Theodor Storm, Antje Rávic Strubel
Frohe Ostern!
Piero della Francesca: Auferstehung Christi, 1463 - 65,
Fresko und Tempera, in der Pinacoteca Comunale in Sansepolcro.
Ostern
Es war daheim auf unserm Meeresdeich;
ich ließ den Blick am Horizonte gleiten,
zu mir herüber scholl verheißungsreich
mit vollem Klang das Osterglockenläuten.
Wie brennend Silber funkelte das Meer,
die Inseln schwammen auf dem hohen Spiegel,
die Möwen schossen blendend hin und her,
eintauchend in die Flut der weißen Flügel.
Im tiefen Kooge bis zum Deichesrand
war sammetgrün die Wiese aufgegangen;
der Frühling zog prophetisch über Land,
die Lerchen jauchzen, und die Knospen sprangen.
Enfesselt ist die urgewalt'ge Kraft,
die Erde quillt, die jungen Säfte tropfen,
und alles treibt, und alles webt und schafft,
des Lebens vollste Pulse hör ich klopfen.
Theodor Storm (14. September 1817 - 4. Juli 1888)
Die deutsche Schriftstellerin Antje Rávic Strubel wurde am 12. April 1974 in Potsdam geboren. Antje Rávic Strubel machte nach dem Abitur zunächst eine Ausbildung zur Buchhändlerin und studierte danach in Potsdam und in New York Literaturwissenschaften, Psychologie und Amerikanistik. In New York arbeitete sie nebenbei als Beleuchterin an einem Off-Theater. Bekannt wurde sie 2001, als sie bei den Klagenfurter Literaturtagen den Ernst-Willner-Preis erhielt. 2003 wurde sie mit dem Roswitha-Preis und dem Deutschen Kritikerpreis ausgezeichnet. Ihr Roman Tupolew 134 stieß auf begeisterte Kritiken. 2005 setzte sie sich mit Tupolew 134 im Live-Endausscheid des neugestalteten Marburger Literaturpreises als Siegerin durch und gewann den Förderpreis des Bremer Literaturpreises. Der 2007 herausgekommene Roman Kältere Schichten der Luft handelt von einem Aufenthalt von Menschen um die 30 in Schweden, wo sie mit ungelebtem Leben und den Tücken des Glücks konfrontiert werden. Für diesen Roman erhielt sie 2007 den Hermann-Hesse-Preis und den Rheingau Literatur Preis.
Aus: Unter Schnee
„Achte auf nichts meinetwegen
Es macht mich nervös, den Körper in einer Decke zu haben. Man kann nicht vor und zurück darin.
Unter der kratzenden Decke hervor sieht das Ende der Terrasse aus wie ein steil abfallender Berghang. Als könnte man sich in das weit geschwungene Tal stürzen, nur den Wind hören und das scharfe Zischen der Laufsohlen auf den verharschten Stellen, wo man sich weit vorlehnen muß, um das Gewicht zu halten.
Für heute haben sie Schneefall in den Nachrichten gemeldet, starken Schneefall, und die Lifte sind geschlossen. Der Himmel ist grau, undurchlässig, aber nicht von diesem diffusen Grau, das Schnee verspricht. Dann müßte sich auch der Geruch der Luft verändern. Die Luft müßte dichter werden oder graupelig, wie Evy dazu sagt. Wenn man dann noch im Wald unterwegs ist, stehen die Bäume unnatürlich still da.
Den Topf mit dem Glühwein haben wir vorsorglich drinnen gelassen. Unter der Felldecke ist es hier draußen auch so heiß genug.
"Und wenn es nun nicht schneit? Es schneit heute bestimmt nicht. Das versaut uns einen ganzen Tag!"
Evy antwortet nicht. Sie ist bis zum Hals verpackt und sieht aus, als würde sie schlafen. Sie hat so was im Gesicht, das sie dazu macht, so auszusehen. Nur die Augen machen das wieder wett, und manchmal ihre Art zu sprechen.
Aber ihr Glas ist zur Hälfte leer. Also schläft sie nicht. Vielleicht denkt sie auch an die versäumten Abfahrten, die Pisten, von denen wir nur die schwarzen nehmen, die direkt ins Tal schießen, ohne Umwege und mit eingebauten Bukkeln. Die Pisten sind lächerlich kurz, selbst die schwarze hat kaum noch Schwierigkeitsgrade, wenn man an Dreitausender gewöhnt ist. Oben muß man sich abstoßen, um überhaupt loszukommen, dann steht man da und wartet, daß was passiert, und bevor es richtig abgeht, ist man schon wieder unten. Evy stört das alles nicht. Sie fährt hierher, seit sie drei ist, und ich wette, sie wird es noch ewig tun.“
Antje Rávic Strubel (Potsdam, 12. April 1974)
Piero della Francesca: Auferstehung Christi, 1463 - 65,
Fresko und Tempera, in der Pinacoteca Comunale in Sansepolcro.
Ostern
Es war daheim auf unserm Meeresdeich;
ich ließ den Blick am Horizonte gleiten,
zu mir herüber scholl verheißungsreich
mit vollem Klang das Osterglockenläuten.
Wie brennend Silber funkelte das Meer,
die Inseln schwammen auf dem hohen Spiegel,
die Möwen schossen blendend hin und her,
eintauchend in die Flut der weißen Flügel.
Im tiefen Kooge bis zum Deichesrand
war sammetgrün die Wiese aufgegangen;
der Frühling zog prophetisch über Land,
die Lerchen jauchzen, und die Knospen sprangen.
Enfesselt ist die urgewalt'ge Kraft,
die Erde quillt, die jungen Säfte tropfen,
und alles treibt, und alles webt und schafft,
des Lebens vollste Pulse hör ich klopfen.
Theodor Storm (14. September 1817 - 4. Juli 1888)
Die deutsche Schriftstellerin Antje Rávic Strubel wurde am 12. April 1974 in Potsdam geboren. Antje Rávic Strubel machte nach dem Abitur zunächst eine Ausbildung zur Buchhändlerin und studierte danach in Potsdam und in New York Literaturwissenschaften, Psychologie und Amerikanistik. In New York arbeitete sie nebenbei als Beleuchterin an einem Off-Theater. Bekannt wurde sie 2001, als sie bei den Klagenfurter Literaturtagen den Ernst-Willner-Preis erhielt. 2003 wurde sie mit dem Roswitha-Preis und dem Deutschen Kritikerpreis ausgezeichnet. Ihr Roman Tupolew 134 stieß auf begeisterte Kritiken. 2005 setzte sie sich mit Tupolew 134 im Live-Endausscheid des neugestalteten Marburger Literaturpreises als Siegerin durch und gewann den Förderpreis des Bremer Literaturpreises. Der 2007 herausgekommene Roman Kältere Schichten der Luft handelt von einem Aufenthalt von Menschen um die 30 in Schweden, wo sie mit ungelebtem Leben und den Tücken des Glücks konfrontiert werden. Für diesen Roman erhielt sie 2007 den Hermann-Hesse-Preis und den Rheingau Literatur Preis.
Aus: Unter Schnee
„Achte auf nichts meinetwegen
Es macht mich nervös, den Körper in einer Decke zu haben. Man kann nicht vor und zurück darin.
Unter der kratzenden Decke hervor sieht das Ende der Terrasse aus wie ein steil abfallender Berghang. Als könnte man sich in das weit geschwungene Tal stürzen, nur den Wind hören und das scharfe Zischen der Laufsohlen auf den verharschten Stellen, wo man sich weit vorlehnen muß, um das Gewicht zu halten.
Für heute haben sie Schneefall in den Nachrichten gemeldet, starken Schneefall, und die Lifte sind geschlossen. Der Himmel ist grau, undurchlässig, aber nicht von diesem diffusen Grau, das Schnee verspricht. Dann müßte sich auch der Geruch der Luft verändern. Die Luft müßte dichter werden oder graupelig, wie Evy dazu sagt. Wenn man dann noch im Wald unterwegs ist, stehen die Bäume unnatürlich still da.
Den Topf mit dem Glühwein haben wir vorsorglich drinnen gelassen. Unter der Felldecke ist es hier draußen auch so heiß genug.
"Und wenn es nun nicht schneit? Es schneit heute bestimmt nicht. Das versaut uns einen ganzen Tag!"
Evy antwortet nicht. Sie ist bis zum Hals verpackt und sieht aus, als würde sie schlafen. Sie hat so was im Gesicht, das sie dazu macht, so auszusehen. Nur die Augen machen das wieder wett, und manchmal ihre Art zu sprechen.
Aber ihr Glas ist zur Hälfte leer. Also schläft sie nicht. Vielleicht denkt sie auch an die versäumten Abfahrten, die Pisten, von denen wir nur die schwarzen nehmen, die direkt ins Tal schießen, ohne Umwege und mit eingebauten Bukkeln. Die Pisten sind lächerlich kurz, selbst die schwarze hat kaum noch Schwierigkeitsgrade, wenn man an Dreitausender gewöhnt ist. Oben muß man sich abstoßen, um überhaupt loszukommen, dann steht man da und wartet, daß was passiert, und bevor es richtig abgeht, ist man schon wieder unten. Evy stört das alles nicht. Sie fährt hierher, seit sie drei ist, und ich wette, sie wird es noch ewig tun.“
Antje Rávic Strubel (Potsdam, 12. April 1974)
froumen - 12. Apr, 12:00