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Mittwoch, 23. September 2009

Antonio Tabucchi

Der italienische Schriftsteller, Literaturwissenschaftler und Übersetzer Antonio Tabucchi wurde am 23. September 1943 in Vecchiano bei Pisa geboren. Tabucchi studierte Geisteswissenschaften in Paris und Pisa. An der Universität Genua wurde er Professor für die portugiesische Sprache und Literatur. Sein Werk Erklärt Pereira (Sostiene Pereira, 1994), das in der Zeit der Salazar-Diktatur spielt, machte ihn bekannt und gilt bis heute als seine wichtigste Arbeit. Es wurde 1995 von Roberto Faenza mit Marcello Mastroianni in der Hauptrolle verfilmt.
In seinen Erzählungen findet man zahlreiche Anspielungen und Zitate, die auf berühmte literarische und philosophische Vorbilder, besonders aber auch auf Kunstwerke, hinweisen. So begleiten Gemälde, Fotos, Skulpturen, Filme, und manchmal sogar Lieder den Leser durch die Geschichten. Antonio Tabucchi lebt in der Toskana und in Portugal. Er kommentierte die italienische Übersetzung des Werkes des portugiesischen Dichters Fernando Pessoa und gab sie heraus. Eines seiner Bücher, Lissabonner Requiem, schrieb er auf portugiesisch (ins Italienische ließ er es übersetzen, damit er nicht der Versuchung erläge, den Text zu verändern). Insofern ist auch in seinem „wirklichen“ Leben die doppelte Identität sehr wichtig. Tabucchi hat 1994 den Premio Campiello und 1998 den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur gewonnen.

Aus: Lissabonner Requiem (Übersetzt von Karin Fleischanderl)

„Ich dachte: Der Typ kommt nicht mehr. Und dann dachte ich: Ich kann ihn doch nicht »Typ« nennen, er ist ein großer Dichter, vielleicht der größte Dichter des zwanzigsten Jahrhunderts, inzwischen ist er seit vielen Jahren tot, ich muß ihn mit Respekt behandeln, besser gesagt, mit höchstem Respekt. Aber so allmählich war ich doch etwas verdrossen, die Sonne brannte, die Spätjuli-Sonne, und ich dachte noch: Ich bin im Urlaub, dort in Azeitäo, im Landhaus meiner Freunde, ging es mir so gut, warum habe ich mich bloß auf dieses Treffen hier an der Mole eingelassen, das Ganze ist doch absurd. Und ich betrachtete meinen Schatten unter mir, und auch er erschien mir absurd und überflüssig, sinnlos, es war ein kurzer Schatten, der von der Mittagssonne flachgedrückt wurde, und da erinnerte ich mich: Er hatte zwölf gesagt, aber vielleicht hatte er zwölf Uhr Mitternacht gemeint, Geister erscheinen immerhin
um Mitternacht. Ich stand auf und ging über die Mole. Auf der Straße war fast kein Verkehr, nur wenige Autos fuhren vorüber, einige davon mit Sonnenschirmen auf dem Gepäckträger, lauter Leute, die zu den Stränden in Caparica unterwegs waren, es war ein glühendheißer Tag, ich dachte: Was mache ich hier, am letzten Sonntag im Juli?
Und ich ging schneller, um so rasch wie möglich in Santos zu sein, vielleicht war es im Park ein wenig kühler. Der Park war menschenleer, nur der Zeitungsverkäufer stand vor seinem Kiosk. Ich ging zu ihm hin, und der Mann lächelte. Benfica hat gewonnen, sagte er strahlend, haben Sie es in der Zeitung gelesen? Ich schüttelte den Kopf, nein, ich hatte es noch nicht gelesen, und der Mann
sagte: Ein Nacht-Match in Spanien, ein Benefizspiel. Ich kaufte A Bola und suchte mir eine Bank, um mich zu setzen.
Ich las gerade, wie es dazu gekommen war, daß Benfica das entscheidende Tor gegen Real Madrid geschossen hatte, als jemand guten Tag sagte, und ich hob den Kopf. Guten Tag, wiederholte der Junge mit dem Bart, der vor mir stand, ich bräuchte Ihre Hilfe. Hilfe wozu, erkundigte ich mich. Hilfe, um zu essen, sagte der Junge, ich habe seit zwei Tagen nichts gegessen. Es war ein ungefähr zwanzigjähriger Junge in Jeans und Hemd, der mir schüchtern die Hand hinhielt, als bettelte er um Almosen. • Er war blond und hatte große Ringe unter den Augen. Seit zwei Tagen hast du dir keinen Schuß gesetzt, sagte ich aus einer Eingebung heraus, und der Junge erwiderte: Das ist dasselbe, es
ist wie essen, zumindest für mich. Im Prinzip bin ich für alle Drogen, sagte ich, leichte wie schwere, aber nur im Prinzip, in der Praxis bin ich dagegen, entschuldigen Sie, ich bin ein bürgerlicher Intellektueller voller Vorurteile, ich akzeptiere nicht, daß Sie in diesem Park Drogen nehmen
und Ihren Körper auf erbärmliche Weise zur Schau stellen, entschuldigen Sie, aber das ist gegen meine Prinzipien, ich könnte gerade noch tolerieren, daß Sie zu Hause Drogen nehmen, in Gesellschaft gebildeter und intelligenter Freunde, und dabei Mozart oder Erik Satie hören.“






antonio_tabucchi_foto
Antonio Tabucchi (Pisa, 23. September 1943)

Dienstag, 22. September 2009

Dannie Abse, Rosamunde Pilcher

Der Britische Lyriker und Schriftsteller Dannie Abse wurde am 22. September 1923 als Daniel Abse in Cardiff, Wales, geboren. Abse studierte nach erfolgreichem Abschluss der Schule in seiner Geburtsstadt an der University of South Wales und am King’s College London Medizin. 1954 erschien seine Autobiografie Ash on a Young Man's Sleeve, in der er seine Kindheitserlebnisse verarbeitete. Er erhielt den Welsh Arts Council Award und 1985 den Cholmondeley Award. Abse ist in der britischen Poetry Society und gehört seit 1983 der Royal Society of Literature an. Abse verfasste einige Gedichtbände – sein erster war 1949 After Every Green Thing –, Romane, Dramen und Essays.



The Game

Follow the crowds to where the turnstiles click.
The terraces fill. Hoompa, blares the brassy band.
Saturday afternoon has come to Ninian Park
and, beyond the goalposts, in the Canton Stand
between black spaces, a hundred matches spark.

Waiting, we recall records, legendary scores:
Fred Keenor, Hardy, in a royal blue shirt.
The very names, sad as the old songs, open doors
before our time where someone else was hurt.
Now like an injured beast, the great crowd roars.

The coin is spun. Here all is simplified
and we are partisan who cheer the Good,
hiss at passing Evil. Was Lucifer offside?
A wing falls down when cherubs howl for blood.
Demons have agents: the Referee is bribed.

The white ball smacked the crossbar. Satan rose
higher than the others in the smoked brown gloom
to sink on grass in a ballet dancer's pose.
Again, it seems, we hear a familiar tune
not quite identifiable. A distant whistle blows.

Memory of faded games, the discarded years;
talk of Aston Villa, Orient and the Swans.
Half-time, the band played the same military airs
as when The Bluebirds once were champions.
Round touchlines the same cripples in their chairs.

Mephistopheles had his joke. The honest team
dribbles ineffectually, no one can be blamed.
Infernal backs tackle, inside forwards scheme,
and if they foul us need we be ashamed?
Heads up! Oh for a Ted Drake, a Dixie Dean.

'Saved' or else, discontents, we are transferred
long decades back, like Faust must pay the fee.
The Night is early. Great phantoms in us stir
as coloured jerseys hover, move diagonally
on the damp turf, and our eidetic visions blur.

God sign our souls! Because the obscure Staff of
Hell rule this world, jugular fans have guessed
the result half way through the second half
and those who know the score just seem depressed.
Small boys swarm the field for an autograph.

Silent the Stadium. The crowds have all filed out.
Only the pigeons beneath the roofs remain.
The clean programmes are trampled underfoot
and natural the dark, appropriate the rain
Whilst, under lampposts, threatening newsboys shout.






A Heritage

A heritage of a sort.
A heritage of comradeship and suffocation.

The bawling pit-hooter and the god’s
explosive foray, vengeance, before retreating
to his throne of sulphur.

Now this black-robed god of fossils
and funerals,
petrifier of underground forests
and flowers,
emerges with his grim retinue
past a pony’s skeleton, past human skulls,
into his half-propped up, empty, carbon colony.

Above, on the brutalised,
unstitched side of a Welsh mountain,
it has to be someone from somewhere else
who will sing solo

not of the marasmus of the Valleys,
the pit-wheels that do not turn,
the pump-house abandoned;

nor of how, after a half-mile fall
regiments of miners’ lamps
no longer, midge-like,
rise and slip and bob.

Only someone uncommitted,
someone from somewhere else,
panorama-high on a coal-tip,
may jubilantly laud
the re-entry of the exiled god
into his shadowless kingdom.

He, drunk with methane,
raising a man’s femur like a sceptre;
she, his ravished queen,
admiring the blood-stained black roses
that could not thrive on the plains of Enna.







abse
Dannie Abse (Cardiff, 22. September 1923)





Die britische Schriftstellerin Rosamunde Pilcher wurde 22. September 1924 in Lelant, Cornwall, geboren. Nach dem Schulabschluss trat die Tochter eines Marineoffiziers 1942 während des Zweiten Weltkrieges dem freiwilligen Dienst des Women's Royal Naval Service bei. Daneben arbeitete sie auch als Sekretärin im Außenministerium. 1943 wurde sie nach Indien berufen, wo sie sich bis Kriegsende aufhielt. 1946 heiratete die Autorin den Textilunternehmer Graham Pilcher und zog mit ihm in den Ort Longforgan bei Dundee in Schottland, wo sie seither wohnt. Neben ihrer Tätigkeit als Hausfrau und Mutter von vier Kindern (unter anderem Robin Pilcher) begann sie Ende der 1940er Jahre unter dem Pseudonym Jane Fraser Kurzgeschichten und Liebesgeschichten für Frauenmagazine zu schreiben – nach eigener Angabe dabei am Küchentisch sitzend, weil es im Haus keinen Platz für einen eigenen Schreibtisch gab. Der Durchbruch als kommerziell erfolgreiche Romanautorin kam jedoch erst 1987 mit der Familiensaga The Shell Seekers (ab 1990 als Die Muschelsucher in Deutschland über 1,7 Mio. Mal verkauft). Seither haben sie ihre bislang über 60 Millionen weltweit verkauften Bücher zu einer der erfolgreichsten Autorinnen der Gegenwart gemacht. Mit dem 2000 erschienenen Roman Wintersonne beendete sie ihre schriftstellerische Laufbahn. 2002 wurde Pilcher der Titel eines Officer of the Order of the British Empire verliehen. Rosamunde Pilcher wurde heute 85 Jahre alt.

Aus: Stürmische Begegnung (Übersetzt von Jürgen Abel)

„An einem Montag Ende Januar fing alles an. An einem grauen Tag in einer grauen Jahreszeit. Weihnachten und Silvester waren vorbei und vergessen, und der Frühling hatte noch nicht angefangen, sein Gesicht zu zeigen. London war kalt und abweisend, die Geschäfte boten voll ungewisser Hoffnung Notwendiges «für die Kreuzfahrt in den Süden» an. Die Bäume im Park zeichneten sich kahl, wie Skelette, am verhangenen Himmel ab, und das plattgetretene Gras darunter war stumpf und tot, so daß man einfach nicht glaubte, es könne sich jemals wieder mit einem dichten Muster von lila und gelben Krokusblüten überziehen.
Es war ein Tag wie jeder andere. Der Wecker riß mich aus dem Schlaf in ein Dunkel, das nur durch die großen, gardinenlosen Fenster erträglich wurde, hinter denen ich die Krone der Platane sah, die vom gelblichen Schein einer fernen Straßenlaterne beleuchtet wurde.
In meinem Zimmer standen nur zwei Möbelstücke, die Schlafcouch, auf der ich lag, und ein Küchentisch, den ich abbeizen und mit Bienenwachs polieren wollte, wenn ich Zeit dafür hatte. Sogar der Fußboden war nackt, Dielenbretter, die schutzlos bis zu den Sockelleisten liefen. Eine Apfelsinenkiste diente als Nachttisch, eine andere als Sitzgelegenheit.
Ich streckte die Hand aus, knipste die Lampe an und sah mich hochbefriedigt in der trostlosen Umgebung um. Sie war mein. Meine erste Wohnung. Ich war erst vor drei Wochen eingezogen, und sie gehörte ganz allein mir. Ich konnte mit ihr machen, was ich wollte. Die weißen Wände mit Postern bedecken oder orangefarben streichen. Die Dielenbretter abschmirgeln oder verschiedenfarbig lackieren. Ich hatte bereits ein besitzergreifendes Interesse an Trödelläden und Antiquitätengeschäften entwickelt und konnte an keinem vorbeigehen, ohne das Schaufenster nach irgendeinem Schatz abzusuchen, den ich mir vielleicht leisten könnte. Auf diese Weise war der Tisch in meinen Besitz gelangt, und ich hatte bereits ein Auge auf einen alten Spiegel mit vergoldetem Rahmen geworfen, allerdings bis jetzt nicht den Mut aufgebracht, in das Geschäft zu gehen und nach dem Preis zu fragen. Vielleicht würde ich ihn über den Kamin hängen oder an die Wand gegenüber vom Fenster, damit sich das Bild des Himmels und des Baumes in seinem verschnörkelten Rahmen spiegelte.“






Pilcher
Rosamunde Pilcher (Lelant, 22. September 1924)

Montag, 21. September 2009

75 Jahre Leonard Cohen, Stephen King

Der kanadische Lyriker, Schriftsteller, Komponist und Sänger Leonard Cohen wurde am 21. September 1934 in Montreal geboren. Mit 17 Jahren spielte er, bereits Student an der McGill University, in einer dreiköpfigen Country-Folk-Band namens Buckskin Boys. Die Musik spielte für Leonard Cohen zunächst eine untergeordnete Rolle, da er sich in einem universitären Debattierclub engagierte und eine Karriere als Schriftsteller anstrebte. Cohens Erstlingswerk, ein Gedichtband mit dem Titel Let Us Compare Mythologies, erschien 1956, noch bevor er einen universitären Abschluss hatte. In diesem Buch, dessen Erstauflage 500 Exemplare betrug, lassen sich viele seiner späteren Hauptthemen ausmachen. Der Nachfolger, The Spice-Box Of Earth (1961), erhöhte die Popularität des jungen Künstlers besonders innerhalb Kanadas, aber auch im Ausland begann man, auf ihn aufmerksam zu werden. In den folgenden Jahren führte er ein unstetes Leben. Stipendien und die Einnahmen durch seine Bücher ermöglichten es ihm, sich nach längeren Reisen quer durch Europa auf der griechischen Insel Hydra niederzulassen. Von dort aus veröffentlichte er die Romane The Favourite Game (1963) und Beautiful Losers (1966) sowie den Gedichtband Flowers for Hitler (1964).
1967 kehrte Cohen nach Amerika zurück, um in New York eine Karriere als Folksänger und Songwriter zu beginnen. Sein Debüt als Sänger gab Leonard Cohen 1967 auf dem Newport Folk Festival. Der Produzent John Hammond von Columbia Records entdeckte ihn und sah in ihm einen zweiten Bob Dylan. Dadurch kam Cohens erstes Album Songs of Leonard Cohen zustande. Die melancholische Platte wurde ein großer Erfolg in der Folk- und Songwriterszene, Songs wie Sisters of Mercy, So long, Marianne und besonders Suzanne gehören noch heute zu Cohens bekanntesten.


Waiting for Marianne

I have lost a telephone
with your smell in it

I am living beside the radio
all the stations at once
but I pick out a Polish lullaby
I pick it out of the static
it fades I wait I keep the beat
it comes back almost alseep

Did you take the telephone
knowing I'd sniff it immoderately
maybe heat up the plastic
to get all the crumbs of your breath

and if you won't come back
how will you phone to say
you won't come back
so that I could at least argue.




Poem

I heard of a man
who says words so beautifully
that if he only speaks their name
women give themselves to him.

If I am dumb beside your body
while silence blossoms like tumors on our lips.
it is because I hear a man climb stairs and clear his throat outside the door.




The Pro

from the Nashville Notebooks of 1969:

I leave my silence to a co-operative of poets
who have already bruised their mouths against it.

I leave my homesick charm to the scavengers of
spare change who work the old artistic corners.

I leave the shadow of my manly groin to those who
write for pay.

I leave to several jealous men a second-rate legend
of my life.

To those few high school girls
who preferred my work to Dylan's

I leave my stone ear
and my disposable Franciscan ambitions.







Cohen
Leonard Cohen (Montréal, 21. September 1934)





Der amerikanische Schriftsteller Stephen Edwin King wurde am 21. September 1947 in Portland, Maine, geboren. Schon als Student veröffentlichte er Kurzgeschichten, sein erster Romanerfolg, "Carrie", erlaubte ihm, sich nur noch dem Schreiben zu widmen. Seitdem hat er weltweit 400 Millionen Bücher in mehr als 40 Sprachen verkauft. Im November 2003 erhielt er den Sonderpreis der National Book Foundation für sein Lebenswerk.

Aus: Sunset (Übersetzt von u.a. Hannes Riffel)

„Im Jahr 1972 kam ich eines Tages nach Hause, da saß meine Frau mit einer Gartenschere am Küchentisch. Sie lächelte, was darauf schließen ließ, dass mich nicht allzu viel Ärger erwartete; andererseits verlangte sie die Herausgabe meiner Geldbörse. Das klang nicht gut.
Trotzdem gab ich sie ihr. Sie wühlte meine Tankkreditkarte von Texaco heraus - damals wie heute bekamen Jungverheiratete solches Zeug routinemäßig unverlangt zugeschickt - und zerschnitt sie prompt in drei große Stücke. Als ich protestierte, die Karte sei sehr praktisch gewesen und wir hätten am Monatsende immer wenigstens die Mindestzahlung geleistet (manchmal mehr), schüttelte sie nur den Kopf und erklärte mir, die Kreditzinsen seien mehr, als unser fragiles Familienunternehmen tragen könne.
»Lieber die Versuchung abschaffen«, sagte sie. »Meine habe ich schon zerschnitten.«
Und das war's dann. In den folgenden zwei Jahren besaß keiner von uns beiden mehr eine Kreditkarte.
Es war richtig, es war clever gewesen, das zu tun, denn damals waren wir Anfang zwanzig und hatten zwei Kinder zu versorgen; finanziell schafften wir es so eben, uns über Wasser zu halten. Ich unterrichtete Englisch an einer Highschool und arbeitete im Sommer in einer Großwäscherei, wusch Motelbettwäsche und fuhr sie gelegentlich mit einem Lieferwagen zu diesen Motels. Tabby versorgte tagsüber die Kinder, schrieb Gedichte, während die ihren Mittagsschlaf hielten, und arbeitete eine volle Schicht bei Dunkin' Donuts, sobald ich aus der Schule heimkam. Unser gemeinsames Einkommen genügte, um die Miete zu zahlen, Lebensmittel zu kaufen und unseren kleinen Sohn mit Windeln zu versorgen, aber es reichte nicht für ein Telefon; das schafften wir ebenso ab wie die Texaco-Karte. Die Versuchung, mit jemandem ein Ferngespräch zu führen, wäre zu groß gewesen. Wir behielten genug übrig, um gelegentlich Bücher zu kaufen — keiner von uns konnte ohne sie leben — und meine schlechten Angewohnheiten (Bier und Zigaretten) zu bezahlen, aber kaum mehr als das. Ganz sicher hatten wir nicht das Geld, um für das Vorrecht, dieses praktische, aber letztlich gefährliche Plastikkärtchen zu besitzen, Kreditzinsen bezahlen zu können.
Was wir an überschüssigem Einkommen hatten, ging meistens für Dinge wie Autoreparaturen, Arztrechnungen oder Sachen drauf, die Tabby und ich »Kinderscheiß« nannten: Spielzeug, einen Laufstall aus zweiter Hand, ein paar dieser ärgerlichen Richard-Scarry-Bücher. Und dieses bisschen zusätzliche Geld kam oft durch die Kurzgeschichten herein, die ich Herrenmagazinen wie Cavalier, Dude und Adam verkaufen konnte. In jenen Tagen ging es nie darum, Literatur zu schreiben, und jede Diskussion über den »bleibenden Wert« meines Zeugs wäre ein ebenso großer Luxus wie diese Texaco-Karte gewesen. Wenn die Storys sich verkauften (was sie nicht immer taten), bedeuteten sie einfach ein willkommenes kleines Zusatzeinkommen. Ich betrachtete sie als eine Reihe Piñatas, an die ich statt mit einem Stock mit einer Schreibmaschine schlug.“






stephen-king
Stephen King (Portland, 21. September 1947)

Sonntag, 20. September 2009

Javier Marías, Adolf Endler

Der spanische Schriftsteller, Kolumnist und Übersetzer Javier Marías Franco wurde am 20. September 1951 in Madrid geboren. Javier Marías wuchs zeitweise in den USA auf. Sein Vater lehrte an verschiedenen Universitäten, darunter Yale und das Wellesley College. Die Familie lebte dort zeitweilig im Haus des spanischen Schriftstellers Jorge Guillén, wo sie auch Bekanntschaft mit dem Schriftsteller und Schmetterlingsforscher Vladimir Nabokov machte, der ebenfalls dort zu Gast war. 1959 kehrten die Eltern nach Madrid zurück. Javier Marías besuchte in der Folgezeit die liberale Schule Colegio Estudio. 1968 bis 1973 studierte Marías Literaturwissenschaft und Philosophie an der Universität Complutense Madrid. Während seines Studiums gehörte der Autor der kommunistischen Gruppierung Komitee der Revolutionären Aktion an, distanzierte sich aber später von ihr und betonte seine politische Unabhängigkeit. Später engagierte er sich im Parlamento International de Escritores für in Not geratene Intellektuelle und Schriftstellerkollegen, beispielsweise während der Balkankriege und des Tschetschenienkriegs.
Sein erstes Geld verdiente er mit Übersetzungen und Kurzauftritten in Filmen seines Onkels, dem Regisseur Jesús Franco. Ab 1974 lebte er in Barcelona und arbeitete für das Verlagshaus Alfaguara. 1978 zog er wieder nach Madrid. Er schrieb an eigenen Romanen und Erzählungen, übersetzte, vor allem aus dem Englischen, und veröffentlichte Artikel in Zeitungen und Zeitschriften. Für die Übersetzung des Tristram Shandy von Laurence Sterne erhielt er 1979 den Preis Premio Nacional de Traducción. 1983 ging Marías nach Oxford, wo er Unterricht in spanischer Literatur und Übersetzung erteilte. Ab 1986 lebte und arbeitete er in Venedig. Seit 1987 lebt er wieder in Madrid und unterrichtet an der Universität Complutense Madrid.

Aus: Als ich sterblich war (übersetzt von Elke Wehr)

“Alles wird jetzt erinnert, und deshalb erinnere ich mich genau an meinen Tod, das heißt, an das, was ich von meinem Tod wußte, als er stattfand, was wenig und nichts war, wenn ich es mit der Totalität meines jetzigen Wissens vergleiche und mit der Schneide der Wiederholungen.
Ich kehrte wieder einmal von einer meiner erschöpfenden Reisen zurück, und Luisa war zuverlässig, sie kam mich abholen. Wir redeten nicht viel im Auto, auch nicht, während ich automatisch meinen Koffer auspackte und flüchtig die Post durchsah, die sich angesammelt hatte, und die bis zu meiner Rückkehr gespeicherten Anrufe auf dem Anrufbeantworter abhörte. Einer versetzte mich in Unruhe, denn ich erkannte sofort die Stimme Marias, die einmal meinen Namen sagte, dann abbrach, und dies bewirkte, daß meine Unruhe gleich wieder nachließ, eine Frauenstimme, die meinen Namen sagte und sich unterbrach, bedeutete nichts, sie mußte Luisa nicht irritiert haben, wenn sie sie gehört hatte. Ich legte mich vor dem Fernseher aufs Bett und schaute Sendungen an, Luisa brachte mir kalten Braten mit geraspeltem Ei, den sie im Geschäft gekauft hatte, bestimmt hatte sie keine Lust oder keine Zeit gehabt, mir eine Tortilla zu machen. Es war noch früh, aber sie löschte für mich das Licht im Zimmer, um mir in den Schlaf zu helfen, und so lag ich da, schläfrig und beruhigt durch die vage Erinnerung an ihre Liebkosungen, die Hand, die besänftigt, auch wenn sie die Brust zerstreut und vielleicht mit Ungeduld berührt. Dann verließ sie das Schlafzimmer, und ich schlief schließlich ein, während die Bilder weiterliefen, in einem bestimmten Augenblick hatte ich aufgehört, zwischen den Kanälen hin und her zu wechseln.
Ich weiß nicht, wieviel Zeit verging, aber ich lüge, denn jetzt weiß ich es genau, es waren dreiundsiebzig Minuten tiefen Schlafs mit Träumen, die sich noch im Ausland abspielten, aus dem ich einmal mehr heil zurückgekehrt war. Dann wachte ich auf und sah das bläuliche Licht des laufenden Fernsehers, sein Licht, das den Fußteil des Bettes erhellte, und nicht so sehr eines seiner Bilder, denn dazu fand ich keine Zeit. Ich sehe und sah, wie etwas Schwarzes auf meine Stirn fiel, ein schwerer Gegenstand, der zweifellos kalt war wie das Stethoskop, aber er war nicht gesund, sondern voll Gewalt.”






marias
Javier Marías (Madrid, 20. September 1951)




Der deutsche Lyriker und Schriftsteller Adolf Endler wurde am 20. September 1930 in Düsseldorf geboren. Nach einer abgebrochenen Buchhändlerlehre arbeitete Endler als Transportarbeiter und Kranfahrer. Als er aufgrund seiner Aktivität in der Friedensbewegung wegen „Staatsgefährdung“ angeklagt wurde, übersiedelte Endler 1955 in die DDR. Er studierte 1955 bis 1957 am Literaturinstitut Johannes R. Becher in Leipzig. Seitdem lebte er als freier Autor. Er galt als Vertreter der von Georg Maurer beeinflussten Sächsischen Dichterschule. Nach Protesten gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 und die Verurteilung Stefan Heyms wegen „Devisenvergehen“ 1979 wurde er aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen. Er arbeitete in den 1980er Jahren für verschiedene Berliner Untergrundzeitschriften. 1991 war er Initiator des Berliner Vereins zur Beförderung der Literatur Orplid. Adolf Endler verstarb am 2. Augusts dieses Jahres.



Im Hochgebirge

1
Auf einen Stein mit annähernd menschlichem Antlitz geklebt:
"...und ich werde nicht mehr zu sprechen brauchen; Artaud." -
Und der Stein fängt zu reden, wirklich, fängt bröcklig zu re-
den an.

2
Vor dem Mund greisen Steins niederhockend, dann knieend auf
dem Mund greisen Steins: "... und wenn Du die giftig ergraute
Schnauze noch immer nicht voll hast, du Saukerl, dann..., dann
..., also dann...!"




Beendete Station / Blues

Yes, Peggy, die Züge sind abgefahren alle!; und abgefahren
ist der Zug für immer! Schachmatt! Die Station hat den Geist
aufgegeben ohne großes Brimborium und Trara, doch ganz ohne
Blues, bitte, nicht.
Übrig geblieben, blickt mich entgeistert die ewig zu weite
Stationsvorsteher-Dienstmütze an, mit der ich den unterschied-
lichsten Lokomotiven huldreich zu applaudieren gewußt, letz-
tes Jahr immer lascher.
Ebenso bleiben werden die Fotos in deinem Dessous-Schränkchen,
Schatz: Ich mit Stationsvorsteher-Dienstmütze und erhobener
Kelle. (Von diesem Herrn ward so allerlei hin- und hergelenkt
zwischen Lüttken und Pleterjach.)
Ja, die Züge sind abgefahren, Peggy, dein Fahrkartenschalter:
geschlossen, klirr-peng! Die restlichen sechshundert Fahrscheine
mögen sich als Lesezeichen in vergilbenden Kursbüchern nützlich
erweisen.
Soll ich noch einmal mein nunmehr verrostendes Trillerpfeif-
chen loszwitschern lassen in die Lande hinein? Um wenigstens
für Momente das schadenfrohe Gesindel ringsum durcheinander zu
bringen, my dear?
Ach, Quark! Was gehen uns diese Pinsel noch an? Solln sie
grienen! - Wir aber wollen mit den zwei Kellen, der Sonntags-,
der Wochenkelle, tagelang Pingpong spielen zwischen den
Schienen!
- Peggy!!!, pfui!




Reklame für Adolf Endler

Ein fadenscheiniges Protestvergißmeinnicht; fiepend;
und mit grinsend verblühender Pfote -
Die Besondere Note.







adolfendler
Adolf Endler (20. September 1930 – 2. August 2009)

Samstag, 19. September 2009

Jean-Claude Carrière, Mika Waltari

Der französische Schriftsteller und Drehbuchautoren Jean-Claude Carrière wurde am 19. September 1931 in Colombières-sur-Orb, Hérault. Jean-Claude Carrière arbeitete zu Beginn der 50er Jahre als Schriftsteller. Erste Kontakte zum Film erhielt er, als Jacques Tati ihn damit beauftragte, Romanfassungen zu zwei seiner Filme zu schreiben. Carrière schrieb daraufhin die Romane zu Die Ferien des Monsieur Hulot und zu Mon Oncle. Ab 1963 arbeitete Carrière mit dem spanischen Filmregisseur Luis Buñuel. Es entstanden vielschichtige Filme, die durch surrealistischen Einfallsreichtum und exzessiven, schwarzen, subversiven Humor gekennzeichnet sind (Schöne des Tages, Der diskrete Charme der Bourgeoisie, u.a.). In den folgenden Jahren schrieb Carrière für so unterschiedliche Regisseure wie Milos Forman (Valmont), Louis Malle (Komödie im Mai, u.a.) Carlos Saura, Volker Schlöndorff (Die Blechtrommel, u.a.), Andrzej Wajda (Danton), Philippe de Broca, Jean-Luc Godard (Rette sich wer kann: das Leben) und arbeitete häufig mit Peter Brook (u.a. am Mahabharata). Carriere war lange Direktor und Lehrer der Pariser Filmhochschule FEMIS.
Ausserdem veröffentlichte er zahlreiche Bücher, u.a. mit Umberto Eco oder Gespräche mit dem Dalai Lama. Luis Bunuels Autobiographie Mein letzter Seufzer entstand ebenfalls in enger Zusammenarbeit mit Jean-Claude Carrière.

Aus: Mit anderen Worten. Ein erotischer Sprachführer (Übersetzt von Nathalie Rouanet)

Paris, am 3. September

Sehr geehrtes Fräulein!

Ich danke Ihnen für Ihren Brief, der mich zutiefst berührt und den schlaffen Mann (der ich aber nicht immer war) wachgerüttelt hat.
Die wissenschaftliche Arbeit, die Sie ansprechen und die heute vergriffen ist, hatte den genauen Titel „Abhandlungen zur Entwicklung des erotischen Vokabulars“. Ich habe sie schon vor sehr langer Zeit veröffentlicht, und ich wage zu behaupten, daß sie bis heute unübertroffen ist. Selbstverständlich sind seitdem einige neue Ausdrücke entstanden – die Sprache lebt –, aber ich habe mich immer so gut es ging auf dem laufenden gehalten.
So haben sich ergänzende Notizen zum Buch angesammelt. Sie verteilen sich bereits über meine ganze Wohnung.
Ich glaube, ich kann Ihre heikle Frage beantworten. Sie fürchten, daß Ihr quälendes Problem mir „eigenartig oder unangebracht“ erscheinen könnte. Seien Sie beruhigt: Ich bin glücklich, Ihnen helfen zu können und mein bescheidenes Wissen zu Ihren Füßen zu legen, die ich mir übrigens sehr hübsch vorstelle.
„Es ist kein Handwerk schlecht, doch viele treiben’s nicht recht.“ Sie beschäftigen sich, wenn ich Sie richtig verstanden habe, mit der „Synchronisation“ fremdsprachiger Filme, die, wie Sie sagen, einen entschieden pornographischen Charakter haben, und Sie bedauern den armseligen Wortschatz, der Ihnen vorgelegt wird. Niemand könnte Sie besser verstehen als ich. Es ist vielleicht ein- oder zweimal vorgekommen, seitdem ich im Ruhestand bin, daß ich mich in eines dieser Kinos verirrt habe, und ich war jedes Mal zutiefst betrübt, und zwar nicht über das Gesehene, sondern über das Gehörte. Immer die gleichen abgenutzten und ordinären Wörter. So üppig die Kurven, so flach die Sprache.
Dabei verfügt unsere schöne Sprache, glauben Sie mir, mein Fräulein, in diesem Bereich über wahre, meist verkannte Schätze. Nehmen wir zum Beispiel den Ausdruck Liebe machen, den Sie sicherlich verwenden und der seit immer und ewig durch das Verb ficken ausgedrückt wurde, das seine heutige Bedeutung schon im 16. Jahrhundert bekommen hat und nach und nach das früher verbreitete fickfacken ersetzte, und es lassen sich sofort jede Menge malerische und köstliche Synonyme finden, etwa im Jargon der Schneiderinnen das Wort einfädeln oder, um im Handwerklichen zu bleiben, stangeln und wetzen, die sehr gebräuchlich sind, eigentlich genauso wie pflanzen, stechen, pfropfen, bimsen, und nicht zu vergessen poppen, das in Deutschland sehr beliebt ist und seinen Reiz hat.*





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Jean-Claude Carrière (Colombières-sur-Orb, 19. September 1931)





Der finnische Schriftsteller Mika Waltari wurde am 19. September 1908 in Helsink geboren.1912 zog die Familie für zwei Jahre nach Mikkeli, wo Toimi Waltari einige Romane und Kinderbücher verfasste, unter anderem das Buch Unohdettuja (1912), das auf seinen Erfahrungen als Gefängniskaplan basierte. Kurz nach der Rückkehr nach Helsinki verstarb Toimi Waltari im Alter von 32 Jahren, der kleine Mika ist gerade 5 Jahre alt. Er und seine zwei Brüder wurden daraufhin von seiner Mutter und seinen beiden Onkeln, dem Theologen Toivo Waltari und dem Ingenieur Jalo Sihtola, erzogen. 1926 graduierte Mika Waltari an der Helsingin Suomalainen Normaalilyseo und begann auf Wunsch seiner Mutter ein Studium der Theologie an der Universität Helsinki, wandte sich aber bald den Fächern Literaturwissenschaft und Philosophie zu, in denen er 1929 seinen Abschluss machte. Danach arbeitete er zunächst als Journalist, Übersetzer und Literaturkritiker. Bereits 1925 veröffentlichte er sein erstes eigenes literarisches Werk. Ab 1938 war er als freier Schriftsteller tätig. Er verfasste Lyrik, Erzählungen (Ein Fremdling kam auf den Hof) und Kriminalromane (Kommissar Palmu), die er zum Teil unter den Pseudonymen veröffentlichte. Ab 1957 war er Mitglied der finnischen Akademie. Seine Werke wurden in 30 Sprachen übersetzt.

Aus: Sinuhe der Ägypter (Übersetzt von Charlotte Lilius)

„Die Wächter wagten mich nicht daran zu hindern, weil ich Haremhabs Arzt war und die Soldaten mich bereits als einen boshaften Mann kannten, der sich sogar getraute, Haremhab mit harten und beißenden Worten entgegenzutreten. Zu Aziru aber ging ich, weil er in ganz Syrien keinen einzigen Freund mehr besaß. Ein gefangener, seines Reichtums beraubter und zu schimpflichem Tode verurteilter Mann hat keine Freunde mehr. Ich begab mich zu ihm, weil ich wusste, dass er das Leben sehr liebte, und weil ich ihm auf Grund all dessen, was ich gesehen, versichern wollte, dass es überhaupt nicht lebenswert sei. Auch wollte ich ihm als Arzt sagen, dass Sterben leicht sei, leichter jedenfalls als die Qual, der Kummer und das Leid des Lebens. Das Leben ist eine heiße, versengende Flamme, der Tod hingegen das dunkle Wasser der Vergessenheit. Das alles wollte ich ihm sagen, weil er am Morgen darauf sterben sollte, und ich wusste, dass er ohnehin nicht schlafen werde, da er das Leben über alles liebte. Sollte er aber meinen Worten kein Gehör schenken, so wollte ich mich schweigend neben ihn setzen, damit er nicht allein sei. Der Mensch kann wohl leicht ohne Freunde leben, ohne einen einzigen Freund zu sterben aber fällt ihm schwer, besonders wenn er zu Lebzeiten Kronen auf dem Haupte getragen und über viele Menschen befohlen hat.
Deshalb schlich ich mich im Dunkel der Nacht in das Zelt, wo er in Fesseln gehalten wurde. Bei Tageslicht hatte ich mich ihm nicht zeigen wollen und war ihm mit verhülltem Gesicht ausgewichen, als er und seine Familie auf schmähliche Weise in Haremhabs Lager geschleppt wurden, wobei ihn die Soldaten verhöhnten und mit Schmutz und Pferdemist bewarfen. Denn er war ein sehr stolzer Mann, dem es sicherlich peinlich gewesen wäre, wenn ich ihn in seiner Erniedrigung gesehen, nachdem ich ihn in den besten Tagen seiner Kraft und Macht gekannt hatte. Deshalb hatte ich ihn am Tage gemieden und suchte sein Zelt erst im Dunkel der Nacht auf. Die Wächter hoben ihre Speere und sprachen zueinander: ‚Wir wollen ihn einlassen! Es ist Sinuhe, der Arzt, der sich gewiss nicht auf unerlaubten Wegen befindet. Wenn wir ihm den Zutritt verweigern, wird er uns vielleicht beschimpfen oder durch Zauberei entmannen; denn er ist ein boshafter Mensch, und seine Zunge sticht ärger als ein Skorpion.‘






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Mika Waltari (19. September 1908 – 26. August 1979)

Freitag, 18. September 2009

Achtzig Jahre Armando

Der niederländische Lyriker, Schriftsteller, Musiker und Maler Armando (eigentlich Herman Dirk van Dodeweerd) wurde am 18. September 1929 in Amsterdam geboren. Er wird heute also achtzig Jahre alt.
Als Fünfjähriger begann Armando mit dem Geigenunterricht. 1935 bis 1950 wohnte er in Amersfoort. 1945-1949 spielte er Geige in verschiedenen Bands mit Swing- und Zigeunermusik. Er studierte von 1949 bis 1954 Kunstgeschichte und Philosophie an der Universität von Amsterdam. 1949 wendete er sich dem Zeichnen zu, 1950 entstanden erste Gedichte, 1951 begann er zu malen. 1958 gründete er mit den Künstlern Kees van Bohemen, Henk Peeters, Jan Henderikse und Jan Schoonhoven die Niederländische Informelle Gruppe, 1960 die Gruppe nul. In den Jahren 1961 bis 1965 pflegte er intensive Kontakte zur niederländischen und internationalen Zero-Bewegung. Von 1965 bis 1967 war er ausschließlich als Schriftsteller tätig, 1967 veröffentlichte er mit Hans Sleutelaar das Buch De SS-ers. Nederlandse vrijwilligers in de Tweede Wereldoorlog, eine Dokumentation von Interviews mit ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS in den Niederlanden, das in den Niederlanden für Aufsehen und heftig geführte Diskussionen sorgte.



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Armando: Kelch


Fortan setzte sich Armando immer wieder künstlerisch und literarisch mit seinen Kindheitserinnerungen - er war in der Nähe des Kamp Amersfoort (Polizeiliches Durchgangslager Amersfoort) aufgewachsen - auseinander. Die durchweg schwarzen Bildgegenstände stellen eine Symbolik der Gewalt dar. Es schrieb sieben Gedichtbände. 1973 entstand die erste Skulptur. 1979 übersiedelte Armando nach Berlin und schrieb für die Tageszeitung NRC-Handelsblad eine regelmäßige Kolumne Armando uit Berlijn. 1982 war Armando teilnehmender Künstler auf der documenta 7 in Kassel, 1984 vertrat er den Niederländischen Pavillon auf der 41. Biennale di Venezia. 1993 wurde das Armando-Quartett gegründet, 1994 erschien sein erstes Kinderbuch „Dirk de dwerg“. 1996 wurde er zum Mitglied der Akademie der Künste Berlin berufen. Im selben Jahr wurde ihm von der Stadt Reutlingen der von HAP Grieshaber und Rolf Szymanski begründete Jerg-Ratgeb-Preis verliehen. 1998 wurde das Armando Museum in Amersfoort eröffnet, das am 22. Oktober 2007 durch einen Brand zerstört wurde.


Aus: Sämtliche Märchen (Übersetzt von Mirjam Pressierund Marlene Müller-Haas)

Dirk, der Zwerg

“Es lebte einmal ein Zwerg, der hieß Dirk. Was war er doch für ein blöder Kerl, echt. Ein richtiger
Angeber. Immer wollte er Eindruck schinden. Er mischte sich überall ein und wusste alles besser. Wirklich, ein lästiger Kerl. Man kann gut verstehen, dass die anderen Zwerge die Nase voll hatten von Dirk. Eines Abends kamen sie zusammen und sprachen über ihn. Immer wieder klagten sie, wie blöd
dieser Dirk doch sei, bis einer von ihnen, ein gewisser Wout, das Wort ergriff und sagte: »Gehen
wir doch zu Koos, dem König des Zwergenlandes. Er ist ein kluger Kopf, er weiß bestimmt, wie wir Dirk dazu bringen können, nicht mehr so blöd zu sein.«
»Genau«, riefen die anderen. »Das haben wir auch gerade gedacht. Gehen wir zu Koos.« Sie
wuschen sich die Hände und machten sich auf den Weg. Als sie bei König Koos ankamen, sagte der:
»Ihr kommt bestimmt, um euch über diesen lästigen Dirk zu beschweren Das habe ich mir schon gedacht. Ich kenne euch doch. Ich werde euch sagen, was ihr tun müsst. Wenn er zu euch kommt und mal wieder alles besser weiß, dann lasst ihn einfach reden. Was haltet ihr davon?«
Die Zwerge jubelten. »Genau, Koos!«, riefen sie. »Genau das haben wir uns auch überlegt.«
Gesagt, getan. Dirk wusste nicht, wie ihm geschah.
Als er zu Wim, dem Schmied, kam und sagte: »Hör mal, du musst den Blasebalg anders
halten«, sagte Wim: »Ach, du bist's, Dirk« und arbeitete ruhig weiter. Und als Dirk zu Franz, dem
Bäcker, kam und sagte: »Hör mal, wie du den Teig knetest, das ist doch nichts«, sagte Franz:
»Schönes Wetter heute, Dirk.«





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Armando: Das Haus



Dirk war verblüfft. Er dachte: Komisch, ich mache keinen Eindruck auf sie. Sie lassen mich einfach reden. Früher war das anders. Was soll ich bloß machen?
Er ging nach Hause und las zehn dicke Bücher. Er fand viele Wörter, die er nicht verstand, und das machte großen Eindruck auf ihn. Er schlug das zehnte Buch zu und murmelte: »Jetzt weiß ich's. Wenn ich die anderen Zwerge beeindrucken will, muss ich seltsame Wörter benutzen. Wörter, die sie nicht verstehen. Das macht Eindruck. Ich kriege sie schon klein.«
Er rieb sich die Hände und pfiff ein fröhliches Lied. Dann setzte er sich eine dicke Brille auf, um gelehrt auszusehen, machte ein bedeutungsvolles Gesicht und stapfte zu Wim, dem Schmied.
»Sag mal, Wim«, sagte Dirk, »hast du die Riggen schon gekuppt?«
Wim, der Schmied, hörte sofort mit der Arbeit auf. »Was hast du gesagt?«, fragte er erstaunt.
»Ich habe gefragt«, sagte Dirk, »ob du die Riggen schon gekuppt hast. War nur eine Frage.
Wenn du es nicht weißt, brauchst du mir nicht zu antworten, echt.«
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete Wim.
»Wirklich, ich habe keine Ahnung.«






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Armando (Amsterdam, 18. September 1929)

Donnerstag, 17. September 2009

William Carlos Williams, Dilip Chitre

Der amerikanische Lyriker William Carlos Williams wurde am 17. September 1883 in Rutherford, New Jersey, geboren. WCW, wie er oft abgekürzt wird, verbrachte fast sein gesamtes Leben – sieht man von einer mehrmonatigen Europa-Reise ab – in seiner Heimatstadt Rutherford in New Jersey, wo er auch nach 1910 als Arzt (M.D.) praktizierte. Während seines Medizinstudiums an der University of Pennsylvania schloss er Freundschaft mit Ezra Pound. Später wurde er mit diesem (und T. S. Eliot) zum wichtigsten Dichter der amerikanischen Moderne. Im Gegensatz zu Pound, der sich nach europäischen Vorbildern richtete, forderte WCW in seiner Essaysammlung In the American Grain (1925) eine einfache, aber dennoch avantgardistische Poesie, die sich an der gesprochenen Sprache und der amerikanischen Alltagswelt orientieren sollte.



A Sort of a Song

Let the snake wait under
his weed
and the writing
be of words, slow and quick, sharp
to strike, quiet to wait,
sleepless.
-- through metaphor to reconcile
the people and the stones.
Compose. (No ideas
but in things) Invent!
Saxifrage is my flower that splits
the rocks.




Approach of Winter

The half-stripped trees
struck by a wind together,
bending all,
the leaves flutter drily
and refuse to let go
or driven like hail
stream bitterly out to one side
and fall
where the salvias, hard carmine--
like no leaf that ever was--
edge the bare garden.




Nur damit du Bescheid weißt


Ich habe die Pflaumen
gegessen
die im Eisschrank
waren

du wolltest
sie sicher
fürs Frühstück
aufheben

Verzeih mir
sie waren herrlich
so süß
und so kalt




Übersetzt von Hans Magnus Enzensberger







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William Carlos Williams (17. September 1883 - 4. März 1963)





Der indische Lyriker, Schriftsteller, Maler und Regisseur Dilip Purushottam Chitre wurde am 17. September 1938 in Baroda, Indien, geboren. Er schreibt in Englisch und Marathi. Nach dem Umzug seiner Eltern nach Bombay (heute Mumbai) erschienen 1960 seine ersten Gedichtsammlungen. 1975 wurde er zu einem Gastaufenthalt an die University of Iowa eingeladen. Ferner arbeitete er als Direktor des Indian Poetry Library, archive, and translation centre im Bharat Bhavan in Bhopal.
Chitre hat sich auch als Übersetzer klassischer indischer Literatur, teilweise aus dem 12. Jahrhundert, ins Englische einen Namen gemacht. Als Filmemacher dreht er seit 1969 Dokumentarfilme.
Denselben Hintergrund haben seine Erzählungen, die im Verlauf von mehr als 20 Jahren nach 1967 entstanden und auf Deutsch unter dem Titel Bombay Quartett erschienen sind. Seine Erzählweise ähnelt dabei einem Dokumentarfilmer: verschiedene Einstellungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit zahlreichen Perspektivenwechseln werden zusammengefügt.



Ich lach. Ich wein.
Ich lach. Ich wein. Ich zünde Kerzen an. Trink Alkohol.
Die Augen noch schmutzig von Liebe. Der Mund
Verdreckt von Gesang. Gedichte wachsen wie Läuse mir im Haar.
Sagte der Romantiker. Saß in einer Kneipe in Bombay.
Die Holzbänke geschwärzt vom Schweiß der Jahre.
Die nackte Birne warf ihren dürftigen Schleier in den Raum.
Die Madonna und das Gotteskind verblaßten an der Wand.
Wir gossen noch etwas Soda zur Tragödie und spülten sie hinab.
Einer sagte Asien steht in Flammen. Ein andrer es wird aufwärts gehn mit Indien.
Draußen lag Bombay wie Erbrochnes. Phosphoreszierend in der Nacht.
Verzeih und unsre Unwissenheit und unsern gestauten Verkehr Herr.
Den schalen Geruch der Paarung hinter Blumengardinen.
Vergib uns unsern Kollektivlärm und unsre Stimmlosigkeit.
Aus solch grandiosen Visionen fallen wir hinaus in schlammige Gassen.
Wir laufen und entgehen dabei knapp dem Leben um ein Uhr
Morgens wenn eben endet unser Tag.



Übersetzt von Lothar Lutze







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Dilip Chitre (17. September 1938)

Mittwoch, 16. September 2009

Michael Nava, Hans Arp

Der amerikanische Schriftsteller und Rechtsanwalt Michael Nava wurde am 16. September 1954 in der Kleinstadt Stockton im San Joaquin County in der Nähe von San Francisco geboren und wuchs in Sacramento auf. Im Jahr 1981 erhielt er seinen Abschluss als Rechtsanwalt an der Stanford-Universität, wo er bereits im Jahr zuvor seinen Lebensgefährten Bill Weinberger kennenlernte. Die beiden führten zunächst eine gemeinsame Kanzlei in Palo Alto, bis sie ihren Sitz 1984 nach Los Angeles verlegten. 1986 veröffentlichte er seinen ersten Roman unter dem Titel The little death (deutsch: Der kleine Tod). Nach sieben Bänden war der Romanzyklus um den schwulen Anwalt Henry Rios im Jahr 2001 abgeschlossen. Nava praktiziert seit 1995 in San Francisco. Dort ist er nicht nur als Rechtsanwalt tätig, sondern kämpft auch öffentlich für die Anerkennung und Gleichberechtigung Homosexueller in den USA. Für die meisten seiner Romane erhielt Nava den Lambda Mystery Award. Sämtliche Romane wurden ins Deutsche übersetzt und erschienen im Hamburger Argument Verlag.

Aus: Verbrannte Erde

“Ich saß allein an einem Plastiktischchen vor dem Kaffeekiosk auf dem Platz zwischen dem Bezirksgericht und der Hall of Records in der Innenstadt von Los Angeles. Es war neun Uhr zweiundvierzig an einem warmen, versmogten Morgen Ende April. Die Büroangestellten hatten sich widerwillig aufgerafft und waren zu ihren Arbeitsplätzen ausgeschwärmt, und die umstehenden Tische waren übersät von den Überresten ihres Frühstücks, von leeren Tassen, Gebäckkrümeln, Zuckertütchen und lippenstiftbefleckten Papierservietten. Eine Obdachlose – ein Wirbelwind von Lumpen, ein sonnenverbranntes Gesicht – durchwühlte den Abfall. Sorgfältig wickelte sie die Überbleibsel eines Bran Muffin in eine Serviette, verstaute sie in ihrer schmutzigen Jackentasche und kam mit ausgestreckter Hand auf mich zu. Ihre Augen waren wie Wunden. Ich gab ihr einen Dollar, was der Junge hinter der Theke mit missbilligendem Stirnrunzeln kommentierte. Der Himmel war metallisch, als wäre eine Käseglocke über die Stadt gestülpt, und in den staubigen Büschen und Bäumen der Plaza rührte sich kein Hauch. Die giftige Luft biss mir in den Augen. Ich nippte am lauwarmen Kaffee und warf einen Blick in die Zeitung. Auf einem Foto sah ich einen untersetzten Mann im Frack hinter einem Rednerpult stehen, mit einer übergroßen Oscar-Figur im Hintergrund. Die Bildunterschrift identifizierte ihn als Duke Asuras, Direktor der Parnassus-Filmproduktion, und zitierte ihn mit den bei der kürzlich stattgefundenen Oscarverleihung geäußerten Worten: "Filmemachen ist nicht nur Handwerk, es ist Kriegshandwerk, und unser Schlachtfeld ist die ganze Welt." Ich sah auf meine Armbanduhr. Es war Zeit, ins Gericht zu gehen.
Das Bezirksgericht zog sich ganz in Beton und poliertem Granit über drei Blocks der First Street, ein Furcht erregendes, zyklopenhaftes Gebäude in einer Umgebung aus lauter Furcht erregend zyklopenhaften Gebäuden: die Hall of Records, die Bezirksverwaltung, das Strafgericht, der Chandler-Pavillon, der Times Mirror Square, das Rathaus. Im Bezirksgericht wurden Zivilprozesse verhandelt, ich als Strafverteidiger hatte dort noch selten zu tun gehabt. Aber jedes Mal beeindruckte mich das Fries über dem Eingang in der Hill Street: Justitia, die Waage auf dem Kopf balancierend, zu ihren beiden Seiten je eine knieende, mit heldischen Muskeln bepackte Männerfigur, die den Vorübergehenden eine steinerne Tafel entgegenhielt. LUX ET VERITAS war in die eine Tafel gehauen, LEX in die andere. Licht und Wahrheit. Gesetz. So weit das Versprechen – aber als ich dieses Gebäude betrat, um dem letzten Verhandlungstag im Prozess über die Leiche meines Geliebten beizuwohnen, ging mir eine ganz andere Sentenz durch den Kopf: "Die Hölle, das sind die anderen."






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Michael Nava (Stockton, 16. September 1954)





Der deutsch-französische Maler, Graphiker, Bildhauer und Dichter Hans (Jean) Arp wurde am 16. September 1887 in Strassburg geboren. Arp war Mitbegründer des Zürcher Dadaismus und des Surrealismus in Paris. Er widmete sich besonders dem Holzrelief und der Papiercollage und nahm mit seinen "materialen Texten" auch grossen Einfluss auf die abstrakte Dichtung.
Nach einem Kunststudium in Weimar und Paris arbeitete Arp mehrere Jahre als Maler in der Schweiz. 1912 stellte er bei einer Ausstellung der Künstlervereinigung "Der Blaue Reiter" seine Arbeiten einem grösseren Publikum vor. 1913 arbeitete er mit den Künstlern um die expressionistische Zeitschrift Der Sturm zusammen. 1916 war Arp einer der Gründerväter der Zürcher Dadabewegung, an deren Aktivitäten er sich bis 1919 beteiligte und deren Strategie einer "synthetischen Dichtkunst" er mitentwickelte. Dort lernte er u.a. Kurt Schwitters und Friedrich Glauser kennen. Durch sein künstlerisches Engagement beeinflusste er 1919 bzw. 1920 auch die um Max Ernst gruppierte Dadabewegung in Köln. 1921 heiratete Arp die schweizerische Malerin Sophie Taeubner-Arp (1889-1943). 1924 ging er nach Paris, wo er mit den Surrealisten zusammentraf.


Opus Null
1
Ich bin der große Derdiedas
das rigorose Regiment
der Ozonstengel prima Qua
der anonyme Einprozent.
Das P. P. Tit und auch die Po
Posaune ohne Mund und Loch
das große Herkulesgeschirr
der linke Fuß vom rechten Koch.
Ich bin der lange Lebenslang
der zwölfte Sinn im Eierstock
der insgesamte Augustin
im lichten Zelluloserock.
2
Er zieht aus seinem schwarzen Sarg
um Sarg um Sarg um Sarg hervor.
Er weint mit seinem Vorderteil
und wickelt sich in Trauerflor.
Halb Zauberer halb Dirigent
taktiert er ohne Alpenstock
sein grünes Ziffernblatt am Hut
und fällt von seinem Kutscherbock.
Dabei stößt er den Ghettofisch
von der möblierten Staffelei.
Sein langer Würfelstrumpf zerreißt
zweimal entzwei dreimal entdrei.
3
Er sitzt mit sich in einem Kreis.
Der Kreis sitzt mit dem eignen Leib.
Ein Sack mit einem Kamm der steht
dient ihm als Sofa und als Weib.
Der eigne Leib der eigne Sack.
Der Vonvon und die linke Haut.
Und tick und tack und tipp und topp
der eigne Leib fällt aus der Braut.
Er schwingt als Pfund aus seinem Stein
die eigne Braut im eignen Sack.
Der eigne Leib im eignen Kreis
fällt nackt als Sofa aus dem Frack.
4
Mit seiner Dampfmaschine treibt
er Hut um Hut aus seinem Hut
und stellt sie auf in Ringelreihn
wie man es mit Soldaten tut.
Dann grüßt er sie mit seinem Hut
der dreimal grüßt mit einem du.
Das traute sie vom Kakasie
ersetzt er durch das Kakadu.
Er sieht sie nicht und grüßt sie doch
er sie mit sich und läuft um sich.
Der Hüte inbegriffen sind
und deckt den Deckel ab vom Ich.






hans-arp-1905
Hans Arp (16. September 1886 – 7. Juni 1966)

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Zuletzt aktualisiert: 23. Jan, 19:14

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