Marcel Möring, Heimito von Doderer
Der niederländische Schriftsteller Marcel Möring wurde am 5. September 1957 in Enschede geboren. Er wuchs in Assen auf und lebt heute in Rotterdam. Seine Werke wurden ausgezeichnet mit dem Geertjan-Lubberhuizen-Preis, dem AKO-Preis, der „Goldenen Eule“ und dem Flämischen Literaturpreis. „Der nächtige Ort“ wurde 2007 mit dem Bordewijk-Preis zum besten niederländischen Roman des Jahres 2006 gekürt.
Aus: Der nächtige Ort (Übersetzt von Helga van Beuningen)
… und als er hier aus dem Moor kommt nach drei Jahren Maulwurf in einem Loch nach drei Jahren fast schwarz nein braun wie ein frischer Pferdeapfel er glänzt in der Maisonne wenn die Sonne auf seine Haut scheint schimmert er wie Pferdescheiße wie ein frisch poliertes Büfett und er geht halb krumm falls man das Gehen nennen will sein Gehen und die Sonne sticht ihm in die Augen die Augen tränen von den Stichen der Sonne in seinen Augen nach drei Jahren und als er nun aus dem Moor kommt und sich aufrichtet und die Maiwolken am briefpapierblauen Himmel sieht sind da die Häuser am Smilder-Kanal der gerade Waldrand eine bleierne Mauer die etwas verbirgt was er allzugut kennt und in seinem Kopf ist nur ein Gedanke ein Gedanke aber der will bleiben ein Gedanke der klopft und pocht wie ein eiternder Finger ein Gefühl das sein Herz einschnürt seine Finger krümmen sich nur um ein Ding das er festhalten will und zerdrücken den Saft herausquetschen bis das Leben entweicht Gott …
Ein Gedanke, und das ist Rache. Er will rächen. Alles rächen. Er will den Strick der seine Hose hochhält wegreißen die Erde beiseite fegen und den gottverdammten Acker dieser gottverdammten Bauern vögeln um sich zu rächen. Die erstbeste breitbusige blonde rotbackige Bäuerin in eine Furche stoßen und während ihr Gesicht in der fetten Erde liegt und der Speichel aus ihrem Mund läuft und sich mit dem schwarzen Boden vermischt in den Arsch ficken.
Er will brandschatzend und plündernd durch Dörfer und Felder reiten und wie eine rachedurstige schwarze Gestalt auf einem fahlen Pferd dieses Land in Asche legen bis nichts bleibt als Schwefel und Pech die verkohlten Stümpfe von Häusern die rauchenden Fundamente von Bauernhöfen aufstaubende dürre Felder und gedunsene Leiber und violette Kadaver am Wegesrand.
Aber so läuft das nicht. Ein Jagdflugzeug schießt über ihn hinweg, das mit den Flügeln grüßt. Die Kennzeichen der Royal Air Force ein Schimmer von Blau und Weiß und Rot. In der Ferne schreit ein Schwein. Kinder in blauen Overalls angeln im schwarzen Wasser. Löwenzahn steht gelb am grasigen Wegrand. Ein Arbeitspferd trabt mit gebogenem Hals über eine Wiese.
Kurz vor Mittag stiehlt er ein Fahrrad, das hinter einer Scheune steht, und ohne sich nach den schreienden Knechten umzusehen, die auf dem Feld arbeiten, tritt er in die Pedale, den Kanal entlang, Richtung Stadt. Er fährt. Er fährt den langen, geraden Kanal entlang, seine einzige Erinnerung an die Jahre als Maulwurf im Loch schlägt ihm in der Jackentasche ans Bein. Er fährt. Zum erstenmal seit drei Jahren fährt er Rad, und der Wind weht ihm durch die verfilzten Locken, und seine Augen tränen, und seine Beine tun weh, und er fährt und er fährt und er fährt. Und als er sich nach einer halben Stunde der Stadt nähert, bremst er, um sich ein letztes Mal umzusehen, und das Sonnenlicht, sanftgelbweitweg, Balsam für die harten Linien der Landschaft, flutet ihm übers Gesicht und in die Augen und durch das Haar, und in der Ferne, wo das dunkle Wasser des langen Kanals am Horizont verschwindet und die Straße und das Häuserband erst blau werden und dann grau und dann verschwimmen, dort, wo er drei Jahre lang wie ein Maulwurf in einem Loch im Moor gelebt hat, wie ein Wurm in der Erde, und drei Jahre lang Erde, Moor, Torf, braunes Wasser, seine gottvergessene Seele gerochen hat, da ragt der hohe Himmel auf wie eine Mauer von sommerlichem Blau, ein Klischee von Glück und Erfolg und schönen Erinnerungen andamalsalswirnochganzjungwarenunddieweltgut, und ihm kommt die Galle hoch, eine Bitterkeit steigt auf, und zu seiner Überraschung muss er sich zur Seite beugen, um eine silbrige Schliere aus seinem leeren Magen zu kotzen, genau neben die mit Schnur zugebundenen Schuhe, ein glitzernder Salamander im Staub der Straße.“

Marcel Möring (Enschede, 5. September 1957)
Der österreichische Schriftsteller Heimito von Doderer wurde am 5. September 1896 in Weidlingau nahe Wien geboren. Nach einem Studium der Jurisprudenz geriet er während des 1. Weltkrieges 1916 in russische Gefangenschaft, wo er in einem sibirischen Offizierslager zu schreiben begann. Nach seiner Rückkehr 1920 nahm er das Studium (diesmal Geschichtswissenschaft) in Wien wieder auf. Mit seinem verehrten Vorbild und Wohnungsnachbar Albert Paris Gütersloh verband ihn eine langjährige Freundschaft (Der Fall Gütersloh, 1930), die sich in einer 1986 herausgegebenen Korrespondenz dokumentiert. Doderer begann seine literarische Laufbahn mit Gedichten (Gassen und Landschaft, 1923) und kurzen Erzählwerken über das Leiden der Gefangenschaft (Die Bresche, 1924). 1930 erschien sein Roman Das Geheimnis des Reichs, dem der Kriminalroman Ein Mord, den jeder begeht (1938) und Ein Umweg (1940) folgten. Am 2. Weltkrieg nahm Doderer als Hauptmann der Luftwaffe teil. Den Versuch, die Tradition des Bildungs- bzw. Familienromans zu ironisieren, ohne auf die Idee einer „Menschwerdung" des bürgerlichen Individuums zu verzichten, unternahm er in seinem ersten großen Wurf, dem bereits vor dem Krieg begonnenen Roman Die Strudelhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre (1951). Der Autor selbst wollte ihn als das „Zentrum der Substanz meines Schaffens überhaupt" verstanden wissen. Er machte ihn mit einem Schlag berühmt.
Aus: Das Geheimnis des Reichs
„Dort außen Sonne und das Hinausgewürfel der Massen, die, mit zahllosen Geräuschen menschlicher Verrichtungen vermischt, gegen den Horizont regellos enteilen – nach herinnen zu aber, von irgendwo an beginnend, bin es dann ich selbst mit der Verschlossenheit und dem Purpur meines Innern.
Du schaust; was soll das alles. Ich lebe körperlich seit zweiunddreißig Jahren. Alles ist in mir eine einzige Qual und war nie anders. Sie leben. Er schaut. Du bist müde. In Ruhe betrachtet ist es – nichts.
Du gehst, und wir treffen uns. Dein Gesicht steht heran gegen mich, ein Jahr, einen Tag. Jeder Tag zerfällt in die Teile, die er gewinnt. Der Wind geht, man sieht ihn nicht, jetzt trifft er auf meine Wange, die ihn fühlt, oder auf Gebüsch, das rauscht. Einmal in diesem, einmal in jenem Zustande – und jeder ist stärker als die Übersicht über beide. – Süß, im Grauen des sinkenden Abends, vom äußersten Ende der Landschaft her, wo die Lichter zucken, die Flötenstimmen aufziehender Träume. Da setzt das Gras der Steppe an, läuft aus bis zu fernen Rändern mit dunklen Waldstreifen; gehäufelt drüben das Dorf mit Herden. Der braune Boden dürr, die Kuppen der Hügel spitz und fremd.
Die Waldberge heben sich. Der Himmel ist blau. Pferde werden an die Karren gespannt, der Stamm will mit all seinen Herden wieder wandern. Sprache mit trocken klappernden Lauten des fernen, gedehnten Ostens. In die strähnigen Mähnen der kleinen, zähen Pferde greift der Wind, der vom andern Himmelsrand her kommt, wo die Steppe mit ihren braunen Hügeln zu wandern beginnt, weit und tief in sich selbst hinein, von wo aus man auch keine Waldberge mehr sieht: da ist dieses Volk erst recht heimisch.
Die hölzerne Pflugschar in der Hand östlicher Völker, vom in die Fremde verschlagenen deutschen Bauer heimatstolz und mitleidig belächelt – und die Nöte der Schulzeit, denen das spätere
Leben so ähnlich ist; jene war in ein oder zwei Zimmern gefangen und dann weiterhin kreiselt das in Zimmern, Gassen, Menschenkreisen: nah steht ein Park, nah hängt mein Rock über der Stuhllehne.
Der Jüngling erzittert, denn die Geliebte ist ihm schon in den innersten Ring der Nähe getreten, so daß sie, riesengroß für das Auge, als Winziges doch den Horizont deckt: so auch Zorn oder Angst, als Winziges, oder die Kohlenrechnung, als Winziges.“

Heimito von Doderer (5. September 1896 – 23. Dezember 1966)
Aus: Der nächtige Ort (Übersetzt von Helga van Beuningen)
… und als er hier aus dem Moor kommt nach drei Jahren Maulwurf in einem Loch nach drei Jahren fast schwarz nein braun wie ein frischer Pferdeapfel er glänzt in der Maisonne wenn die Sonne auf seine Haut scheint schimmert er wie Pferdescheiße wie ein frisch poliertes Büfett und er geht halb krumm falls man das Gehen nennen will sein Gehen und die Sonne sticht ihm in die Augen die Augen tränen von den Stichen der Sonne in seinen Augen nach drei Jahren und als er nun aus dem Moor kommt und sich aufrichtet und die Maiwolken am briefpapierblauen Himmel sieht sind da die Häuser am Smilder-Kanal der gerade Waldrand eine bleierne Mauer die etwas verbirgt was er allzugut kennt und in seinem Kopf ist nur ein Gedanke ein Gedanke aber der will bleiben ein Gedanke der klopft und pocht wie ein eiternder Finger ein Gefühl das sein Herz einschnürt seine Finger krümmen sich nur um ein Ding das er festhalten will und zerdrücken den Saft herausquetschen bis das Leben entweicht Gott …
Ein Gedanke, und das ist Rache. Er will rächen. Alles rächen. Er will den Strick der seine Hose hochhält wegreißen die Erde beiseite fegen und den gottverdammten Acker dieser gottverdammten Bauern vögeln um sich zu rächen. Die erstbeste breitbusige blonde rotbackige Bäuerin in eine Furche stoßen und während ihr Gesicht in der fetten Erde liegt und der Speichel aus ihrem Mund läuft und sich mit dem schwarzen Boden vermischt in den Arsch ficken.
Er will brandschatzend und plündernd durch Dörfer und Felder reiten und wie eine rachedurstige schwarze Gestalt auf einem fahlen Pferd dieses Land in Asche legen bis nichts bleibt als Schwefel und Pech die verkohlten Stümpfe von Häusern die rauchenden Fundamente von Bauernhöfen aufstaubende dürre Felder und gedunsene Leiber und violette Kadaver am Wegesrand.
Aber so läuft das nicht. Ein Jagdflugzeug schießt über ihn hinweg, das mit den Flügeln grüßt. Die Kennzeichen der Royal Air Force ein Schimmer von Blau und Weiß und Rot. In der Ferne schreit ein Schwein. Kinder in blauen Overalls angeln im schwarzen Wasser. Löwenzahn steht gelb am grasigen Wegrand. Ein Arbeitspferd trabt mit gebogenem Hals über eine Wiese.
Kurz vor Mittag stiehlt er ein Fahrrad, das hinter einer Scheune steht, und ohne sich nach den schreienden Knechten umzusehen, die auf dem Feld arbeiten, tritt er in die Pedale, den Kanal entlang, Richtung Stadt. Er fährt. Er fährt den langen, geraden Kanal entlang, seine einzige Erinnerung an die Jahre als Maulwurf im Loch schlägt ihm in der Jackentasche ans Bein. Er fährt. Zum erstenmal seit drei Jahren fährt er Rad, und der Wind weht ihm durch die verfilzten Locken, und seine Augen tränen, und seine Beine tun weh, und er fährt und er fährt und er fährt. Und als er sich nach einer halben Stunde der Stadt nähert, bremst er, um sich ein letztes Mal umzusehen, und das Sonnenlicht, sanftgelbweitweg, Balsam für die harten Linien der Landschaft, flutet ihm übers Gesicht und in die Augen und durch das Haar, und in der Ferne, wo das dunkle Wasser des langen Kanals am Horizont verschwindet und die Straße und das Häuserband erst blau werden und dann grau und dann verschwimmen, dort, wo er drei Jahre lang wie ein Maulwurf in einem Loch im Moor gelebt hat, wie ein Wurm in der Erde, und drei Jahre lang Erde, Moor, Torf, braunes Wasser, seine gottvergessene Seele gerochen hat, da ragt der hohe Himmel auf wie eine Mauer von sommerlichem Blau, ein Klischee von Glück und Erfolg und schönen Erinnerungen andamalsalswirnochganzjungwarenunddieweltgut, und ihm kommt die Galle hoch, eine Bitterkeit steigt auf, und zu seiner Überraschung muss er sich zur Seite beugen, um eine silbrige Schliere aus seinem leeren Magen zu kotzen, genau neben die mit Schnur zugebundenen Schuhe, ein glitzernder Salamander im Staub der Straße.“

Marcel Möring (Enschede, 5. September 1957)
Der österreichische Schriftsteller Heimito von Doderer wurde am 5. September 1896 in Weidlingau nahe Wien geboren. Nach einem Studium der Jurisprudenz geriet er während des 1. Weltkrieges 1916 in russische Gefangenschaft, wo er in einem sibirischen Offizierslager zu schreiben begann. Nach seiner Rückkehr 1920 nahm er das Studium (diesmal Geschichtswissenschaft) in Wien wieder auf. Mit seinem verehrten Vorbild und Wohnungsnachbar Albert Paris Gütersloh verband ihn eine langjährige Freundschaft (Der Fall Gütersloh, 1930), die sich in einer 1986 herausgegebenen Korrespondenz dokumentiert. Doderer begann seine literarische Laufbahn mit Gedichten (Gassen und Landschaft, 1923) und kurzen Erzählwerken über das Leiden der Gefangenschaft (Die Bresche, 1924). 1930 erschien sein Roman Das Geheimnis des Reichs, dem der Kriminalroman Ein Mord, den jeder begeht (1938) und Ein Umweg (1940) folgten. Am 2. Weltkrieg nahm Doderer als Hauptmann der Luftwaffe teil. Den Versuch, die Tradition des Bildungs- bzw. Familienromans zu ironisieren, ohne auf die Idee einer „Menschwerdung" des bürgerlichen Individuums zu verzichten, unternahm er in seinem ersten großen Wurf, dem bereits vor dem Krieg begonnenen Roman Die Strudelhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre (1951). Der Autor selbst wollte ihn als das „Zentrum der Substanz meines Schaffens überhaupt" verstanden wissen. Er machte ihn mit einem Schlag berühmt.
Aus: Das Geheimnis des Reichs
„Dort außen Sonne und das Hinausgewürfel der Massen, die, mit zahllosen Geräuschen menschlicher Verrichtungen vermischt, gegen den Horizont regellos enteilen – nach herinnen zu aber, von irgendwo an beginnend, bin es dann ich selbst mit der Verschlossenheit und dem Purpur meines Innern.
Du schaust; was soll das alles. Ich lebe körperlich seit zweiunddreißig Jahren. Alles ist in mir eine einzige Qual und war nie anders. Sie leben. Er schaut. Du bist müde. In Ruhe betrachtet ist es – nichts.
Du gehst, und wir treffen uns. Dein Gesicht steht heran gegen mich, ein Jahr, einen Tag. Jeder Tag zerfällt in die Teile, die er gewinnt. Der Wind geht, man sieht ihn nicht, jetzt trifft er auf meine Wange, die ihn fühlt, oder auf Gebüsch, das rauscht. Einmal in diesem, einmal in jenem Zustande – und jeder ist stärker als die Übersicht über beide. – Süß, im Grauen des sinkenden Abends, vom äußersten Ende der Landschaft her, wo die Lichter zucken, die Flötenstimmen aufziehender Träume. Da setzt das Gras der Steppe an, läuft aus bis zu fernen Rändern mit dunklen Waldstreifen; gehäufelt drüben das Dorf mit Herden. Der braune Boden dürr, die Kuppen der Hügel spitz und fremd.
Die Waldberge heben sich. Der Himmel ist blau. Pferde werden an die Karren gespannt, der Stamm will mit all seinen Herden wieder wandern. Sprache mit trocken klappernden Lauten des fernen, gedehnten Ostens. In die strähnigen Mähnen der kleinen, zähen Pferde greift der Wind, der vom andern Himmelsrand her kommt, wo die Steppe mit ihren braunen Hügeln zu wandern beginnt, weit und tief in sich selbst hinein, von wo aus man auch keine Waldberge mehr sieht: da ist dieses Volk erst recht heimisch.
Die hölzerne Pflugschar in der Hand östlicher Völker, vom in die Fremde verschlagenen deutschen Bauer heimatstolz und mitleidig belächelt – und die Nöte der Schulzeit, denen das spätere
Leben so ähnlich ist; jene war in ein oder zwei Zimmern gefangen und dann weiterhin kreiselt das in Zimmern, Gassen, Menschenkreisen: nah steht ein Park, nah hängt mein Rock über der Stuhllehne.
Der Jüngling erzittert, denn die Geliebte ist ihm schon in den innersten Ring der Nähe getreten, so daß sie, riesengroß für das Auge, als Winziges doch den Horizont deckt: so auch Zorn oder Angst, als Winziges, oder die Kohlenrechnung, als Winziges.“

Heimito von Doderer (5. September 1896 – 23. Dezember 1966)
froumen - 5. Sep, 19:10