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Dienstag, 14. April 2009

Gabriele Stötzer, Péter Esterházy

Die deutsche Schriftstellerin und Künstlerin Gabriele Stötzer wurde am 14. April 1953 in Emleben, Thüringen, als Gabriele Kachold geboren. Ab 1969 absolvierte sie in Erfurt eine Ausbildung zur Medizinisch-Technischen Assistentin. Anschließend holte sie auf der Abendschule das Abitur nach. 1973 heiratete sie und trug nun den Namen Gabriele Kachold. Sie begann, an der Pädagogischen Hochschule in Erfurt Germanistik und Kunsterziehung zu studieren. Im Sommer 1976 wurde sie wegen einer Petition gegen die Entlassung eines kritischen Kommilitonen von der Hochschule relegiert und zur „Bewährung“ in die Produktion geschickt. Im November 1976 beteiligte mit ihrer Unterschrift am Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns. Bei der Überbringung der Unterschriftenliste von Erfurt nach Berlin wurde sie von der Stasi festgenommen; nach der Untersuchungshaft folgte im Frühjahr 1977 ihre Verurteilung zu einem Jahr Haft wegen „Staatsverleumdung“. Während ihrer Haftzeit im Zuchthaus Hoheneck in Stollberg/Sachsen fasste Gabriele Kachold den Entschluss, zu schreiben. Nach ihrer Entlassung lehnte sie die Ausreise in den Westen ab und musste erneut zur „Bewährung“ in die Produktion. Sie begann mit dem Verfassen von autobiografischen und experimentellen Texten, die den Versuch dokumentieren, eine spezifisch weibliche Ausdrucksweise zu finden. 1979 wurde ihre Ehe geschieden; bis 1992 nannte sie sich Gabriele Stötzer-Kachold. 1980 unternahm sie in Erfurt den Versuch, eine private Kunstgalerie zu betreiben. Nachdem sie sich mit Techniken wie Siebdruck, Fotografie und Weberei befasst hatte, stellte sie dort eigene Werke und solche von Angehörigen ihres Freundeskreises aus der alternativen Szene aus. 1981 wurde die Galerie durch die Stasi geschossen.
Gedruckt erschienen ihre Werke nur in Szene-Publikationen, mit Ausnahme des Bandes Zügel los, der 1989 vom staatlichen Aufbau-Verlag veröffentlicht wurde. 1990 war sie Mitbegründerin des Erfurter Vereins „Kunsthaus“. Ihre Texte konnten nunmehr in regulären Verlagen erscheinen, und auf Reisen im In- und Ausland präsentierte sie die zahlreichen Facetten ihres künstlerischen Schaffens.

Aus: Ich bin die Frau von gestern

“Da war der Mann, der sonst immer zwei Tische entfernt saß. Unbeweglich und still, wie ein sterbender Indianer, aufrecht und der Blick ging ins Endlose. Nie hatte er etwas getan, den Kopf bewegt, die Hände gehoben. Sein Haar war immer akkurat gekämmt und seine Lippen hatten ein tonloses Rot. Der Anzug farblos. Ich hatte den Mann gesehen, fern, unantastbar, und ich hatte sein in die Länge gezogenes Sterben akzeptiert.
Als er so vor mir saß und mich ansah, bemerkte ich eine Neugier in seinen Augen. Er sah gewöhnlicher aus, ich merkte, wie ein Bild zu zerfließen begann. Ich würde ihn nie wieder wie vordem sehen können. Nie mehr ohne Mitleid. Er war älter als ich. Ich stellte es fest und fühlte Triumph. Nur wir beide waren in der Lage, das fest zu stellen, denn die anderen um uns herum waren unsäglich jünger, und die Jugend hat für das Alter keine Jahre. Er wollte mit mir reden. Er war offen, er war allein.
Vor Jahren gab es hier noch Zeitungen, zusammengeknüpft, so dass man sie bequem umblättern konnte. Und es gab noch Heimlichkeiten, die man sich zuflüstern konnte. Man hatte auch manchmal noch Träume, die trugen uns über das Land hinaus. Auch der Kaffee schmeckte noch. Und ich hatte Freunde. In der langen Zeit ist nichts passiert, doch es ist, als hätte ein Krieg alles zerstört. Überall sind jetzt nur noch diese ganz jungen Leute. Auf den Straßen, in den Bussen. Sie haben fremde Worte. Wenn ich ein Wort verstehe, dann meinen sie es gar nicht. Ich weiß nicht, ob das nur in dieser Stadt so ist oder schon im ganzen Land. Die Theater sind aufgelöst, es spielt sich alles auf der Straße ab. Der Zufall ist wichtig. Fällt ihnen einmal ein neues Wort ein, dann verwenden sie es unbeschwert. Sie wollen nicht wissen, was es einmal bedeutet hat. Sie sind frei, brutal, ohne Nostalgie. Die Nutten sind in der Überzahl. Sie tragen das Gleiche ohne die kleinste Variante: Tüllkleider, gold, silbern und schwarz.”






Gabriele Stötzer (Emleben, 14. April 1953)




Der ungarische Schriftsteller und Essayist Péter Esterházy de Galántha wurde am 14. April 1950 in Budapest geboren. Aus einem gräflichen Zweig der Familie Esterházy stammend, einem bedeutenden Geschlecht ungarischer Magnaten, das unter dem kommunistischen Regime enteignet und unterdrückt wurde, schloss er zunächst ein Studium der Mathematik ab, arbeitete 1974-78 als EDV-Spezialist und begann dann zu publizieren. Nach einer Reihe eindrucksvoller und in den Prosatechniken hochversierter Erzählungen und Romane schuf er in seinem Hauptwerk Harmonia Caelestis ein vielgestaltes ungarisches und europäisches Panorama anhand der Geschichte seiner Familie. Nach Erscheinen des Werkes musste er feststellen, dass sein Vater mit dem kommunistischen ungarischen Geheimdienst zusammengearbeitet hatte. Mit dieser Enthüllung, die den Beschreibungen in Harmonia Caelestis nicht hatte zugrunde liegen können, befasst sich das Nachfolgewerk Verbesserte Ausgabe. Esterházy war 1980 Stipendiat des DAAD, 1996/97 Fellow am Wissenschaftskolleg Berlin und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung sowie seit 1998 der Akademie der Künste (Berlin), Sektion Literatur.

Aus: Deutschlandreise im Strafraum (Übersetzt von György Buda)

“Fußball gespielt hat jeder, auch der, der es nicht getan hat, das ist die Conditio sine qua non des Fußballs. Nicht ein jeder ist aber ein Fußballspieler. Ich war einer. Ein Fußballer vierter Klasse. Wenn ich das ausspreche (ansonsten eher fünfter, mal vierter, mal fünfter), lachen die meisten, als hätten sie einen Witz gehört, als nähme ich meine Aussage gleich in selbstironischer Weise zurück, als zöge das Attribut »vierter Klasse« das Substantiv in die Lächerlichkeit, als übte ich Selbstkritik.
O nein. Als sagte ich, wenn ich vierter Klasse sage, ich wäre schlecht gewesen, mies, tolpatschig, ein verirrter Handballer, nicht der Rede wert. Ein Fußballer vierter Klasse indessen ist kein verpatzter Fußballer erster Klasse, er ist kein untalentierter Fußballer zweiter Klasse oder ein undisziplinierter, ein Möchtegern-Fußballer dritter Klasse. Jede Ebene hat ihr eigenes Niveau, das ist ein hierarchisch wohlorganisiertes Ressort, ein guter Spieler vierter Klasse ist ein guter Spieler in der vierten Klasse. – Ich entstamme übrigens einer alten Fußballerfamilie. Wenn wir auch noch nicht unter den Habsburgern gespielt haben (ich stelle mir meinen Großvater, den Ministerpräsidenten,vor, wie er links außen davonzieht, nach einem Doppelpaß mit Kaiser Franz Josef I. über den Kopf Wilhelms II. hinweg, der zu weit herausgelaufen ist, den Ball ins Netz hebt; der verruchte Clemenceau aber entscheidet auf Abseits, er pfeift den ganzen Weltkrieg ab, und sie unterzeichnen die schrecklichen Friedensdiktate von Versailles, St. Germain und Trianon), so hat doch mein Vater schon Fußball gespielt (meine Brüder und ich vermuten fachmännisch und kaum ödipal, er sei katastrophal gewesen),\ sodann spielten alle meiner Brüder, und nicht nur so, spaßeshalber, vor dem Haus oder auf der Wiese (obwohl auch das, jeden Tag, wirklich jeden Tag), sondern richtig, in einer Mannschaft, in einem Verein. Ja, mein jüngster Bruder wurde sogar Profifußballer, zuerst spielte er in der ehemaligen Mannschaft von Ferenc Puskás im Budapester Honvéd, dann verpflichtete er sich nach Griechenland, zum AEK Athen, dann zu Panathinaikos, und in der ungarischen Nationalmannschaft spielte er wohl dreißigmal."







Péter Esterházy (Boedapest, 14. April 1950)

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Zuletzt aktualisiert: 23. Jan, 19:14

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