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Dienstag, 7. Juli 2009

Lion Feuchtwanger, János Székely

Der deutsche Schriftsteller Lion Feuchtwanger wurde am 7. Juli 1884 in München geboren. Feuchtwanger absolvierte 1903 das Abitur. Ab 1903 studierte er in München und Berlin Germanistik, Geschichte und Philosophie. Er bewegte sich in der Münchner Künstlerszene und startete erste literarische Versuche mit Theaterkritiken, Erzählungen und Dramen. 1918 erlebte er in München die Revolution und arbeitete an dem dramatischen Roman "Thomas Wendt". Im Jahr 1920 begegnete er dort Bertold Brecht und Marieluise Fleißer. Zu Brecht entwickelte sich eine freundschaftliche Beziehung, die in eine gemeinsame Tätigkeit mündete. Feuchtwanger realisierte einige Theaterprojekte mit ihm zusammen, der aus dieser Zusammenarbeit Einflüsse in sein episches Theater miteinfließen ließ. So bearbeiteten die beiden 1924 das Stück "Leben Eduards des Zweiten von England". Im Jahr 1913 wurde Feuchtwangers historischer Roman "Die häßliche Herzogin Margarete Maultasch" über Hässlichkeit und Außenseitertum veröffentlicht. 1925 siedelte er nach Berlin über und 1927 wurde sein Stück "Die Petroleuminsel" uraufgeführt. Nachdem die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, wurde Feuchtwanger ausgebürgert.

Aus: Der Teufel in Frankreich

Als er einen überfahren hatte

Hunde sind intelligent, Hühner und Fußgänger weniger, Radfahrer garnicht.
So kam es, daß einer in Herrn B. W. Smith′ neuen Chrysler Six hineinfuhr.
wobei das Auto garnicht, der Radfahrer letal beschädigt wurde.
Als Herr B. W. Smith vor der übel zugerichteten Leiche -
auch das Rad sah nicht gut aus -
stand,
überlegte er dieses:

Viele Opfer erfordert der Fortschritt des Verkehrs.
In Anbetracht der steigenden Unfallziffern müssen die Verkehrsgesellschaften
ihre Prämien erhöhn.

Dieser Radfahrer hat vielleicht ein Baby, vielleicht auch mehrere.
Die Unsterblichkeit der Seele ist eine prächtige Idee.

Media in vita -
doch infolge abbröckelnden Lateins kam er mit diesem Gedanken
nicht ganz zu Rande.

Trotz tiefen Nachdenkens ließ er hierbei seine Zigarre nicht ausgehn,
was die Umstehenden in Hinsicht auf den anwesenden toten Radfahrer empörte,
so daß einige schon von Teeren und Federn etwas fallen ließen:
als im rechten Augenblick ein Polizeimann eintraf
und den Tatbestand aufnahm.

Herr B. W. Smith war vorschriftsmäßig gefahren und ihm konnte nichts passieren.
Gleichwohl störten ihn, noch als er im Chefkabinett seiner Dachziegelfabrik über einer schwierigen Kalkulation saß,

Erwägungen solcher Art:

daß, wer den Gedanken der Unsterblichkeit zuerst gedacht hatte,
ein flotter Bursche gewesen sein müsse,
daß enge Beziehungen seien zwischen
Verkehrsfortschritt und Sterblichkeitsziffer,
daß die Unfallversicherungsprämien erhöht werden müßten,
und daß überhaupt mitten im Leben wir
im Tode seien.







feuchtwanger
Lion Feuchtwanger (7. Juli 1884 – 21. Dezember 1958)





Der ungarische Schriftsteller und Drehbuchautor János Székely wurde 7. Juli 1901 in Budapest. Er floh nach dem Ersten Weltkrieg mit 18 Jahren vor dem Horthy-Regime aus Ungarn nach Deutschland. In Berlin schrieb er zahlreiche Drehbücher für Stummfilmstars wie Brigitte Helm, Willy Fritsch, Marlene Dietrich und Emil Jannings. 1934 lud Ernst Lubitsch ihn zur Arbeit nach Hollywood ein. 1938 wandert Székely endgültig nach den Vereinigten Staaten aus und avancierte zum gesuchten Drehbuchautor für Stummfilme und Tonfilme. 1940 wurde er mit einem Oscar ausgezeichnet für das Drehbuch zu dem Film Arise my Love. In der McCarthy-Ära verließ er die USA, zog nach Mexiko und 1957 nach Ost-Berlin, um mit der DEFA zu arbeiten. Bekanntestes Werk ist sein autobiographisch inspirierter Roman Kisértés (Verlockung). Er erschien in den 1950er Jahren in zahlreichen Ländern, später geriet er in Vergessenheit und wurde 2000 neu entdeckt. 2006 erschien auch sein im amerikanischen Exil entstandener Roman Der arme Swoboda in einer deutschen Übersetzung.

Aus: Verlockung (Übersetzt von Ita Szent-Iványi)

„Budapest war weiß und wirklich wie ein Weihnachtsmärchen. Kein Lüftchen regte sich in den Straßen, es herrschte eine sonderbar beklemmende Windstille, als halte die ganze Stadt den Atem an. Große glitzernde Schneeflocken schwebten in dem gelben Glorienschein der hohen Laternen träumerisch hernieder, und meine Purzelbäume schlagende Phantasie vermutete die wunderbaren Schlösser eines Feenreiches in dem schimmernden Dunst. Hinter dem Schneevorhang glitten geheimnisvolle Fahrzeuge vorbei: lautlose herrschaftliche Limousinen, flinke kleine Taxis, schwerfällige, plattfüßige Omnibusse und hin und wieder ein Schlitten mit silbernem Schellengeläut, der aus einem Märchen von Andersen zu kommen schien. Aus den Kaffeehäusern und Restaurants quollen Lichtfluten und Zigeunermusik, die überdachten Eingänge waren von bunten Lampen erhellt, und ein als General gekleideter alter Herr öffnete mit gekrümmtem Rücken die Türen der vorfahrenden Autos.
»Ein glückliches neues Jahr!« schmetterte er mit blecherner Stimme, obwohl bis Mitternacht noch einige Stunden fehlten. »Ein glückliches neues Jahr!«
Aus den Wagen stiegen Damen, in kostbare Pelze gehüllt, und trippelten in hochhackigen, glänzenden Atlasschuhen am Arm ihrer mit Zylinder und schwarzem Abendumhang geschmückten Galane über den Bürgersteig. In ihrem Haar glitzerten Schneeflocken, an ihren Ohren Edelsteine, auf ihren porzellanfarbenen Gesichtern strahlte ein Lächeln. Sie waren überirdisch schön, und mir kamen Elek Benedeks Märchen in den Sinn, da ich im Leben dergleichen noch nie gesehen hatte.
Die Donau lag weiß und regungslos da wie eine verschneite Landstraße. Erst als wir auf unserem Weg nach Pest die Kettenbrücke überquerten, bemerkte ich, daß schwere Eisschollen auf dem Fluß trieben und darunter pechschwarzes Wasser strudelte. Meine Mutter blieb plötzlich stehen.“






szekely
János Székely (7. Juli 1901 – 16. Dezember 1958)

Montag, 6. Juli 2009

Bernhard Schlink, Marius Hulpe

Der deutsche Schriftsteller Bernhard Schlink wurde am 6. Juli 1944 als Sohn eines Theologieprofessors in Großdornberg bei Bielefeld geboren und wuchs in Heidelberg auf. Nach seinem Jurastudium in Heidelberg und Berlin war er zunächst wissenschaftlicher Assistent in Heidelberg, Darmstadt, Bielefeld und Freiburg. Seine erste Professur für Verfassungs- und Verwaltungsrecht führte ihn nach Bonn. Danach war er in Frankfurt tätig. 1988 wurde er Richter des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen. Nach der Wende 1989 zog es ihn nach Berlin.
Zunächst als Fachbuch-Autor tätig, schrieb er 1987 seinen ersten Roman »Selbs Justiz« in Zusammenarbeit mit seinem Kollegen Walter Popp während eines Freisemester in Aix-en-Provence. 1991 wurde der Roman unter dem Titel »Der Tod kam als Freund« vom ZDF verfilmt. Für seinen zweiten Roman, »Die gordische Schleife«, erhielt er 1989 den Glauser, Autorenpreis für deutschsprachige Kriminalliteratur, für »Selbs Betrug« den Deutschen Krimi-Preis 1992.
Für seinen Roman »Der Vorleser« 1997 erhielt Schlink den Hans-Fallada-Preis der Stadt Münster, den italienischen Literaturpreis Grinzane Cavour, den Prix Laure Bataillon (bestdotierter französischer Preis für übersetzte Literatur), 1999 den erstmals verliehenen Welt-Literaturpreis sowie im Februar 2000 die Ehrengabe der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Gesellschaft.

Uit: Der Vorleser

„Als ich fünfzehn war, hatte ich Gelbsucht. Die Krankheit begann im Herbst und endete im Frühjahr. Je kälter und dunkler das alte Jahr wurde, desto schwächer wurde ich. Erst mit dem neuen Jahr ging es aufwärts. Der Januar war warm, und meine Mutter richtete mir das Bett auf dem Balkon. Ich sah den Himmel, die Sonne, die Wolken und hörte die Kinder im Hof spielen. Eines frühen Abends im Februar hörte ich eine Amsel singen.
Mein erster Weg führte mich von der Blumenstraße, in der wir im zweiten Stock eines um die Jahrhundertwende gebauten, wuchtigen Hauses wohnten, in die Bahnhofstraße. Dort hatte ich mich an einem Montag im Oktober auf dem Weg von der Schule nach. Hause übergeben. Schon seit Tagen war ich schwach gewesen, so schwach wie noch nie in meinem Leben. Jeder Schritt kostete mich Kraft. - Wenn ich zu Hause oder - in der Schule Treppen stieg, trugen mich - meine Beine kaum. Ich mochte auch nicht essen. Selbst wenn ich mich hungrig an den Tisch setzte, stellte sich bald Widerwillen ein. Morgens wachte ich mit trockenem Mund und dem Gefühl auf, meine Organe lägen schwer und falsch in meinem Leib. ... „
(...)

"Ich wartete im Flur. Sie zog sich in der Küche um. Die Tür stand einen Spalt auf. Sie zog die Kittelschürze aus und stand in hellgrünem Unterkleid. Über die Lehne des Stuhls hingen zwei Strümpfe. Sie nahm einen und raffte ihn mit wechselnd greifenden Händen zu einer Rolle. Sie balancierte auf einem Bein, stützte auf dessen Knie die Ferse des andren Beins, beugte sich vor, führte den gerollten Strumpf über die Fußspitze, setzte die Fußspitze auf den Stuhl, streifte den Strumpf über Wade, Knie und Schenkel, neigte sich zur Seite und befestigte den Strumpf an den Strumpfbändern. Sie richtete sich auf, nahm den Fuß vom Stuhl und griff nach dem anderen Strumpf."






Schlink
Bernhard Schlink (Großdornberg, 6. Juli 1944)




Der deutsche Lyriker und Schriftsteller Marius Hulpe wurde am 6. Juli 1982 in Soest, Westfalen, geboren. Hulpe studierte Philosophie, Literatur- und Theater- und Medienwissenschaft in Leipzig, Potsdam und Berlin und seit 2006 Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus im Diplomstudiengang in Hildesheim. Seine Gedichte, Essays und Prosa erschienen in Literaturzeitschriften und Anthologien. Darüber hinaus schreibt er regelmäßige kulturjournalistische Beiträge in Wochenzeitungen und Magazinen. Hulpe war Redakteur des Magazins lit.07 und ist seit 2005 Mitarbeiter der Literaturzeitschrift Am Erker. 2007 war er Mitorganisator der Zweiten Deutschen Lektorenkonferenz in Hildesheim. 2008 erschien sein Lyrikdebüt „wiederbelebung der lämmer“.


milchherz

wo, in dieser fahrigen stunde,
hier, auf mühelos verfaulendem land,
wo die grütze nicht mehr grütze, hier,
im nährboden schimmelnder ämter,
eine sanft sedierende petrischale,
wo, in dieser stunde, die einzige frage:
bin ich gelandet?, hier, wo man luftlöcher schlägt
in jeden heimlichen gedanken &
wo der geballte frust dient, äußerst nützlich,
zur manifesten zerstreuung, zum asbest der herzen,
in traurigen stunden wird darum geschwiegen,
ihr milchigen herzen, ich milchiges herz:
wo sind wir geblieben, wo sind wir gelandet
als sammler von öden sekunden, von haken & haaren
in unseren suppen, dem täglich forcierten geschäft.



sonnenaufgänge an neuköllner schulen

liebliche reihen am zaun, am spitzen
& nicht lebensungefährlichen geländer,
ihr fangt ihn tagtäglich ein, den stummen
hass des asphalts, die wut in der luft,
die schneidende stille im herzen der straße:
ihr fangt das erste wort, den blick, den atem
ein: hier wird nicht mehr viel gehen,
hier wird wahrscheinlich bald gesprengt:
ihr wusstet's. das geländer? wozu. & wer
muss sich schon noch da hinein . . . ja wer
will verpassen, was kommt. wer
hätte nicht lust, zu sehen. welche angst.






hulpe
Marius Hulpe (Soest, 6. Juli 1982)

Sonntag, 5. Juli 2009

Felix Timmermans, Barbara Frischmuth

Der flämische Schriftsteller und Maler Felix Timmermans wurde am 5. Juli 1886 in Lier bei Antwerpen als 13. Kind eines Spitzenhändlers geboren. Sein Vater hatte ihn zwar als Nachfolger ausersehen, doch bereits 1903 schrieb er erste Gedichte, und betätigte sich bald auch als Maler. Als junger Mensch geriet er in eine seelische Krise, befasste sich mit Spiritismus, Okkultismus und anderen Ideologien, fand aber nirgendwo eine geistige Heimat. Eine Krankheit brachte die Wende: Das Ergebnis ist Pallieter. Diese Schilderung des Lebens eines jungen Mannes, voll von deftigen, oft derben Schelmereien, doch auch voll tiefer Volksfrömmigkeit, zugleich ein Porträt der flämischen Landschaft und ihrer Bewohner, wird sein bekanntestes Werk. Ihm folgte 1917 Das Jesuskind in Flandern, eine Geschichte, die die Geburt Jesu – in der Tradition flämischer Maler, besonders Pieter Brueghels – in seine flämische Heimat verlegt (dt. 1919). Dieses Werk und sein Das Triptychon von den heiligen drei Königen werden heute noch gelesen und vorgelesen, sein Triptychon wird als Theater- oder Puppenspiel aufgeführt. In Holland hielt er ab 1918 erste Vorträge und Lesungen. 1922 erhielt er den Staatspreis für Literatur. Ab 1928 führten ihn zahlreiche Lesereisen nach Deutschland und in die Schweiz. Er trat bis 1939 in mehr als 140 Städten oft mehrfach auf. Nachdem er bereits 1928 in Pieter Bruegel einen flämischen Maler gewürdigt hat, schreibt er 1944 den Malerroman Adriaan Brouwer. Das in der Ich-Form geschriebene Werk trägt autobiografische Züge. Es sind bereits erste Todesahnungen erkennbar. Felix Timmermans war herzkrank. Wegen seiner Kontakte zu den Deutschen wird er diffamiert und unter Hausarrest gestellt. Seine Krankheit bewahrte ihn vor schlimmerer Strafverfolgung.

Aus: Pallieter

” ... Und da kam noch ein Strahl, und dort noch einer, und es war, als ob der erste frische, grüne Lenz ganz schnell zurückgekommen sei.
Dort, über dem Felderbauch erhob sich das Ende des Regenschauers in die Höhe, und das halbe Land glitzerte in der Sonne, während der dunkle Teil noch vom Regen rauschte.
Die Vögel schüttelten das Wasser von den Flügeln, flogen auf einen andern Zweig, und da fing eine Meise an zu pfeifen, ein Fink an zu schmettern, und auf einmal ging es los: alles, was Schnabel hatte, jauchzte mit frischer Stimme die helle Freude hinaus. Der Hahn krähte, und eine Lerche stieg auf.
„Das is wohl ein Vergnügen, he“, schimpfte Charlot, „sich so nass regnen zu lassen?“
„Ach Mädchen, schweig, ich bin einen Fuß größer geworden“, sagte Pallieter; und er ging hinein, um ein reines Hemd und eine andere Hose anzuziehen.
Die Natur schien um vierzig Tage verjüngt, alle möglichen Düfte stiegen aus der nassen Erde empor, und alle Bäume sangen.
Der Himmel war wieder rein und blau wie ein Vergissmeinnicht, und die Sonne ließ alles, noch nass vom Regen, erglänzen.
Pallieter wandelte voll innerlichen Friedens durch seinen Garten. Ah, da hatte das Viertelstündchen Regen den vollen Sommerüberfluss gebracht. Die Nässe holte alle Blumendüfte hervor, Rosen, Flieder, Reseda und alles durcheinander. Sie hatte die vor dem Platzen stehenden Knospen aufgehen lassen, und nun standen noch einmal soviel Blumen da. Die Bäume tropften noch, und in allen Blumen strahlten silberne Regentropfen.
Ein gutes Gefühl kam über Pallieter. Er nahm seinen Dudelsack, setzte sich nieder auf die Bank vor der Vordertür und fing an, alte Dudelsacklieder zu spielen...”






felixtimmermans2
Felix Timmermans (5. Juli 1886 – 24. Januar 1947)
Statue in Lier





Die österreichische Schriftstellerin und Übersetzerin Barbara Frischmuth wurde am 5. Juli 1941 in Altaussee geboren. Sie verbrachte ihre Kindheit in Altaussee, besuchte die Gymnasien in Gmunden und Bad Aussee und später wegen eines Umzuges das Pestalozzi-Gymnasium in Graz, wo sie auch maturierte. An der Karl-Franzens-Universität studierte Frischmuth ab Herbst 1959 am Dolmetsch-Institut Türkisch, Englisch und später Ungarisch. Ein Stipendienaufenthalt führte sie 1960/61 an die türkische Atatürk Universität in Erzurum. 1964 übersiedelte Frischmuth nach Wien, wo sie das Studium der Turkologie, Iranistik und Islamkunde begann. Im Herbst 1966 brach sie ihr Studium ab und wurde hauptberuflich als Schriftstellerin und Übersetzerin aktiv. Schon während ihrer Studienzeit veröffentlichte sie Gedichte und wurde 1962 Mitglied der später so genannten „Grazer Gruppe“. Sie nahm an Lesungen teil und kam mit dem Forum Stadtpark in Kontakt, zu dessen Gründungsmitglied sie während ihrer Zeit im Erzurum ernannt wurde. Mehrere Auslandsaufenthalte führten sie in die Türkei, nach Ungarn, Ägypten, England, China, Japan und die USA, wo sie am Oberlin College in Ohio und an der Washington University in St. Louis Vorlesungen hielt.

Aus: Vergiss Ägypten

« Vergiss Ägypten, sagte Lamis. Ägypten ist ein uraltes Haus, von dem niemand genau weiß, was sich hinter den Türen befindet. Die Kellertreppe ist eingestürzt, und die Leiter zum Dach hat kaum noch Sprossen. Die einzelnen Räume sind nur mehr gefühlsmäßig zu erschließen. Lass es also, denk lieber an die Ägypter.
Lamis hat leicht reden. Es ist ihr Land, es sind ihre Vergleiche.
Wenn du tatsächlich etwas über Ägypten sagen willst, vergiss Ägypten. Denk an ein anderes Land. Ein ganz anderes Land. Stell dir vor, du fliegst nach Sydney. Auf dem Weg dorthin musst du umsteigen. Möglicherweise in Bangkok oder weiß der Teufel, wo. Du sitzt nach dem unbequemen Flug mit ausgestreckten Beinen im Transitraum und unterhältst dich mit einer englischen Journalistin, die in Hurghada Urlaub gemacht hat. Du warst natürlich nicht in Hurghada. Und plötzlich überfällt dich eine Vorstellung von Ägypten, die es wert wäre, aufgeschrieben zu werden.
Wieso Bangkok?
Die Betonung liegt auf Transit. An Orten des Übergangs ist die Seele ungeschützt, alles Mögliche kann ihr passieren. Es gibt vielfältige Rituale bei Geburt und Tod, die einem beim Umsteigen helfen sollen.
Es geht aber nicht um Geburt und Tod. Es geht um Wörter, um Sätze.
Es geht ums Begreifen, glaub mir, Valie.
Ich hasse diese amputierten Vornamen und unterschreibe meine Briefe immer mit Valerie. Valerie Kutzer. Lamis sagt auch Alex, wenn sie Alexandrien, und IA, wenn sie die Isis Air meint.
Ich möchte Lamis wiedersehen. Jede Herzensregung hat ihren Preis. Das aviatische Paradoxon.
Nirgendwo fühle ich mich so geborgen wie in einem Flughafen, so als könne ich nie mehr verlorengehen. Wenn ich tatsächlich bliebe? Im Flughafen wohnen bliebe? Es wäre für alles gesorgt, Toiletten, Duschen, Friseur. Es gibt einen Arzt und einen Andachtsraum (ökumenisch), Buffets, Restaurants, Buchhandlungen.“






frischmuth
Barbara Frischmuth (Altaussee, 5 juli 1941)

Samstag, 4. Juli 2009

Christine Lavant, Sébastien Japrisot

Die österreichische Schriftstellerin und Künstlerin Christine Lavant, eigentlich Christine Habernig, wurde am 4. Juli 1915 in Groß-Edling bei St. Stefan im Lavanttal, Kärnten, geboren. Sie lebte mit Ausnahmen von zwei Jahren in ihrem Geburtsort. Sie hat Lyrik und Prosa geschrieben und zahlreiche Preise erhalten, so 1954 und 1964 den Georg-Trakl-Preis für Lyrik und 1970 den Großen Staatspreis für Literatur. Christine Lavant starb 1973.



Im Lauchbeet hockt die Wurzelfrau

Im Lauchbeet hockt die Wurzelfrau,
zählt Zwiebelchen und Zehen.
Was wird mit mir geschehen?
Sie nimmt es so genau.
Ich bringe meinen Kopf nicht mehr
aus den verhexten Latten.
Nun zählt sie schon die Schatten
und schielt verdächtig her.
He! - sagt sie - da ist noch was frei,
mit Erde muß man sparen! -
und zerrt mich an den Haaren,
ich wage keinen Schrei.
So unter Zwiebelchen und Lauch
bin ich nun eingegraben,
die mich gesättigt haben,
vertrösten mich wohl auch.
Sie teilen mit mir Tag und Tau
und Saft und Kraft der Erde,
daß ich ein Rüblein werde
im Beet der Wurzelfrau.





Ich könnte vielleicht ein Geheimnis haben

Ich könnte vielleicht ein Geheimnis haben
mit der breitmächtigen Frau im gehäkelten Tuch,
die sich zwischen den Bahnschienen sonnt
und hinterhältig und grundgutmütig
die Vorstandhühner an sich lockt.
Meine Mutter war wie ein Beichtstuhl für sie
und hat auch ihre Kinder gewandet,
die zahllosen Kinder der Weibin dort,
um Gottes Lohn - meine schmächtige Mutter.
Dafür soll die Frau ihr Geheimnis sagen.
Ich hege Hoffnung zu diesem Geheimnis,
das ganz und gar sich von dieser Welt
aufrechterhält und die Huhnsprache kennt
und vielleicht auch die Wurzel der Würde.
Heimsuchen will ich die mächtige Frau -
sie wird ihre Hühner vom Küchentisch scheuchen,
den Stuhl abwischen und ehrfürchtig tun
und verborgen sich meiner erbarmen.




Ich ordne die Verlassenschaft

Ich ordne die Verlassenschaft;
das Brustkern-Öl, den Schlauch der Schlange,
die Rippenuhr bleibt selbst im Gange
und schlägt auch in der Einzelhaft.
Mein Abgott, immer noch aus Blei,
wird ohnehin nie auferstehen,
ich darf verrückt im Kreise gehen
an meinem eignen Kreuz vorbei.
Auch atmen kann ich ganz getrost,
die Lunge krankt an einem Flügel
und bleibt gewiß am Marterhügel
trotz Feuerfolter oder Frost.
So wilde Freiheit war noch nie
in einer finstern Andachtsenge,
ich hebe ohne jede Strenge
mein Stiefgeschick aufs Mutterknie.








Lavant
Christine Lavant (4. Juli 1915 – 7. Juni 1973)





Der französische Schriftsteller Sébastien Japrisot wurde unter dem Namen Jean Baptiste Rossi am 4. Juli 1931 in Marseille als Sohn italienischer Immigranten geboren. Seine erste Novelle veröffentlichte er bereits im Alter von 17 Jahren. Er erhielt dafür 1966 den Prix de l’Unanimité. Nach seinem Studium auf der Sorbonne übersetzte er Salinger und begann mit 30 Jahren das Schreiben von Kriminalromanen. Dafür legte er sich das Pseudonym Sébastien Japrisot zu. Bereits für seinen zweiten Kriminalroman erhielt er den begehrten Grand Prix de la Littérature Policière. Für »La dame dans l´auto avec des lunettes et un fusil« erhielt er in Frankreich den Prix d´Honneur und in England die Auszeichnung Best Crime Novel. Die meisten seiner Romane wurden verfilmt. Er arbeitete auch als Regisseur und Drehbuchautor. Japrisot starb am 4. März 2003 in Vichy

Aus: Mathilde. Eine grosse Liebe (Un long dimanche de fiançailles. Übersetzt von Christiane Landgrebe)

"Mit Vornamen hieß er Jean, aber seine Mutter und alle anderen zu Hause nannten ihn Manech. Im Krieg hieß er nur Bleuet. Die Rekrutierungsnummer auf dem Armband an seinem unversehrten Handgelenk lautete 9692, von einem Rekrutierungsbüro im Departement Landes. Er war in Cap-Breton geboren, von wo aus man Biarritz sehen kann, aber in den Armeen der Republik hatte keiner viel Ahnung von Geographie. Die aus seiner Abteilung glaubten, er komme aus der Bretagne. Er hatte es schon am ersten Tag aufgegeben, ihnen den Irrtum auszureden. Er war nicht aufdringlich, nahm sich zurück, um sinnlose Diskussionen zu vermeiden, und fuhr letzten Endes gut dabei: Wenn er mit seiner Ausrüstung oder den Gewehrteilen nicht klarkam, fand er immer einen Ersatzvater, der ihm half, sich zurechtzufinden, und im Schützengraben verlangte außer dem Unteroffizier, der ihn nicht leiden konnte, niemand etwas anderes von ihm als in Deckung zu bleiben und auf den Draht zu achten. Aber da war die Angst, die sein ganzes Wesen durchdrungen hatte, die Vorahnung, daß er nie nach Hause zurückkehren würde, ein Urlaub, den man ihm versprochen hatte, auf den er aber nicht mehr hoffte, und dann war da Mathilde. Im September war er, um Mathilde wiederzusehen, dem Rat eines gewissen Marie-Louise gefolgt, so lautete der Spitzname der im Jahr 15 Eingezogenen, der fast ein Jahr älter war als er. Er hatte eine in Pikrinsäure getränkte Fleischfrikadelle gegessen und sich die Seele aus dem Leib gekotzt, aber inzwischen konnte jeder Kommißkopf eine Gelbsucht erkennen, bevor er noch lesen lernte, und so war er zum erstenmal vor das Kriegsgericht zitiert worden, das seines Bataillons. Wegen seiner Jugend hatten sie ihn dort mit Nachsicht behandelt; zwei Monate auf Bewährung, aber keinen Fronturlaub mehr, außer es würde ihm gelingen, Kaiser Wilhelm persönlich gefangenzunehmen. Dann, im November, es war vor Péronne, zehn Tage ohne Unterlaß hatte er die Beschimpfungen des verfluchten Sergeanten über sich ergehen lassen müssen, und dann Regen, Regen, Regen. Er konnte nicht mehr, und so hatte er auf einen anderen Marie-Louise gehört, der noch schlauer war als der erste. Eines Nachts, als er Wache schob, die Kanonade war fern und der Himmel tiefschwarz, hatte er, der Nichtraucher, eine englische Zigarette angezündet, weil die nicht so leicht ausgeht wie eine dunkle, dann hatte er seine rechte Hand über den Grabenwall erhoben, die Finger schützend über den kleinen roten Schimmer gebreitet.“






japrisot
Sébastien Japrisot (4. Juli 1931 – 4. März 2003)

Freitag, 3. Juli 2009

Franz Kafka, Joanne Harris

Der deutschsprachige Schriftsteller Franz Kafka wurde am 3. Juli 1883 in Prag, damals Österreich-Ungarn, geboren. Kafka war der Sohn eines wohlhabenden jüdischen Kaufmanns. 1901-1906 studierte er Germanistik und Jura in Prag; 1906 promovierte er zum Dr. jur. Dann folgte eine kurze Praktikantenzeit am Landesgericht Prag. 1908-1917 war er Angestellter einer Versicherungsgesellschaft, später einer Arbeiter-Unfall-Versicherung. 1917 erkrankte er an Tbc, was ihn 1922 zur Aufgabe des Berufes zwang.
Kafka fühlte sich als einsamer und unverstandener Einzelgänger, nur mit Max Brod und Franz Werfel verband ihn Freundschaft; bekannt war er auch mit Martin Buber und Johannes Urzidil. In den Sommermonaten der Jahre 1910 bis 1912 führten ihn Reisen und Kuraufenthalte nach Italien, Frankreich, Deutschland, Ungarn und in die Schweiz. Sein Verhältnis zu Frauen war schwierig und problematisch: zweimal hat er sich 1914 verlobt und das Verlöbnis wieder gelöst; 1920-1922 quälte ihn eine unerfüllte Liebe zu Milena Jesenska, was zahlreiche erhaltene Briefe dokumentieren; seit 1923 lebte er mit Dora Dymant zusammen als freier Schriftsteller in Berlin und Wien, zuletzt im Sanatorium Kierlang bei Wien, wo er an Kehlkopftuberkulose starb. Sein literarischer Nachlass, den er testamentarisch zur Verbrennung bestimmt hatte, wurde posthum gegen seinen Willen von Max Brod veröffentlicht

Aus: In der Strafkolonie

»Es ist ein eigentümlicher Apparat«, sagte der Offizier zu dem Forschungsreisenden und überblickte mit einem gewissermaßen bewundernden Blick den ihm doch wohlbekannten Apparat. Der Reisende schien nur aus Höflichkeit der Einladung des Kommandanten gefolgt zu sein, der ihn aufgefordert hatte, der Exekution eines Soldaten beizuwohnen, der wegen Ungehorsam und Beleidigung des Vorgesetzten verurteilt worden war. Das Interesse für diese Exekution war wohl auch in der Strafkolonie nicht sehr groß. Wenigstens war hier in dem tiefen, sandigen, von kahlen Abhängen ringsum abgeschlossenen kleinen Tal außer dem Offizier und dem Reisenden nur der Verurteilte, ein stumpfsinniger, breitmäuliger Mensch mit verwahrlostem Haar und Gesicht und ein Soldat zugegen, der die schwere Kette hielt, in welche die kleinen Ketten ausliefen, mit denen der Verurteilte an den Fuß- und Handknöcheln sowie am Hals gefesselt war und die auch untereinander durch Verbindungsketten zusammenhingen. Übrigens sah der Verurteilte so hündisch ergeben aus, daß es den Anschein hatte, als könnte man ihn frei auf den Abhängen herumlaufen lassen und müsse bei Beginn der Exekution nur pfeifen, damit er käme.
Der Reisende hatte wenig Sinn für den Apparat und ging hinter dem Verurteilten fast sichtbar unbeteiligt auf und ab, während der Offizier die letzten Vorbereitungen besorgte, bald unter den tief in die Erde eingebauten Apparat kroch, bald auf eine Leiter stieg, um die oberen Teile zu untersuchen. Das waren Arbeiten, die man eigentlich einem Maschinisten hätte überlassen können, aber der Offizier führte sie mit einem großen Eifer aus, sei es, daß er ein besonderer Anhänger dieses Apparates war, sei es, daß man aus anderen Gründen die Arbeit sonst niemandem anvertrauen konnte.“






kafka
Franz Kafka (3. Juli 1883 – 3. Juni 1924)






Die englische Schriftstellerin Joanne Harris wurde 1964 als Tochter einer französischen Mutter und eines englischen Vaters geboren. Sie ist in England aufgewachsen und kennt Frankreich von vielen Besuchen sehr gut. Sie studierte Französisch und Deutsch in Cambridge und war anschließend an einem Gymnasium als Lehrerin tätig, bevor sie damit begann, Bücher zu schreiben.
Ihr Roman „Chocolat“ wurde zum Weltbestseller. Er wurde verfilmt mit Juliette Binoche und Johnny Depp.

Aus: Chocolat

„We came on the wind of the carnival. A warm wind for February, laden with the hot greasy scents of frying pancakes and sausages and powdery-sweet waffles cooked on the hot plate right there by the roadside, with the confetti sleeting down collars and cuffs and rolling in the gutters like an idiot antidote to winter. There is a febrile excitement in the crowds that line the narrow main street, necks craning to catch sight of the crêpe-covered char with its trailing ribbons and paper rosettes. Anouk watches, eyes wide, a yellow balloon in one hand and a toy trumpet in the other, from between a shopping basket and a sad brown dog. We have seen carnivals before, she and I; a procession of two hundred and fifty of the decorated chars in Paris last Mardi Gras, a hundred and eighty in New York, two dozen marching bands in Vienna, clowns on stilts, the Grosses Têtes with their lolling papier-mâché heads, drum majorettes with batons spinning and sparkling. But at six the world retains a special luster. A wooden cart, hastily decorated with gilt and crêpe and scenes from fairy tales. A dragon's head on a shield, Rapunzel in a woolen wig, a mermaid with a cellophane tail, a gingerbread house all icing and gilded cardboard, a witch in the doorway, waggling extravagant green fingernails at a group of silent children.... At six it is possible to perceive subtleties that a year later are already out of reach. Behind the papier-mâché, the icing, the plastic, she can still see the real witch, the real magic. She looks up at me, her eyes, which are the blue-green of Earth seen from a great height, shining.“






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Joanne Harris (Barnsley, 3. Juli 1964)

Donnerstag, 2. Juli 2009

Wisława Szymborska, Hermann Hesse

Die polnische Lyrikerin Wisława Szymborska wurde am 2. Juli 1923 in Kórnik bei Posen geboren und wuchs in Krakau auf, wo sie polnische Philologie und Soziologie studierte. Ab 1953 war sie als freie Mitarbeiterin für die Krakauer Wochenschrift Życie Literacki („Literarisches Leben”) tätig, für die sie vor allem Rezensionen verfasste. Szymborskas erste beiden, wenig beachteten Gedichtbände Dlatego żyjemi (1952; Deshalb leben wir) und Pytania zadawane sobie (1954; Fragen, die ich mir stelle) waren angepasste sozialrealistische Versuche, von denen sie sich später distanzierte. Große Aufmerksamkeit erregte sie erst mit den Sammlungen Wołanie do Yeti (1957; Rufe an Yeti) und Sól (1962; Salz), die ihren Ruf als führende polnische Lyrikerin der Nachkriegszeit begründeten.



DAS ENDE EINES JAHRHUNDERTS

Es hatte besser sein sollen als die vergangenen,
unser 20. Jahrhundert.
Ihm bleibt keine Zeit mehr, das zu beweisen,
gezählt sind die Jahre,
der Schritt schwankt,
der Atem geht kurz.

Zu viel ist geschehen,
was nicht hat geschehen sollen,
und was hat kommen sollen,
kam leider nicht.

Es ging auf den Frühling zu, hieß es,
und, unter anderem, aufs Glück.

Die Angst hatte Berge und Täler verlassen sollen,
die Wahrheit schneller am Ziel
sein als alle Lügen.

Einige Unglücksfalle
sollten nicht mehr geschehen,
zum Beispiel Krieg,
Hunger und so.

Die Wehrlosigkeit der Wehrlosen,
das Vertrauen und so weiter
sollten Achtung genießen.

Wer sich an der Welt hat freuen wollen,
steht vor der Aufgabe,
die nicht zu erfüllen ist.

Die Dummheit ist gar nicht zum Lachen,
die Klugheit ist gar nicht lustig.

Die Hoffnung
ist nicht mehr das junge Mädchen
etcetera, cetera, leider.

Gott sollte endlich glauben dürfen
an einen Menschen, der gut ist und stark,
aber der Gute und Starke
sind immer noch zweierlei Menschen.

Wie leben?---fragte im Brief
mich jemand, den ich dasselbe
hab Fragen wollen.

Weiter und so wie immer,
wie oben zu sehn,
es gibt keine Fragen, die dringlicher wären
als die naiven.




DAS SCHREIBEN EINES LEBENSLAUFS

Was ist zu tun?
Ein Antrag ist einzureichen,
dazu ein Lebenslauf.

Ungeachtet der Länge des Lebens
hat der Lebenslauf kurz zu sein.

Geboten sind Bündigkeit und eine Auswahl von Fakten.
Die Landschaften sind durch Anschriften zu ersetzen,
labile Erinnerungen durch konstante Daten.

Von allen Lieben genügt die eheliche,
nur die geborenen Kinfffder zählen.

Wichtig ist, wer dich kennt, nicht, wen du kennst.
Reisen, nur die ins Ausland.

Zugehörig wozu, aber ohne weshalb.
Preise, ohne wofür.

Schreibe, als hättest du niemals mit dir gesprochen
und dich von weitem gemieden.

Umgehe mit Schweigen Hunde, Katzen und Vögel,
den Erinnerungskleinkram, Freunde und Träume.

Es gilt der Preis, nicht der Wert,
der Titel, nicht dessen Inhalt,
die Schuhgröße, nicht wo
der Mensch, für den man dich hält, hingeht.

Dazu eine Fotografie mit entblößtem Ohr.
Wichtig ist seine Form, nicht, was es hört.
Was es hört.
Das Knirschen des Papierwolfs.




Übersetzt von Karl Dedecius







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Wislawa Szymborska (Bnin, 2. Juli 1923)





Der deutsch-schweizerische Dichter Hermann Hesse wurde am 2. Juli 1877 in Calw geboren. Der Sohn eines deutsch-baltischen Missionars besuchte die Lateinschule in Göppingen und 1891 legte er das "Landexamen" ab. Mit der vorgezeichneten theologischen Laufbahn brach er ein Jahr später ab. 1892-1893 besuchte er das Gymnasium in Bad Canstatt. Danach macht er die Mechaniklehre in der Turmuhrenfabrik in Calw und die Buchhändlerlehre in Tübingen. Eine Zeitlang arbeitet er als Buchhändler und Antiquar in Basel. Mehrere Reisen durch die Schweiz und meherere Italienreise erweitern seine kulturellen Horizonte. Aus dieser Zeit stammen die ersten literarischen Versuche, Gedichte und Erzählungen. Ab 1904 lebte er als freier Schriftsteller und Mitarbeiter an verschiedenen Zeitungen und 1912 zog er in die Schweiz. Für seine literarische Tätigkeit erhielt Hesse 1946 den Nobelpreis.

Aus: Siddhartha

“Siddhartha lauschte. Er war nun ganz Lauscher, ganz ins Zuhören vertieft, ganz leer, ganz einsaugend, er fühlte, dass er nun das Lauschen zu Ende gelernt habe. Oft schon hatte er all dies gehört, diese vielen Stimmen im Fluß, heute klang es neu. Schon konnte er die vielen Stimmen nicht mehr unterscheiden, nicht frohe von weinenden, nicht kindliche von männlichen, sie gehörten alle zusammen, Klage der Sehnsucht und Lachen des Wissenden, Schrei des Zorns und Stöhnen der Sterbenden, alles war eins, alles war ineinander verwoben und verknüpft, tausendfach verschlungen. Und alles zusammen, alle Stimmen, alle Ziele, alles Sehnen, alle Leiden, alle Lust, alles Gute und Böse, alles zusammen war die Welt. Alles zusammen war der Fluß des Geschehens, war die Musik des Lebens. Und wenn Siddhartha aufmerksam diesem Fluß diesem tausendstimmigen Liede lauschte, wenn er nicht auf das Leid noch auf das Lachen hörte, wenn er seine Seele nicht an irgendeine Stimme band und mit seinem Ich in sie einging, sondern alle hörte, das GAnze, die Einheit vernahm, dann bestand das große Lied der tausend Stimmen aus einem einzigen Worte, das hieß Om: Die Vollendung.“






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Hermann Hesse (2. Juli 1877 – 9. August 1962)

Mittwoch, 1. Juli 2009

J. J. Voskuil, Hans Bender

Der niederländische Schriftsteller J. J. Voskuil wurde am 1. Juli 1926 in Amsterdam geboren. Mit seinem siebenbändigen Romanzyklus "Het Bureau" avancierte Ende der neunziger Jahre zum Kultautor. Im Mittelpunkt der Handlung steht Maarten Koning. Voskuils Alter Ego spielte schon in seinem ersten, 1200 Seiten langen Roman "Bij nader inzien" ("Bei näherer Einsicht", 1963) die Hauptrolle. Kühl-distanziert lässt Voskuil Maarten Koning seinen Leidensweg als wissenschaftlicher Angestellter eines real existierenden volkskundlichen Forschungsinstituts in Amsterdam über 30 Jahre lang schildern, eben jenem "Bureau", das man, wie die Hauptfigur nicht müde wird zu betonen, dichtmachen könnte, ohne daß ein Hahn danach krähte. Voskuil, der an Krebs litt und Sterbehilfe in Anspruch nahm, hatte bewusst den Tag der Arbeit, den 1. Mai, gewählt, um in Amsterdam zu sterben.

Aus: Das Büro (Übersetzt von Gerd Busse)

"Tag, Herr Beerta", sagte er.
Herr Beerta stand in der halbgeöffneten Tür und blickte ihn unbewegt an, so als ob sie ungelegen kämen. Dann spitzte er die Lippen und nickte kurz. "Tag, Maarten." Er zwinkerte, ein nervöser Tick.
"Das ist Nicolien", sagte Maarten.
Herr Beerta nickte ein weiteres Mal und reichte ihr die Hand. "T-tag, Frau Koning." Beim "T" stotterte er kurz. Er richtete sich auf, schien für einen kurzen Moment zu zögern und trat dann zur Seite.
"Kommt rein."
"Wir kommen doch nicht ungelegen?" fragte Maarten, während Beerta die Tür hinter ihnen schloß.
"Ihr kommt nicht ungelegen", antwortete Beerta kurz angebunden. "Ich gehe mal vor."
Beertas Zimmer wurde von einer Stehlampe mit einem großmustrigen, rotgeblümten Pergamentschirm sowie einer kleineren Lampe auf dem Kaminsims erleuchtet, deren roter Lampenschirm am unteren Rand mit Perlenschnüren umsäumt war. Im Lichtschein der Stehlampe standen ein Sessel und ein Hocker, auf dem eine aufgeschlagene Zeitung lag. Das Licht reichte bis zum unteren Rand der schweren, dunklen Vorhänge, die den Raum vom Fußboden bis zur Decke von der Außenwelt abtrennten. Die seitlichen Wänden sowie die Flächen beiderseits der Schiebetür standen voll mit Büchern, in tiefen, braunen Regalen, die ebenfalls bis zur Decke reichten und halb im Dunkeln lagen.
"Setzt Euch", sagte Beerta.
Sie setzten sich auf ein Sofa, das ein wenig schräg in einer Ecke des Raumes stand, während Beerta ihnen gegenüber in einem Sessel außerhalb des Lichtscheins Platz nahm. Von der Stelle, an der Maarten saß, konnte er im vorderen Zimmer einen großen Tisch erkennen, vollgestapelt mit Büchern, zwischen denen eine von einer Schreibtischlampe beleuchtete Schreibmaschine stand. In der Maschine steckte ein Blatt Papier, daneben lag ein aufgeschlagenes Buch.
"Waren Sie gerade am Arbeiten?" fragte er.
"Ich bin immer am Arbeiten", antwortete Beerta. Er sah Maarten unbewegt an. "Ich hab dich lange nicht gesehen." Es klang vorwurfsvoll.
"Wir haben ein Jahr in Groningen gewohnt", sagte Maarten. "Ich war dort Lehrer."
Beerta nickte. "Ich war auch Lehrer", erwiderte er, so, als wenn das die Sache damit besser machte. "Und was tust du jetzt?"
"Nichts."
"Nichts!" wiederholte Beerta. Er spitzte seine Lippen, halb erstaunt, halb ironisch. "Ich glaube, ich wäre darüber nicht so begeistert." Er stand auf. "Wollt ihr vielleicht noch eine Tasse Tee?"
"Ob es ihm paßt, daß wir hergekommen sind?" fragte Nicolien, als Beerta das Zimmer verlassen hatte."






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J. J. Voskuil (1. Juli 1926 – 1. Mai 2008)




Der deutsche Lyriker, Schriftsteller und Herausgeber Hans Bender wurde am 1. Juli 1919 in Mühlhausen geboren. Nach der Rückkehr aus Krieg und Gefangenschaft in Russland begann Hans Bender seinen literarischen Weg mit dem Verfassen von Gedichten und Kurzgeschichten (die sich u.a. mit den Erfahrungen des Kriegs auseinandersetzen) sowie der Herausgabe der Literaturzeitschrift Konturen. 1954 gründete er mit Walter Höllerer die Zeitschrift Akzente, die schnell zu einer der bedeutendsten Literaturzeitschriften im deutschen Sprachraum wurde. Neben Prosaanthologien hat Bender vor allem repräsentative Lyrik-Sammelbände herausgegeben, deren dokumentarischer Charakter sie zu unverzichtbaren Nachschlagewerken für den Lyrikleser machen. Als Autor prägte Hans Bender in erster Linie die deutschsprachige Kurzgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidend mit. Die Wölfe kommen zurück, Der Brotholer, Iljas Tauben gehören bis heute zum literarischen Kanon im deutschen Schulbuch und sind in zahlreiche Sprachen übersetzt. 1957 erhielt Bender den Kurzgeschichtenpreis der Süddeutschen Zeitung. Weitere Ehrungen für sein literarisches Fördern, Schaffen und Wirken folgten. Im Jahr 2006 erhielt Hans Bender die Christian Ferber-Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung von 1859. Hans Bender wird heute 90 Jahre alt.



Meine Vierzeiler

Unbrauchbar
für die Frankfurter Anthologie.
Für Interpreten zu kurz,
sogar verständlich sind sie.




Gedichte älterer Jahrgänge

Ein Reim, ein Vergleich,
eine Metapher sogar,
zu erinnern daran,
wie Lyrik früher war.




Verwunderung

Irgendetwas will in dir
wie in deiner Jugend keimen.
Deine Wörter, deine Zeilen
wollen wie von selbst sich reimen.




Vermutung

Satirische Epigramme finden sich
seltener in unseren Tagen.
Die Dichter scheinen sich heute
besser als früher zu vertragen.







Bender
Hans Bender (Mühlhausen, 1. Juli 1919)

Dienstag, 30. Juni 2009

Czeslaw Milosz, Juli Zeh

Der polnische Dichter Czeslaw Milosz wurde am 30. Juni 1911 in Szetejnie bei Kedainiai, Litauen geboren. Er studierte Jura in Wilna, das damals zu Polen gehörte. 1931 war er Mitbegründer der Literaturzeitschrift Zagary (Feuersbrünste). 1933 wurde sein erster Lyrigband (Poemat o czasie zastyglym) in Polen veröffentlicht. 1934 ging Milosz als Stipendiat nach Paris. Nach seiner Rückkehr arbeitete er für den polnischen Rundfunk, zunächst in Wilna, später in Warschau. Den Zweiten Weltkrieg verbrachte er in Warschau, wo er im Untergrund aktiv war. Nach dem Krieg ging er in den diplomatischen Dienst und wurde polnischer Kulturattaché in New York, Washington und Paris. 1951 kam es zum Bruch mit der polnischen Regierung , Milosz ließ sich in Frankreich nieder. 1960 siedelte er in die USA und wurde 1961 Professor für Slawistik in Berkeley, Kalifornien. Seit 1970 war Milosz amerikanischer Staatsbürger. 1980 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.

Aus: Hündchen am Wegesrand (Übersetzt von Doreen Daume)

“Um mein Land kennenzulernen, hatte ich mich in einem Zweispännerauf den Weg gemacht. Ich hatte einen großen Vorrat an getrocknetem Futter dabei und einen hinten am Wagen angebundenen, klappernden Eimer, der dazu diente, die Pferde zu tränken. Auf dieser Reise lernte ich die verschiedensten Gegenden kennen, manche waren hügelig, andere waldig, wieder andere ähnlich der Pußta. Dort ballte sich der Rauch über den Dächern der Gehöfte zusammen, so daß es aussah, als würden diese brennen. Das kam daher, weil diese Gebäude keinen Rauchfang hatten. Ich fuhr auch durch Felder und Seenlandschaften. Wie herrlich war es doch, sich auf diese Art vorwärts zu bewegen, die Zügel schleifen zu lassen, zu warten, bis hinter den Bäumen langsam ein Dorf oder ein Park erschien und darin das Weiß eines Gutshofs. Und immer sprang uns sofort ein kleiner bellender Hund entgegen, eifrig und pflichtbewußt. Das war am Anfang des Jahrhunderts, an dessen Ende wir uns nun befinden. Ich erinnere mich nicht nur an die Menschen, die dort lebten, sondern auch an die Generationen von Hunden, die ihnen bei ihren täglichen Geschäften Gesellschaft leisteten, und einmal, ich weiß nicht woher, sicher war es in einem Traum, den ich gegen Morgen hatte, kam mir diese drollige und fast zärtliche Bezeichnung für sie in den Sinn: "Hündchen am Wegesrand". Ohne Kontrolle. Er konnte seine Gedanken nicht kontrollieren. Sie irrten herum, wo sie wollten, und wenn er ihnen nach ging, wurde ihm übel. Denn es waren keine guten Gedanken, sie brachten es an den Tag, daß er in seinem tiefsten Innern grausam war. Das mußte er sich eingestehen. Er dachte, daß die Welt ein einziges Jammertal sei und daß die Menschen nichts anderes verdienten als ihren eigenen Untergang. Gleichzeitig hatte er den Verdacht, daß die Grausamkeit seiner Phantasie und sein Schaffensimpuls irgendwie zueinander gehörten.Vorübergehend und nur zum Schein Morgens aufstehen und zur Arbeit gehen, mit den Menschen durch Gefühle der Liebe, der Freundschaft oder der Feindschaft verbunden sein - und sich die ganze Zeit darüber im klaren sein, daß all dies nur vorübergehend und zum Schein ist. Unerschütterlich und greifbar warin ihm eigentlich nur die Hoffnung, diese war so stark, daß ihn das Leben selbst bereits ungeduldig machte.”







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Czeslaw Milosz (30. Juni 1911 – 14. August 2004)





Die deutsche Schriftstellerin Juli Zeh wurde in Bonn geboren und studierte Jura in Passau und Leipzig, wo sie 1998 ihr 1. Staatsexamen machte. Ebenfalls in Leipzig studierte sie von 1996 bis 2000 am Deutschen Literaturinstitut (DLL), an das sie später als Dozentin zurückgekehrt ist. Nach ihrem Diplom am DLL folgte 2003 das 2. Staatsexamen. Zahlreiche Auslandsaufenthalte u.a. für die UN in New York und Krakau und vor allem in Sarajevo, Bosnien und Herzegowina haben ihre Arbeiten geprägt. Juli Zeh wurde für ihr Werk vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Deutschen Bücherpreis, dem Rauriser Literaturpreis, dem Hölderlin-Förderpreis, dem Ernst-Toller-Preis und dem Solothurner Literaturpreis.
Ihr erster Roman Adler und Engel ist mittlerweile in 29 Sprachen übersetzt. Ihr Roman “Spieltrieb” wurde 2006 am Hamburger Schauspielhaus für die Bühne dramatisiert.

Aus: Adler und Engel

“Ich habe den Eindruck, dass diese Nacht ein paar Grad kühler ist als die Nächte zuvor. Das wäre, in Übereinstimmung mit meinen Berechnungen, sogar logisch. Es muss Ende August sein, also wird die Hitze nachlassen, falls die Erde nicht doch feststeckt auf ihrer Umlaufbahn, und es wird regnen, irgendwann, vielleicht schon bald.
Mir kommt der Verdacht, dass Clara im Schuppen überhaupt nur auf den Regen wartet, wie eine dieser Wüstenpflanzen, die während der Trockenphasen braun, flach und eingeschrumpft für Monate in einem Winkel liegen können und dabei sogar tot sind im biologischen Sinn. Sobald sie aber Wasser bekommen, erblühen sie innerhalb von Minuten, wachsen zur zehnfachen Größe an, werden grün und nahezu schön. Ich habe dieses Phänomen klar vor Augen, mir fällt sogar der Name der Pflanze ein: Rose von Jericho. Gleichzeitig sehe ich Clara vor mir, wie sie bei den ersten fallenden Tropfen auf Knien und Ellenbogen ins Freie kriechen und solange im Regen liegen bleiben wird, bis sie kräftig genug ist, um sich zu erheben und alleine zu gehen, und dann wird sie diesen Hof verlassen, soviel steht fest. Das würde erklären, warum sie da drin liegt wie ausgeknipst. Tot im biologischen Sinn. Ich werde den Wetterbericht hören müssen. Ich werde einen Gartenschlauch kaufen, ihn am Hahn neben dem Tor anschließen und Wasser auf das Dach des Schuppens und gegen die Fensterscheiben trommeln lassen, um auszuprobieren, ob Clara reagiert, ob sie nach einer Weile kriechend auf der Schwelle erscheint. Lisa von Jericho. »






Juli_Zeh
Juli Zeh (Bonn, 30. Juni 1974)

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