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Christine Lavant, Sébastien Japrisot

Die österreichische Schriftstellerin und Künstlerin Christine Lavant, eigentlich Christine Habernig, wurde am 4. Juli 1915 in Groß-Edling bei St. Stefan im Lavanttal, Kärnten, geboren. Sie lebte mit Ausnahmen von zwei Jahren in ihrem Geburtsort. Sie hat Lyrik und Prosa geschrieben und zahlreiche Preise erhalten, so 1954 und 1964 den Georg-Trakl-Preis für Lyrik und 1970 den Großen Staatspreis für Literatur. Christine Lavant starb 1973.



Im Lauchbeet hockt die Wurzelfrau

Im Lauchbeet hockt die Wurzelfrau,
zählt Zwiebelchen und Zehen.
Was wird mit mir geschehen?
Sie nimmt es so genau.
Ich bringe meinen Kopf nicht mehr
aus den verhexten Latten.
Nun zählt sie schon die Schatten
und schielt verdächtig her.
He! - sagt sie - da ist noch was frei,
mit Erde muß man sparen! -
und zerrt mich an den Haaren,
ich wage keinen Schrei.
So unter Zwiebelchen und Lauch
bin ich nun eingegraben,
die mich gesättigt haben,
vertrösten mich wohl auch.
Sie teilen mit mir Tag und Tau
und Saft und Kraft der Erde,
daß ich ein Rüblein werde
im Beet der Wurzelfrau.





Ich könnte vielleicht ein Geheimnis haben

Ich könnte vielleicht ein Geheimnis haben
mit der breitmächtigen Frau im gehäkelten Tuch,
die sich zwischen den Bahnschienen sonnt
und hinterhältig und grundgutmütig
die Vorstandhühner an sich lockt.
Meine Mutter war wie ein Beichtstuhl für sie
und hat auch ihre Kinder gewandet,
die zahllosen Kinder der Weibin dort,
um Gottes Lohn - meine schmächtige Mutter.
Dafür soll die Frau ihr Geheimnis sagen.
Ich hege Hoffnung zu diesem Geheimnis,
das ganz und gar sich von dieser Welt
aufrechterhält und die Huhnsprache kennt
und vielleicht auch die Wurzel der Würde.
Heimsuchen will ich die mächtige Frau -
sie wird ihre Hühner vom Küchentisch scheuchen,
den Stuhl abwischen und ehrfürchtig tun
und verborgen sich meiner erbarmen.




Ich ordne die Verlassenschaft

Ich ordne die Verlassenschaft;
das Brustkern-Öl, den Schlauch der Schlange,
die Rippenuhr bleibt selbst im Gange
und schlägt auch in der Einzelhaft.
Mein Abgott, immer noch aus Blei,
wird ohnehin nie auferstehen,
ich darf verrückt im Kreise gehen
an meinem eignen Kreuz vorbei.
Auch atmen kann ich ganz getrost,
die Lunge krankt an einem Flügel
und bleibt gewiß am Marterhügel
trotz Feuerfolter oder Frost.
So wilde Freiheit war noch nie
in einer finstern Andachtsenge,
ich hebe ohne jede Strenge
mein Stiefgeschick aufs Mutterknie.








Lavant
Christine Lavant (4. Juli 1915 – 7. Juni 1973)





Der französische Schriftsteller Sébastien Japrisot wurde unter dem Namen Jean Baptiste Rossi am 4. Juli 1931 in Marseille als Sohn italienischer Immigranten geboren. Seine erste Novelle veröffentlichte er bereits im Alter von 17 Jahren. Er erhielt dafür 1966 den Prix de l’Unanimité. Nach seinem Studium auf der Sorbonne übersetzte er Salinger und begann mit 30 Jahren das Schreiben von Kriminalromanen. Dafür legte er sich das Pseudonym Sébastien Japrisot zu. Bereits für seinen zweiten Kriminalroman erhielt er den begehrten Grand Prix de la Littérature Policière. Für »La dame dans l´auto avec des lunettes et un fusil« erhielt er in Frankreich den Prix d´Honneur und in England die Auszeichnung Best Crime Novel. Die meisten seiner Romane wurden verfilmt. Er arbeitete auch als Regisseur und Drehbuchautor. Japrisot starb am 4. März 2003 in Vichy

Aus: Mathilde. Eine grosse Liebe (Un long dimanche de fiançailles. Übersetzt von Christiane Landgrebe)

"Mit Vornamen hieß er Jean, aber seine Mutter und alle anderen zu Hause nannten ihn Manech. Im Krieg hieß er nur Bleuet. Die Rekrutierungsnummer auf dem Armband an seinem unversehrten Handgelenk lautete 9692, von einem Rekrutierungsbüro im Departement Landes. Er war in Cap-Breton geboren, von wo aus man Biarritz sehen kann, aber in den Armeen der Republik hatte keiner viel Ahnung von Geographie. Die aus seiner Abteilung glaubten, er komme aus der Bretagne. Er hatte es schon am ersten Tag aufgegeben, ihnen den Irrtum auszureden. Er war nicht aufdringlich, nahm sich zurück, um sinnlose Diskussionen zu vermeiden, und fuhr letzten Endes gut dabei: Wenn er mit seiner Ausrüstung oder den Gewehrteilen nicht klarkam, fand er immer einen Ersatzvater, der ihm half, sich zurechtzufinden, und im Schützengraben verlangte außer dem Unteroffizier, der ihn nicht leiden konnte, niemand etwas anderes von ihm als in Deckung zu bleiben und auf den Draht zu achten. Aber da war die Angst, die sein ganzes Wesen durchdrungen hatte, die Vorahnung, daß er nie nach Hause zurückkehren würde, ein Urlaub, den man ihm versprochen hatte, auf den er aber nicht mehr hoffte, und dann war da Mathilde. Im September war er, um Mathilde wiederzusehen, dem Rat eines gewissen Marie-Louise gefolgt, so lautete der Spitzname der im Jahr 15 Eingezogenen, der fast ein Jahr älter war als er. Er hatte eine in Pikrinsäure getränkte Fleischfrikadelle gegessen und sich die Seele aus dem Leib gekotzt, aber inzwischen konnte jeder Kommißkopf eine Gelbsucht erkennen, bevor er noch lesen lernte, und so war er zum erstenmal vor das Kriegsgericht zitiert worden, das seines Bataillons. Wegen seiner Jugend hatten sie ihn dort mit Nachsicht behandelt; zwei Monate auf Bewährung, aber keinen Fronturlaub mehr, außer es würde ihm gelingen, Kaiser Wilhelm persönlich gefangenzunehmen. Dann, im November, es war vor Péronne, zehn Tage ohne Unterlaß hatte er die Beschimpfungen des verfluchten Sergeanten über sich ergehen lassen müssen, und dann Regen, Regen, Regen. Er konnte nicht mehr, und so hatte er auf einen anderen Marie-Louise gehört, der noch schlauer war als der erste. Eines Nachts, als er Wache schob, die Kanonade war fern und der Himmel tiefschwarz, hatte er, der Nichtraucher, eine englische Zigarette angezündet, weil die nicht so leicht ausgeht wie eine dunkle, dann hatte er seine rechte Hand über den Grabenwall erhoben, die Finger schützend über den kleinen roten Schimmer gebreitet.“






japrisot
Sébastien Japrisot (4. Juli 1931 – 4. März 2003)

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Zuletzt aktualisiert: 23. Jan, 19:14

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