Herman Bang, Aloysius Bertrand
Der dänische Schriftsteller Herman Joachim Bang wurde am 20. April 1857 in Asserballe auf der Insel Alsen, geboren. Bang, der Sohn eines Pastors, studierte ab 1875 Staatswissenschaften an der Universität Kopenhagen, gab sein Studium allerdings 1877 auf und wurde Journalist. Er schrieb für dänische, norwegische und deutsche Zeitungen. Nach Reisen ließ er sich in Kopenhagen nieder, wo er verschiedene Wohnsitze innehatte. Bang war homosexuell, was ihm manche Anfeindungen und Isolation in Dänemark eintrug. 1885-86 lebte er mit dem deutschen Schauspieler Max Eisfeld (1863-1935) in Meiningen, Wien und Prag zusammen. Bang scheiterte als Schauspieler, avancierte aber zu einem gefeierten Theaterregisseur und war angesehen als Schriftsteller. Viele Vortragsreisen führten ihn durch Europa und die USA. Auf einer dieser Vortragsreisen starb Bang in Utah. Bangs erste Veröffentlichungen waren essayistischer Art, bis er 1880 seinen ersten Roman Hoffnungslose Geschlechter vorlegte. Bang war anfangs noch dem Naturalismus verhaftet und wurde von Émile Zola, Henrik Ibsen und Charles Darwin beeinflusst. Auch Iwan Sergejewitsch Turgenew und Jonas Lie sind als literarische Vorbilder zu nennen. In seiner weiteren künstlerischen Entwicklung wurde Bang zum Schöpfer des dänischen Impressionismus und der Repräsentant der dänischen Dekadenz.
Aus: Sommerfreuden (Übersetzt von Aldo und Ingeborg Keel)
“ Margueritta stand nahe bei Ihm. Sie lehnte sich an Ihn. Sie nahm seine Hand in ihre kleinen Hände und hielt sie fest. Manchesmal drückte sie sie sanft an ihre Brust. Und doch war sie erst elf Jahre alt. «Margueritta ist die Menschenfreundin», sagte die Mutter zu dem jungen Manne, «Rositta ist anders – –. Sie liebt die Einsamkeit, die Natur und die Thiere. Jetzt hat sie ihr Herz einem gelben Dachshund geschenkt, Herrn von Bergmann.
Sie hatte das Glück, ihm gestern vorgestellt zu werden. Sie hat heute die Taschen voll Würfelzucker für ihn – – – aber es ist eine unglückliche Liebe.»
«Wieso unglücklich – –?!» sagte das Kind, «ich liebe ihn ja! Ich denke immer an ihn – –. Das macht mich doch glücklich?!»
Rositta war neun Jahre alt, zart und bleich. Margueritta sagte: «Oh, Rositta ist übertrieben–!»
«Wieso?!» fragte die Schwester und erbleichte –.
«Ja, du bist übertrieben – –! Sie will Sennin werden am Patscherkof l3 und Cither lernen!»
Rositta: «Der Wirth in Igls hat so schön Cither gespielt und gesungen! Und er hat gar nicht gewusst,
dass er schön singt – –! Er ist dagesessen und hat gesungen – – –.»
Margueritta: «Rosie hat eine Altstimme und dichtet sich selber die Lieder. In der Früh singt sie manchmal: ‹O meine Berge, meine Berge – –!›
Aber übertrieben ist sie doch – – –!»
Die Mutter sagte: «Das ist doch kein Lied: ‹O meine Berge – –!?›»
Rosie sah ihre Schwester an. Sie war erstaunt, verlegen.
Margit sagte: «O ja, das ist ein Lied – –! Mama, das verstehst du nicht, das verstehen nur wir. Ein Lied ist es, nicht wahr, Herr – – –?!»
Der junge Mann sagte: «Ja!»
Er dachte: «Es ist eine tönende Menschenseele – – ein Lied!»
Er blickte in die Welt zweier Kinderseelen.”
Herman Bang (20. April 1857 – 19. Januar 1912)
Der französische Dichter Aloysius Bertrand (eig. Louis-Jacques-Napoléon Bertrand) wurde am 20. April 1807 in Ceva, Piemont, Italien, geboren. Mit Gaspard de la Nuit (1842 postum veröffentlicht) führte er das Prosagedicht in die französische Literatur ein. Das Buch war eine Quelle der Inspiration für die symbolistischen Dichter. Lange unbekannt, wurde es von Charles Baudelaire und Stéphane Mallarmé entdeckt, gilt heute als Klassiker der poetischen und fantastischen Literatur und fand bedeutenden musikalischen Niederschlag in Ravels gleichnamigem Klavierstück.
Aus: Gaspard de la Nuit (Fragment)
HARLEM.
Quand d'Amsterdam le coq d'or chantera
La poule d'or de Harlem pondra.
Les Centuries de Nostradamus.
Harlem, cette admirable bambochade qui résume l'école flamande,
Harlem peint par Jean Breughel, Peeter-Neef, David Téniers et Paul
Rembrandt;
Et le canal où l'eau bleue tremble, et l'église où le vitrage
d'or flamboie, et le stoël (*) où sèche le linge au soleil, et les
toits, verts de houblon;
Balcon de pierre.
Et les cigognes qui battent des ailes autour de l'horloge de la
ville, tendant le col du haut des airs et recevant dans leur bec les
gouttes de pluie;
Et l'insouciant bourguemestre qui caresse de la main son menton
double, et l'amoureux fleuriste qui maigrit, l'oeil attaché à une
tulipe;
Et la bohémienne qui se pâme sur sa mandoline, et le vieillard
qui joue du Rommelpot (*), et l'enfant qui enfle une vessie;
(*) Instrument de musique
Et les buveurs qui fument dans l'estaminet borgne, et la
servante de l'hôtellerie qui accroche à la fenêtre un faisan mort.
Aloysius Bertrand (20. April 1807 – 29. April 1841)
Büste in Dijon.
Aus: Sommerfreuden (Übersetzt von Aldo und Ingeborg Keel)
“ Margueritta stand nahe bei Ihm. Sie lehnte sich an Ihn. Sie nahm seine Hand in ihre kleinen Hände und hielt sie fest. Manchesmal drückte sie sie sanft an ihre Brust. Und doch war sie erst elf Jahre alt. «Margueritta ist die Menschenfreundin», sagte die Mutter zu dem jungen Manne, «Rositta ist anders – –. Sie liebt die Einsamkeit, die Natur und die Thiere. Jetzt hat sie ihr Herz einem gelben Dachshund geschenkt, Herrn von Bergmann.
Sie hatte das Glück, ihm gestern vorgestellt zu werden. Sie hat heute die Taschen voll Würfelzucker für ihn – – – aber es ist eine unglückliche Liebe.»
«Wieso unglücklich – –?!» sagte das Kind, «ich liebe ihn ja! Ich denke immer an ihn – –. Das macht mich doch glücklich?!»
Rositta war neun Jahre alt, zart und bleich. Margueritta sagte: «Oh, Rositta ist übertrieben–!»
«Wieso?!» fragte die Schwester und erbleichte –.
«Ja, du bist übertrieben – –! Sie will Sennin werden am Patscherkof l3 und Cither lernen!»
Rositta: «Der Wirth in Igls hat so schön Cither gespielt und gesungen! Und er hat gar nicht gewusst,
dass er schön singt – –! Er ist dagesessen und hat gesungen – – –.»
Margueritta: «Rosie hat eine Altstimme und dichtet sich selber die Lieder. In der Früh singt sie manchmal: ‹O meine Berge, meine Berge – –!›
Aber übertrieben ist sie doch – – –!»
Die Mutter sagte: «Das ist doch kein Lied: ‹O meine Berge – –!?›»
Rosie sah ihre Schwester an. Sie war erstaunt, verlegen.
Margit sagte: «O ja, das ist ein Lied – –! Mama, das verstehst du nicht, das verstehen nur wir. Ein Lied ist es, nicht wahr, Herr – – –?!»
Der junge Mann sagte: «Ja!»
Er dachte: «Es ist eine tönende Menschenseele – – ein Lied!»
Er blickte in die Welt zweier Kinderseelen.”
Herman Bang (20. April 1857 – 19. Januar 1912)
Der französische Dichter Aloysius Bertrand (eig. Louis-Jacques-Napoléon Bertrand) wurde am 20. April 1807 in Ceva, Piemont, Italien, geboren. Mit Gaspard de la Nuit (1842 postum veröffentlicht) führte er das Prosagedicht in die französische Literatur ein. Das Buch war eine Quelle der Inspiration für die symbolistischen Dichter. Lange unbekannt, wurde es von Charles Baudelaire und Stéphane Mallarmé entdeckt, gilt heute als Klassiker der poetischen und fantastischen Literatur und fand bedeutenden musikalischen Niederschlag in Ravels gleichnamigem Klavierstück.
Aus: Gaspard de la Nuit (Fragment)
HARLEM.
Quand d'Amsterdam le coq d'or chantera
La poule d'or de Harlem pondra.
Les Centuries de Nostradamus.
Harlem, cette admirable bambochade qui résume l'école flamande,
Harlem peint par Jean Breughel, Peeter-Neef, David Téniers et Paul
Rembrandt;
Et le canal où l'eau bleue tremble, et l'église où le vitrage
d'or flamboie, et le stoël (*) où sèche le linge au soleil, et les
toits, verts de houblon;
Balcon de pierre.
Et les cigognes qui battent des ailes autour de l'horloge de la
ville, tendant le col du haut des airs et recevant dans leur bec les
gouttes de pluie;
Et l'insouciant bourguemestre qui caresse de la main son menton
double, et l'amoureux fleuriste qui maigrit, l'oeil attaché à une
tulipe;
Et la bohémienne qui se pâme sur sa mandoline, et le vieillard
qui joue du Rommelpot (*), et l'enfant qui enfle une vessie;
(*) Instrument de musique
Et les buveurs qui fument dans l'estaminet borgne, et la
servante de l'hôtellerie qui accroche à la fenêtre un faisan mort.
Aloysius Bertrand (20. April 1807 – 29. April 1841)
Büste in Dijon.
froumen - 20. Apr, 18:40