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Freitag, 17. April 2009

Ida Boy-Ed, David Wagner

Die deutsche Schriftstellerin Ida Boy-Ed wurde am 17. April 1852 in Bergedorf (heute zu Hamburg) geboren als Tochter des Reichstagsabgeordneten, Büchereibesitzers, Journalisten und Herausgebers der „Eisenbahn-Zeitung“ Christoph Marquard Ed und dessen Frau Friederike Amalie Pauline, geb. Seltzam. Im Alter von 17 Jahren heiratete sie 1870 den Kaufmann Karl Johann Boy und wurde Mutter zweier Söhne und einer Tochter, darunter Karl Boy-Ed. Nachdem sie ihren Mann verlassen hatte, zog sie 1878 mit ihrem ältesten Sohn nach Berlin. Dort arbeite sie als Journalistin und schrieb Romane. Zudem unterhielt sie eine rege Korrespondenz mit Künstlern der Zeit. 1880 wurde sie zur Rückkehr zu ihrem Ehemann in Lübeck genötigt, der nicht in die Scheidung einwilligen wollte. Ida Boy-Ed verfasste über 70 Romane und Erzählbände und beeinflusste mit ihrem Lübecker Salon das kulturelle Leben von Lübeck nachhaltig. Sie war 1901 nach Erscheinen der Buddenbrooks eine Förderin des jungen Thomas Mann. Genauso förderte sie nachhaltig den Komponisten und Dirigenten Wilhelm Furtwängler in seiner Lübecker Zeit.

Aus: Lübeck als Geistesform

“Auch bedeutende Worte verklingen im Gedächtnis der Hörer. Willkommen zu heißen ist es also, daß Thomas Manns Vortrag vor diesem Los gesichert und in ein Büchlein eingefangen wurde. Er ward gehalten am 5. Juni 1926 inmitten hochschwingender Jubiläumsstimmung; zwischen Entfaltungen, deren Auswirken Zeit haben muß, das Ereignis, dessen Bedeutung sogleich überzeugte. Vor allem war er von historischem Gewicht durch den sehr merkwürdigen Augenblick, wo diese Bekenntnisse zum freistädtischen Bürgertum gesprochen wurden, während der Boden von den Bemühungen bebte, die eben dies Bürgertum stürzen möchten. Hiervon noch ohne Kenntnis und ganz unpolitisch hatte sich dem Dichter die seelische Nötigung aufgedrängt, von dem zu sprechen, was ihm aus dem Wissen der Geschichte der Hansestadt und ihren einzig möglichen Lebensbedingungen sicher geworden war: von der Würde und dem geistigen Gehalt hansischer Bürgerlichkeit.




Lübeck

Doch die tiefsten Erkenntnisse erwachsen den Schöpferischen immer aus ihren eigenen Werken. Diese psychologische Wahrheit offenbarte sich aus allem, was Thomas Mann von seinen Dichtungen erzählte. Er sprach von dem erst so mühseligen buchhändlerischen Weg der »Buddenbrooks«, der dann in steilem Aufstiege zum Gipfel des Erfolges führte. Er bekannte, in welcher künstlerischen Unschuld er dem eigenen Werk gegenüberstand, seines kulturgeschichtlichen Wertes sich noch nicht bewußt. Er bekannte, daß er von Täuschung über sich selbst befangen war: künstlerisch, indem er seine Begabung auf die Form der knappen Erzählung gerichtet hielt; intellektuell, da er seine Verbundenheit mit der Heimat noch nicht in sich erspürte.“





Ida Boy-Ed (17. April 1852 – 13. Mei 1928)




Der deutsche Schriftsteller David Wagner wurde am 17. April 1971 in Andenach geboren. Er wuchs im Rheinland auf und studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Bonn, Paris und Berlin. Er hielt sich längere Zeit in Rom, Barcelona und Mexiko-Stadt auf. Von 1999 bis 2001 schrieb er Feuilletons für die Berliner Seiten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 2002 und 2003 eine Kolumne für Die Zeit. David Wagner wurde bekannt durch seinen Debütroman, in dem er eine Kindheit im Rheinland der siebziger und achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts schildert. Es folgten ein Band mit Kurzgeschichten und feuilletonistische Beiträge über das Leben im Berlin der Gegenwart. David Wagner erhielt u.a. 1998 das Alfred-Döblin-Stipendium, 1999 den Walter-Serner-Preis, 2000 den Dedalus-Preis für Neue Literatur, 2001 den Georg-K.-Glaser-Preis sowie den Kolik-Literaturpreis.

Aus: Was alles fehlt

„Sie hat sich letztes Jahr umgebracht", sagt meine Cousine, "sie hat Schlaftabletten aus der Apotheke ihres Vaters genommen, hat Wasser getrunken und sich in den Schlafzimmerschrank ihrer Eltern gesetzt", meine linke Hand legt sich auf die Bremse zwischen den Sitzen, die rechte faßt den Griff in der Beifahrertür. Und ich denke, ich werde Hanna aus meinem Adreßbuch streichen müssen. Das erste, was ich verdammt noch mal denke, ist, daß ich ein kleines Kreuz hinter ihren Namen malen muß, "sie hat sich letztes Jahr im Frühsommer umgebracht", sagt meine Cousine, "sie hat Tabletten aus der Apotheke ihres Vaters geschluckt, hat Wasser getrunken und sich in den großen Kleiderschrank ihrer Eltern gesetzt", und mir fällt ein, daß Hanna sich selbst in mein Adreßbuch eingetragen, ihren Namen und ihre Wiener Anschrift in breiter Kinderhandschrift aufgeschrieben hat, "sie ist unter den Röcken und Kleidern ihrer Mutter, nicht weit von den Anzügen ihres Vaters, gestorben", sagt meine Cousine, der Wagen wiegt und schaukelt, wir rollen über eine Landstraße, und was meine Cousine sagt, kommt ohne Gewicht, sie schaltet einen Gang höher und vor der nächsten Kurve wieder zurück, der Motor jault, das Auto schiebt sich nach links und rechts durch die Kurven, und hin und wieder spritzt Rollsplitt vom Straßenrand gegen den Unterboden, die Steinchen stechen in den Autobauch. Hanna ist unter den Kleidern ihrer Mutter, nicht weit von den Anzügen ihres Vaters, gestorben, wiederhole ich mir und erinnere mich an den Tag, an dem ich sie das erste Mal sah: Wir fuhren zu dritt auf zwei Motorrollern über die Grenze nach Tschechien, Tschechei, wie meine Großmutter noch immer sagt, Grenze sei ein slawisches Lehnwort, eines der wenigen, die es im Deutschen gebe, sagte meine Cousine und erzählte von dem Volksschullehrer, der immer davor gewarnt habe, dieser Grenze zu nahe zu kommen, er habe gesagt, wer der Grenze zu nahe kommt, wird von den Russen mitgenommen und nach Sibirien verschleppt, meinte Hanna, da saß ich hinter ihr auf dem Roller, eine Hand lag auf ihrer Schulter, und die Finger der anderen spielten mit den kurzen, dunklen Haaren in ihrem Nacken."







David Wagner (Andernach, 17. April 1971)

Donnerstag, 16. April 2009

Sarah Kirsch, Sibylle Lewitscharoff

Die deutsche Lyrikerin und Schriftstellerin Sarah Kirsch wurde am 16. April 1935 geboren in Limlingerode. Sie studierte Biologie in Halle an der Saale und Literatur in Leipzig. Danach arbeitete sie als freie Schriftstellerin, von 1968 an in Ost-Berlin, ab 1977 im Westen der Stadt. 1983 zog sie in das Zwergschulhaus hinter dem Eiderdeich im schleswig-holsteinischen Tielenhemme. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Georg-Büchner-Preis (1996).



Die Nacht streckt ihre Finger aus

Die Nacht streckt ihre Finger aus
Sie findet mich in meinem Haus
Sie setzt sich unter meinen Tisch
Sie kriecht wird gross sie windet sich

Und der Rauch schwimmt durch den Raum
Wächst zu einem schönen Baum
Den ich leicht zerstören kann
Ich rauche einen neuen, dann

Zähl ich alle meine lieben
Freunde an den Fingern ab
Es sind zu viele Finger, die ich hab
Zu wenig Freunde sind geblieben

Streckt die Nacht die Finger aus
Findet sie mich in meinem Haus
Rauch schwimmt durch den leeren Raum
Wächst zu einem Baum

Der war vollbelaubt mit Worten
Worten die alsbald verdorrten
Schiffchen schwimmen durch die Zweige
Die ich heut nicht mehr besteige





Keiner hat mich verlassen

Keiner hat mich verlassen
Keiner ein Haus mir gezeigt
Keiner einen Stein aufgehoben
Erschlagen wollte mich keiner
Alle reden mir zu




Elegie

Ich bin der schöne Vogel Phönix
Schüttle mich am Morgen, sage
Pfeif drauf! bekomme sie, meine Seele
Gänseblümchenweiss
Ich bin
Der schöne Vogel Phönix
Aber durch das
Flieg ich nicht wieder








Sarah Kirsch (Limlingerode, 16. April 1935)




Die deutsche Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff wurde am 16. April 1954 in Stuttgart geboren. Sibylle Lewitscharoff stammt von einem bulgarischen Vater und einer deutschen Mutter ab. Sie wuchs in Stuttgart auf, wo sie 1972 ihr Abitur machte. Anschließend studierte sie Religionswissenschaft an der Freien Universität Berlin und erlangte den Grad eines Magisters. Während ihres Studiums hielt sie sich für jeweils ein Jahr in Buenos Aires und Paris auf. Seit ihrem Studienabschluss arbeitet Lewitscharoff als Buchhalterin in einer Berliner Werbeagentur. Ihre schriftstellerische Tätigkeit begann sie mit dem Verfassen von Radio-Features und Hörspielen.
Den Durchbruch als Autorin erlebte Lewitscharoff 1998, als sie für ihren Roman Pong den Ingeborg-Bachmann-Preis gewann. 2006 wurde sie mit dem Kranichsteiner Literaturpreis ausgezeichnet, 2007 mit dem Preis der Literaturhäuser, 2008 mit dem Marie-Luise-Kaschnitz-Preis und 2009 für ihren Roman Apostoloff mit dem Preis der Leipziger Buchmesse.

Aus: Consummatus

“Wie fein die Toten hören! Zu einem Riesenohr vereinigt, segeln ihre Ohren am Himmel und überspannen ihn zu weiten Teilen. Was sich von Zungen löst, was sich in Hirnen formt, erzählte Worte, geträumte Worte, Worte ohne Klang, sie alle werden vom
Großen Totenohr erlauscht. Es wedelt, es fächelt, es zuckt wie ein Elefantenohr im Takt zu den Lügen, Beschwörungen, Gebeten, den Sirenengesängen, Notschreien, Märchen in den Babelsprachen der Erde, es hört die Tierlaute und den Krach der Maschinen, hört das Uuuijujuio der Gibbons so präzis wie das Huuijui der Kleinen Hufnase, hört das Schwappen der Meere und die dunkle Verzweiflung der Callas. Hört selbst Fehlwörter und schlampig gesprochene Silben, Wörter, die so huschig erscheinen und wieder verschwinden, daß nicht einmal wer sie geboren hat imstande ist, sie zu verstehen.
Es war einmal. Wann immer dieser Satzstummelvernommen wird, rinnt ein freudiger Schauder über das Totenohr. Es war einmal sind seine liebsten Worte. Es waren einmal ein Mann und eine Frau. Ein unauffälliger Mann und eine Frau, die alle Blicke auf sich zog, früher heiße, später nur mehr neugierige. Daß sich so ein Mann und diese Frau treffen mußten, um neun Monate lang durch Europa zu kreuzen, ist einer jener seltenen Würfe, die das Leben manchmal in einem geschlossenen Becher ausbringt. Der Mann bin ich.”







Sibylle Lewitscharoff (Stuttgart, 16. April 1954)

Mittwoch, 15. April 2009

Henry James, Beate Morgenstern

Der amerikanischer Schriftsteller Henry James wurde am 15. April 1843 in New York geboren. Sein Vater, Henry James Sr., war einer der angesehensten Intellektuellen, zu dessen Freunden und Bekannten Thoreau, Emerson und Hawthorne zählten. Von früher Jugend an wurde James mit den Klassikern britischer, amerikanischer, französischer und deutscher Literatur vertraut gemacht. In seiner Jugend bereiste Henry Jr. Europa und studierte in New York, London, Paris, Bologna, Bonn und Genf. Im Alter von 19 Jahren begann er ein Studium der Rechtswissenschaften an der Harvard Law School, stellte aber bald fest, dass ihm die Literatur näher lag. Bereits als 20-Jähriger begann James, Beiträge für amerikanische Zeitschriften zu verfassen. Im Alter von 21 Jahren veröffentlichte er seine erste Kurzgeschichte A Tragedy of Errors. 1866 bis 1869 und 1871 bis 1872 war er Mitarbeiter des Magazins The Atlantic Monthly und der Zeitung Nation. Nachdem er eine Zeit lang in Paris gelebt hatte und von dort aus diverse Artikel für den New Yorker Tribune verfasst hatte, wurde er schließlich 1875 in England sesshaft und 1915 britischer Staatsbürger. Dort schrieb er unter anderem für The Yellow Book. In den Jahren 1913 bis 1914 erschienen die ersten beiden Bände seiner Autobiographie, A small boy and others sowie Notes Of A Son And Brother. Der dritte Band erschien postum 1917.
Der Schock des beginnenden Ersten Weltkrieges veranlasste James dazu, britischer Staatsbürger zu werden, unter anderem, um damit gegen die Nichteinmischungspolitik der USA zu protestieren.

Aus: The Portrait of a Lady

“Under certain circumstances there are few hours in life more agreeable than the hour dedicated to the ceremony known as afternoon tea. There are circumstances in which, whether you partake of the tea or not--some people of course never do--the situation is in itself delightful. Those that I have in mind in beginning to unfold this simple history offered an admirable setting to an innocent pastime. The implements of the little feast had been disposed upon the lawn of an old English country-house, in what I should call the perfect middle of a splendid summer afternoon. Part of the afternoon had waned, but much of it was left, and what was left was of the finest and rarest quality. Real dusk would not arrive for many hours; but the flood of summer light had begun to ebb, the air had grown mellow, the shadows were long upon the smooth, dense turf. They lengthened slowly, however, and the scene expressed that sense of leisure still to come which is perhaps the chief source of one's enjoyment of such a scene at such an hour. From five o'clock to eight is on certain occasions a little eternity; but on such an occasion as this the interval could be only an eternity of pleasure. The persons concerned in it were taking their pleasure quietly, and they were not of the sex which is supposed (2) to furnish the regular votaries of the ceremony I have mentioned. The shadows on the perfect lawn were straight and angular; they were the shadows of an old man sitting in a deep wicker-chair near the low table on which the tea had been served, and of two younger men strolling to and fro, in desultory talk, in front of him. The old man had his cup in his hand; it was an unusually large cup, of a different pattern from the rest of the set and painted in brilliant colours. He disposed of its contents with much circumspection, holding it for a long time close to his chin, with his face turned to the house. His companions had either finished their tea or were indifferent to their privilege; they smoked cigarettes as they continued to stroll. One of them, from time to time, as he passed, looked with a certain attention at the elder man, who, unconscious of observation, rested his eyes upon the rich red front of his dwelling. The house that rose beyond the lawn was a structure to repay such consideration and was the most characteristic object in the peculiarly English picture I have attempted to sketch.”







Henry James (15. April 1843 – 28. Februar 1916)
Porträt von John Singer Sargent





Die deutsche Schriftstellerin Beate Morgenstern wurde am 15. April 1946 in Cuxhaven geboren. Beate Morgenstern entstammt einer pietistischen Familie und wuchs in Herrnhut/Oberlausitz und in Halle (Saale) auf. Ihr Studium der Germanistik und Kunsterziehung an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin schloss sie mit dem Staatsexamen ab. Anschließend arbeitete sie als Buchhändlerin und von 1970 bis 1978 als Bildredakteurin bei der DDR-Nachrichtenagentur ADN. Nach einem Volontariat in der Kulturabteilung eines Berliner Großbetriebs ist sie seit 1978 freie Schriftstellerin. Sie ist Verfasserin von Romanen, Erzählungen und Theaterstücken.

Aus: Der Gewaltige Herr Natasjan. Eine Burleske

„Sieben Jahre sind vergangen, seit mich Walja Kunze im Sommer 2001 aufsuchte und mir tage- und nächtelang ihre Geschichte erzählte und ich mir auf ihren ausdrücklichen Wunsch alles notierte. Ihr selbst, die das Schreiben als Beruf hatte wie ich, war es verwehrt, sich auf diesem Wege von ihrer Vergangenheit zu lösen. Oft habe sie versucht, aufzuschreiben, was ihr seit dem abendlichen Gang zum Club der Kulturschaffenden in Ostberlin im Juni 1989 widerfahren sei, sagte sie mir. Doch jedes Mal habe sie ihre Erinnerung so heftig überfallen, dass sie meinte, sich immer noch im Kreis der zwölf Kollegen im CdK zu befinden. Keine Hand habe sie rühren können, sobald sie dachte, ihre Erlebnisse niederzuschreiben, sagte sie. Dass Walja nach elf Jahren aus den Staaten nach Deutschland zurückkehrte, diente offenbar einzig und allein dem Zweck, ihre Geschichte loszuwerden. Wir jüngeren Autoren im Verband kannten uns alle irgendwie, wie überhaupt die Nemezen, ob turingischen, sächsischen, brandenburgischen oder mekelnburgischen Stammes. Warum Walja mich ausgesucht hatte, war mir zunächst nicht deutlich, da ich in Zeiten der SRR Nemezien jede ihrer Annäherungen unfreundlich und sehr bestimmt abgewehrt hatte. Die Antwort hat mit ihrer Geschichte zu tun, weshalb ich sie nicht vorwegnehmen möchte. Walja wirkte sehr gehetzt, angespannt.
Ihr eigentlich rundes Gesicht noch abgezehrter als in jungen Jahren, sodass ich annahm, sie ernähre sich ausschließlich von Äpfeln und Brokkolis, womit ich nicht ganz falsch lag.
Walja hat mir aufgetragen, erst dann ihren von mir verfassten Bericht der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wenn ich nach Jahren immer noch keine neue Nachricht von ihr habe. Nach wie vielen Jahren genau? fragte ich nach, um ja keinen Fehler zu begehen. Sieben, sagte sie. Sieben ist eine schöne Zahl. Das fand ich auch.”







Beate Morgenstern (Cuxhaven, 15. April 1946)

Dienstag, 14. April 2009

Gabriele Stötzer, Péter Esterházy

Die deutsche Schriftstellerin und Künstlerin Gabriele Stötzer wurde am 14. April 1953 in Emleben, Thüringen, als Gabriele Kachold geboren. Ab 1969 absolvierte sie in Erfurt eine Ausbildung zur Medizinisch-Technischen Assistentin. Anschließend holte sie auf der Abendschule das Abitur nach. 1973 heiratete sie und trug nun den Namen Gabriele Kachold. Sie begann, an der Pädagogischen Hochschule in Erfurt Germanistik und Kunsterziehung zu studieren. Im Sommer 1976 wurde sie wegen einer Petition gegen die Entlassung eines kritischen Kommilitonen von der Hochschule relegiert und zur „Bewährung“ in die Produktion geschickt. Im November 1976 beteiligte mit ihrer Unterschrift am Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns. Bei der Überbringung der Unterschriftenliste von Erfurt nach Berlin wurde sie von der Stasi festgenommen; nach der Untersuchungshaft folgte im Frühjahr 1977 ihre Verurteilung zu einem Jahr Haft wegen „Staatsverleumdung“. Während ihrer Haftzeit im Zuchthaus Hoheneck in Stollberg/Sachsen fasste Gabriele Kachold den Entschluss, zu schreiben. Nach ihrer Entlassung lehnte sie die Ausreise in den Westen ab und musste erneut zur „Bewährung“ in die Produktion. Sie begann mit dem Verfassen von autobiografischen und experimentellen Texten, die den Versuch dokumentieren, eine spezifisch weibliche Ausdrucksweise zu finden. 1979 wurde ihre Ehe geschieden; bis 1992 nannte sie sich Gabriele Stötzer-Kachold. 1980 unternahm sie in Erfurt den Versuch, eine private Kunstgalerie zu betreiben. Nachdem sie sich mit Techniken wie Siebdruck, Fotografie und Weberei befasst hatte, stellte sie dort eigene Werke und solche von Angehörigen ihres Freundeskreises aus der alternativen Szene aus. 1981 wurde die Galerie durch die Stasi geschossen.
Gedruckt erschienen ihre Werke nur in Szene-Publikationen, mit Ausnahme des Bandes Zügel los, der 1989 vom staatlichen Aufbau-Verlag veröffentlicht wurde. 1990 war sie Mitbegründerin des Erfurter Vereins „Kunsthaus“. Ihre Texte konnten nunmehr in regulären Verlagen erscheinen, und auf Reisen im In- und Ausland präsentierte sie die zahlreichen Facetten ihres künstlerischen Schaffens.

Aus: Ich bin die Frau von gestern

“Da war der Mann, der sonst immer zwei Tische entfernt saß. Unbeweglich und still, wie ein sterbender Indianer, aufrecht und der Blick ging ins Endlose. Nie hatte er etwas getan, den Kopf bewegt, die Hände gehoben. Sein Haar war immer akkurat gekämmt und seine Lippen hatten ein tonloses Rot. Der Anzug farblos. Ich hatte den Mann gesehen, fern, unantastbar, und ich hatte sein in die Länge gezogenes Sterben akzeptiert.
Als er so vor mir saß und mich ansah, bemerkte ich eine Neugier in seinen Augen. Er sah gewöhnlicher aus, ich merkte, wie ein Bild zu zerfließen begann. Ich würde ihn nie wieder wie vordem sehen können. Nie mehr ohne Mitleid. Er war älter als ich. Ich stellte es fest und fühlte Triumph. Nur wir beide waren in der Lage, das fest zu stellen, denn die anderen um uns herum waren unsäglich jünger, und die Jugend hat für das Alter keine Jahre. Er wollte mit mir reden. Er war offen, er war allein.
Vor Jahren gab es hier noch Zeitungen, zusammengeknüpft, so dass man sie bequem umblättern konnte. Und es gab noch Heimlichkeiten, die man sich zuflüstern konnte. Man hatte auch manchmal noch Träume, die trugen uns über das Land hinaus. Auch der Kaffee schmeckte noch. Und ich hatte Freunde. In der langen Zeit ist nichts passiert, doch es ist, als hätte ein Krieg alles zerstört. Überall sind jetzt nur noch diese ganz jungen Leute. Auf den Straßen, in den Bussen. Sie haben fremde Worte. Wenn ich ein Wort verstehe, dann meinen sie es gar nicht. Ich weiß nicht, ob das nur in dieser Stadt so ist oder schon im ganzen Land. Die Theater sind aufgelöst, es spielt sich alles auf der Straße ab. Der Zufall ist wichtig. Fällt ihnen einmal ein neues Wort ein, dann verwenden sie es unbeschwert. Sie wollen nicht wissen, was es einmal bedeutet hat. Sie sind frei, brutal, ohne Nostalgie. Die Nutten sind in der Überzahl. Sie tragen das Gleiche ohne die kleinste Variante: Tüllkleider, gold, silbern und schwarz.”






Gabriele Stötzer (Emleben, 14. April 1953)




Der ungarische Schriftsteller und Essayist Péter Esterházy de Galántha wurde am 14. April 1950 in Budapest geboren. Aus einem gräflichen Zweig der Familie Esterházy stammend, einem bedeutenden Geschlecht ungarischer Magnaten, das unter dem kommunistischen Regime enteignet und unterdrückt wurde, schloss er zunächst ein Studium der Mathematik ab, arbeitete 1974-78 als EDV-Spezialist und begann dann zu publizieren. Nach einer Reihe eindrucksvoller und in den Prosatechniken hochversierter Erzählungen und Romane schuf er in seinem Hauptwerk Harmonia Caelestis ein vielgestaltes ungarisches und europäisches Panorama anhand der Geschichte seiner Familie. Nach Erscheinen des Werkes musste er feststellen, dass sein Vater mit dem kommunistischen ungarischen Geheimdienst zusammengearbeitet hatte. Mit dieser Enthüllung, die den Beschreibungen in Harmonia Caelestis nicht hatte zugrunde liegen können, befasst sich das Nachfolgewerk Verbesserte Ausgabe. Esterházy war 1980 Stipendiat des DAAD, 1996/97 Fellow am Wissenschaftskolleg Berlin und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung sowie seit 1998 der Akademie der Künste (Berlin), Sektion Literatur.

Aus: Deutschlandreise im Strafraum (Übersetzt von György Buda)

“Fußball gespielt hat jeder, auch der, der es nicht getan hat, das ist die Conditio sine qua non des Fußballs. Nicht ein jeder ist aber ein Fußballspieler. Ich war einer. Ein Fußballer vierter Klasse. Wenn ich das ausspreche (ansonsten eher fünfter, mal vierter, mal fünfter), lachen die meisten, als hätten sie einen Witz gehört, als nähme ich meine Aussage gleich in selbstironischer Weise zurück, als zöge das Attribut »vierter Klasse« das Substantiv in die Lächerlichkeit, als übte ich Selbstkritik.
O nein. Als sagte ich, wenn ich vierter Klasse sage, ich wäre schlecht gewesen, mies, tolpatschig, ein verirrter Handballer, nicht der Rede wert. Ein Fußballer vierter Klasse indessen ist kein verpatzter Fußballer erster Klasse, er ist kein untalentierter Fußballer zweiter Klasse oder ein undisziplinierter, ein Möchtegern-Fußballer dritter Klasse. Jede Ebene hat ihr eigenes Niveau, das ist ein hierarchisch wohlorganisiertes Ressort, ein guter Spieler vierter Klasse ist ein guter Spieler in der vierten Klasse. – Ich entstamme übrigens einer alten Fußballerfamilie. Wenn wir auch noch nicht unter den Habsburgern gespielt haben (ich stelle mir meinen Großvater, den Ministerpräsidenten,vor, wie er links außen davonzieht, nach einem Doppelpaß mit Kaiser Franz Josef I. über den Kopf Wilhelms II. hinweg, der zu weit herausgelaufen ist, den Ball ins Netz hebt; der verruchte Clemenceau aber entscheidet auf Abseits, er pfeift den ganzen Weltkrieg ab, und sie unterzeichnen die schrecklichen Friedensdiktate von Versailles, St. Germain und Trianon), so hat doch mein Vater schon Fußball gespielt (meine Brüder und ich vermuten fachmännisch und kaum ödipal, er sei katastrophal gewesen),\ sodann spielten alle meiner Brüder, und nicht nur so, spaßeshalber, vor dem Haus oder auf der Wiese (obwohl auch das, jeden Tag, wirklich jeden Tag), sondern richtig, in einer Mannschaft, in einem Verein. Ja, mein jüngster Bruder wurde sogar Profifußballer, zuerst spielte er in der ehemaligen Mannschaft von Ferenc Puskás im Budapester Honvéd, dann verpflichtete er sich nach Griechenland, zum AEK Athen, dann zu Panathinaikos, und in der ungarischen Nationalmannschaft spielte er wohl dreißigmal."







Péter Esterházy (Boedapest, 14. April 1950)

Montag, 13. April 2009

Ferdinand von Saar, Seamus Heaney

Frohe Ostern!





Die Auferstehung Jesu, Rembrandt (detail)
1635/39, Alte Pinakothek, München





Fröhliche Ostern

Ja, der Winter ging zur Neige,
holder Frühling kommt herbei,
Lieblich schwanken Birkenzweige,
und es glänzt das rote Ei.
Schimmernd wehn die Kirchenfahnen
bei der Glocken Feierklang,
und auf oft betretnen Bahnen
nimmt der Umzug seinen Gang.

Nach dem dumpfen Grabchorale
tönt das Auferstehungslied,
und empor im Himmelsstrahle schwebt er,
der am Kreuz verschied.

So zum schönsten der Symbole
wird das frohe Osterfest,
daß der Mensch sich Glauben hole,
wenn ihn Mut und Kraft verläßt.

Jedes Herz, das Leid getroffen,
fühlt von Anfang sich durchweht,
daß sein Sehnen und sein Hoffen
immer wieder aufersteht.








Ferdinand von Saar (30. September 1833 – 24. Juli 1906)





Der irische Lyriker und Schriftsteller Seamus Justin Heaney wurde am 13. April 1939 nahe Castledawson, Derry, Nordirland, geboren. 1995 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde. In seinen Werken befasst er sich oft mit seinem Heimatland, mit der Geschichte Irlands, zum Teil auch mit alten irischen Sagen. Heaney wuchs als ältestes von neun Kindern eines katholischen Bauern auf und erhielt Stipendien für das St. Columb's College in Londonderry und die Queen's University in Belfast. Seit 1966 arbeitete Heaney zunächst als Dozent an der Queen’s University, ab 1975 in Dublin. In seinem 1975 erschienenen Gedichtband North beschäftigt er sich mit dem Nordirlandkonflikt. Seine ersten Gedichte erschienen in Londoner und Belfaster Zeitschriften, während Heaney zeitweilig als Englischlehrer an der St. Thomas Secondary School in Belfast und am St. Joseph College arbeitete. Seine frühen Bände, Death of a Naturalist (London 1966) und Door into the Dark (London 1969) begründeten seinen Ruf als bedeutenden zeitgenössischen Dichter. Nach einer Gastdozentur an der University of California in Berkeley siedelte er in die Republik Irland über und hatte dort neben der freiberuflichen Tätigkeit einen Lehrauftrag am College.


From The Frontier Of Writing

The tightness and the nilness round that space
when the car stops in the road, the troops inspect
its make and number and, as one bends his face

towards your window, you catch sight of more
on a hill beyond, eyeing with intent
down cradled guns that hold you under cover

and everything is pure interrogation
until a rifle motions and you move
with guarded unconcerned acceleration—

a little emptier, a little spent
as always by that quiver in the self,
subjugated, yes, and obedient.

So you drive on to the frontier of writing
where it happens again. The guns on tripods;
the sergeant with his on-off mike repeating

data about you, waiting for the squawk
of clearance; the marksman training down
out of the sun upon you like a hawk.

And suddenly you're through, arraigned yet freed,
as if you'd passed from behind a waterfall
on the black current of a tarmac road

past armor-plated vehicles, out between
the posted soldiers flowing and receding
like tree shadows into the polished windscreen.




Song

A rowan like a lipsticked girl.
Between the by-road and the main road
Alder trees at a wet and dripping distance
Stand off among the rushes.

There are the mud-flowers of dialect
And the immortelles of perfect pitch
And that moment when the bird sings very close
To the music of what happens.







Seamus Heaney (County Derry, 13. April 1939)

Sonntag, 12. April 2009

Theodor Storm, Antje Rávic Strubel

Frohe Ostern!





Piero della Francesca: Auferstehung Christi, 1463 - 65,
Fresko und Tempera, in der Pinacoteca Comunale in Sansepolcro.



Ostern

Es war daheim auf unserm Meeresdeich;
ich ließ den Blick am Horizonte gleiten,
zu mir herüber scholl verheißungsreich
mit vollem Klang das Osterglockenläuten.

Wie brennend Silber funkelte das Meer,
die Inseln schwammen auf dem hohen Spiegel,
die Möwen schossen blendend hin und her,
eintauchend in die Flut der weißen Flügel.

Im tiefen Kooge bis zum Deichesrand
war sammetgrün die Wiese aufgegangen;
der Frühling zog prophetisch über Land,
die Lerchen jauchzen, und die Knospen sprangen.

Enfesselt ist die urgewalt'ge Kraft,
die Erde quillt, die jungen Säfte tropfen,
und alles treibt, und alles webt und schafft,
des Lebens vollste Pulse hör ich klopfen.








Theodor Storm (14. September 1817 - 4. Juli 1888)







Die deutsche Schriftstellerin Antje Rávic Strubel wurde am 12. April 1974 in Potsdam geboren. Antje Rávic Strubel machte nach dem Abitur zunächst eine Ausbildung zur Buchhändlerin und studierte danach in Potsdam und in New York Literaturwissenschaften, Psychologie und Amerikanistik. In New York arbeitete sie nebenbei als Beleuchterin an einem Off-Theater. Bekannt wurde sie 2001, als sie bei den Klagenfurter Literaturtagen den Ernst-Willner-Preis erhielt. 2003 wurde sie mit dem Roswitha-Preis und dem Deutschen Kritikerpreis ausgezeichnet. Ihr Roman Tupolew 134 stieß auf begeisterte Kritiken. 2005 setzte sie sich mit Tupolew 134 im Live-Endausscheid des neugestalteten Marburger Literaturpreises als Siegerin durch und gewann den Förderpreis des Bremer Literaturpreises. Der 2007 herausgekommene Roman Kältere Schichten der Luft handelt von einem Aufenthalt von Menschen um die 30 in Schweden, wo sie mit ungelebtem Leben und den Tücken des Glücks konfrontiert werden. Für diesen Roman erhielt sie 2007 den Hermann-Hesse-Preis und den Rheingau Literatur Preis.

Aus: Unter Schnee

„Achte auf nichts meinetwegen
Es macht mich nervös, den Körper in einer Decke zu haben. Man kann nicht vor und zurück darin.
Unter der kratzenden Decke hervor sieht das Ende der Terrasse aus wie ein steil abfallender Berghang. Als könnte man sich in das weit geschwungene Tal stürzen, nur den Wind hören und das scharfe Zischen der Laufsohlen auf den verharschten Stellen, wo man sich weit vorlehnen muß, um das Gewicht zu halten.
Für heute haben sie Schneefall in den Nachrichten gemeldet, starken Schneefall, und die Lifte sind geschlossen. Der Himmel ist grau, undurchlässig, aber nicht von diesem diffusen Grau, das Schnee verspricht. Dann müßte sich auch der Geruch der Luft verändern. Die Luft müßte dichter werden oder graupelig, wie Evy dazu sagt. Wenn man dann noch im Wald unterwegs ist, stehen die Bäume unnatürlich still da.
Den Topf mit dem Glühwein haben wir vorsorglich drinnen gelassen. Unter der Felldecke ist es hier draußen auch so heiß genug.
"Und wenn es nun nicht schneit? Es schneit heute bestimmt nicht. Das versaut uns einen ganzen Tag!"
Evy antwortet nicht. Sie ist bis zum Hals verpackt und sieht aus, als würde sie schlafen. Sie hat so was im Gesicht, das sie dazu macht, so auszusehen. Nur die Augen machen das wieder wett, und manchmal ihre Art zu sprechen.
Aber ihr Glas ist zur Hälfte leer. Also schläft sie nicht. Vielleicht denkt sie auch an die versäumten Abfahrten, die Pisten, von denen wir nur die schwarzen nehmen, die direkt ins Tal schießen, ohne Umwege und mit eingebauten Bukkeln. Die Pisten sind lächerlich kurz, selbst die schwarze hat kaum noch Schwierigkeitsgrade, wenn man an Dreitausender gewöhnt ist. Oben muß man sich abstoßen, um überhaupt loszukommen, dann steht man da und wartet, daß was passiert, und bevor es richtig abgeht, ist man schon wieder unten. Evy stört das alles nicht. Sie fährt hierher, seit sie drei ist, und ich wette, sie wird es noch ewig tun.“







Antje Rávic Strubel (Potsdam, 12. April 1974)

Samstag, 11. April 2009

Barbara Köhler, Hartmut Barth-Engelbart

Die deutsche Lyrikerin Barbara Köhler wurde am 11. April 1959 in Burgstädt geboren. Barbara Köhler wuchs im sächsischen Penig auf und besuchte in Plauen die Oberschule, an der sie auch ihr Abitur ablegte. Danach ließ sie sich zur Facharbeiterin für textile Flächenherstellung ausbilden, arbeitete dann aber in Karl-Marx-Stadt als Altenpflegerin und als Beleuchterin am städtischen Theater.
Zwischen 1985 und 1988 absolvierte sie ein Literaturstudium am Literaturinstitut Johannes R. Becher. Zu dieser Zeit lebte sie auf dem Kaßberg. Erste Werke Köhlers erschienen in Zeitschriften, zwei Jahre war sie anschließend am Bezirksliteraturzentrum Karl-Marx-Stadt wissenschaftlich aktiv. Nach der Wiedervereinigung wurde Köhler arbeitslos und versuchte sich deshalb als freie Autorin. Sie veröffentlichte 1991 ihren ersten Gedichtband Deutsches Roulette, schrieb für diverse Zeitungen und verfasste Essays sowie Katalogbeiträge zur bildenden Kunst. Seit 1994 lebt Barbara Köhler in Duisburg.



Ingeborg Bachmann stirbt in Rom

Ein Tod kommt
vor dem andern.
Aten und Rauch.
Und Rauch der Atem löscht.
Und Schweigen.

Manchmal ist aber eine Zigarette
der letzte Halt. Und hält
was sie verspricht auch schneller.
Zwischen vergilbten Fingern
brennts wie Liebe wird Asche
wie Verrat. Atem und Rauch.

Die Schurfinger gekrümmt
um die Zigarette: um
nicht abzuschwören.
Giordano brennt auf dem Campo di Fiori.
Die Glocken von Santa Maria Maggiore
gellen noch immer zum Autodafé.

Atem und Rauch.
Und Rauch der Atem löscht.
Und mit verbrannter Hand
über das Feuer schreiben.
Und die Grenzen der deutschen Sprache
sind mit mörderischen Zufällen vermint.
Ein Tod kommt dem andern zuvor.








Barbara Köhler (Burgstädt, 11. April 1959)




Der deutsche Schriftsteller, Lyriker, Musiker, Liedermacher, Sänger und Grafiker Hartmut Barth-Engelbart wurde am 11. April 1947 in Michelstadt geboren. Nach beendeter Schullaufbahn folgten die Tätigkeiten Reserveoffiziersanwärter, Ausbilder und Kriegsdienstverweigerer bei der Bundeswehr, Zivildienst, Schriftsetzerlehre, Studium der Psychologie, Pädagogik, Soziologie, Germanistik, Geschichte und eine Ausbildung zum Grundschullehrer. Zwischen 1967 bis 1991 arbeitete Barth-Engelbart in 36 verschiedenen Berufen vom Bauarbeiter bis zum Werbegrafiker und -texter.
1968 nach Beginn einer Schriftsetzerlehre bei der Frankfurter Rundschau wurde Barth-Engelbart bei einer Demonstration gegen den Vietnamkrieg von einem Polizisten vom Dach des US-Handelszentrums in Frankfurt gestoßen und ist seitdem schwer behindert. 1979 trat er aus dem Kommunistischen Bund Westdeutschland aus, dessen Mitglied er seit 1974 war. Zusammen mit dem Komponisten und Saxophonisten des ensemble modern, Wolfgang Stryi, veranstaltet Barth-Engelbart von 1990 bis zum Tod Stryis im Februar 2005 über 150 politische, sogenannte „Interventions-Konzert-Lesungen“.

Aus: Lakonisches Lächeln

„Mitzou hatte fest versprochen, mir die Stelle zu zeigen, wo ich die rote Lehmerde finden kann. Das war vorgestern, nachmittags zwischen den giftsüßen Geleehappen aus Oma Marias fliegengittergeschütztem Vorratsschrank und zwei fingerhutgroßen Tässchen Kaffee ‘helenico’. Während mir Maria das obligatorische Glas mit Wasser aus der oberen Dorfquelle hinstellte, fragte ich noch einmal nach. „Wann wollen wir gehen?“
Nur er kannte den Platz in dem langgezogenen, schroffen Tal, das sich über fünf Kilometer von den kahlgefressenen, ausgewaschenen und abgebrannten steilen Hängen des Kourkoula am Oberdorf vorbei bis in die Ebene ins Unterdorf schlängelte. Schlängeln war schon richtig, es schlängelte im Tal. Rudolph hätte mich jetzt wieder schulmeisternd korrigiert: natürlich war das kein Tal, sondern geologisch präzise ausgedrückt eine Runze, relativ frisch ausgewaschen mit scharfen Kanten und bröseligen Überhängen, unter denen Ziegen und Schafe im Sommer letzte Schatten und letztes Grün suchten. Ich wollte mich dort nicht alleine auf die Suche machen, obwohl ich es eigentlich eilig hatte. Zumindest die Südhänge wimmelten von Sandvipern, wenn die Steine mit 80 Grad fast glühten. Und um den Lehm zu finden, musste man oft zentnerschwere Steine wuchten mitten im sommerdürren Gestrüpp. Rund um die Steine hielten die kleinen, von Ziegen und Schafen verschmähten Dornensträucher sich noch etwas Erde fest. Erde war es nur im weitesten Sinne, eher Gesteinsmehl. Ich musste in mich hinein lachen. Hier schützten die Sandvipern das bisschen übriggebliebene Erde. Ich wollte nur drei Eimer voll und kam mir trotzdem vor wie ein Dieb."







Hartmut Barth-Engelbart (Michelstadt, 11. April 1947)

Freitag, 10. April 2009

Claudio Magris, Stefan Heym

Der italienische Schriftsteller und Übersetzer Claudio Magris wurde am 10. April 1939 in Triest geboren. Er hat in Turin Germanistik studiert und abgeschlossen. Seit 1978 ist er Professor für Moderne deutschsprachige Literatur an der Universität Triest. Magris ist Essayist und Kolumnist für die italienische Tageszeitung Corriere della Sera und andere europäische Zeitungen. Durch seine unzähligen Studien zur mitteleuropäischen Kultur gilt er als deren größter Förderer in Italien.
Magris' erstes Buch handelt vom habsburgischen Mythos in der modernen österreichischen Literatur. Er hat Essays über Hoffmann, Roth, Ibsen, Svevo, Musil, Hesse und Borges geschrieben. Der literarische Durchbruch gelang Magris 1986 mit seinem bekanntesten Werk, Danubio (Donau), einer literarischen Reise entlang der Donau von der Quelle bis zur Mündung, in deren Vordergrund die multikulturelle Vergangenheit des Donauraumes steht.

Aus: Blindlings (Übersetzt von Ragni Maria Gschwend)

„Mein lieber Cogoi, ehrlich gesagt, ich bin mir nicht sicher, obwohl ich es selber geschrieben habe, daß niemand das Leben eines Menschen besser erzählen könne als er selbst. Natürlich hat dieser Satz ein Fragezeichen; ja, wenn ich mich recht erinnere – inzwischen sind so viele Jahre vergangen, ein Jahrhundert, die Welt hier herum war jung, ein taufrischer grüner Morgen, aber sie war schon ein Gefängnis –, habe ich als erstes genau dieses Fragezeichen gesetzt, das alles hinter sich herzieht. Als mich Doktor Ross aufforderte, jene Seiten für das Jahrbuch zu schreiben, hätte ich große Lust gehabt –
und das wäre ehrlich gewesen –, ihm einen Stapel Blätter mit nichts als einem Fragezeichen drauf zu schicken, aber ich wollte nicht unhöflich sein, ausgerechnet ihm gegenüber, der im Unterschied zu den anderen so freundlich und wohlwollend ist; außerdem wäre es nicht angebracht gewesen, jemanden zu verärgern, der dich aus einem geschützten Winkel, wie die Redaktion des Almanachs der Strafkolonie, herausholen und in die Hölle von Port Arthur expedieren kann, wo du es mit der neunschwänzigen Katze auf den Buckel kriegst, sobald du dich, erschöpft von den Steinblöcken und dem eiskalten Wasser, auch nur für einen Augenblick auf den Boden setzt.
Also habe ich vor dieses Fragezeichen lediglich den ersten Satz geschrieben und nicht mein ganzes Leben, meines, seines oder wessen auch immer. Das Leben – pflegte unser Grammatiklehrer Pistorius zu sagen, wobei er die lateinischen Ausdrücke mit runden, gemessenen Gesten begleitete, in jenem Raum mit der roten Tapete, die sich am Abend verdüsterte und erlosch: Glut der Kindheit, die im Dunklen verglomm –, das Leben ist keine Proposition oder Assertion, sondern eine Interjektion, eine Interpunktion, eine Konjunktion, im Höchstfall ein Adverb.“







Claudio Magris (Triëst, 10. April 1939)





Der deutsche Schrifsteller Stefan Heym wurde am 10. April 1913 in Chemnitz geboren. Er emigrierte, als Hitler an die Macht kam. In New York schrieb er seine ersten Romane. Nach dem Krieg kehrte er nach Europa zurück und fand Zuflucht, aber auch neue Schwierigkeiten in der DDR. Als Romancier und streitbarer Publizist wurde er international bekannt und zählt zu den erfolgreichsten Autoren der deutschen Gegenwartsliteratur.

Aus: Die Architekten

“Bald würden sie in Brest eintreffen, hörte er einen der Wachposten sagen. Die Posten spielten Domino; sie hieben ihre kleinen schwarzen Steine krachend auf ein Brett, das sie sich quer über die Knie gelegt hatten, und rauchten Machorka. Der Waggon, für Güter und Pferde gedacht, nicht für Menschen, ratterte über die ausgefahrenen Gleise, und der Geruch nach Schweiß und Angst wollte sich nicht verziehen, obwohl die Belüftungsklappen unter dem Dach so weit es ging offenstanden und sogar die Ladetür in der Seitenwand um einen Spaltbreit beiseite geschoben worden war.
Brest, dachte er. Seit vergangenem Jahr – soviel war durch Gefängnismauern und über die sibirische Taiga gedrungen – waren Stadt und Festung Brest wieder sowjetisch. Jenseits von Brest lag die neue Grenze, lag das Großdeutschland der Nazis.
Die Unruhe, die ihn zermürbte, seit er erfahren hatte, daß er aus der Sowjetunion abgeschoben werden sollte, schien sich auf einen einzigen Brennpunkt in seinem Innern zu konzentrieren; und es kostete ihn viel Nervenkraft, um wenigstens ein Minimum an Gleichgewicht in seinem Herzen zu wahren: Was, im Grunde, würde dem Genossen Julian Goltz denn Schlimmeres widerfahren als eine Art von Strafversetzung aus der Bratpfanne ins Feuer. Mit seinem Leben hatte er sowieso abgeschlossen.
Der Tod von Babette, so grausam der Gedanke ihm auch erschien, hatte zugleich auch das Ende der Sorgen um seine Frau bedeutet; nur die Angst um Julia war geblieben, doch war sogar auch diese Angst nun leichter zu ertragen, da er hoffen durfte, daß Sundstrom, mit seinem Talent und seinen Beziehungen, einer Verhaftung entgangen war und so sich des Kindes annehmen konnte.”








Stefan Heym (10. April 1913 – 16. Dezember 2001)

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