, die während der Trockenphasen braun, flach und eingeschrumpft für Monate in einem Winkel liegen können und dabei sogar tot sind im biologischen Sinn. Sobald sie aber Wasser bekommen, erblühen sie innerhalb von Minuten, wachsen zur zehnfachen Größe an, werden grün und nahezu schön. Ich habe dieses Phänomen klar vor Augen, mir fällt sogar der Name der Pflanze ein: Rose von Jericho. Gleichzeitig sehe ich Clara vor mir, wie sie bei den ersten fallenden Tropfen auf Knien und Ellenbogen ins Freie kriechen und solange im Regen liegen bleiben wird, bis sie kräftig genug ist, um sich zu erheben und alleine zu gehen, und dann wird sie diesen Hof verlassen, soviel steht fest. Das würde erklären, warum sie da drin liegt wie ausgeknipst. Tot im biologischen Sinn. Ich werde den Wetterbericht hören müssen. Ich werde einen Gartenschlauch kaufen, ihn am Hahn neben dem Tor anschließen und Wasser auf das Dach des Schuppens und gegen die Fensterscheiben trommeln lassen, um auszuprobieren, ob Clara reagiert, ob sie nach einer Weile kriechend auf der Schwelle erscheint. Lisa von Jericho. »

Juli Zeh (Bonn, 30. Juni 1974)
Aus: Hündchen am Wegesrand (Übersetzt von Doreen Daume)
“Um mein Land kennenzulernen, hatte ich mich in einem Zweispännerauf den Weg gemacht. Ich hatte einen großen Vorrat an getrocknetem Futter dabei und einen hinten am Wagen angebundenen, klappernden Eimer, der dazu diente, die Pferde zu tränken. Auf dieser Reise lernte ich die verschiedensten Gegenden kennen, manche waren hügelig, andere waldig, wieder andere ähnlich der Pußta. Dort ballte sich der Rauch über den Dächern der Gehöfte zusammen, so daß es aussah, als würden diese brennen. Das kam daher, weil diese Gebäude keinen Rauchfang hatten. Ich fuhr auch durch Felder und Seenlandschaften. Wie herrlich war es doch, sich auf diese Art vorwärts zu bewegen, die Zügel schleifen zu lassen, zu warten, bis hinter den Bäumen langsam ein Dorf oder ein Park erschien und darin das Weiß eines Gutshofs. Und immer sprang uns sofort ein kleiner bellender Hund entgegen, eifrig und pflichtbewußt. Das war am Anfang des Jahrhunderts, an dessen Ende wir uns nun befinden. Ich erinnere mich nicht nur an die Menschen, die dort lebten, sondern auch an die Generationen von Hunden, die ihnen bei ihren täglichen Geschäften Gesellschaft leisteten, und einmal, ich weiß nicht woher, sicher war es in einem Traum, den ich gegen Morgen hatte, kam mir diese drollige und fast zärtliche Bezeichnung für sie in den Sinn: "Hündchen am Wegesrand". Ohne Kontrolle. Er konnte seine Gedanken nicht kontrollieren. Sie irrten herum, wo sie wollten, und wenn er ihnen nach ging, wurde ihm übel. Denn es waren keine guten Gedanken, sie brachten es an den Tag, daß er in seinem tiefsten Innern grausam war. Das mußte er sich eingestehen. Er dachte, daß die Welt ein einziges Jammertal sei und daß die Menschen nichts anderes verdienten als ihren eigenen Untergang. Gleichzeitig hatte er den Verdacht, daß die Grausamkeit seiner Phantasie und sein Schaffensimpuls irgendwie zueinander gehörten.Vorübergehend und nur zum Schein Morgens aufstehen und zur Arbeit gehen, mit den Menschen durch Gefühle der Liebe, der Freundschaft oder der Feindschaft verbunden sein - und sich die ganze Zeit darüber im klaren sein, daß all dies nur vorübergehend und zum Schein ist. Unerschütterlich und greifbar warin ihm eigentlich nur die Hoffnung, diese war so stark, daß ihn das Leben selbst bereits ungeduldig machte.”

Czeslaw Milosz (30. Juni 1911 – 14. August 2004)
Die deutsche Schriftstellerin Juli Zeh wurde in Bonn geboren und studierte Jura in Passau und Leipzig, wo sie 1998 ihr 1. Staatsexamen machte. Ebenfalls in Leipzig studierte sie von 1996 bis 2000 am Deutschen Literaturinstitut (DLL), an das sie später als Dozentin zurückgekehrt ist. Nach ihrem Diplom am DLL folgte 2003 das 2. Staatsexamen. Zahlreiche Auslandsaufenthalte u.a. für die UN in New York und Krakau und vor allem in Sarajevo, Bosnien und Herzegowina haben ihre Arbeiten geprägt. Juli Zeh wurde für ihr Werk vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Deutschen Bücherpreis, dem Rauriser Literaturpreis, dem Hölderlin-Förderpreis, dem Ernst-Toller-Preis und dem Solothurner Literaturpreis.
Ihr erster Roman Adler und Engel ist mittlerweile in 29 Sprachen übersetzt. Ihr Roman “Spieltrieb” wurde 2006 am Hamburger Schauspielhaus für die Bühne dramatisiert.
Aus: Adler und Engel
“Ich habe den Eindruck, dass diese Nacht ein paar Grad kühler ist als die Nächte zuvor. Das wäre, in Übereinstimmung mit meinen Berechnungen, sogar logisch. Es muss Ende August sein, also wird die Hitze nachlassen, falls die Erde nicht doch feststeckt auf ihrer Umlaufbahn, und es wird regnen, irgendwann, vielleicht schon bald.
Mir kommt der Verdacht, dass Clara im Schuppen überhaupt nur auf den Regen wartet, wie eine dieser Wüstenpflanzen, die während der Trockenphasen braun, flach und eingeschrumpft für Monate in einem Winkel liegen können und dabei sogar tot sind im biologischen Sinn. Sobald sie aber Wasser bekommen, erblühen sie innerhalb von Minuten, wachsen zur zehnfachen Größe an, werden grün und nahezu schön. Ich habe dieses Phänomen klar vor Augen, mir fällt sogar der Name der Pflanze ein: Rose von Jericho. Gleichzeitig sehe ich Clara vor mir, wie sie bei den ersten fallenden Tropfen auf Knien und Ellenbogen ins Freie kriechen und solange im Regen liegen bleiben wird, bis sie kräftig genug ist, um sich zu erheben und alleine zu gehen, und dann wird sie diesen Hof verlassen, soviel steht fest. Das würde erklären, warum sie da drin liegt wie ausgeknipst. Tot im biologischen Sinn. Ich werde den Wetterbericht hören müssen. Ich werde einen Gartenschlauch kaufen, ihn am Hahn neben dem Tor anschließen und Wasser auf das Dach des Schuppens und gegen die Fensterscheiben trommeln lassen, um auszuprobieren, ob Clara reagiert, ob sie nach einer Weile kriechend auf der Schwelle erscheint. Lisa von Jericho. »

Juli Zeh (Bonn, 30. Juni 1974)
froumen - 30. Jun, 18:32