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Montag, 11. Mai 2009

Rose Ausländer, Carl Hauptmann

Die der Bukowina stammende deutschsprachige Lyrikerin Rose Ausländer wurde am 11. Mai 1901 in Czernowitz, Österreich-Ungarn, als Rosalie Beatrice Scherzer geboren. Rose wuchs in einem weltoffenem, liberal-jüdischen, auch kaisertreuen Elternhaus auf, in dem jedoch die wichtigsten Regeln der jüdischen Tradition bewahrt wurden. Sie studierte 1919/1920 Literaturwissenschaft und Philosophie an der Universität Czernowitz und wanderte 1921 mit ihrem Studienfreund Ignaz Ausländer in die USA aus. Das Paar heiratete 1923 und trennte sich Ende 1926. 1930 kam die Scheidung. Rose Ausländer erhielt die amerikanische Staatsbürgerschaft, die ihr jedoch 1934 wegen dreijähriger Abwesenheit aus den USA wieder aberkannt wurde. In Amerika publizierte sie ihre ersten Gedichte und arbeitete u.a. als Redakteurin, Sekretärin und Bankangestellte. 1931 nach Czernowitz zurückgekehrt, um die erkrankte Mutter zu pflegen, war sie in ihrer Heimatstadt als Lyrikerin, Journalistin, Übersetzerin und Englischlehrerin tätig. Ihr erster Gedichtband Der Regenbogen erschien 1939 in Czernowitz. 1941 bis 1944 hielten die Nazis die Stadt besetzt. Rose Ausländer gelang es, im Ghetto zu überleben. Sie musste Zwangsarbeit leisten und versteckte sich zeitweise in einem Keller.
Die Lyrikerin übersiedelte 1946 nach New York, wo sie Gedichte in deutscher und englischer Sprache veröffentlichte. Das erste Buch nach dem Krieg, Blinder Sommer, erschien 1965 in Wien. Rose Ausländer übersiedelte 1965 in die Bundesrepublik, reiste viel und lebte von 1970 bis 1988 im Nelly-Sachs-Haus, dem Altenheim der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf. Die letzten zehn Jahre ihres Lebens war sie bettlägerig



Der Himmel

Er hat seine Masken abgelegt
Nachtwolken verbieten
den Sternen
Schwester Erde
zu sehen

Er träumt
daß sein endloses Schwarz
Trauer trägt um die Sonne
er träumt die Menschen auf Erden
die ihn blau träumen

In undurchdringlichen Dunkel
zählt er seine Wohnungen
sieben sollen es sein
aber es stimmt nicht
unendlich mehr

Er zählt unendlich





Mein Atem

In meinen Tiefträumen
weint die Erde
Blut

Sterne lächeln
in meine Augen

Kommen Menschen
mit vielfarbnen Fragen
Geht zu Sokrates
antworte ich

Die Vergangenheit
hat mich gedichtet
ich habe
die Zukunft geerbt

Mein Atem heißt

Jetzt








Rose Ausländer (11. Mai 1901 – 3. Januar 1988)





Der deutsche Dichter Carl Ferdinand Max Hauptmann (Pseudonym Ferdinand Klar) wurde am 11. Mai 1858 in Obersalzbrunn, Niederschlesien, geboren und war der ältere Bruder des Dichters Gerhart Hauptmann. Wegen seiner schwachen Gesundheit blieb Hauptmann bis zu seinem 13. Lebensjahr im Elternhaus und besuchte die Dorfschule. Erst 1872-1880 ging er auf die Realschule in Breslau. Dort befreundete er sich mit seinem Klassenkamerad Alfred Ploetz, eine Freundschaft, die bis zu seinem Tode währte. Carl studierte ab 1880 an der Universität Jena bei Ernst Haeckel Naturwissenschaften und bei Rudolf Eucken Philosophie. Sein frühestes Werk, ein Gedicht, stammt aus dem Juni 1881.
Nach der Promotion erfolgte 1883 eine Italien-Reise, die ihn nach Genua, Neapel, Capri, Sorrent und Rom führte. Da Carl eine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen wollte, setzte er seine Studien bei dem Philosophen Richard Avenarius und dem Psychiater Auguste Forel in Zürich fort. Hauptmann heiratete in erster Ehe 1884 Martha Thienemann, eine der fünf Töchter des Dresdener Wollgroßhändlers Berthold. Durch seine Heirat 1884 finanziell unabhängig geworden, setzte er sein Studium in Zürich fort. Dort lernte er Frank Wedekind kennen. Hauptmann verzichtete auf eine wissenschaftliche Karriere in Zürich und zog statt dessen 1889 nach Berlin. 1891 bezog er das gemeinsam mit seinem Bruder Gerhart gekaufte Haus in Schreiberhau im Riesengebirge.


Nacht

Dämmern Wolken über Nacht und Tal,
Nebel schweben, Wasser rauschen sacht.
Nun entschleiert sich's mit einemmal:
O gib Acht! Gib Acht!
Weites Wunderland ist aufgetan.
Silbern ragen Berge, traumhaft groß,
Stille Pfade silberlicht talen
Aus verborg'nem Schoß;
Und die hehre Welt so traumhaft rein.
Stummer Buchenbaum am Wege steht
Schattenschwarz, ein Hauch vom fernen Hain
Einsam leise weht.
Und aus tiefen Grundes Düsterheit
Blinken Lichter auf in stummer Nacht.
Trinke Seele! Trinke Einsamkeit!
O gib Acht! Gib Acht!




Es schläft ein stiller Garten

Es schläft ein stiller Garten
Auf tiefstem Seelengrund;
Drin Wunderblumen blühen,
Drin klingt ein roter Mund.

Die bunten Blumen alle,
Wer hat sie nur gesteckt?
Die glühn wie Morgenröten
In Nächten aufgeweckt.

Und eine Wundermäre
Erzählt der rote Mund,
Es jubelt unvergessen
Im tiefsten Seelengrund.








Carl Hauptmann (11. Mai 1858 – 4. Februar 1921)

Sonntag, 10. Mai 2009

Fritz von Unruh, Johann Peter Hebel

Der deutsche Schriftsteller und Lyriker Fritz von Unruh wurde am 10. Mai 1885 in Koblenz geboren und absolvierte eine Militärakademie. Als junger Soldat wandte er sich der Literatur zu. Bereits sein erstes, von lakonischem Duktus getragenes Drama Offiziere (1911) über das langweilige Garnisonsleben und den Konflikt zwischen Pflichterfüllung und Freiheitsdrang erregte den Unmut seiner Vorgesetzten – betonte es doch, dass es Fälle gäbe, „wo es Pflicht eines Offiziers ist, zu handeln auf eigene Verantwortung”. Offiziere war ein großer Publikumserfolg. 1913 erschien Unruhs Theaterstück Louis Ferdinand von Preußen; ein Jahr später erhielt sein Verfasser den Kleist-Preis zugesprochen. Im 1. Weltkrieg diente Unruh als Offizier. Wie seinen Bruder Friedrich Franz von Unruh (1893-1986), der ebenfalls Schriftsteller war, ließ ihn die Erfahrung des Krieges zum radikalen Pazifisten werden. In der Erzählung Opfergang (1916) etwa fanden Unruhs Erlebnisse bei der Schlacht um Verdun ihren Niederschlag. Fortan schrieb er zahlreiche Romane und Dramen in einer am ekstatischen Ideal des Expressionismus orientierten Manier. 1932 ging Unruh über Italien und Frankreich (wo er 1940 inhaftiert wurde) ins amerikanische Exil. Nach dem Krieg kehrte er in die Bundesrepublik zurück.

Aus: Opfergang

“Clemens stand auf, als der Hauptmann in die Revierstube kam und den Kellner – „was machst du für Geschichten?“ – begrüßte. Der Kranke konnte nichts anderes hervorbringen als: „Verdun!“ Werner richtete ihm Stroh unter dem Kopf: „Ja, Verdun!“ und sah Clemens an: „Siebenhunderttausend Köpfe und zweihundertfünfzigtausend Pferde am gleichen Strang: Verdun!“ – Aus des Kellners Tasche ragte ein Zettel, er zog ihn heraus und las: „Einhunderteinundzwanzig Kassenverwaltungen, sechsundvierzig Sanitätsformationen, zweihundertfünfundachtzigtausend Wolldecken, dreizehntausend Tonnen Kohle, dreihundertsechsundzwanzigtausendzweihundertundfünfzig Bettsäcke, dreitausend Werkzeuge, Gießkannen, äxte, Hämmer, Essenträger, Löffel, Schöpfer wöchentlich! – Und täglich.“ über des Kellners Kopf strich er hin: „Täglich sechzig Kilometer Stacheldraht, achttausend Nägel, zwei Waggon Wellblech! Ja! Ja, verschlänge er das allein, der Rachen Verdun! Aber die Menschen.“ – Während er das Papier in den Ofen warf, lachte er bitter: „Das verfluchte Papier!“ Clemens sah Werner mit großen Augen an; „haben Mensch, Tier oder Material überhaupt noch Bedeutung?“ – „Nur im Hinblick auf das Gesamtziel, Clemens. Der einzelne biegt oder bricht, nicht wahr, mein Junge?“ Er klopfte den Kellner und verließ – „ich will mit dem Arzt sprechen“ – das Zimmer. Clemens eilte ihm nach, doch als er die Türklinke schon in der Hand hielt, machte er kehrt. „Besser nicht, besser nicht, – eigene Gefühle abschneiden wie Blätterüberfluß zugunsten der Frucht; welcher Frucht? Rot aus der Zukunft leuchtet sie mir.“ Als der Krankenwärter eintrat, ging er, die Hände auf des Kellners Stirn legend, „auch Du sollst von ihr essen“, hinter dem Hauptmann her zu Tisch.”







Fritz von Unruh (10. Mai 1885 – 29. November 1970)




Der deutsche Dichter Johann Peter Hebel wurde am 10. Mai 1760 in Basel geboren, wo seine Eltern im Sommer in einem Patrizier-Haus arbeiteten. Seine Kindheit verlebte er zur Hälfte in der Stadt, zur anderen Hälfte in Hausen im Wiesental (Kreis Lörrach), dem Heimatdorf seiner Mutter Ursula, in dem sein Vater im Winter als Weber arbeitete.Von Förderern finanziell unterstützt konnte Hebel 1774 ins Karlsruher Gymnasium illustre eintreten, das er 1778 abschloss. Nach einem zweijährigen Theologiestudium (1778–1780) in Erlangen trat er eine Stelle als Hauslehrer und Vikar in Hertingen an und wurde 1783 zum Präzeptoratsvikar (Hilfslehrer) am Pädagogium in Lörrach ernannt. Hebel wurde 1791 als Subdiakon ans Karlsruher Gymnasium berufen, was für ihn den Abschied von Südbaden bedeutete. Neben der Lehrtätigkeit am Gymnasium predigte er in Karlsruhe auch gelegentlich bei Hofe, wobei er sich großer Beliebtheit erfreute.1798 wurde Hebel außerordentlicher Professor und Hofdiakon. Hebels literarisches Schaffen begann, von einigen frühen Versuchen abgesehen, etwa Ende des 18. Jahrhunderts. 1799 besuchte er auf einer Reise seine Wiesentäler Heimat. Nach seiner Rückkehr nach Karlsruhe schrieb er in den folgenden beiden Jahren, inspiriert von der Sehnsucht nach seiner Heimat, die „Alemannischen Gedichte“. Hebels zweites bekanntes Werk sind seine Kalendergeschichten, die er für den Rheinländischen Hausfreund verfasste.

Aus: Kannitverstan

“Der Mensch hat wohl täglich Gelegenheit, in Emmendingen und Gundelfingen so gut als in Amsterdam Betrachtungen über den Umstand aller irdischen Dinge anzustellen, wenn er will, und zufrieden zu werden mit seinem Schicksal, wenn auch nicht viel gebratene Tauben für ihn in der Luft herumfliegen. Aber auf dem seltsamsten Umweg kam ein deutscher Handwerksbursche in Amsterdam durch den Irrtum zur Wahrheit und zu ihrer Erkenntnis. Denn als er in diese große und reiche Handelsstadt voll prächtiger Häuser, wogender Schiffe und geschäftiger Menschen gekommen war, fiel ihm sogleich ein großes und schönes Haus in die Augen, wie er auf seiner ganzen Wanderschaft von Tuttlingen bis Amsterdam noch keines erlebt hatte. Lange betrachtete er mit Verwunderung dieses kostbare Gebäude, die sechs Kamine auf dem Dach, die schönen Gesimse und die hohen Fenster, größer als an des Vaters Haus daheim die Tür. Endlich konnte er sich nicht enthalten, einen Vorübergehenden anzureden. "Guter Freund", redete er ihn an, könnt Ihr mir nicht sagen, wie der Herr heißt, dem dieses wunderschöne Haus gehört mit den Fenstern voll Tulipanen, Sternenblumen und Levkojen?" - Der Mann aber, der verwunderlich etwas Wichtigeres zu tun hatte und zum Unglück gerade soviel von der deutschen Sprache verstand, als der Fragende von der holländischen, nämlich nichts, sagte kurz und schnauzig: "Kannitverstan", und schnurrte vorüber. Dies war ein holländisches Wort, oder drei, wenn man's recht betrachtet, und heißt auf deutsch soviel als: "Ich kann Euch nicht verstehen Aber der gute Fremdling glaubte, es sei der Name des Mannes, nach dem er gefragt hatte. Das muß ein grundreicher Mann sein, der Herr Kannitverstan, dachte er und ging weiter. Gassaus, gassein kam er endlich an den Meerbusen, der da heißt: Het Ey, oder auf deutsch: das Ypsilon. Da stand nun Schiff an Schiff und Mastbaum an Mastbaum, und er wusste anfänglich nicht, wie er es mit seinen zwei einzigen Augen durchfechten werde, alle diese Merkwürdigkeiten genug zu sehen und zu betrachten, bis endlich ein großes Schiff seine Aufmerksamkeit an sich zog, das vor kurzem aus Ostindien angelangt war und jetzt eben ausgeladen wurde.“








Johann Peter Hebel (10 mei 1760 – 22 september 1826)
Monument im Hebelpark in Lörrach

Samstag, 9. Mai 2009

Charles Simic, Bulat Okudschawa

Der amerikanische Dichter Charles Simic wurde am 9. Mai 1938 in Belgrad, Serbien, geboren. 1953 übersiedelte seine Familie nach Chicago in den Vereinigten Staaten. Er studierte an der New York University. Er ist emerierter Professor für Amerikanische Literatur und kreatives Schreiben der University of New Hampshire. Er schreibt Gedichte und Essays für die The New York Review of Books. Zudem ist Charles Simic Übersetzer zahlreicher Werke aus den Ländern des früheren Jugoslawiens ins Amerikanische. Er schrieb zahlreiche Essays zu den jüngsten Balkankriegen sowie aktuell zur Lage in Serbien und im Kosovo.Sein am 3. April 2008 veröffentlichter Essay zu den politischen und geschichtlichen Hintergründen der Anerkennung des Kosovos durch die USA in der The New York Review of Books brachte eine polemische Diskussion hervor, an der an den Ereignissen im ehemaligen Jugoslawien beteiligte hochrangige westliche Diplomaten und Historiker teilnahmen. 2007 wurde er zum Poet Laureate ernannt.



A Book Full of Pictures

Father studied theology through the mail
And this was exam time.
Mother knitted. I sat quietly with a book
Full of pictures. Night fell.
My hands grew cold touching the faces
Of dead kings and queens.

There was a black raincoat
in the upstairs bedroom
Swaying from the ceiling,
But what was it doing there?
Mother's long needles made quick crosses.
They were black
Like the inside of my head just then.

The pages I turned sounded like wings.
"The soul is a bird," he once said.
In my book full of pictures
A battle raged: lances and swords
Made a kind of wintry forest
With my heart spiked and bleeding in its branches.






The Something

Here come my night thoughts
On crutches,
Returning from studying the heavens.
What they thought about
Stayed the same,
Stayed immense and incomprehensible.

My mother and father smile at each other
Knowingly above the mantel.
The cat sleeps on, the dog
Growls in his sleep.
The stove is cold and so is the bed.

Now there are only these crutches
To contend with.
Go ahead and laugh, while I raise one
With difficulty,
Swaying on the front porch,
While pointing at something
In the gray distance.

You see nothing, eh?
Neither do I, Mr. Milkman.
I better hit you once or twice over the head
With this fine old prop,
So you don't go off muttering

I saw something!







Charles Simic (Belgrad, 9. Mai 1938)





Der russische Dichter und Chansonnier Bulat Okudschawa wurde am 9. Mai 1924 in Moskau geboren. Der oppositionelle Künstler und Mitbegründer des russischen Autorenliedes galt als der Georges Brassens der Sowjetunion. Der Vater war ein hoher KPdSU-Funktionär in Moskau. 1937 wurden die Eltern verhaftet und der Vater als angeblicher deutscher Spion erschossen. Die Mutter verbrachte als Frau eines Vaterlandsverräters 18 Jahre in verschiedenen Arbeitslagern des GULAG. Okudschawa zog zu Verwandten nach Tiflis. 1941 wurde er zur Armee eingezogen, kämpfte im Zweiten Weltkrieg als Artillerist. 1945 absolvierte er in Tiflis das Abitur, studierte bis 1950 an der Staatlichen Universität Tiflis Philologie, wurde Lehrer im Dorf Schamordino im Oblast Kaluga, später in Kaluga. Nach der Rehabilitation seiner Mutter wechselte er 1956 zurück in seine Heimatstadt Moskau.
Er wurde Redakteur im Verlag Molodaja Gwardija (dt. Junge Garde), später Leiter des Lyrikressorts der Wochenzeitung Literaturnaja Gaseta. In der Phase der Entstalinisierung trat er mit unangepassten Gedichten auf und begleitete sie auf der Gitarre. Die ersten hatte er bereits in Tiflis geschrieben und vergeblich versucht, zu veröffentlichen. Weil die Medien Okudschawa versperrt waren, waren private Wohnungen in Moskau seine Bühne.
Dort wurden die Lieder auf Tonband mitgeschnitten und verbreiteten sich als Magnitisdat schnell in der gesamten Sowjetunion. Okudschawa wandte sich gegen die Zensur in der sowjetischen Literatur, unterzeichnete Petitionen gegen die Inhaftierung von Autoren sowie die Repressionen gegen Alexander Solschenizyn. In den 1980er Jahren schrieb er verschiedene Prosawerke. Nach dem Ende der Sowjetunion wurde er 1992 von Boris Jelzin in die Begnadigungskommission des russischen Präsidenten berufen, die Fehlurteile der sowjetischen Justiz korrigieren sollte.


The Last Trolley Bus

When I'm in trouble and totally done
and when all my hope I abandon
I get on the blue trolley bus on the run,
the last one,
at random.

Night trolley, roll on sliding down the street,
around the boulevards keep moving
to pick up all those who are wrecked and in need
of rescue
from ruin.

Night trolley bus will you please open your doors !
On wretched cold nights, I can instance,
your sailors would come, as a matter of course,
to render
assistance.
So many a time they have lent me a hand
to help me get out of grievance...
Imagine, there is so much kindness behind
this silence
and stillness.

Last trolley rolls round the greenery belt
and Moscow, like river, dies down...
the hammering blood in my temples I felt
calms down
calms down.





The Paper Soldier

Once there lived a soldier-boy,
quite brave, one can't be braver,
but he was merely a toy
for he was made of paper.

He wished to alter everything,
and be the whole world's helper,
but he was puppet on a string,
a soldier made of paper.

He'd bravely go through fire and smoke,
he'd die for you. No vapour.
But he was just a laughing-stock,
a soldier made of paper.

You would mistrust him and deny
your secrets and your favour.
Why should you do it, really, why?
`cause he was made of paper.

He dreads the fire? Not at all!
One day he cut a caper
and died for nothing; after all,
he was a piece of paper.




Übersetzt von Alec Vagapov







Bulat Okudschawa (9. Mai 1924 – 12. Juni 1997)

Freitag, 8. Mai 2009

Thomas Pynchon, Roddy Doyle

Der amerikanische Schriftsteller Thomas Pynchon wurde am 8. Mai 1937 in Glen Cove auf Long Island, geboren. Nach Abschluss der Oyster Bay High School im Jahre 1953 studierte er zunächst Physik, später englische Literatur an der Cornell-Universität, wo er Schüler von Vladimir Nabokov war. Während sich Nabokov selbst nicht an seinen prominenten Schüler erinnern konnte, wusste Nabokovs Frau von Pynchons markanter Handschrift, die Schreib- und Druckbuchstaben vereint, zu berichten. Während seiner Studienzeit war Pynchon mit Richard Fariña befreundet, zu dessen Roman Been Down So Long It Looks Like Up To Me (1966) er 1983 ein Vorwort verfasste. 1955 unterbrach er das Studium, um zwei Jahre bei der US Navy zu dienen. Nach seinem Abschluss 1958 lebte er ein Jahr im New Yorker Greenwich Village, wo er an seinem ersten Roman arbeitete. 1960 fing er als technischer Redakteur bei Boeing an. Nach dem Erscheinen seines ersten Romans V. im Jahr 1963 schottete er sich völlig von der Öffentlichkeit ab und lebte fortan wohl an der amerikanischen Westküste. Spätestens seit den 1990er Jahren wohnt er in Manhattan mit seiner Frau und Agentin Melanie Jackson und ihrem Sohn, Jackson Pynchon. 1997 spürte ihn dort ein Reporter von CNN auf. Pynchon verbat sich die Veröffentlichung der dabei entstandenen Aufnahmen als Verletzung seiner Privatsphäre, gab dem Sender aber ein kurzes Interview. Es kursieren nur einige über vierzig Jahre alte Fotos von Pynchon; zu sehen sind sie beispielsweise im Film A Journey Into The Mind Of [P.] (2001), der sein Leben und Werk thematisiert. Das Rätsel um seine Person ist mittlerweile Bestandteil der amerikanischen Populärkultur.

Aus: Inherent Vice

“She came along the alley and up the back steps the way she always used to. Doc hadn’t seen her for over a year. Nobody had. Back then it was always sandals, bottom half of a flower-print bikini, faded Country Joe and the Fish T-shirt. Tonight she was all in flatland gear, hair a lot shorter than he remembered, looking just like she swore she’d never look.
“That you, Shasta? The packaging fooled me there for a minute.”
“Need your help, Doc.”
They stood in the streetlight through the kitchen window there’d never been much point putting curtains over and listened to the thumping of the surf from down the hill. Some nights, when the wind was right, you could hear the surf all over town.
Nobody was saying much. What was this? “So! You know I have an office now? Just like a day job and everything?”
“I looked in the phone book, almost went over there. But then I thought, better for everybody if this looks like a secret rendezvous.”
OK, nothing romantic tonight. Bummer. But it might be a paying gig. “Somebody’s keeping a close eye?”
“Just spent an hour on surface streets trying to make it look good.”
“How about a beer?” He went to the fridge, pulled two cans out of the case he kept inside, handed one to Shasta.
“There’s this guy,” she was saying.
There would be. No point getting emotional. And if he had a nickel for every time he’d heard a client start off this way, he would be over in Hawaii now, loaded day and night, digging the waves at Waimea, or better yet hiring somebody to dig them for him. . . . “Gentleman of the straight-world persuasion,” he beamed.”







Thomas Pynchon (Glen Cove, 8. Mai 1937)
Buttons vom kamerascheuen Pynchon





Der irische Schriftsteller und Drehbuchautor Roderick Doyle wurde am 8. Mai 1958 in Dublin geboren. Doyle wuchs in Kilbarrack, County Dublin, auf. Seine Eltern Rory und Ita Doyle, ein Schriftsetzer und Ausbilder im Druckereigewerbe und eine ehemalige Krankenhaussekretärin, waren für irische Verhältnisse liberal und aufgeschlossen. Roddy Doyle wuchs mit protestantischen und jüdischen Freunden in einer "gemischten" Gemeinde auf. Rory Doyle lehrte seinen Sohn schon in frühen Jahren die Liebe zur Literatur. Roddy Doyle arbeitete - trotz des großen Erfolgs als Schriftsteller - bis Ende der 1990er Jahre als Lehrer für Englisch und Erdkunde, bevor er den Beruf zugunsten seiner Kunst aufgab. Roddy Doyle lebt mit seiner Frau Belinda und seinen beiden Söhnen in Dublin.

Aus: Paula Spencer

“She copes. A lot of the time. Most of the time. She copes. And sometimes she doesn’t. Cope. At all.
This is one of the bad days.
She could feel it coming. From the minute she woke up. One of those days. It hasn’t let her down.
She’ll be forty-eight in a few weeks. She doesn’t care about that. Not really.
It’s more than four months since she had a drink. Four months and five days. One of those months was February. That’s why she started measuring the time in months. She could jump three days. But it’s a leap year; she had to give one back. Four months, five days. A third of a year. Half a pregnancy, nearly.
A long time.
The drink is only one thing.
She’s on her way home from work. She’s walking from the station. There’s no energy in her. Nothing in her legs. Just pain. Ache. The thing the drink gets down to.
But the drink is only part of it. She’s coped well with the drink. She wants a drink. She doesn’t want a drink. She doesn’t want a drink. She fights it. She wins. She’s proud of that. She’s pleased. She’ll keep going. She knows she will.
But sometimes she wakes up, knowing the one thing. She’s alone.
She still has Jack. Paula wakes him every morning. He’s a great sleeper. It’s a long time now since he was up before her. She’s proud of that too. She sits on his bed. She ruffles his hair. Ruffles — that’s the word. A head made for ruffling. Jack will break hearts.
And she still has Leanne. Mad Leanne. Mad, funny. Mad, good. Mad, brainy. Mad, lovely — and frightening.
They’re not small any more, not kids. Leanne is twenty-two. Jack is nearly sixteen. Leanne has boyfriends. Paula hasn’t met any of them. Jack, she doesn’t know about. He tells her nothing. He’s been taller than her since he was twelve. She checks his clothes for girl-smells but all she can smell is Jack.”







Roddy Doyle (Dublin, 8. Mai 1958)

Donnerstag, 7. Mai 2009

Willem Elsschot, Volker Braun

Der belgische, niederländischsprachige, Schriftsteller Willem Elsschot, Pseudonym für Alfons Jozef de Ridder, wurde am 7. Mai 1882 in Antwerpen geboren.Elsschot studierte in seiner belgischen Geburtsstadt auf Anraten seines älteren Bruders Wirtschaftswissenschaften. Danach arbeitete er in Paris, Rotterdam und Brüssel. In letzterer Stadt gründete er mit zwei Kumpanen die Revue Continentale Illustrée. Ab 1914 kehrte er nach Antwerpen zurück, wo er eine eigene Werbeagentur gründete. Elsschots Erfahrungen im Werbefach inspirierten ihn u.a. zu seinem Roman Lijmen (1924, vgl. dt. 'auf den Leim locken'), in dem die dubiosen Praktiken eines Werbekaufmanns aufs Korn genommen werden. Der Roman gilt mit seinem knappen, schonungslosen und an Zynismus grenzenden Stil als ein Höhepunkt der städtischen flämischen Romanliteratur. Er gehört zur Stilrichtung der Neuen Sachlichkeit. Das Buch wurde zusammen mit dem Folgeroman Het been (dt. das Bein) 2000 von Robbe de Hert verfilmt. Neben zum Teil autobiographischen Romanen wie Villa des Roses (1913, dt. 1993) und Tsjip (1934) schrieb Elsschot auch zwei namhafte Novellen. Kaas (1933) erzählt die desillusionierende Geschichte eines kleinen Büroangestellten, Laarmans, der mit der Gründung eines Käsehandels gesellschaftlich emporsteigen will. Het dwaallicht (1946, dt. das Irrlicht) spielt im Antwerpener Hafenviertel. Die Ich-Figur geht mit drei Matrosen auf die Suche nach einem Mädchen. Außer seinen Prosawerken schrieb Elsschot ein Gedichtband Verzen van vroeger (1934, dt. Verse von früher), der in einem rebellischen und bitteren Ton u.a. Motive wie Mutter und Ehe behandelt. Elsschot ist einer der wenigen Klassiker der niederländischsprachigen Literatur, der sich sowohl bei Feinschmeckern als auch beim großen Publikum großer und andauernder Beliebtheit erfreut.

Aus: Käse (Übersetzt von Agnes Kalmann)

“In der Straßenbahn, auf dem Nachhauseweg, fühlte ich mich schon wie ein ganz anderer Mensch. Du weißt, dass ich auf die fünfzig zugehe, und dreißig Jahre Dienstbeflissenheit haben mir natürlich ihren Stempel aufgedrückt.
Büroschreiber sind bescheiden, viel bescheidener als Arbeiter, die sich durch Aufsässigkeit und ihre Einigkeit etwas Achtung ertrotzt haben. Man sagt sogar, dass sie in Russland die Herren geworden sind. Wenn es stimmt, haben sie es verdient, so finde ich. Sie scheinen es übrigens mit ihrem Blute erkauft zu haben. Doch Büroschreiber sind im Allgemeinen wenig spezialisiert und ähneln sich so sehr, dass sogar ein Mann mit langjähriger Erfahrung bei der erstbesten Gelegenheit einen Tritt in seinen fünfzigjährigen treuen Hintern kriegt und durch einen andern ersetzt wird, der genauso gut und billiger ist.
Da ich das weiß und Kinder habe, vermeide ich es sorgfältig, mit Unbekannten in Streit zu geraten, denn es können Freunde meines Chefs sein. Ich lasse mich also in der Straßenbahn herumschubsen und reagiere nicht allzu heftig, wenn mir jemand auf die Zehen tritt.
Aber an diesem Abend war mir alles egal. Der Käsetraum würde doch in Erfüllung gehen? Ich spürte, dass meine Augen bereits einen festeren Blick aussandten, und steckte die Hände mit einer Lässigkeit in die Hosentaschen, die mir eine halbe Stunde zuvor noch vollkommen fremd gewesen war.
Zu Hause angekommen, setzte ich mich ganz normal an den Tisch, speiste, ohne ein Wort über die neuen Möglichkeiten, die sich mir eröffneten, zu verlieren, und musste innerlich lachen, als ich sah, wie meine Frau mit ihrer gewohnten Sparsamkeit die Butter schmierte und das Brot schnitt. Nun ja, sie konnte nicht vermuten, dass sie morgen vielleicht die Frau eines Kaufmanns sein würde.
Ich aß wie immer, nicht mehr und nicht weniger, nicht hastiger und nicht langsamer. Mit einem Wort, ich aß wie einer, der sich damit abfindet, dass sich seine jahrelange Knechtschaft bei der General Marine and Shipbuilding Company um eine unbestimmte Anzahl von Jahren verlängern würde.
Und doch fragte meine Frau, was denn los sei.
»Was sollte denn los sein?«
Und dann begann ich, die Hausaufgaben meiner Kinder nachzusehen. Ich entdeckte einen groben Fehler in einem Partizip Perfekt und verbesserte ihn so schwungvoll und freundlich, dass mein Sohn überrascht aufblickte.
»Was schaust du so, Jan?«
»Ich weiß nicht.«







Willem Elsschot (7.Mai 1882 – 31. Mai 1960)





Der deutsche Lyriker und Schriftsteller Volker Braun wurde am 7. Mai 1939 in Dresden geboren. Seit 1960 Mitglied der SED, gelang es ihm nur unter Einsatz seines taktischen Geschicks, seine Prosa oder Gedichte zu veröffentlichen. Von 1965 bis 1967 arbeitet Braun auf Einladung Helene Weigels als Dramaturg am Berliner Ensemble. Nach den Ereignissen des Prager Frühlings beschäftigt er sich zunehmend kritisch mit dem Leben im Sozialismus und den Möglichkeiten der Reform. Danach wird er verstärkt von der Stasi überwacht. Seit 1972 arbeitet Braun am Deutschen Theater Berlin, 1976 gehört er zu den Mitunterzeichnern der Petition gegen die Ausbürgerung Biermanns. Ab 1979 wieder am Berliner Ensemble tätig, 1982 verlässt er den Schriftstellerverband der DDR. Während der Existenz der DDR entstandene Werke geben das Bild eines zunehmend deprimierenden Lebens wieder. Die Akteure seiner Stücke bewegen sich resigniert in einem unbeweglichen Umfeld. Dennoch erhält er 1981 den Lessing-Preis der DDR und 1988 den Nationalpreis der DDR.
Während der Wende gehört Braun zu den Befürwortern eines eigenständigen „dritten Weges“ für die DDR. Nach der Wiedervereinigung beschäftigt sich Braun kritisch mit den Gründen für das Scheitern der DDR. 1986 wird Braun der Bremer Literaturpreis verliehen, 1992 wird er mit dem Schiller-Gedächtnispreis ausgezeichnet. 1993 erhält er ein Stipendium der Villa Massimo und ist 1994 Gast der Universität Wales. 1996 hält er Poetik-Vorlesungen an der Universität Heidelberg. Er erhält 1998 den Erwin-Strittmatter-Preis und 2000 den Büchner-Preis. Von 1999 bis 2000 hat er die Brüder Grimm-Professur an der Universität Kassel inne. 2006 wird er zum Direktor der Sektion Literatur der Akademie der Künste (Berlin) gewählt.



O Chicago! O Widerspruch!

O CHICAGO! O WIDERSPRUCH!
Brecht, ist Ihnen die Zigarre ausgegangen?
Bei den Erdbeben, die wir hervorriefen
In den auf Sand gebauten Staaten.
Der Sozialismus geht, und Johnny Walker kommt.
Ich kann ihn nicht an den Gedanken festhalten
Die ohnehin ausfallen. Die warmen Straßen
Des Oktobers sind die kalten Wege
Der Wirtschaft, Horatio. Ich schiebe den Gum in die Backe
Es ist gekommen, das nicht Nennenswerte.




Das Eigentum

Da bin ich noch: mein Land geht in den Westen.
KRIEG DEN HÜTTEN FRIEDE DEN PALÄSTEN
Ich selber habe ihm den Tritt versetzt.
Es wirft sich weg und seine magre Zierde.
Dem Winter folgt der Sommer der Begierde.
Und ich kann bleiben wo der Pfeffer wächst.
Und unverständlich wird mein ganzer Text.
Was ich niemals besaß, wird mir entrissen.
Was ich nicht lebte, werd ich ewig missen.
Die Hoffnung lag im Weg wie eine Falle.
Mein Eigentum, jetzt habt ihrs auf der Kralle.
Wann sag ich wieder mein und meine alle.







Volker Braun (Dresden, 7. Mai 1939)

Mittwoch, 6. Mai 2009

Willem Kloos, Erich Fried

Der niederländische Dichter Willem Kloos wurde am 6. Mai 1859 in Amsterdam geboren. Er wurde der bedeutendste Lyriker einer Gruppe die schon bald De Tachtigers (Die Achtziger) genannt wurde, da sich ihr Wirken seit dem Anfang des neuen Jahrzehnts und vor allem seit der Gründung ihrer schon bald sehr einflussreichen Zeitschrift De nieuwe gids (Der neue Führer) bemerkbar machte. Zu den Gründungsmitgliedern der Zeitschrift, die ihren Namen als bewusste Anspielung auf das noch immer existierende, aber dem Neuen wenig aufgeschlossene Organ der Romantiker, De gids, verstanden wissen wollten gehörten ausser Willem Kloos (1859–1938), der einem utopischen Sozialismus später zuneigende Frederik van Eeden (1860–1932) und Albert Verwey (1865–1937), zu dem Stefan George und sein Kreis Kontakt aufnehmen sollten. Kloos hatte in den Gedichten des jung gestorbenen Freundes Jacques Perk (1859–1881), die er postum herausgab, die Anfänge einer Erneuerung der niederländischen Lyrik erblickt, deren Ziel es sei, „die allerindividuellste Expression der allerindividuellsten Emotion“ zu sein. Diese rein ästhetisierende l'art pour l'art -Haltung zeigte eine deutliche Verwandtschaft mit den unterschiedlichen europäischen Dekadenzströmungen, aber orientierte sich vor allem nach Frankreich und England. Die Bedeutung Kloos’ als Theoretiker wurde übertroffen von seinem Freund Lodewijk van Deyssel (1864–1952).


Verse

VI.

Nauw zichtbaar wiegen op een lichten zucht
De witte bloesems in de scheemring - ziet,
Hoe langs mijn venster nog, met ras gerucht,
Een enkele, al te late vogel vliedt.

En ver, daar ginds, die zacht-gekleurde lucht
Als perlemoer, waar ied're tint vervliet
In teêrheid.., Rust - o, wonder-vreemd genucht!
Want alles is bij dag zóó innig niet.

Alle geluid, dat nog van verre sprak,
Verstierf - de wind, de wolken, alles gaat
Al zacht en zachter - alles wordt zoo stil...

En ik weet niet, hoe thans dit hart, zoo zwak,
Dat al zóó moê is, altijd luider slaat,
Altijd maar luider, en niet rusten wil.



VI.

Kaum sichtbar wiegen sich auf leichtem hauch
Die weissen blüten in der dämmrung · sieh!
Wie raschen rauschens vor dem fenster noch
Ein einziger allzuspäter vogel flieht.

Und ferne dort die zartgefärbte luft
Perlmuttergleich wo jeder ton sich bricht
Und löst in weichheit .. ruhe – seltne lust ·
Denn alles ist bei tag so innig nicht ·

Ein jeder laut der noch von weitem sprach
Verstarb · der wind die wolken – alles regt
Sich leis und leiser · alles wird so still ..

Und ich weiss nicht warum dies herz so schwach
Das schon so müd ist immer lauter schlägt ·
Nur immer lauter und nicht ruhen will.





XIII.

O, dat ik haten moet en niet vergeten!
O, dat ik minnen moet en niet vergaan!
Ach! Liefde-in-Haat moet ik mijzelven heeten,
Want geen kan de andere in mijn hart verslaan.

In droef begeeren heb ik neêrgezeten,
In dreigend gillen ben 'k weêr opgestaan.
Wee! dat ik nooit dát bitt're brok kon eten,
Van stil te zijn en héél ver weg te gaan.

Eén hoop slechts, één, één enkel zoet vermeenen,
Eén weten, maar ik kán het niet gelooven.....
Ach, dit: dat rusten onder groene steenen

Een eeuwig rusten is, in één verdooven,
En dat de dooden niet in donker weenen
Om 't zoete leven met hun lief daarboven.



XIII

O dass ich hassen muss und nicht vergessen!
O dass ich lieben muss und nicht vergehn!
Ach Lieb-in-hass muss ich mich selber heissen ·
Keins kann in mir das andere bestehn.

In trüben wünschen war ich hingesessen
Um gellen drohens wieder aufzustehn –
Ich konnte nie den bittren bissen essen:
Weh still zu sein und sehr weit weg zu gehn.

Ein hoffen nur · ein einzig süsses meinen ·
Ein wissen nur – und doch! ich kanns nicht glauben ..
Ach dies: dass ruhen unter grünen steinen

Ein ewig ruhen ist · in ein betäuben ·
Und dass die toten nicht im dunkel weinen
Ums süsse leben mit den lieben droben.





Übersetzt von Stefan George








Willem Kloos (6. Mai 1859 – 31. März 1938)
Porträt von Joseph Jessurun de Mesquita




Der österreichische Lyriker, Übersetzer und Essayist Erich Fried wurde am 6. Mai 1921 in Wien geboren. Fried war neben Hans Magnus Enzensberger der Hauptvertreter der politischen Lyrik in Deutschland in der Nachkriegszeit. Gleichzeitig gilt er vielen als bedeutender Shakespeare-Übersetzer, dem es als erstem gelungen ist, die Sprachspiele des englischen Dramatikers ins Deutsche zu übertragen. Er übersetzte außerdem mehrere Werke von T.S. Eliot und Dylan Thomas. Er hat auch einen Roman ("Der Soldat und ein Mädchen", 1960) und Kurzprosa verfasst. Erich Fried mischte sich praktisch in die Politik seiner Zeit ein. Er hielt Vorträge, nahm an Demonstrationen teil und vertrat öffentlich kritische linke Positionen.



Aber

Zuerst habe ich mich verliebt
in den Glanz deiner Augen
in dein Lachen
in deine Lebensfreude

Jetzt liebe ich auch dein Weinen
und deine Lebensangst
und die Hilflosigkeit
in deinen Augen

Aber gegen die Angst
will ich dir helfen
denn meine Lebensfreude
ist noch immer der Glanz deiner Augen






Abschied von Wien

Ich seh vor mir noch immer
Die nackten, leeren Zimmer.
Hier war ich sonst zu Haus.
Jetzt war es aus.

Ich seh verkratzte Stellen
Am Boden bei den Schwellen,
Wo man die Moebel schob,
Eh' man sie hob.

Als man sie fortgetragen
In diesen letzten Tagen.
Wo sonst der Spiegel stand
War an der Wand

Ein heller Fleck zu sehen.
Das Bild wird nie vergehen,
Hart, wie es vor mir lag
Am letzten Tag.





Dich

Dich nicht näher denken
und dich nicht weiter denken
dich denken wo du bist
weil du dort wirklich bist.

Dich nicht älter denken
und dich nicht jünger denken
nicht größer nicht kleiner
nicht hitziger und nicht kälter.

Dich denken und mich nach dir sehnen
dich sehen wollen
und dich liebhaben
so wie du wirklich bist,







Erich Fried (6. Mai 1921 – 22. November 1988)

Dienstag, 5. Mai 2009

Miklós Radnóti, Henryk Sienkiewicz

Der ungarische Dichter Miklós Radnóti wurde am 5. Mai 1909 in Budapest als Miklós Glatter geboren. 1928 veröffentlichte Radnóti seine ersten Gedichte in einer mit Freunden gegründeten Literaturzeitschrift. 1930 erschien seine erste Gedichtsammlung Pogány köszöntő (Pagan Salute), die den Einfluss des französischen Expressionismus widerspiegelte und soziale Ungerechtigkeiten angriff. Im selben Jahr begann er sein Studium und hörte ungarische und französische Literatur an der Universität von Szeged. 1931 erschien sein nächstes Buch Újmódi pásztorok éneke (Song of Modern Shepherds). Es wurde wegen angeblicher Obszönität von der Staatsanwaltschaft konfisziert. Er verbrachte drei Monaten in Paris, wo er die Exposition coloniale besuchte. Hier übersetzte er afrikanische Gedichte und Märchen. Ab 1934 nach Abschluss seines Studiums versuchte er mit wenig Erfolg, eine Stelle als Lehrer für ungarische Literatur zu finden. Er arbeitete als Übersetzter und Privatlehrer. 1935 heiratete er Fanni Gyarmati (*1912), die er schon seit 1926 kannte, und zog nach Budapest. In den folgenden Jahren erschienen mehrere Gedichtbände. Der spanische Bürgerkrieg und der Tod des Dichters Federico García Lorca übten einen tiefen Einfluss auf ihn aus, und er begann sich mehr auf Übersetzungen zu konzentrieren.1942 und 1943 wurde er wegen seiner jüdischen Abstammung mehrfach zum Arbeitsdienst eingezogen. Im Mai 1943 konvertierte er zum katholischen Glauben, was ihn allerdings nicht vor weiterer Verfolgung schützen konnte. Im gleichen Jahr wurden seine Gedichtübersetzungen unter dem Titel Orpheus nyomában (Auf den Spuren von Orpheus) herausgegeben. Übersetzungen vor allem von Arthur Rimbaud, Stéphane Mallarmé, Paul Éluard, Guillaume Apollinaire und Blaise Cendrars. Mai 1944 wurde er zunächst an die ukrainische Front beordert und später im Lager Bor in Serbien interniert. Seine hier entstandenen Gedichte sammelte er in einem Notitzheft, das er von Bor aus seiner Frau schickte. Diese Sammlung erschien später unter dem Titel Bori notesz (Notizen aus Bor). Als Titos Truppen vorrückten, wurde er mit mehreren tausend jüdischen Zwangsarbeitern in Gewaltmärschen quer durch Ungarn zur österreichischen Grenze getrieben. Wie viele seiner Mitgefangenen war er den Strapazen dieses Gewaltmarsches nicht mehr gewachsen und wurde nach seinem Zusammenbruch mit 21 seiner Mitgefangenen bei Abda, nahe der österreichischen Grenze, erschossen. Das Massengrab wurde nach dem Krieg 1946 exhumiert. Dabei wurden seine letzten Gedichte gefunden, die in der Sammlung Tajtékos ég (Sky With Clouds) 1948 erschienen.



War Diary

1. Monday Evening

You see, now fear often fingers your heart,
and at times the world seems only distant news;
the old trees guard your childhood for you
as an ever more ancient memory.

Between suspicious mornings and foreboding nights
you have lived half your life among wars,
and now once more, order is glinting toward you
on the raised points of bayonets.

In dreams sometimes the landscape still rises before you,
the home of your poetry, where the scent of freedom
wafts over the meadows, and in the morning when you wake,
you carry the scent with you.

Rarely, when you are working, you half-sit, frightened
at your desk. And it's as if you were living in soft mud;
your hand, adorned with a pen, moves heavily
and ever more gravely.

The world is turning into another war—a hungry cloud
gobbles the sky's mild blue, and as it darkens,
your young wife puts her arms around you,
and weeps.

2. Tuesday Evening

Now I sleep peacefully
and slowly go about my work—
gas, airplanes, bombs are poised against me,
I can neither be afraid, nor cry;
so I live hard, like the road builders
among the cold mountains,

who, if their flimsy house
crumbles over them with age,
put up a new one, and meanwhile
sleep deeply on fragrant wood shavings,
and in the morning, splash their faces
in the cold and shining streams.

*

I live high up, and peer around:
it is getting darker.
As when from a ship's prow
at the flash of lightning
the watchman cries out, thinking he sees land,
so I believe in the land also—and still I cry out life!
with a whitened voice.

And the sound of my voice brightens
and is carried far away.



Übersetzt von Lucy Helen Boling







Miklós Radnóti (5. Mai 1909 – 9. November 1944)





Der aus dem mittleren Landadel stammende polnische Schrifsteller Henryk Sienkiewicz wurde am 5. Mai 1846 in Wola Orkzejska geboren. Nach der Schule studierte er Geschichte in Warschau. Nach ausgedehnten Reisen durch Europa, Amerika und in den Orient wurde er schließlich Journalist in Polen. Ab 1914 war Sienkiewicz Organisator des Hilfskomitees für polnische Flüchtlinge in der Schweiz. Henryk Sienkiewicz starb am 15. November 1916 in Vevey (Schweiz). Sein Leichnam wurde erst 1924 nach Polen überführt.

Aus: Quo Vadis? (Übersetzt von Paul Seliger)

“Petronius erwachte erst gegen Mittag und zwar wie gewöhnlich noch sehr ermüdet. Am Tage zuvor war er bei Nero zu einem Gastmahle eingeladen gewesen, das sich bis spät in die Nacht hineingezogen hatte. Seit einiger Zeit fing seine Gesundheit an zu leiden. Er selbst klagte darüber, daß er am Morgen stets wie an allen Gliedern zerschlagen aufwache und nicht imstande sei, seine Gedanken zu sammeln. Aber das Morgenbad und die damit verbundene sorgfältige Massage durch seine darin geschulten Sklaven brachten dann allmählich sein träges Blut wieder in Bewegung, erfrischten, belebten ihn und erfüllten ihn mit neuer Kraft, so daß er aus dem Salbzimmer, der letzten Abteilung des Bades, wie neuerstanden heraustrat, mit Augen, die von Geist und Heiterkeit strahlten, verjüngt, voller Leben, in rosiger Laune und in so vornehmer, tadelloser Haltung, daß sich selbst Otho nicht mit ihm vergleichen konnte: kurz, wirklich als »arbiter elegantiarum,« als oberster Richter in Sachen des feinen Geschmacks, wie man ihn nannte.
In den öffentlichen Bädern verkehrte er selten und nur dann, wenn ein berühmter Rhetor, von dem man in der ganzen Stadt sprach, auftrat oder wenn aus Anlaß einer Ephebenfeier besonders aufregende Ringkämpfe zu erwarten waren. Er besaß in seiner Villa, »Insula,« eigene Bäder, welche ihm Celer, der berühmte Fachgenosse des Severus, erweitert, umgebaut und mit so erlesenem Geschmacke eingerichtet hatte, daß selbst Nero ihnen den Vorzug vor den kaiserlichen Bädern einräumte, obgleich diese letzteren ausgedehnter und mit ungleich größerem Prunk ausgestattet waren.”







Henryk Sienkiewicz (5. Mai 1846 – 15. November 1916)
Porträt von Olga Boznańska

Montag, 4. Mai 2009

Amos Oz, Graham Swift

Der israelische Schriftsteller Amos Oz wurde am 4. Mai 1939 in Jerusalem geboren und wohnt heute in der israelischen Stadt Arad in der Negev-Wüste. Seine Großeltern flüchteten 1917 von Odessa nach Vilnius und wanderten 1933 von dort mit ihrem Sohn Jehuda Arie, Amos’ Vater, nach Palästina aus. Seine Mutter Fania Klausner, geb. Mußmann, kam 1934 als 21-Jährige nach Palästina. 1954 trat er nach dem Freitod seiner Mutter dem Kibbuz Chulda bei und nahm seinen jetzigen Namen Oz an (dt. „Kraft, Stärke“). Während seines Studiums der Literatur und Philosophie an der Hebräische Universität Jerusalem von 1960 bis 1963 veröffentlichte Oz seine ersten Kurzgeschichten in der Literaturzeitung Kesher (dt. „Knoten, Kontakt“). Oz ist seit 1967 ein prominenter Befürworter der „Zwei-Staaten-Lösung“ im Nahostkonflikt. Er nahm am Sechstagekrieg und am Jom-Kippur-Krieg teil und gründete in den 1970er Jahren mit anderen Peace Now, eine Organisation, die zur israelischen Friedensbewegung zählte. Von 1987 bis 2005 war Oz ordentlicher Professor für hebräische Literatur an der Ben-Gurion-Universität des Negev in Beerscheba. 1993 erhielt er dort den berühmten Agnon-Lehrstuhl für moderne hebräische Literatur. Oz hat eine Reihe von Romanen und Erzählungen, einige Essaybände und drei Kinderbücher verfasst, darüber hinaus zahlreiche in Zeitschriften erschienene Artikel und Essays. Seine Arbeiten wurden in über 30 Sprachen übersetzt und erschienen in 35 Ländern.

Aus: Eine wahre Geschichte über Liebe und Abenteuer (Übersetzt von Mirjam Pressler)

“Am Schabbat vormittag, hieß es, würden alle Delegierten der Vollversammlung an einem Ort namens Lake Success zusammenkommen und über unser Schicksal entscheiden: "Wem Leben und wem Untergang beschieden ist!" sagte Herr Abramsky. Frau Tosia Krochmal holte unterdessen die Verlängerungsschnur der elektrischen Nähmaschine aus der Puppenklinik ihres Mannes, damit die Lembergs ihr schweres schwarzes Rundfunkgerät hinaustragen und auf den Balkontisch stellen konnten. (Es war das einzige Radiogerät in der Amos-Straße, wenn nicht das einzige in ganz Kerem Avraham.) Dort, auf dem Balkon der Lembergs, würde man das Gerät auf volle Lautstärke drehen, und wir alle würden uns versammeln - bei den Lembergs, im Hof, auf der Straße, auf dem Balkon der Wohnung über ihnen und den Balkonen gegenüber, und so könnte die ganze Straße die "laufende Sendung" mithören (so nannte man damals auf hebräisch die Direktübertragung), damit wir erführen, wie die Entscheidung ausfiele und was die Zukunft für uns bereithielte ("wenn es nach diesem Schabbat überhaupt noch eine Zukunft gibt").
"Lake Success", sagte Vater, "bedeutet übersetzt 'See des Erfolgs', das heißt, es ist das Gegenteil von dem Tränenmeer, das für Bialik das Schicksal unseres Volkes symbolisiert. Und Eurer Hoheit", fügte er hinzu, "werden wir diesmal entschieden erlauben, an dem Ereignis teilzunehmen, im Rahmen der neuen Position von Eurer Hoheit als Zeitungsleser par excellence und als militärischer und politischer Kommentator."
Mutter sagte: "Ja, aber mit Pullover. Es ist schon kalt."
Doch am Schabbat morgen stellten wir fest, daß die schicksalsentscheidende Beratung, die in Lake Success für nachmittags anberaumt war, bei uns erst am Schabbatausgang beginnen würde, wegen des Zeitunterschieds zwischen New York und Jerusalem. Oder vielleicht auch, weil Jerusalem ein so entlegener Ort war, fernab der großen Welt, hinter den Bergen und in weiter Ferne, so daß alles, was in der großen Welt geschah, zu uns immer nur als schwacher Widerhall drang, als blasses Echo eines Echos, und selbst das immer mit erheblicher Verspätung. Die Abstimmung, so rechnete man bei uns aus, würde nach Jerusalemer Zeit erst sehr spät stattfinden, kurz vor Mitternacht, zu einer Uhrzeit, an der dieser Junge längst im Bett sein müsse, denn auch morgen müsse man ja aufstehen und zur Schule gehen.”







Amos Oz (Jerusalem, 4. Mai 1939)




Der englische Schriftsteller Graham Swift wurde am 4. Mai 1949 in London geboren. Swift studierte in Cambridge und York. Zentrale Themen seiner Werke sind Funktionen der Erinnerung und die Verknüpfung von persönlicher Erinnerung und Weltgeschichte. Viele seiner Romane handeln unmittelbar oder mittelbar vom Zweiten Weltkrieg. 1996 erhielt er für seinen Roman "Letzte Runde" den Booker-Preis.

Aus: Das helle Licht des Tages (Übersetzt von Barbara Rojahn-Deyk)

“Vor etwas über zwei Jahren. Noch Oktober, aber ein Tag wie heute, blau und klar und frisch. Rita machte meine Tür auf und sagte: »Mrs. Nash.«
Ich stand bereits und knöpfte mein Jackett zu. Den meisten von ihnen fehlt der Vergleich – es ist für sie das erstemal. Es dürfte so sein wie ein Besuch beim Arzt. Sie hatten etwas Schäbigeres erwartet, etwas Suspekteres, Beschämenderes. Die gepflegte Atmosphäre (Ritas Werk) überrascht und beruhigt sie. Und die Vase mit Blumen.
Weiße Chrysanthemen, wie ich mich erinnere.
»Bitte nehmen Sie Platz, Mrs. Nash.«
Ich könnte irgendein Rechtsanwalt in der Innenstadt sein. Füllfederhalter in der Hand. Arzt, Rechtsanwalt – Eheberater. Man muß von allen dreien ein bißchen sein.
Der übliche Blick, der besagt, daß sie all ihren Mut zusammengenommen hat, ihr Zögern unterdrückt hat, daß sie war, wo sie lieber nicht gewesen wäre.
»Mein Mann trifft sich mit einer anderen Frau.«
Es gibt nicht so viele Möglichkeiten, das zu sagen – aber man muß so aussehen, als hätte man es noch nicht auf alle nur erdenkliche Weise sagen hören. Jeder ist einzigartig: Nur er allein kommt mit dieser seltenen Krankheit zum Arzt.
»Verstehe. Tut mir leid. Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten? Oder Tee?«
Ein Arzt – ein Spezialist. Man ist bereits dabei, die Symptome abzuschätzen. Jeden Augenblick kann es jetzt zu Tränen kommen, zu Flüchen, zu Wut- oder Verzweiflungsausbrüchen. Zu all dem gehört ein Text, bis zur Perfektion geprobt. Und irgendwann wird dann alles über Bord geworfen.
Etwas, womit ich nicht gerechnet hatte: daß dies der schwierigste, der fesselndste – der dankbarste Teil meines Berufes sein würde. Dinge, die einem bei der Polizei nicht beigebracht worden sind.
Sie wollte weder Kaffee noch Tee. Aber Rita, das wußte ich, wartete draußen wie eine Krankenschwester in der Notaufnahme, die Ohren gespitzt, den Wasserkessel gefüllt, bereit, im Nu mit dem Tablett hereingestürzt zu kommen.
Und als ein spezieller Notnagel die Flasche Whisky in dem Schränkchen in der Ecke. Einzig und allein für die Klienten und niemanden sonst. Obwohl erstaunlich ist, wie oft sie sagen: »Wollen Sie mir nicht Gesellschaft leisten?«







Graham Swift (Londen, 4. Mai 1949)

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