Elias Canetti, Max Dauthendey
Der Schriftsteller und Aphoristiker deutscher Sprache Elias Canetti wurde am 25. Juli 1905 in Rustschuk, heute Bulgarien, damals Teil des osmanischen Reiches, als Sohn eines Kaufmanns geboren. 1911 siedelte die Familie nach Manchester, ein Jahr später, nach dem Tod des Vaters, nach Wien. 1916 verließ die Familie Wien und ließ sich in Frankfurt am Main nieder. Nach seinem Abitur kehrtet Canetti zurück nach Österreich, wo er Chemie an der Universität Wien studierte. Schon während seines Studiums wurde Canetti als Übersetzer für den Malik-Verlag in Berlin tätig. 1929 promovierte Canetti zum Doktor der Naturwissenschaften. 1937 veröffentlichte er seinen ersten Roman, Die Blendung, der schon sehr bald in zahlreichen europäischen Ländern veröffentlicht wurde. Nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Österreich 1938 floh er mit seiner Frau Veza Canetti nach London. Obwohl Canetti selbst Jude war, blieb er auch nach dem Zweiten Weltkrieg seiner "zweiten Muttersprache" treu und schrieb ausschließlich in deutscher Sprache. Canettis Werke wurden in über 25 Sprachen übersetzt. In seiner Dankesrede für den Nobelpreis betont er mit Nachdruck die schriftstellerische Leistung seiner Kollegen Karl Kraus, Franz Kafka, Robert Musil und Hermann Broch.
Aus: Party im Blitz
„Als der Blitzkrieg über London begann, einige Monate nach Dünkirchen, im gefährlichsten Zeitpunkt der englischen Geschichte, erlebte ich in seinem Hause eine Party, die mir vor Augen bliebe, auch wenn ich fünfhundert Jahre danach noch am Leben wäre. Sein Haus war höher als die meisten in Downshire Hill. Es hatte drei Stockwerke, die meisten andern nur zwei. Es war aber schmal wie die andern alle. In jedem Stock waren höchstens ein oder zwei Zimmer. Sie waren von Menschen erfüllt, die tranken und tanzten. Sie standen mit den Gläsern in der Hand da, wie es hier Sitte war, aber mit ausdrucksvollen Gesichtern, was hier gegen die Sitte ging. Es waren manche junge Offiziere in Uniform darunter, lebhaft, ja beinah lebenslustig, von lauten Sätzen überquellend, die man gehört hätte, wenn sie in der Musik nicht untergegangen wären. Die Tanzenden, besonders die Frauen, hatten etwas Aufgerissenes und genossen ihre Bewegungen wie die des Partners. Die Atmosphäre war dicht und heiß, und niemand kümmerte sich darum, daß man Bomben-Einschläge hörte, eine furchtlose und dabei sehr lebendige Gesellschaft. Ich hatte im obersten Stock begonnen, ich traute kaum meinen Augen und ich ging in den zweiten hinunter und traute ihnen noch weniger. Jeder Raum schien feuriger als der, in dem man sich vorher umgetan hatte. In den tieferen Räumen sonderte man sich etwas mehr ab, Pärchen saßen und hielten einander umarmt, die Musik durchdrang uns heiß von oben bis unten, man gab sich mit Umarmungen und Küssen zufrieden, nichts wirkte lasziv, im Basement, wie man hier das Untergeschoß nannte, geschah das Erstaunlichste. Die Türe nach außen wurde aufgerissen, Männer in Feuerwehrhelmen griffen nach Kübeln mit Sand, die sie im Schweiß ihres Angesichts in größter Geschwindigkeit hinaustrugen. Sie achteten auf nichts, das sie im Raum vor sich sahen, in ihrer Eile, die brennenden Häuser in der Nachbarschaft zu schützen, griffen sie wie blind nach den sandgefüllten Kübeln.”

Elias Canetti (25. Juli 1905 – 14. August 1994)
Der deutsche Dichter und Maler Max Dauthendey wurde am 25. Juli 1867 in Würzburg geboren. Sein Vater war ein bekannter Fotograf, in dessen Atelier der junge Dauthendey von 1886 bis 1889 als Fotograf arbeitete. Nach einem zweijährigen Aufenthalt in Berlin begann er ein ruheloses Wanderleben und bereiste die gesamte Welt. Bei seinem Aufenthalt in Java wurde er vom 1. Weltkrieg überrascht und starb an einer tropischen Krankheit am 29. August 1918 in Malang/Java.
Das Heu liegt tot am Wege
Das Heu liegt tot am Wege,
Wir gingen ohne zu sehen,
Und Amselsang im Gehege,
Wir hörten es kaum im Gehen.
Wir waren still wie Erde,
Wie zwei, die man begraben;
Unsere Seelen mit dunkler Gebärde
Durchzogen den Himmel wie Raben.
Die Luft ist voll Kommen und Gehen
Die blühenden blauen Kornraden,
Sie fielen mit den Ähren;
Das Korn liegt still in Schwaden
Im Sonnenschein, im schweren.
Kaum ein paar kurze Wochen
Sind die Felder glühend zu sehen;
Gleich muß die Sense dann pochen,
Und Stoppeln bleiben kalt stehen.
Wenn Augenblicke erwarmen,
Fühlt ihren Atem kaum wehen,
Da entsinken sie schon unsern Armen -
Die Luft ist voll Kommen und Gehen.
Die Mittagsstund'
Im Zimmer, im trägen und stummen,
Hör' ich die Mittagsstund' summen,
Als gurrt eine Taube im Kropfe,
Als kocht man den Sommer im Topfe.
Und ferner Sommer Gespenster
Besuchen Dich glühend am Fenster,
Und manch' einer möchte gern bleiben
Und hängt sich verliebt an die Scheiben.
Von Sommer, die heiß hereinlugen,
Kracht's Fensterbrett laut in den Fugen;
Und auch eine Fliege, die brummt,
Die alle Sommer schon summt,
Sie singt von der Wollust ohn' Ruh'
Und von allen Sommern dazu.

Max Dauthendey (25. Juli 1867 – 29. August 1918)
Aus: Party im Blitz
„Als der Blitzkrieg über London begann, einige Monate nach Dünkirchen, im gefährlichsten Zeitpunkt der englischen Geschichte, erlebte ich in seinem Hause eine Party, die mir vor Augen bliebe, auch wenn ich fünfhundert Jahre danach noch am Leben wäre. Sein Haus war höher als die meisten in Downshire Hill. Es hatte drei Stockwerke, die meisten andern nur zwei. Es war aber schmal wie die andern alle. In jedem Stock waren höchstens ein oder zwei Zimmer. Sie waren von Menschen erfüllt, die tranken und tanzten. Sie standen mit den Gläsern in der Hand da, wie es hier Sitte war, aber mit ausdrucksvollen Gesichtern, was hier gegen die Sitte ging. Es waren manche junge Offiziere in Uniform darunter, lebhaft, ja beinah lebenslustig, von lauten Sätzen überquellend, die man gehört hätte, wenn sie in der Musik nicht untergegangen wären. Die Tanzenden, besonders die Frauen, hatten etwas Aufgerissenes und genossen ihre Bewegungen wie die des Partners. Die Atmosphäre war dicht und heiß, und niemand kümmerte sich darum, daß man Bomben-Einschläge hörte, eine furchtlose und dabei sehr lebendige Gesellschaft. Ich hatte im obersten Stock begonnen, ich traute kaum meinen Augen und ich ging in den zweiten hinunter und traute ihnen noch weniger. Jeder Raum schien feuriger als der, in dem man sich vorher umgetan hatte. In den tieferen Räumen sonderte man sich etwas mehr ab, Pärchen saßen und hielten einander umarmt, die Musik durchdrang uns heiß von oben bis unten, man gab sich mit Umarmungen und Küssen zufrieden, nichts wirkte lasziv, im Basement, wie man hier das Untergeschoß nannte, geschah das Erstaunlichste. Die Türe nach außen wurde aufgerissen, Männer in Feuerwehrhelmen griffen nach Kübeln mit Sand, die sie im Schweiß ihres Angesichts in größter Geschwindigkeit hinaustrugen. Sie achteten auf nichts, das sie im Raum vor sich sahen, in ihrer Eile, die brennenden Häuser in der Nachbarschaft zu schützen, griffen sie wie blind nach den sandgefüllten Kübeln.”

Elias Canetti (25. Juli 1905 – 14. August 1994)
Der deutsche Dichter und Maler Max Dauthendey wurde am 25. Juli 1867 in Würzburg geboren. Sein Vater war ein bekannter Fotograf, in dessen Atelier der junge Dauthendey von 1886 bis 1889 als Fotograf arbeitete. Nach einem zweijährigen Aufenthalt in Berlin begann er ein ruheloses Wanderleben und bereiste die gesamte Welt. Bei seinem Aufenthalt in Java wurde er vom 1. Weltkrieg überrascht und starb an einer tropischen Krankheit am 29. August 1918 in Malang/Java.
Das Heu liegt tot am Wege
Das Heu liegt tot am Wege,
Wir gingen ohne zu sehen,
Und Amselsang im Gehege,
Wir hörten es kaum im Gehen.
Wir waren still wie Erde,
Wie zwei, die man begraben;
Unsere Seelen mit dunkler Gebärde
Durchzogen den Himmel wie Raben.
Die Luft ist voll Kommen und Gehen
Die blühenden blauen Kornraden,
Sie fielen mit den Ähren;
Das Korn liegt still in Schwaden
Im Sonnenschein, im schweren.
Kaum ein paar kurze Wochen
Sind die Felder glühend zu sehen;
Gleich muß die Sense dann pochen,
Und Stoppeln bleiben kalt stehen.
Wenn Augenblicke erwarmen,
Fühlt ihren Atem kaum wehen,
Da entsinken sie schon unsern Armen -
Die Luft ist voll Kommen und Gehen.
Die Mittagsstund'
Im Zimmer, im trägen und stummen,
Hör' ich die Mittagsstund' summen,
Als gurrt eine Taube im Kropfe,
Als kocht man den Sommer im Topfe.
Und ferner Sommer Gespenster
Besuchen Dich glühend am Fenster,
Und manch' einer möchte gern bleiben
Und hängt sich verliebt an die Scheiben.
Von Sommer, die heiß hereinlugen,
Kracht's Fensterbrett laut in den Fugen;
Und auch eine Fliege, die brummt,
Die alle Sommer schon summt,
Sie singt von der Wollust ohn' Ruh'
Und von allen Sommern dazu.

Max Dauthendey (25. Juli 1867 – 29. August 1918)
froumen - 25. Jul, 18:15