Sarah Kirsch, Sibylle Lewitscharoff
Die deutsche Lyrikerin und Schriftstellerin Sarah Kirsch wurde am 16. April 1935 geboren in Limlingerode. Sie studierte Biologie in Halle an der Saale und Literatur in Leipzig. Danach arbeitete sie als freie Schriftstellerin, von 1968 an in Ost-Berlin, ab 1977 im Westen der Stadt. 1983 zog sie in das Zwergschulhaus hinter dem Eiderdeich im schleswig-holsteinischen Tielenhemme. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Georg-Büchner-Preis (1996).
Die Nacht streckt ihre Finger aus
Die Nacht streckt ihre Finger aus
Sie findet mich in meinem Haus
Sie setzt sich unter meinen Tisch
Sie kriecht wird gross sie windet sich
Und der Rauch schwimmt durch den Raum
Wächst zu einem schönen Baum
Den ich leicht zerstören kann
Ich rauche einen neuen, dann
Zähl ich alle meine lieben
Freunde an den Fingern ab
Es sind zu viele Finger, die ich hab
Zu wenig Freunde sind geblieben
Streckt die Nacht die Finger aus
Findet sie mich in meinem Haus
Rauch schwimmt durch den leeren Raum
Wächst zu einem Baum
Der war vollbelaubt mit Worten
Worten die alsbald verdorrten
Schiffchen schwimmen durch die Zweige
Die ich heut nicht mehr besteige
Keiner hat mich verlassen
Keiner hat mich verlassen
Keiner ein Haus mir gezeigt
Keiner einen Stein aufgehoben
Erschlagen wollte mich keiner
Alle reden mir zu
Elegie
Ich bin der schöne Vogel Phönix
Schüttle mich am Morgen, sage
Pfeif drauf! bekomme sie, meine Seele
Gänseblümchenweiss
Ich bin
Der schöne Vogel Phönix
Aber durch das
Flieg ich nicht wieder
Sarah Kirsch (Limlingerode, 16. April 1935)
Die deutsche Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff wurde am 16. April 1954 in Stuttgart geboren. Sibylle Lewitscharoff stammt von einem bulgarischen Vater und einer deutschen Mutter ab. Sie wuchs in Stuttgart auf, wo sie 1972 ihr Abitur machte. Anschließend studierte sie Religionswissenschaft an der Freien Universität Berlin und erlangte den Grad eines Magisters. Während ihres Studiums hielt sie sich für jeweils ein Jahr in Buenos Aires und Paris auf. Seit ihrem Studienabschluss arbeitet Lewitscharoff als Buchhalterin in einer Berliner Werbeagentur. Ihre schriftstellerische Tätigkeit begann sie mit dem Verfassen von Radio-Features und Hörspielen.
Den Durchbruch als Autorin erlebte Lewitscharoff 1998, als sie für ihren Roman Pong den Ingeborg-Bachmann-Preis gewann. 2006 wurde sie mit dem Kranichsteiner Literaturpreis ausgezeichnet, 2007 mit dem Preis der Literaturhäuser, 2008 mit dem Marie-Luise-Kaschnitz-Preis und 2009 für ihren Roman Apostoloff mit dem Preis der Leipziger Buchmesse.
Aus: Consummatus
“Wie fein die Toten hören! Zu einem Riesenohr vereinigt, segeln ihre Ohren am Himmel und überspannen ihn zu weiten Teilen. Was sich von Zungen löst, was sich in Hirnen formt, erzählte Worte, geträumte Worte, Worte ohne Klang, sie alle werden vom
Großen Totenohr erlauscht. Es wedelt, es fächelt, es zuckt wie ein Elefantenohr im Takt zu den Lügen, Beschwörungen, Gebeten, den Sirenengesängen, Notschreien, Märchen in den Babelsprachen der Erde, es hört die Tierlaute und den Krach der Maschinen, hört das Uuuijujuio der Gibbons so präzis wie das Huuijui der Kleinen Hufnase, hört das Schwappen der Meere und die dunkle Verzweiflung der Callas. Hört selbst Fehlwörter und schlampig gesprochene Silben, Wörter, die so huschig erscheinen und wieder verschwinden, daß nicht einmal wer sie geboren hat imstande ist, sie zu verstehen.
Es war einmal. Wann immer dieser Satzstummelvernommen wird, rinnt ein freudiger Schauder über das Totenohr. Es war einmal sind seine liebsten Worte. Es waren einmal ein Mann und eine Frau. Ein unauffälliger Mann und eine Frau, die alle Blicke auf sich zog, früher heiße, später nur mehr neugierige. Daß sich so ein Mann und diese Frau treffen mußten, um neun Monate lang durch Europa zu kreuzen, ist einer jener seltenen Würfe, die das Leben manchmal in einem geschlossenen Becher ausbringt. Der Mann bin ich.”
Sibylle Lewitscharoff (Stuttgart, 16. April 1954)
Die Nacht streckt ihre Finger aus
Die Nacht streckt ihre Finger aus
Sie findet mich in meinem Haus
Sie setzt sich unter meinen Tisch
Sie kriecht wird gross sie windet sich
Und der Rauch schwimmt durch den Raum
Wächst zu einem schönen Baum
Den ich leicht zerstören kann
Ich rauche einen neuen, dann
Zähl ich alle meine lieben
Freunde an den Fingern ab
Es sind zu viele Finger, die ich hab
Zu wenig Freunde sind geblieben
Streckt die Nacht die Finger aus
Findet sie mich in meinem Haus
Rauch schwimmt durch den leeren Raum
Wächst zu einem Baum
Der war vollbelaubt mit Worten
Worten die alsbald verdorrten
Schiffchen schwimmen durch die Zweige
Die ich heut nicht mehr besteige
Keiner hat mich verlassen
Keiner hat mich verlassen
Keiner ein Haus mir gezeigt
Keiner einen Stein aufgehoben
Erschlagen wollte mich keiner
Alle reden mir zu
Elegie
Ich bin der schöne Vogel Phönix
Schüttle mich am Morgen, sage
Pfeif drauf! bekomme sie, meine Seele
Gänseblümchenweiss
Ich bin
Der schöne Vogel Phönix
Aber durch das
Flieg ich nicht wieder
Sarah Kirsch (Limlingerode, 16. April 1935)
Die deutsche Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff wurde am 16. April 1954 in Stuttgart geboren. Sibylle Lewitscharoff stammt von einem bulgarischen Vater und einer deutschen Mutter ab. Sie wuchs in Stuttgart auf, wo sie 1972 ihr Abitur machte. Anschließend studierte sie Religionswissenschaft an der Freien Universität Berlin und erlangte den Grad eines Magisters. Während ihres Studiums hielt sie sich für jeweils ein Jahr in Buenos Aires und Paris auf. Seit ihrem Studienabschluss arbeitet Lewitscharoff als Buchhalterin in einer Berliner Werbeagentur. Ihre schriftstellerische Tätigkeit begann sie mit dem Verfassen von Radio-Features und Hörspielen.
Den Durchbruch als Autorin erlebte Lewitscharoff 1998, als sie für ihren Roman Pong den Ingeborg-Bachmann-Preis gewann. 2006 wurde sie mit dem Kranichsteiner Literaturpreis ausgezeichnet, 2007 mit dem Preis der Literaturhäuser, 2008 mit dem Marie-Luise-Kaschnitz-Preis und 2009 für ihren Roman Apostoloff mit dem Preis der Leipziger Buchmesse.
Aus: Consummatus
“Wie fein die Toten hören! Zu einem Riesenohr vereinigt, segeln ihre Ohren am Himmel und überspannen ihn zu weiten Teilen. Was sich von Zungen löst, was sich in Hirnen formt, erzählte Worte, geträumte Worte, Worte ohne Klang, sie alle werden vom
Großen Totenohr erlauscht. Es wedelt, es fächelt, es zuckt wie ein Elefantenohr im Takt zu den Lügen, Beschwörungen, Gebeten, den Sirenengesängen, Notschreien, Märchen in den Babelsprachen der Erde, es hört die Tierlaute und den Krach der Maschinen, hört das Uuuijujuio der Gibbons so präzis wie das Huuijui der Kleinen Hufnase, hört das Schwappen der Meere und die dunkle Verzweiflung der Callas. Hört selbst Fehlwörter und schlampig gesprochene Silben, Wörter, die so huschig erscheinen und wieder verschwinden, daß nicht einmal wer sie geboren hat imstande ist, sie zu verstehen.
Es war einmal. Wann immer dieser Satzstummelvernommen wird, rinnt ein freudiger Schauder über das Totenohr. Es war einmal sind seine liebsten Worte. Es waren einmal ein Mann und eine Frau. Ein unauffälliger Mann und eine Frau, die alle Blicke auf sich zog, früher heiße, später nur mehr neugierige. Daß sich so ein Mann und diese Frau treffen mußten, um neun Monate lang durch Europa zu kreuzen, ist einer jener seltenen Würfe, die das Leben manchmal in einem geschlossenen Becher ausbringt. Der Mann bin ich.”
Sibylle Lewitscharoff (Stuttgart, 16. April 1954)
froumen - 16. Apr, 18:42