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Cees Nooteboom

Der niederländischen Schriftsteller Cees Nooteboom wurde am 31. Juli 1933 in Den Haag geboren. Sein Werk umfasst Romane, Novellen, Reiseberichte und Gedichte; er war auch als Journalist und Literaturkritiker tätig. Seine Bücher erhielten zahlreiche Preise und wurden in mehr als 15 Sprachen übersetzt.
Durch einen Bombenangriff auf Den Haag verlor Nooteboom 1945 den Vater. Seine Mutter heiratete 1948 erneut; auf Betreiben seines streng katholischen Stiefvaters besuchte Nooteboom daraufhin von Franziskanern und Augustinern geleitete Klosterschulen. Nach eigener Auskunft fühlte er sich dort von der Zeremonialität angezogen, nicht aber von der Dogmatik und er verließ die Schule vorzeitig.
Ab 1950 arbeitete Nooteboom bei einer Bank in Hilversum und nahm Gelegenheitsarbeiten an. 1953 begann er ausgedehnte Reisen durch Europa, häufig als Tramper. Diese Fahrten inspirierten seinen ersten Roman Philip en de anderen (1955; dt.: Das Paradies ist nebenan, 1958); er wurde mit dem Anne-Frank-Preis (1957) ausgezeichnet und in den Schulkanon aufgenommen und machte somit seinen Autor in den Niederlanden unmittelbar bekannt. In Deutschland erreichte der Roman erst in der Neuübersetzung Philip und die anderen (2003) von Helga van Beuningen ein breites Publikum.
1957 heuerte Nooteboom auf einem Schiff in die Karibik als Leichtmatrose an, um in Suriname beim Vater seiner Braut Fanny Lichtveld um deren Hand anzuhalten. Die beiden heirateten entgegen dessen Willen, trennten sich jedoch 1964 wieder. Die Erlebnisse dieser Reise fanden in den Erzählungen des Bands De verliefde gevangene (1958; dt.: Der verliebte Gefangene. Tropische Erzählungen, 2006) Niederschlag.
Nootebooms zweiter Roman, De ridder is gestorven (1963; dt.: Der Ritter ist gestorben, 1996), blieb 17 Jahre lang sein letzter. Bekannt wurden während dieser Zeit hauptsächlich zahlreiche Reiseberichte. Diesen verdankt Nooteboom seinen Ruf als Reiseschriftsteller, obgleich er sich selbst in erster Linie als Poet begreift.

Aus: Nachts kommen die Füchse (Übersetzt von Helga van Beuningen)

„Gondeln sind atavistisch, er wußte nicht mehr, wo er das gelesen hatte, und wollte jetzt auch nicht darüber nachdenken, weil dann, so meinte er, etwas vom Pathos des Augenblicks verfliegen würde. Tiefstehende Sonne, die schwarze vogelartige Form einer Gondel im Nebel über der Lagune, die schweren Duckdalben wie eine vorrückende einsame Phalanx von Soldaten, die am unsichtbaren anderen Ufer verschwand zu einer Mission von Tod und Verderben, und er selbst hier an der Riva degli Schiavoni mit einem vergilbten, eingerissenen Foto in der Hand, wenn das kein Pathos war? Hier ungefähr hatte die Gondel angelegt, hier, an dieser Treppe oder der nächsten, noch dichter am halb im Wasser ruhenden Denkmal der standrechtlich erschossenen Partisanin, waren sie ausgestiegen. Es war ähnliches Wetter gewesen, das konnte man auf dem Foto noch erkennen. Sie hatten sich auf die Treppe gesetzt, und fast im gleichen Augenblick war ein junger Offizier gekommen, der ihnen sagte, diese Treppe habe frei zu bleiben für die Wasserschutzpolizei, und dabei auf ein Schild deutete. Dieses Schild mußte er jetzt also suchen, das konnte nicht schwer sein. Und wenn ich es finde, was dann? Dann stehe ich genau an derselben Stelle wie vor vierzig Jahren, und dann? Er zuckte mit den Achseln, als hätte jemand anders diese Frage gestellt. Dann also nichts, und genau darum, dachte er, ging es. Den Auftrag, etwas über die Ausstellung im Palazzo Grassi zu schreiben, hatte er angenommen, um diese eigenartige Pilgerfahrt anzutreten.
Zu einem Schemen, nein, nicht einmal das, zu einer Abwesenheit. Die Treppe hatte er schnell gefunden, in ewigen Städten neigen die Dinge dazu, sich nicht zu verändern, nach wie vor legte die Wasserschutzpolizei hier an. Das Schild war noch da, an der Seitenmauer aus Backstein befestigt. Neu gepinselt, das denn doch. Er setzte sich auf die oberste Stufe. Der junge Offizier von damals mußte längst pensioniert sein, und auch wenn er in diesen vierzig Jahren nicht gealtert wäre, würde er den älteren Mann, der jetzt dort saß, nicht wiedererkennen. Das Foto war damals von einem Unbekannten gemacht worden, der sich ein Stück von ihnen entfernt, mit dem Rücken zur Lagune, an den Rand des Kais gestellt hatte. Ein Winkel von dreißig Grad, so daß der Dogenpalast in der Ferne noch drauf war. Er betrachtete das Foto und wunderte sich wie immer über das Trügerische daran. Nicht nur, daß ein Foto eine Tote abbilden konnte, es konnte einem auch eine ungültig gewordene Version der eigenen Person auftischen, einen nicht mehr erkennbaren Langhaarigen, der einst so
perfekt ins damalige Bild gepaßt hatte, das diesem Foto das schal gewordene Aroma einer endgültig
vergangenen Zeit gab. Daß man noch immer denselben Körper hatte, war das eigentliche Wunder. Aber natürlich war es nicht derselbe Körper. Sein Besitzer hatte noch immer denselben Namen, das war alles.
Was dieses Foto im Grunde sagen wollte, dachte er, mehr als Feststellung denn als Ausdruck von Tragik oder Selbstmitleid, war, daß auch für ihn allmählich die Zeit kam, daß auch er verschwinden mußte.“





Cees_Nooteboom
Cees Nooteboom (Den Haag, 31. Juli 1933)

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Zuletzt aktualisiert: 23. Jan, 19:14

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