Wisława Szymborska, Hermann Hesse
Die polnische Lyrikerin Wisława Szymborska wurde am 2. Juli 1923 in Kórnik bei Posen geboren und wuchs in Krakau auf, wo sie polnische Philologie und Soziologie studierte. Ab 1953 war sie als freie Mitarbeiterin für die Krakauer Wochenschrift Życie Literacki („Literarisches Leben”) tätig, für die sie vor allem Rezensionen verfasste. Szymborskas erste beiden, wenig beachteten Gedichtbände Dlatego żyjemi (1952; Deshalb leben wir) und Pytania zadawane sobie (1954; Fragen, die ich mir stelle) waren angepasste sozialrealistische Versuche, von denen sie sich später distanzierte. Große Aufmerksamkeit erregte sie erst mit den Sammlungen Wołanie do Yeti (1957; Rufe an Yeti) und Sól (1962; Salz), die ihren Ruf als führende polnische Lyrikerin der Nachkriegszeit begründeten.
DAS ENDE EINES JAHRHUNDERTS
Es hatte besser sein sollen als die vergangenen,
unser 20. Jahrhundert.
Ihm bleibt keine Zeit mehr, das zu beweisen,
gezählt sind die Jahre,
der Schritt schwankt,
der Atem geht kurz.
Zu viel ist geschehen,
was nicht hat geschehen sollen,
und was hat kommen sollen,
kam leider nicht.
Es ging auf den Frühling zu, hieß es,
und, unter anderem, aufs Glück.
Die Angst hatte Berge und Täler verlassen sollen,
die Wahrheit schneller am Ziel
sein als alle Lügen.
Einige Unglücksfalle
sollten nicht mehr geschehen,
zum Beispiel Krieg,
Hunger und so.
Die Wehrlosigkeit der Wehrlosen,
das Vertrauen und so weiter
sollten Achtung genießen.
Wer sich an der Welt hat freuen wollen,
steht vor der Aufgabe,
die nicht zu erfüllen ist.
Die Dummheit ist gar nicht zum Lachen,
die Klugheit ist gar nicht lustig.
Die Hoffnung
ist nicht mehr das junge Mädchen
etcetera, cetera, leider.
Gott sollte endlich glauben dürfen
an einen Menschen, der gut ist und stark,
aber der Gute und Starke
sind immer noch zweierlei Menschen.
Wie leben?---fragte im Brief
mich jemand, den ich dasselbe
hab Fragen wollen.
Weiter und so wie immer,
wie oben zu sehn,
es gibt keine Fragen, die dringlicher wären
als die naiven.
DAS SCHREIBEN EINES LEBENSLAUFS
Was ist zu tun?
Ein Antrag ist einzureichen,
dazu ein Lebenslauf.
Ungeachtet der Länge des Lebens
hat der Lebenslauf kurz zu sein.
Geboten sind Bündigkeit und eine Auswahl von Fakten.
Die Landschaften sind durch Anschriften zu ersetzen,
labile Erinnerungen durch konstante Daten.
Von allen Lieben genügt die eheliche,
nur die geborenen Kinfffder zählen.
Wichtig ist, wer dich kennt, nicht, wen du kennst.
Reisen, nur die ins Ausland.
Zugehörig wozu, aber ohne weshalb.
Preise, ohne wofür.
Schreibe, als hättest du niemals mit dir gesprochen
und dich von weitem gemieden.
Umgehe mit Schweigen Hunde, Katzen und Vögel,
den Erinnerungskleinkram, Freunde und Träume.
Es gilt der Preis, nicht der Wert,
der Titel, nicht dessen Inhalt,
die Schuhgröße, nicht wo
der Mensch, für den man dich hält, hingeht.
Dazu eine Fotografie mit entblößtem Ohr.
Wichtig ist seine Form, nicht, was es hört.
Was es hört.
Das Knirschen des Papierwolfs.
Übersetzt von Karl Dedecius

Wislawa Szymborska (Bnin, 2. Juli 1923)
Der deutsch-schweizerische Dichter Hermann Hesse wurde am 2. Juli 1877 in Calw geboren. Der Sohn eines deutsch-baltischen Missionars besuchte die Lateinschule in Göppingen und 1891 legte er das "Landexamen" ab. Mit der vorgezeichneten theologischen Laufbahn brach er ein Jahr später ab. 1892-1893 besuchte er das Gymnasium in Bad Canstatt. Danach macht er die Mechaniklehre in der Turmuhrenfabrik in Calw und die Buchhändlerlehre in Tübingen. Eine Zeitlang arbeitet er als Buchhändler und Antiquar in Basel. Mehrere Reisen durch die Schweiz und meherere Italienreise erweitern seine kulturellen Horizonte. Aus dieser Zeit stammen die ersten literarischen Versuche, Gedichte und Erzählungen. Ab 1904 lebte er als freier Schriftsteller und Mitarbeiter an verschiedenen Zeitungen und 1912 zog er in die Schweiz. Für seine literarische Tätigkeit erhielt Hesse 1946 den Nobelpreis.
Aus: Siddhartha
“Siddhartha lauschte. Er war nun ganz Lauscher, ganz ins Zuhören vertieft, ganz leer, ganz einsaugend, er fühlte, dass er nun das Lauschen zu Ende gelernt habe. Oft schon hatte er all dies gehört, diese vielen Stimmen im Fluß, heute klang es neu. Schon konnte er die vielen Stimmen nicht mehr unterscheiden, nicht frohe von weinenden, nicht kindliche von männlichen, sie gehörten alle zusammen, Klage der Sehnsucht und Lachen des Wissenden, Schrei des Zorns und Stöhnen der Sterbenden, alles war eins, alles war ineinander verwoben und verknüpft, tausendfach verschlungen. Und alles zusammen, alle Stimmen, alle Ziele, alles Sehnen, alle Leiden, alle Lust, alles Gute und Böse, alles zusammen war die Welt. Alles zusammen war der Fluß des Geschehens, war die Musik des Lebens. Und wenn Siddhartha aufmerksam diesem Fluß diesem tausendstimmigen Liede lauschte, wenn er nicht auf das Leid noch auf das Lachen hörte, wenn er seine Seele nicht an irgendeine Stimme band und mit seinem Ich in sie einging, sondern alle hörte, das GAnze, die Einheit vernahm, dann bestand das große Lied der tausend Stimmen aus einem einzigen Worte, das hieß Om: Die Vollendung.“

Hermann Hesse (2. Juli 1877 – 9. August 1962)
DAS ENDE EINES JAHRHUNDERTS
Es hatte besser sein sollen als die vergangenen,
unser 20. Jahrhundert.
Ihm bleibt keine Zeit mehr, das zu beweisen,
gezählt sind die Jahre,
der Schritt schwankt,
der Atem geht kurz.
Zu viel ist geschehen,
was nicht hat geschehen sollen,
und was hat kommen sollen,
kam leider nicht.
Es ging auf den Frühling zu, hieß es,
und, unter anderem, aufs Glück.
Die Angst hatte Berge und Täler verlassen sollen,
die Wahrheit schneller am Ziel
sein als alle Lügen.
Einige Unglücksfalle
sollten nicht mehr geschehen,
zum Beispiel Krieg,
Hunger und so.
Die Wehrlosigkeit der Wehrlosen,
das Vertrauen und so weiter
sollten Achtung genießen.
Wer sich an der Welt hat freuen wollen,
steht vor der Aufgabe,
die nicht zu erfüllen ist.
Die Dummheit ist gar nicht zum Lachen,
die Klugheit ist gar nicht lustig.
Die Hoffnung
ist nicht mehr das junge Mädchen
etcetera, cetera, leider.
Gott sollte endlich glauben dürfen
an einen Menschen, der gut ist und stark,
aber der Gute und Starke
sind immer noch zweierlei Menschen.
Wie leben?---fragte im Brief
mich jemand, den ich dasselbe
hab Fragen wollen.
Weiter und so wie immer,
wie oben zu sehn,
es gibt keine Fragen, die dringlicher wären
als die naiven.
DAS SCHREIBEN EINES LEBENSLAUFS
Was ist zu tun?
Ein Antrag ist einzureichen,
dazu ein Lebenslauf.
Ungeachtet der Länge des Lebens
hat der Lebenslauf kurz zu sein.
Geboten sind Bündigkeit und eine Auswahl von Fakten.
Die Landschaften sind durch Anschriften zu ersetzen,
labile Erinnerungen durch konstante Daten.
Von allen Lieben genügt die eheliche,
nur die geborenen Kinfffder zählen.
Wichtig ist, wer dich kennt, nicht, wen du kennst.
Reisen, nur die ins Ausland.
Zugehörig wozu, aber ohne weshalb.
Preise, ohne wofür.
Schreibe, als hättest du niemals mit dir gesprochen
und dich von weitem gemieden.
Umgehe mit Schweigen Hunde, Katzen und Vögel,
den Erinnerungskleinkram, Freunde und Träume.
Es gilt der Preis, nicht der Wert,
der Titel, nicht dessen Inhalt,
die Schuhgröße, nicht wo
der Mensch, für den man dich hält, hingeht.
Dazu eine Fotografie mit entblößtem Ohr.
Wichtig ist seine Form, nicht, was es hört.
Was es hört.
Das Knirschen des Papierwolfs.
Übersetzt von Karl Dedecius

Wislawa Szymborska (Bnin, 2. Juli 1923)
Der deutsch-schweizerische Dichter Hermann Hesse wurde am 2. Juli 1877 in Calw geboren. Der Sohn eines deutsch-baltischen Missionars besuchte die Lateinschule in Göppingen und 1891 legte er das "Landexamen" ab. Mit der vorgezeichneten theologischen Laufbahn brach er ein Jahr später ab. 1892-1893 besuchte er das Gymnasium in Bad Canstatt. Danach macht er die Mechaniklehre in der Turmuhrenfabrik in Calw und die Buchhändlerlehre in Tübingen. Eine Zeitlang arbeitet er als Buchhändler und Antiquar in Basel. Mehrere Reisen durch die Schweiz und meherere Italienreise erweitern seine kulturellen Horizonte. Aus dieser Zeit stammen die ersten literarischen Versuche, Gedichte und Erzählungen. Ab 1904 lebte er als freier Schriftsteller und Mitarbeiter an verschiedenen Zeitungen und 1912 zog er in die Schweiz. Für seine literarische Tätigkeit erhielt Hesse 1946 den Nobelpreis.
Aus: Siddhartha
“Siddhartha lauschte. Er war nun ganz Lauscher, ganz ins Zuhören vertieft, ganz leer, ganz einsaugend, er fühlte, dass er nun das Lauschen zu Ende gelernt habe. Oft schon hatte er all dies gehört, diese vielen Stimmen im Fluß, heute klang es neu. Schon konnte er die vielen Stimmen nicht mehr unterscheiden, nicht frohe von weinenden, nicht kindliche von männlichen, sie gehörten alle zusammen, Klage der Sehnsucht und Lachen des Wissenden, Schrei des Zorns und Stöhnen der Sterbenden, alles war eins, alles war ineinander verwoben und verknüpft, tausendfach verschlungen. Und alles zusammen, alle Stimmen, alle Ziele, alles Sehnen, alle Leiden, alle Lust, alles Gute und Böse, alles zusammen war die Welt. Alles zusammen war der Fluß des Geschehens, war die Musik des Lebens. Und wenn Siddhartha aufmerksam diesem Fluß diesem tausendstimmigen Liede lauschte, wenn er nicht auf das Leid noch auf das Lachen hörte, wenn er seine Seele nicht an irgendeine Stimme band und mit seinem Ich in sie einging, sondern alle hörte, das GAnze, die Einheit vernahm, dann bestand das große Lied der tausend Stimmen aus einem einzigen Worte, das hieß Om: Die Vollendung.“

Hermann Hesse (2. Juli 1877 – 9. August 1962)
froumen - 2. Jul, 18:51