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Weltliteratur

Mittwoch, 16. September 2009

Michael Nava, Hans Arp

Der amerikanische Schriftsteller und Rechtsanwalt Michael Nava wurde am 16. September 1954 in der Kleinstadt Stockton im San Joaquin County in der Nähe von San Francisco geboren und wuchs in Sacramento auf. Im Jahr 1981 erhielt er seinen Abschluss als Rechtsanwalt an der Stanford-Universität, wo er bereits im Jahr zuvor seinen Lebensgefährten Bill Weinberger kennenlernte. Die beiden führten zunächst eine gemeinsame Kanzlei in Palo Alto, bis sie ihren Sitz 1984 nach Los Angeles verlegten. 1986 veröffentlichte er seinen ersten Roman unter dem Titel The little death (deutsch: Der kleine Tod). Nach sieben Bänden war der Romanzyklus um den schwulen Anwalt Henry Rios im Jahr 2001 abgeschlossen. Nava praktiziert seit 1995 in San Francisco. Dort ist er nicht nur als Rechtsanwalt tätig, sondern kämpft auch öffentlich für die Anerkennung und Gleichberechtigung Homosexueller in den USA. Für die meisten seiner Romane erhielt Nava den Lambda Mystery Award. Sämtliche Romane wurden ins Deutsche übersetzt und erschienen im Hamburger Argument Verlag.

Aus: Verbrannte Erde

“Ich saß allein an einem Plastiktischchen vor dem Kaffeekiosk auf dem Platz zwischen dem Bezirksgericht und der Hall of Records in der Innenstadt von Los Angeles. Es war neun Uhr zweiundvierzig an einem warmen, versmogten Morgen Ende April. Die Büroangestellten hatten sich widerwillig aufgerafft und waren zu ihren Arbeitsplätzen ausgeschwärmt, und die umstehenden Tische waren übersät von den Überresten ihres Frühstücks, von leeren Tassen, Gebäckkrümeln, Zuckertütchen und lippenstiftbefleckten Papierservietten. Eine Obdachlose – ein Wirbelwind von Lumpen, ein sonnenverbranntes Gesicht – durchwühlte den Abfall. Sorgfältig wickelte sie die Überbleibsel eines Bran Muffin in eine Serviette, verstaute sie in ihrer schmutzigen Jackentasche und kam mit ausgestreckter Hand auf mich zu. Ihre Augen waren wie Wunden. Ich gab ihr einen Dollar, was der Junge hinter der Theke mit missbilligendem Stirnrunzeln kommentierte. Der Himmel war metallisch, als wäre eine Käseglocke über die Stadt gestülpt, und in den staubigen Büschen und Bäumen der Plaza rührte sich kein Hauch. Die giftige Luft biss mir in den Augen. Ich nippte am lauwarmen Kaffee und warf einen Blick in die Zeitung. Auf einem Foto sah ich einen untersetzten Mann im Frack hinter einem Rednerpult stehen, mit einer übergroßen Oscar-Figur im Hintergrund. Die Bildunterschrift identifizierte ihn als Duke Asuras, Direktor der Parnassus-Filmproduktion, und zitierte ihn mit den bei der kürzlich stattgefundenen Oscarverleihung geäußerten Worten: "Filmemachen ist nicht nur Handwerk, es ist Kriegshandwerk, und unser Schlachtfeld ist die ganze Welt." Ich sah auf meine Armbanduhr. Es war Zeit, ins Gericht zu gehen.
Das Bezirksgericht zog sich ganz in Beton und poliertem Granit über drei Blocks der First Street, ein Furcht erregendes, zyklopenhaftes Gebäude in einer Umgebung aus lauter Furcht erregend zyklopenhaften Gebäuden: die Hall of Records, die Bezirksverwaltung, das Strafgericht, der Chandler-Pavillon, der Times Mirror Square, das Rathaus. Im Bezirksgericht wurden Zivilprozesse verhandelt, ich als Strafverteidiger hatte dort noch selten zu tun gehabt. Aber jedes Mal beeindruckte mich das Fries über dem Eingang in der Hill Street: Justitia, die Waage auf dem Kopf balancierend, zu ihren beiden Seiten je eine knieende, mit heldischen Muskeln bepackte Männerfigur, die den Vorübergehenden eine steinerne Tafel entgegenhielt. LUX ET VERITAS war in die eine Tafel gehauen, LEX in die andere. Licht und Wahrheit. Gesetz. So weit das Versprechen – aber als ich dieses Gebäude betrat, um dem letzten Verhandlungstag im Prozess über die Leiche meines Geliebten beizuwohnen, ging mir eine ganz andere Sentenz durch den Kopf: "Die Hölle, das sind die anderen."






nava
Michael Nava (Stockton, 16. September 1954)





Der deutsch-französische Maler, Graphiker, Bildhauer und Dichter Hans (Jean) Arp wurde am 16. September 1887 in Strassburg geboren. Arp war Mitbegründer des Zürcher Dadaismus und des Surrealismus in Paris. Er widmete sich besonders dem Holzrelief und der Papiercollage und nahm mit seinen "materialen Texten" auch grossen Einfluss auf die abstrakte Dichtung.
Nach einem Kunststudium in Weimar und Paris arbeitete Arp mehrere Jahre als Maler in der Schweiz. 1912 stellte er bei einer Ausstellung der Künstlervereinigung "Der Blaue Reiter" seine Arbeiten einem grösseren Publikum vor. 1913 arbeitete er mit den Künstlern um die expressionistische Zeitschrift Der Sturm zusammen. 1916 war Arp einer der Gründerväter der Zürcher Dadabewegung, an deren Aktivitäten er sich bis 1919 beteiligte und deren Strategie einer "synthetischen Dichtkunst" er mitentwickelte. Dort lernte er u.a. Kurt Schwitters und Friedrich Glauser kennen. Durch sein künstlerisches Engagement beeinflusste er 1919 bzw. 1920 auch die um Max Ernst gruppierte Dadabewegung in Köln. 1921 heiratete Arp die schweizerische Malerin Sophie Taeubner-Arp (1889-1943). 1924 ging er nach Paris, wo er mit den Surrealisten zusammentraf.


Opus Null
1
Ich bin der große Derdiedas
das rigorose Regiment
der Ozonstengel prima Qua
der anonyme Einprozent.
Das P. P. Tit und auch die Po
Posaune ohne Mund und Loch
das große Herkulesgeschirr
der linke Fuß vom rechten Koch.
Ich bin der lange Lebenslang
der zwölfte Sinn im Eierstock
der insgesamte Augustin
im lichten Zelluloserock.
2
Er zieht aus seinem schwarzen Sarg
um Sarg um Sarg um Sarg hervor.
Er weint mit seinem Vorderteil
und wickelt sich in Trauerflor.
Halb Zauberer halb Dirigent
taktiert er ohne Alpenstock
sein grünes Ziffernblatt am Hut
und fällt von seinem Kutscherbock.
Dabei stößt er den Ghettofisch
von der möblierten Staffelei.
Sein langer Würfelstrumpf zerreißt
zweimal entzwei dreimal entdrei.
3
Er sitzt mit sich in einem Kreis.
Der Kreis sitzt mit dem eignen Leib.
Ein Sack mit einem Kamm der steht
dient ihm als Sofa und als Weib.
Der eigne Leib der eigne Sack.
Der Vonvon und die linke Haut.
Und tick und tack und tipp und topp
der eigne Leib fällt aus der Braut.
Er schwingt als Pfund aus seinem Stein
die eigne Braut im eignen Sack.
Der eigne Leib im eignen Kreis
fällt nackt als Sofa aus dem Frack.
4
Mit seiner Dampfmaschine treibt
er Hut um Hut aus seinem Hut
und stellt sie auf in Ringelreihn
wie man es mit Soldaten tut.
Dann grüßt er sie mit seinem Hut
der dreimal grüßt mit einem du.
Das traute sie vom Kakasie
ersetzt er durch das Kakadu.
Er sieht sie nicht und grüßt sie doch
er sie mit sich und läuft um sich.
Der Hüte inbegriffen sind
und deckt den Deckel ab vom Ich.






hans-arp-1905
Hans Arp (16. September 1886 – 7. Juni 1966)

Dienstag, 15. September 2009

Gunnar Ekelöf, Agatha Christie

Der schwedische Lyriker und Schriftsteller Bengt Gunnar Ekelöf wurde am 15. September 1907 in Stockholm geboren. Ekelöf wird zu den bedeutenden schwedischen Lyrikern des 20. Jahrhunderts gezählt. Zuweilen wird er als der radikalste unter den Dichtern der schwedischsprachigen Moderne bezeichnet. In seinem Werk finden sich Elemente von Symbolismus und Surrealismus. Beeinflusst haben ihn anfangs insbesondere der französische Surrealismus und die Musik Igor Strawinskys. Später entwickelte er klarere, intellektuellere Ausdrucksformen unter dem Eindruck von Lao-Tse. Die Spätwerke der 60er Jahre (die Diwandichtung) spielen sich in Byzantion des Mittelalters ab. Ekelöf wirkte auch als Kunst- und Literaturkritiker. Er war ab 1958 Mitglied der Schwedischen Akademie.



Zur Kunst des Unmöglichen

Zur Kunst des Unmöglichen
bekenne ich mich,
bin demnach ein Gläubiger
von einem Glauben den man Irrglauben nennt.

Ich weiß
Man bekümmert sich hier um das Mögliche
Mich aber laßt unbekümmert sein
um das was möglich ist oder unmöglich.

So trägt auf Ikonen der Täufer das Haupt
auf gesunden Schultern
und gleichzeitig vor sich auf einer Schüssel.





Apotheose

gib mir gift zum sterben oder träume zum leben/
askese wird enden bald unter dem tor des monds von der sonne gesegnet/
und wenn unvermählt auch dem wirklichen werden die träume des toten beenden/
die klage um ihr geschick./

vater deinem himmel gleich einem tropfen bläue im meer reich ich mein auge zurück/
die schwarze welt sie beugt sich nicht mehr palmwedeln und psalmensang/
aber tausendjährige winde kämmen der bäume offenes haar/
quellen löschen des unsichtbaren wanderers durst/
vier weltecken stehen leer um die bahre/und der engel flor verwandelt sich/
durch zauberhand/
in nichts






Ekelof
Gunnar Ekelöf (15. September 1907 – 16. März 1968)





Die britische Schriftstellerin Agatha Christie wurde am 15. September 1890 in Torquay, in der Grafschaft Devon, geboren. Sie wird allein schon wegen ihres gigantischen Publikumserfolges als Als "Queen of Crime" bezeichnet: Die geschätzte Gesamtauflage ihres Werkes beläuft sich auf über 400 Millionen. Neben Theaterstücken und "gewöhnlichen Romanen", die unter dem Pseudonym Mary Westmacott erschienen, hat Christie im Laufe eines halben Jahrhunderts etwa achtzig Kriminalromane und dreißig Bände mit Kurzgeschichten publiziert. 1971 wurde Agatha Christie eine der höchsten Auszeichnungen Englands verliehen - der Titel "Dame Commander of the British Empire".

Aus: Der letzte Joker (Übersetzt von Renate von Walter)

„Der sympathische junge Mann Jimmy Thesiger kam die große Treppe in Chimneys heruntergerannt. Seine Talfahrt vollzog sich so rasant, dass er beinahe mit Tredwell, dem vornehmen Butler, zusammenstieß; als dieser gerade mit frischem Kaffee die Halle durchquerte. Nur Tredwells Geistesgegenwart war es zu verdanken, dass kein Unglück geschah.
«Verzeihung», entschuldigte, sich Jimmy. «Sagen Sie, Tredwell, bin ich etwa der Letzte?»
«Nein, Sir. Mr Wade ist auch noch nicht da.»
«Gut», meinte Jimmy und betrat das Frühstückszimmer.
Außer seiner Gastgeberin war niemand im Raum. Ihr vorwurfsvoller Blick erweckte in Jimmy das gleiche Unbehagen, das ihn immer befiel, wenn er einem toten Dorsch in der Auslage eines Fischgeschäfts in die Augen sah. Hol's der Teufel, warum blickte ihn die Frau überhaupt so an? Pünktlich um neun Uhr dreißig zum Frühstück zu erscheinen, wenn man sein Wochenende in einem Landhaus verbrachte, war einfach nicht zu machen. Mag sein, dass Viertel nach elf, wie eben jetzt, ziemlich spät war, aber trotzdem ...
«Ich fürchte, ich bin etwas spät dran, Lady Coote!»
«Oh, das macht gar nichts», erwiderte Lady Coote mit melancholischer Stimme.
In Wirklichkeit hasste sie Leute, die unpünktlich zum Frühstück kamen. In den ersten zehn Jahren ihrer Ehe hatte Sir Oswald Coote, damals noch einfacher Mr Coote, milde ausgedrückt, ein Höllenspektakel veranstaltet, wenn sein Frühstück auch nur eine halbe Minute nach acht Uhr auf dem Tisch stand. Lady Coote war dazu erzogen worden, Unpünktlichkeit als eine der unverzeihlichsten Sünden zu betrachten. Und Gewohnheiten sterben zäh. Außerdem fragte sie sich, was diese jungen Leute je Anständiges leisten wollten, wenn sie nicht früh aufstanden. Sir Oswald hatte es so oft gesagt, zu Reportern und anderen Leuten: «Ich verdanke meinen Erfolg ausschließlich meinem frühen Aufstehen, meinem einfachen Leben und meinen festen Gewohnheiten.»
Lady Coote war eine große, gut aussehende Frau, doch leider etwas aus der Mode gekommen. Sie besaß dunkle traurige Augen und eine tiefe Stimme. Ein Künstler, der nach einem Modell für »Rachel beweint ihre Kinder» suchte, würde sie auf der Stelle engagieren.
Sie sah so aus, als würde sie an einer geheimnisvollen schrecklichen Sorge tragen, obwohl es in ihrem Leben außer Sir Oswalds meteorhaftem Aufstieg überhaupt keine Sorgen gab. Als junges Mädchen war sie ein heiteres, blühendes Geschöpf gewesen, unglaublich verliebt in Oswald Coote, den hoffnungsvollen jungen Mann vom Fahrradgeschäft neben der Eisenwarenhandlung ihres Vaters. Sie hatten sehr glücklich zusammengelebt; erst in ein paar Zimmern, dann in einem kleinen Haus, dann in einem größeren und dann in einer Reihe von immer größer werdenden Villen, aber immer in vernünftiger Entfernung vom «Betrieb», bis Sir Oswald zu derartiger Bedeutung aufgestiegen war, dass er und der «Betrieb» keinen unmittelbaren Kontakt mehr brauchten, und es war ihm ein Vergnügen gewesen, das prächtigste Herrenhaus von ganz England zu mieten. Chimneys war ein historisches Bauwerk, und als er es für zwei Jahre von Lord Caterham übernehmen konnte, fühlte er sich am Ziel seiner Wünsche.“






Christie
Agatha Christie (15. September 1890 – 12. Januar 1976)

Montag, 14. September 2009

Ivan Klima, Theodor Storm

Der tschechische Schriftsteller Ivan Klíma wurde am 14. September 1931 in Prag geboren. Drei Jahre seiner Kindheit musste Klíma im KZ Theresienstadt verbringen. Nach seinem Studium war er als Journalist und Lektor tätig, z. B. bei der später verbotenen Literaturzeitschrift Literárni listy. Im Anschluss an die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 erhielt Klíma Publikationsverbot. Schon ein Jahr zuvor war er wegen seiner kritischen Haltung aus der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei ausgeschlossen worden. 1969 ging Klíma für ein Semester als Dozent an die Michigan University in Ann Arbor/USA. 1970 kehrte er wieder nach Prag zurück und verfasste hier fortan Theaterstücke und Romane, die wegen des Publikationsverbotes bis 1989 nur im Ausland erscheinen durften. 2002 wurde Klíma mit dem Franz-Kafka-Literaturpreis der Franz-Kafka-Gesellschaft in Prag ausgezeichnet.

Aus: Liebesgespräche (Übersetzt von Anja Tippner)

"Hier ist Wellington. Neuseeland. Ist dort Prag? Sie haben ein Gespräch."
"Hallo. Hallo, ist da Prag?"
"Hier ist Prag."
"Bist du das, Tereza? Hörst du mich?"
"Ja, ich höre dich."
"Ich bin's Bill."
"Ich weiß. Ich habe deine Stimme erkannt. Außerdem, wer sollte mich sonst aus Neuseeland anrufen."
"Wie geht es dir, Tereza?"
"Jetzt, wenn ich dich höre, geht es mir gut. Hörst du mich? Wie geht es dir?"
"Ich bin froh, daß ich dich höre, aber du bist so schrecklich weit weg."
"Ich weiß. Ich bin am anderen Ende der Welt."
"Ich habe Sehnsucht nach dir, Tereza!"
"Ich auch."
"Ich möchte dich gern umarmen."
"Ich dich auch."
"Was gibt es Neues bei Euch?"
"Ich weiß nicht. Eigentlich nichts. Der ältere Junge geht in die Schule und der kleine ruiniert die Wohnung und meine Nerven. Ich habe viel Arbeit. Ich habe mir ein neues Kostüm nähen lassen. Ich habe dabei an dich gedacht, daran, daß ich dir darin gefallen würde. Und was gibt es bei dir Neues?"
"Tereza, ich habe meiner Frau alles erzählt."
"Was alles?"
"Daß ich dich liebe."
"Du hast ihr von mir erzählt?"
"Ich habe ihr gesagt, daß ich dich liebe. Daß ich mit dir zusammen leben will. Du hast es deinem Mann nicht gesagt?"
"Nein … Noch nicht. Glaubst du, das war klug? Und sie … was hat sie dazu gesagt?"
"Sie wollte mir nicht glauben. Und dann - hat sie geweint."
"Das ist schrecklich. Vielleicht hättest du noch ein bißchen warten sollen. Hallo, hallo … Bist du noch da? Ich höre dich nicht. Bill, irgendwer spricht da japanisch oder was. Bist du noch da?"
"Tereza, hörst du mich?"
"Jetzt höre ich dich. Diese Entfernung ist schrecklich."







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Ivan Klíma (Prag, 14.September 1931)





Der deutsche Dichter Theodor Storm wurde am 14. September 1817 in Husum geboren. Er stammte aus einer alten holsteinischen Patrizierfamilie, der Vater war Advokat. Er besuchte die Gelehrtenschule in Husum, dann ein Gymnasium in Lübeck. Anschließend studierte er von 1837-1842 Jura in Kiel und Berlin und wurde 1843 Rechtsanwalt in Husum. Storm mußte während der dänischen Besetzung die Heimat verlassen und kehrte nach Aufenthalten in Potsdam (1852) und Heiligenstadt (1856) erst 1864 nach Holstein zurück. Storm wurde 1867 Amtsrichter und 1879 Amtsgerichtsrat. Storm gilt als einer der bedeutendsten deutschen Vertreter des "bürgerlichen" bzw. "poetischen Realismus", wobei neben seinen Gedichten besonders seine Novellen seinen Ruhm begründeten.



Oktoberlied

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;
Schenk ein den Wein, den holden!
Wir wollen uns den grauen Tag
Vergolden, ja vergolden!
Und geht es draußen noch so toll,
Unchristlich oder christlich,
Ist doch die Welt, die schöne Welt,
So gänzlich unverwüstlich!

Und wimmert auch einmal das Herz -
Stoß an und laß es klingen!
Wir wissen's doch, ein rechtes Herz
Ist gar nicht umzubringen.

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;
Schenk ein den Wein, den holden!
Wir wollen uns den grauen Tag
Vergolden, ja vergolden!

Wohl ist es Herbst; doch warte nur,
Doch warte nur ein Weilchen!
Der Frühling kommt, der Himmel lacht,
Es steht die Welt in Veilchen.

Die blauen Tage brechen an,
Und ehe sie verfließen,
Wir wollen sie, mein wackrer Freund,
Genießen, ja genießen!





Wohl fühl ich, wie das Leben rinnt

Wohl fühl ich, wie das Leben rinnt,
Und daß ich endlich scheiden muß,
Daß endlich doch das letzte Lied
Und endlich kommt der letzte Kuß.
Noch häng ich fest an deinem Mund
In schmerzlich bangender Begier;
Du gibst der Jugend letzten Kuß,
Die letzte Rose gibst du mir.

Du schenkst aus jenem Zauberkelch
Den letzten goldnen Trunk mir ein;
Du bist aus jener Märchenwelt
Mein allerletzter Abendschein.

Am Himmel steht der letzte Stern,
O halte nicht dein Herz zurück;
Zu deinen Füßen sink ich hin,
O fühl's, du bist mein letztes Glück!

Laß einmal noch durch meine Brust
Des vollsten Lebens Schauer wehn,
Eh seufzend in die große Nacht
Auch meine Sterne untergehn.







Theodor_Storm_Denkmal_Husum_1
Theodor Storm (14. September 1817 - 4. Juli 1888)
Statue in Husum

Sonntag, 13. September 2009

Tõnu Õnnepalu, Roald Dahl

Der estnische Schriftsteller, Dichter und Übersetzer Tõnu Õnnepalu wurde am 13. September 1962 in Tallinn geboren. Tõnu Õnnepalu studierte von 1980 bis 1985 Biologie (Botanik, Ökologie) an der Universität Tartu. Bis 1987 war er als Lehrer an einer Schule auf Hiiumaa tätig, danach Referent im estnischen Außenministerium. Neben seiner eigenen schriftstellerischen Tätigkeit übersetzt er aus dem Französischen. Õnnepalu lebte mehrere Jahre in Paris. Seit 1988 ist er als freischaffender Schriftsteller und Übersetzer sowie als Redakteur bei der Kulturzeitschrift Vikerkaar tätig. Zuerst legte Õnnepalu einige Lyrikbände vor, bis sein erstes Prosabuch 1993 Im Grenzland überraschte und schnell ein internationaler Erfolg wurde. Das Werk, das die Kontaktaufnahme zweier Welten nach dem politischen Wandel 1989/92 thematisiert, wurde in zwölf Sprachen übersetzt. Darin wird auch zentral die bis dahin in der estnischen Literatur tabuisierte Homosexualität behandelt.

Aus: Freedom as a Border State of Mind

„There are some rare moments in the time, while freedom emerges. If we want to be more grandiloquent we may call time the History. Or, speaking about someone’s personal life, we may call it Destiny. Those moments, political and psychological, are perhaps the most suitable for writing. I mean the real writing, which is always the emerging of something unexpected, something new, as in the end of the Baudelaire’s poem Le Voyage.
It is a long poem, which starts with an image of a child dreaming on the maps of seas and continents. The world under the lamp of childhood is huge and without borders. And then the old poet says (well, he wasn’t this old in fact – perhaps as old as I’m now, but, like he says in another poem – Le Spleen – J’ai plus des souvenirs que si j’avais mille ans – I have more memories than I would have at the age of thousand years), so, he says: how little is world in the eyes of memory!
For a child the potential of possibilities, the latent freedom is in it’s maximal rate. Then, during the life, the doors of unused possibilities are closing, one by one. The hungry dreaming has been replaced by searching of real sensations, then by dullness, boredom and spleen – the famous ennui. As the potential of freedom has been used up, the life becomes to be felt like a prison. The trials of escape from this prison become more and more violent. As the poet says in another poem, the boredom – ennui – is the worst of all vices, the most powerful source of evil. A bored human being may – just to escape from his own prison – destroy the world, kill and torture.
Or destroy himself. The last part of the poem, which closes the whole book, evokes the Death as ultimate liberator and ultimate door into the unknown and the last remaining possibility for something new. This absurd hope tells us about the inner feelings of the poet, who’s sources of creation are like drying up and who doesn’t find his former freedom any more. So was the freedom, the childhood’s borderless world just an illusion?“






-nnepalu
Tõnu Õnnepalu (Tallin, 13. September 1962)




Der norwegisch-walisischer Schriftsteller Roald Dahl wurde am 13. September 1916 in Llandaff bei Cardiff als Sohn norwegischer Einwanderer geboren.Mit acht Jahren hat Dahl angefangen, Tagebuch zu schreiben und sich Gedanken über sich zu machen. Anders als wahrscheinlich sonst Kinder, die Tagebuch schreiben, machte er sich beim Schreiben ständig Gedanken darüber, was es bedeutete, jung zu sein. Seine Kindheit beschrieb Dahl später in der Autobiographie Boy. Nach der Schule machte Roald Dahl mit einer Gruppe der Public Schools Exploring Society eine Expedition nach Neufundland und danach ab 1934 eine kaufmännische Ausbildung bei der Shell Oil Company. Zwei Jahre später reiste er für seine Firma nach Tansania. Als er 23 Jahre alt war, brach der Zweite Weltkrieg aus. Roald Dahl wurde in Afrika zum Offizier ernannt. Seine Kriegserlebnisse schilderte er später in dem Buch Going solo. 1942 wurde er als Luft Attaché, verwundet aber transportfähig, nach Washington gebracht. Dort beschrieb er auf Anregung des Autors C. S. Forester für die Zeitung Saturday Evening Post wie er im Krieg mit dem Flugzeug über der Wüste von Libyen abstürzte. Mit diesem Zeitungsartikel begann seine Karriere als Autor. 1953 heiratete Roald Dahl die Schauspielerin Patricia Neal und hatte mit ihr fünf Kinder, darunter Tessa Neal, die später selbst Autorin wurde. In Bettgeschichten für seine Töchter Olivia und Tessa entwickelte Roald Dahl den Roman James und der Riesenpfirsich. Ab 1960 lebte Roald Dahl mit seiner Familie in einem kleinen Haus, Gipsy House, in Great Missenden (England). Im Garten des Hauses stand eine kleine Hütte, in der Dahl viele seiner Geschichten schrieb.



Cinderella (Fragment)

I guess you think you know this story.
You don't. The real one's much more gory.
The phony one, the one you know,
Was cooked up years and years ago,
And made to sound all soft and sappy
just to keep the children happy.
Mind you, they got the first bit right,
The bit where, in the dead of night,
The Ugly Sisters, jewels and all,
Departed for the Palace Ball,
While darling little Cinderella
Was locked up in the slimy cellar,
Where rats who wanted things to eat
Began to nibble at her feet.
She bellowed, "Help!" and "Let me out!"
The Magic Fairy heard her shout.
Appearing in a blaze of light,
She said, "My dear, are you all right?" '
All right?" cried Cindy. "Can't you see
I feel as rotten as can be!"


She beat her fist against the wall,
And shouted, "Get me to the Ball!
There is a Disco at the Palace!
The rest have gone and I am jalous!
I want a dress! I want a coach!
And earrings and a diamond brooch!
And silver slippers, two of those!
And lovely nylon pantyhose!
Thereafter it will be a cinch
To hook the handsome Royal Prince!"
The Fairy said, "Hang on a tick."
She gave her Wand a mighty flick
And quickly, in no time at all,
Cindy was at the Palace Ball!
It made the Ugly Sisters wince.






Roald-Dahl
Roald Dahl (13. September 1916 – 23. November 1990)

Samstag, 12. September 2009

Michael Ondaatje, Werner Dürrson

Der kanadische Schriftsteller Michael Ondaatje wurde am 12. September 1943 in Colombo, Sri Lanka, geboren. Ondaatje ist von niederländisch-tamilisch-singhalesischer (Burgher) Herkunft. 1954 zog er mit seiner Mutter nach England und 1962 nach Kanada, wo er später die kanadische Staatsbürgerschaft annahm. Er ist der Bruder des Schriftstellers, Philanthropen, Abenteurers, ehemaligen Unternehmers und ehemaligen Teilnehmers an den Olympischen Spielen Christopher Ondaatje. Ondaatje erlangte den BA (Bachelor of Arts) an der Universität Toronto und den MA (Master of Arts) an der Queen’s University in Kingston (Ontario). Mitte der 1960er Jahre ließ er sich in Toronto nieder; von 1971 bis 1983 lehrte er an der York University und dann am Glendon College in Toronto. Am 8. November 1988 wurde ihm der Order of Canada, die höchste kanadische Auszeichnung, verliehen. Seine Romane bestehen aus 'Schnappschüssen' von miteinander verbundenen Szenen, die er sprachlich äußerst detailreich erforscht. Insbesondere Ondaatjes frühe nicht oder nicht ausschließlich poetischen Werke The Collected Works of Billy the Kid und Coming Through Slaughter zeigen eine bild- und metaphernreiche Sprache, die stark von seiner Herkunft als Dichter geprägt sind.

Aus: Anil's Ghost

“She arrived in early March, the plane landing at Katunayake airport before the dawn. They had raced it ever since coming over the west coast of India, so that now passengers stepped onto the tarmac in the dark.
By the time she was out of the terminal the sun had risen. In the West she'd read, The dawn comes up like thunder, and she knew she was the only one in the classroom to recognize the phrase physically. Though it was never abrupt thunder to her. It was first of all the noise of chickens and carts and modest morning rain or a man squeakily cleaning the windows with newspaper in another part of the house.
As soon as her passport with the light-blue UN bar was processed, a young official approached and moved alongside her. She struggled with her suitcases but he offered no help.
'How long has it been? You were born here, no?'
'Fifteen years.'
'You still speak Sinhala?'
'A little. Look, do you mind if I don't talk in the car on the way into Colombo -- I'm jet-lagged. I just want to look. Maybe drink some toddy before it gets too late. Is Gabriel's Saloon still there for head massages?'
'In Kollupitiya, yes. I knew his father.'
'My father knew his father too.'
Without touching a single suitcase he organized the loading of the bags into the car. 'Toddy!' He laughed, continuing his conversation. 'First thing after fifteen years. The return of the prodigal.'
'I'm not a prodigal.'
An hour later he shook hands energetically with her at the door of the small house they had rented for her.
'There's a meeting tomorrow with Mr. Diyasena.'
'Thank you.'
'You have friends here, no?'
'Not really.'
Anil was glad to be alone. There was a scattering of relatives in Colombo, but she had not contacted them to let them know she was returning. She unearthed a sleeping pill from her purse, turned on the fan, chose a sarong and climbed into bed. The thing she had missed most of all were the fans. After she had left Sri Lanka at eighteen, her only real connection was the new sarong her parents sent her every Christmas (which she dutifully wore), and news clippings of swim meets. Anil had been an exceptional swimmer as a teenager, and the family never got over it; the talent was locked to her for life. As far as Sri Lankan families were concerned, if you were a well-known cricketer you could breeze into a career in business on the strength of your spin bowling or one famous inning at the Royal-Thomian match. Anil at sixteen had won the two-mile swim race that was held by the Mount Lavinia Hotel.”






ondaatje
Michael Ondaatje (Colombo, 12. September 1943)






Der deutsche Schriftsteller Werner Dürrson wurde am12. September 1932 in Schwenningen am Neckar geboren. Nach dem Schulabschluss (Mittlere Reife) im Jahre 1949 absolvierte Werner Dürrson eine Handwerkslehre in Stuttgart. Von 1953 bis 1955 studierte er mit einem Stipendium am Musiklehrerseminar in Trossingen, wo er 1955 das Staatsexamen ablegte. 1957 holte er das Abitur nach und studierte anschließend Germanistik, Romanistik und Musikwissenschaft in München und Tübingen. 1962 promovierte er in Tübingen. Von 1962 bis 1968 war er Dozent für deutsche Sprache und Literatur an der Universität in Poitiers und von 1968 bis 1978 an einem Privatinstitut in Zürich. Seitdem lebte Dürrson als freier Schriftsteller und Übersetzer in Oberschwaben und Paris. Er schrieb Lyrik, Erzählungen und Essays; daneben übersetzte er aus dem Französischen. Während sein frühes Werk noch unter dem Einfluss von Hermann Hesse steht, erhielt er während seines Frankreichaufenthalts grundlegende Impulse von surrealistischen Künstlern wie Max Ernst und Autoren wie René Char.


Unter Bäumen


Tröstlich die Fichten.
In ihrem Lidschatten zu
ichten, zu dichten

Anders die Buchen
blaudurchleuchteter Wald: wie
da Wörter suchen –

Im Park die Eiben
lassen mir Zeit, Verse um-
und umzuschreiben

Unter der Eiche
ein Gedankenblitz, den ich
fasse, dann streiche

Die echten Tannen
windverschwistert, schicken mich
schweigsam von dannen

Unter den Linden:
wie bei soviel Blätterschwall
noch Worte finden –

Am Fluß die Erlen
ließen zu guter Stunde
die Zeilen perlen

Holunder im Mai:
Zur Stunde des Strauchelns ein
Verszeilenwunder

Am Apfelbaum kaum,
auch am Birn-, am Kirschbaum nicht
gedeiht mein Gedicht

Schrieb A-Horn, B-Horn,
C-Horn, suchte nach Deinem,
triebs wieder von vorn

Daß ich die Weide
meide, wen wunderts, wenn ich
ohne sie leide –

Höre mich, Föhre:
Als harzige Kiefer reimt
sich`s tiefer, schiefer

Ach der Wacholder!
Stichhaltiges Wort macht das
Haiku nicht holder

Jaja, die Espe
alias Zwitterpappel,
mir fremd, die Lesbe

Frankreichs Platanen
wie´s im Herbst ihre Blätter
treiben, beschreiben

Sterbende Ulme,
wie fang ich dich auf mit wurm-
stichigen Silben –

Tut mir leid, lichte
Birke, wenn ich für dich kein
Dunkel bewirke

Was soll mir, kühle
Akazie, sag, deine
Pseudo-Grazie

Am Bach, ihr Eschen
Wolframs. Vielblättrig auch ich.
Wortdreschen im Wind.

Lärche, verballhornt
meinem Tirili lausche,
genannt Poesie

Nicht jeder Zeder
entlocke ich Daktylen
(eigentlich keiner)

Doch Roms Pinien-
hochmut ließ mich (vorüber-
gehend) verstummen

Unvergessen vor
Arles das Windharfenspiel van
Goghscher Zypressen.






duerrson
Werner Dürrson (12. September 1932 - 17. April 2008)

Freitag, 11. September 2009

Eddy van Vliet, David Herbert Lawrence

Der belgische Lyriker und Schriftsteller Eddy van Vliet wurde am 11. September 1942 in Antwerpen geboren. Der nebenbei als Rechtsanwalt in seiner Heimatstadt arbeitende Dichter war einer der international bekanntesten flämischen Gegenwartsliteraten. Bereits im Alter von 22 Jahren debütierte er mit dem Lyrikband »Hed lied van ik«. Seither hat er mehr als ein Dutzend Gedichtbände veröffentlicht, darunter »Due« (1967), »Het grote verdriet« (1974), »Jaren na maart« (1983) und »De toekomstige dief« (1991). Als er 1967 als erster Flame den renommierten niederländischen »Reina Prinsen Geerlings Prijs« erhielt, wurde er auch außerhalb Belgiens bekannt. Daneben wurde er mit dem »Ark-Prijs van het Vrije Woord« (1969), dem »Jan Campert Prijs« (1974) und dem »Belgischen Staatspreis für Poesie« (1989) ausgezeichnet. Van Vliets Gedichte sind in zahlreiche europäische Sprachen übersetzt worden.



Segelflug

In den Hinterhof kehrte ich zurück. Diesmal waren es
Möwen und Krähen. Sie beherrschten
die Kunst des Schreiens. Die unmißverständliche Freude
über Speck und Brot durchtränkt mit Fett.

Die Zeit füllte sich mit allem wofür
sie gemacht schien. Aus Lust entstandenes Lachen,
das Lackieren von Kinderfahrrädern
auf der blankgefrorenen Dachterrasse.

Den Platz den einst ich betrat sah ich von oben her.
Für einen Segelflug machten deine Arme sich bereit.
Für die Umrahmung des Himmels sorgten deine
leicht gespreizten Beine. Die Grenzen lagen unterhalb.





Der Pottwal

Verliebter Narr. Anführer ohne Gefolge.
Dummkopf von neununddreißig Tonnen.
Was spielte sich ab in diesem großen Kopf?

Gab er das Denken ans Jenseits auf?
Glaubte er einen verhängnisvollen Augenblick an die Einheit
der Meere, die gleiche Tiefe, würdig verteilt
vom Äquator bis vor unsere grauen Küsten
wo Sandbänke wie Grabtücher auf dem Wasser treiben?

Auf der Durchreise. Zu früh um die Schuld der Natur
zu begleichen und Bernstein aus seinen Gedärmen herausräumen zu lassen.
Zu früh um zu sehen wie die Schaumkronen
an Land verschwinden, sich Bäume wie Seegras wiegen.

Stolzer als die Kranarbeiter die, für seine Todesschreie taub,
um seinen Körper trabten,
zog er es vor nachzugeben unter dem eigenen Gewicht.
Den Hunden lauschend die ein Ohr hatten für sein Leiden.

Gase blähten sein spöttisches Fett zu einem Ballon,
eine Bombe die Spaziergänger und Sonntagsmaler
aus der Landschaft reißen konnte.







eddy_van_vliet
Eddy van Vliet (11. September 1942 – 5. Oktober 2002)





Der englische Schriftsteller David Herbert Lawrence wurde am 11.September 1885 in Eastwood, Nottingham, als Sohn eines lebenslustigen Bergarbeiters und einer frommen Lehrerin geboren. Nach dem Pädagogikstudium arbeitete er als Lehrer, aber wegen einer Lungenerkrankung musste er damit nach drei Jahren aufhören. 1912 begegnete er Frieda Weekley (geborene Freiin von Richthofen). Lawrence brannte mit der sechs Jahre älteren Frau nach München durch und wohnte mit ihr zusammen in Beuerberg, bis er sie am 13. Juli 1914 nach ihrer skandalösen Ehescheidung in London heiraten konnte. Der Beginn eines idyllischen Ehelebens war das nicht, denn das Paar geriet häufig in Streit, und David Herbert Lawrence hielt es nirgendwo länger aus: weder in England, noch in Deutschland, Italien, Australien, Neuseeland, Tahiti, Ceylon, Mexiko. In den USA geriet er in ein Spannungsverhältnis zwischen Frieda, der Malerin Dorothy Brett und der exzentrischen, in vierter Ehe mit einem Indianer verheirateten Millionenerbin Mabel Evans Dodge Luhan. Im Alter von vierundvierzig Jahren starb David Herbert Lawrence am 2. März 1930 in Vence an der französischen Riviera.

Aus: Sons and lovers

"The bottoms" succeeded to "Hell Row." Hell Row was a block of thatched, bulging cottages that stood by the brookside on Greenhill Lane. There lived the colliers who worked in the little gin-pits two fields away. The brook ran under the alder trees, scarcely soiled by these small mines, whose coal was drawn to the surface by donkeys that plodded wearily in a circle round a gin. And all over the countryside were these same pits, some of which had been worked in the time of Charles II, the few colliers and the donkeys burrowing down like ants into the earth, making queer mounds and little black places among the corn-fields and the meadows. And the cottages of these coal-miners, in blocks and pairs here and there, together with odd farms and homes of the stockingers, straying over the parish, formed the village of Bestwood.
Then, some sixty years ago, a sudden change took place. The gin-pits were elbowed aside by the large mines of the financiers. The coal and iron field of Nottinghamshire and Derbyshire was discovered. Carston, Waite and Co. appeared. Amid tremendous excitement, Lord Palmerston formally opened the company's first mine at Spinney Park, on the edge of Sherwood Forest.
About this time the notorious Hell Row, which through growing old had acquired an evil reputation, was burned down, and much dirt was cleansed away.
Carston, Waite & Co. found they had struck on a good thing, so, down the valleys of the brooks from Selby and Nuttall, new mines were sunk, until soon there were six pits working. From Nuttall, high up on the sandstone among the woods, the railway ran, past the ruined priory of the Carthusians and past Robin Hood's Well, down to Spinney Park, then on to Minton, a large mine among corn-fields; from Minton across the farmlands of the valleyside to Bunker's Hill, branching off there, and running north to Beggarlee and Selby, that looks over at Crich and the hills of Derbyshire: six mines like black studs on the countryside, linked by a loop of fine chain, the railway.
To accommodate the regiments of miners, Carston, Waite and Co. built the Squares, great quadrangles of dwellings on the hillside of Bestwood, and then, in the brook valley, on the site of Hell Row, they erected the Bottoms.
The Bottoms consisted of six blocks of miners' dwellings, two rows of three, like the dots on a blank-six domino, and twelve houses in a block. This double row of dwellings sat at the foot of the rather sharp slope from Bestwood, and looked out, from the attic windows at least, on the slow climb of the valley towards Selby.”





Lawrence
D.H. Lawrence (11. September 1885 – 2. März 1930)
Porträt von Mike Bolt

Donnerstag, 10. September 2009

Franz Werfel, Paweł Huelle

Der deutsche Lyriker und Schriftsteller Franz Werfel wurde am 10. September 1890 als Sohn einer wohlhabenden jüdischen Kaufmanns- und Fabrikantenfamilie in Prag geboren. Im Jahre 1909 absolvierte Franz Werfel sein Abitur. Es folgte ein Volontariat in einer Speditionsfirma in Hamburg. Von 1911 bis 1912 leistete er seinen Militärdienst ab. 1912 siedelte Werfel nach Leipzig über. Dort arbeitete er als Lektor im Kurt Wolff Verlag, in dem vorwiegend expressionistische Literaten ihre Werke publizierten. Dann nahm er am Ersten Weltkrieg teil und gelangte an die Front in Galizien.
Ab dem Jahr 1917 war er im Wiener Kriegspressequartier beschäftigt. Auch nach dem Krieg blieb Werfel in Österreich. In dieser Zeit machte er einige Reisen und hielt sich für längere Zeit in Italien auf. 1929 heiratete er Alma Mahler. 1938 zog er sich vor den Nationalsozialisten in das französische Sanary-sur-Mer zurück. 1940 emigrierte er nach Spanien und Portugal. Von dort aus siedelte er über in die USA. Bereits mit seiner frühen Lyrik im Stil des Expressionismus hatte Franz Werfel Erfolg. Sie handelte von der Erlösung und Verbrüderung der Menschheit und war in einem leidenschaftlich-hymnischen Ton gehalten. Im gleichen expressiven Kunststil hielt er seine ersten Dramen wie zum Beispiel "Spiegelmensch. Magische Trilogie" (1920), "Bocksgesang" (1921) oder "Schweiger" (1922) und seine erste Erzählung, die Novelle "Nicht der Mörder, der Ermordete ist der Schuldige" (1920). Werfels größter Romanerfolg war der 1941 entstandene Titel "Das Lied der Bernadette". Sein utopischer Roman "Stern der Ungeborenen" ( 1946) ist autobiographisch gefärbt.


Ein Liebeslied

Alles, was von uns kommt, wandelt schon andern Raum.
Tat ich dir Liebe an, liebt ich die Welt darum!
Bist du durch mich erhöht, lächelt und glänzt dein Schritt,
Wenn mich mein Weh verspült... bin ich im höchsten Sinn!
Ach, was man Schicksal nennt, raffe mich wolkenwärts!
Trifft mich am Tor der Pfeil... wenn du nur glücklich bist.
Daß du zur Flöte tönst, roste mein Tag im Nu!
Sieh, wir auf Erden sind Ebenbild Gottes so!




Nacht

O die ihr geht am Abend in euer Zimmer ein,
Mit Atem sanftem bleibend und einem Licht allein!
Weh, euch, ihr traut
Dem Spiegelblick, der höhnisch schaut,
Und bergt euch hinter Wänden,
Als könnten Wände wenden,
Und halten ab das Walten, vor ihnen angestaut.
Die Türen gehn von unsichtbaren Händen,
Und euer Haus ist ein und aus und in die Welt gebaut.
Ihr, die in Mitternächten kehrt spät in eure Betten ein,
O Bett, du letzte Heimat, du tiefes altes Allgemein!
Wenn ihr durchs Grün´ des Schlafes hüpft,
Ihr seid nicht fern, ihr seid verknüpft.
Durch eure Herzen schleiert leis der Wasserfall,
Der Wendekreis, die Venus leicht
Um eure Schläfe schlüpft.
Von Pol und Strahl und Schuld seid ihr dahingerafft,
Der harte Eisenengel geht,
Der mit der Lamp euch übers Auge weht,
Und fordert ewig, fordert Rechenschaft.






franzwerfel
Franz Werfel (10. September 1890 – 26. August 1945)





Der polnische Schriftsteller Paweł Huelle wurde am 10. September 1957 in Danzig, Polen, geboren. Nach dem Studium der Literaturwissenschaft an der Universität Danzig arbeitete er zunächst als Journalist. Von 1980 bis zum Verbot der Solidarność 1981 war er in deren Pressestelle tätig. Außerdem war er Lehrer für Literatur, Philosophie und Geschichte. Nach der politischen Wende in Polen war er in den 1990er Jahren kurzzeitig Intendant des Dritten Polnischen Fernsehens in Danzig.
Als Schriftsteller machte er sich mit seinem ersten Roman Weiser Dawidek sofort einen Namen. Das Buch wurde von der polnischen Kritik als Meisterwerk und wichtigstes Werk der 80er Jahre gefeiert. Es ist in viele Sprachen übersetzt und im Jahr 2000 durch Wojciech Marczewski verfilmt worden.

Aus: Erzählungen von einem kalten Meer

„Die Straßenbahnen und Busse verkehrten nicht mehr. Deshalb herrschte im Waggon der S-Bahn ein fürchterliches Gedränge. Es gab keine andere Möglichkeit, ins Zentrum von Danzig zu gelangen, und schließlich wollten alle dorthin, zum Hauptbahnhof, von wo es nur sieben Minuten zu Fuß bis zum Eingang der Werft waren. Und eigentlich sprachen alle, flüsternd oder halblaut, über das gleiche: Im Moment wurde noch nicht geschossen – aber sie würden sicher irgendwann anfangen, ohne Zweifel, die Frage war nur, zu welchem Zeitpunkt! Auch ich erinnerte mich an den Dezember vor genau zehn Jahren: Ich war mit Vater in die Dachkammer gegangen, um durch das offene Fenster den Lärm aus der Innenstadt zu hören. Die frostige Luft trug das Knallen einzelner Schüsse heran, die Sirenen der Krankenwagen, das Dröhnen der Panzer. Über der Stadt hing ein roter Feuerschein. In dem dunklen Raum dahinter erschien immer wieder ein Hubschrauber. Er warf Leuchtraketen ab, und in dem kurzen Moment, wo der Himmel erhellt war, hörten wir deutlich zwei oder drei Salven aus schweren Maschinengewehren. Wenn diese Geräusche verstummten, kam es uns manchmal vor, als hörten wir den wie ein Refrain wiederkehrenden Schrei der Menge.
„Merk dir“, hatte mein Vater gesagt, als wir die zwei Stockwerke zu unserer Wohnung hinuntergingen, „das ist der Anfang vom Ende für sie.“ Mit „sie“ meinte er natürlich nicht die Arbeiter. Das abgebrannte Parteigebäude sah ich ein paar Tage danach, als die Sperrstunde schon aufgehoben war, vom Fenster der Straßenbahn aus. Auf einer Kreuzung der Hucisko-Straße, gleich neben der Haltestelle, fand ich einen Arbeiterhelm, platt wie eine zertretene Streichholzschachtel. In der Luft hing überall Brandgeruch und der Gestank von Tränengas.”






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Paweł Huelle (Danzig, 10. September 1957)

Mittwoch, 9. September 2009

Cesare Pavese, Leo Tolstoi

Der italienische Lyriker und Schriftsteller Cesare Pavese wurde am 9. September 1908 in Santo Stefano Belbo geboren. Pavese studierte in Turin Literaturgeschichte und schloss das Studium 1930 mit einer Promotion über den amerikanischen Dichter Walt Whitman ab. Er übersetzte Moby Dick von Herman Melville sowie Werke von John Dos Passos, William Faulkner, Sherwood Anderson, Sinclair Lewis, Daniel Defoe, James Joyce und Charles Dickens ins Italienische. Seit 1930 schrieb Pavese Beiträge über amerikanische Literatur für die Zeitschrift La Cultura.
Von 1928 bis 1935 entstanden die Gedichte, die 1936 unter dem Titel Lavorare stanca erschienen. 1935 wurde er wegen seiner primär ästhetisch motivierten antifaschistischen Haltung verhaftet und für acht Monate nach Brancaleone in Kalabrien verbannt. In dieser Zeit begann er auch mit dem literarisch-existentialistischen Tagebuch Das Handwerk des Lebens (Il mestiere di vivere), das er bis zu seinem Tod fortführte. Seit 1938 arbeitete er in fester Anstellung für das Turiner Verlagshaus Einaudi.
Während des Zweiten Weltkrieges zog er sich mit der Familie seiner Schwester aufs Land zurück. Er schloss mit dem jungen Schriftsteller Italo Calvino Freundschaft und war der erste, der als sein Lektor dessen Werke las. Später bezeichnete der inzwischen berühmte Calvino ihn als "meinen idealen Leser". Nach dem Krieg zog er zunächst nach Serralunga di Cera, später nach Rom, Mailand und schließlich nach Turin. 1945 trat er der kommunistischen Partei Italiens (PCI) bei. Pavese gewann 1950 den Literaturpreis Premio Strega für Der schöne Sommer (La bella estate). In der Nacht vom 27. zum 28. August 1950 nahm sich Cesare Pavese in einem Hotelzimmer in Turin mit Barbituraten das Leben.



Der Tod wird kommen…2. Dezember 2006

Der Tod wird kommen und deine Augen haben,
der Tod, der uns begleitet
von morgens bis abends, schlaflos,
dumpf, wie ein alter Gewissensbiß
oder ein törichtes Laster. Und deine Augen
werden ein leeres Wort sein,
ein verschwiegener Schrei, ein Schweigen.
So siehst du sie jeden Morgen,
wenn du dich über dich neigst, mit dir allein
im Spiegel. O teuere Hoffnung,
an jenem Tage werden auch wir es wissen,
daß du das Leben bist und das Nichts.

Für alle hat der Tod einen Blick.
Der Tod wird kommen und deine Augen haben.
Das wird sein wie das Ablegen eines Lasters,
wie wenn man ein totes Gesicht
wieder auftauchen sieht im Spiegel,
oder auf eine verschlossene Lippe horcht.
Wir werden stumm in den Strudel steigen.


Übersetzt von Oswalt von Nostitz





Klar und verlassen

Klar und verlassen gehen die Morgen
hin. So taten einst
deine Augen sich auf. Langsam
verstrich der Morgen, ein Abgrund
unbeweglichen Lichts. Er schwieg.
Du Lebendige schwiegst; unter deinen Augen
lebten die Dinge
(kein Leid, kein Fieber, kein Schatten)
wie ein Meer am Morgen, so klar.

Wo bist du, Licht, es ist Morgen.
Du warst das Leben und die Dinge.
In dir atmeten wir, wach
unterm Himmel, der noch in uns ist.
Ohne Leid, ohne Fieber,
ohne diesen schweren Schatten des
Tags voll Getümmel, so anders. O Licht,
ferne Klarheit, angstvolles Atmen,
richte die unbewegten,
klaren Augen auf uns.
Dunkel vergeht der Morgen
ohne das Licht deiner Augen.


Übersetzt von Urs Oberlin





pavese
Cesare Pavese (9. September 1908 – 27. August 1950)




Der russische Schriftsteller Leo Nikolajewitsch Tolstoi am 9. September 1828 in Jasnaja Poljana geboren: er machte dieses verlorene, im Gouvernement Tula gelegene Landgut weltberühmt. Das Adeslgeschlecht, dem er entstammte, soll vor vielen Jahrhunderten aus Früh verlor er seine Eltern, die Mutter, als er zwei, den Vater, als er neun Jahr alt war. Weibliche Verwandte erzogen ihn; schon mit 15 Jahren besuchte er die Universität Kasan, studierte erst orientalische Sprachen, dann die Rechte und ging 1848 auf sein Gut zurück.
Die nächsten Jahre verschwärmte und vertrödelte er als vornehmer Müßiggänger, machte Spielschulden, reiste und trat 1851 als Artilleriefähnrich in ein kaukasisches Regiment. Beim Ausbruch des Krimkrieges ließ er sich zur Donau-Armee versetzen, nahm an Schlachten und Belagerungen teil und war vom November 1854 bis zum August 1855 im belagerten Sebastopol, vielfach in der gefährlichen "vierten Bastion". Er weigerte sich auch hartnäckig, Stabsoffizier zu werden und seinen von allen Schrecknissen des Krieges umtobten Posten zu verlassen. Nach dem Friedensschluss nahm er seinen Abschied, schrieb während der nächsten 15 Jahre seine großen Romane und beschäftigte sich dazwischen mit Volkspädagogik.
Um 1877 trat die große religiöse Krisis in seinem Leben ein, und seitdem wirkte er, als einfacher Bauer lebend und arbeitend, durch Mahnrufe, Bekenntnisse und Tendenzliteratur aller Art im Sinne seiner schon geschilderten neuen Anschauungen. Den ihm zugedachten Nobelpreis lehnte er folgerichtig ab. Die Exkommunizierung seitens der griechisch-orthodoxen Kirche (März 1901) beirrte ihn nicht. Im November 1910 verließ der Zweiundachtzigjährige in heimlicher Flucht Haus und Familie. Er starb kurz darauf, unversöhnt mit der Kirche, am 20. November 1910.

Aus: Auferstehung (Übersetzt von Wladimir Czumikow)

„Nach vierzehn Tagen konnte die Sache zur Verhandlung vor den Senat gelangen, und zu diesem Zeitpunkt gedachte Nechliudow nach Petersburg zu fahren und für den Fall eines Mißerfolges beim Senat die Bittschrift an die Allerhöchste Stelle einzu-reichen, wie es ihm der Advokat geraten, der die Bittschrift aufgesetzt hatte. Falls die Kassationsbeschwerde keinen Erfolg haben sollte, worauf man, nach der Meinung des Advokaten, gefaßt sein mußte, da die Kassationsgründe sehr schwach seien, konnte die Abteilung der Zwangsarbeiter, zu der die Maslowa gehörte, in den ersten Tagen des Juni abgehen; und so, um sich für die Reise nach Sibirien, der Maslowa nach, vorzubereiten, wie Nechliudow fest beschlossen hatte, galt es, schon jetzt aufs Land zu fahren, um da seine Angelegenheiten zu ordnen. Vor allem fuhr Nechliudow nach Kusminskoje, seinem nächsten und größten Gut im Schwarzerdegebiet, aus dem das Haupteinkommen floß. Er hatte auf diesem Gut manchmal gelebt, in der Kindheit und Jugendzeit, und nachher, schon als Erwachsener, war er zweimal dort gewesen und hatte auch, auf die Bitte seiner Mutter, einen Verwalter, einen Deutschen, mitgebracht und mit ihm zusammen die Wirtschaft revi-diert, so daß er seit langem den Zustand des Gutes und die Beziehungen der Bauern zur Verwaltung, das heißt zum Grundbesitzer, kannte. Dies Verhältnis der Bauern zum Grundbesitzer war derart, daß die Bauern sich in voller Abhängigkeit von der Verwaltung befanden. Nechliudow wußte das seit den Universitätsjahren, als er Henry Georges Lehren bekannt und verkündet, und auf Grund dieser Lehren das Land seines Vaters den Bauern gegeben hatte. Nach dem Militärdienst freilich, als er ge-wöhnt war, etwa zwanzigtausend Rubel im Jahr zu verbrauchen, hörte all diese Erkenntnis auf für sein Leben von verpflichtendem Einfluß zu sein; sie war vergessen, und er legte sich nicht nur nie die Frage vor, woher das Geld kam, das ihm seine Mutter gab, sondern er bemühte sich, nicht darüber nachzudenken. Aber der Mutter Tod, die Erbschaft und die Notwendigkeit, sein Besitztum, das heißt das Land, zu verwalten, regten die Frage nach seinem Verhalten gegen den Grundbesitz von neuem an.“





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Leo Tolstoi (9. September 1828 – 20. November 1910)
Porträt von Ilja Repin, 1887

Dienstag, 8. September 2009

Siegfried Sassoon, Clemens Brentano

Der englische Schriftsteller Siegfried Sassoon wurde am 8. Serptember 1886 geboren in Brenchley. Seine frühe Dichtung, die auf seinen Erfahrungen als Offizier im 1. Weltkrieg beruht, ist Ausdruck seiner Reaktionen auf die Brutalitäten und Verluste des Krieges. Gedichtbände wie The Old Huntsman (1917) und Counter-Attack and Other Poems (1918) zeichnen den starken Kontrast zwischen der Möglichkeit zu leben und der Wirklichkeit des sinnlosen Sterbens. Seine ausgesprochen pazifistische Haltung wurde zunächst auf eine Kriegsneurose zurückgeführt, so dass Sassoon für einige Zeit in ein Sanatorium kam. Dort begegnete er Wilfred Owen, den er stark beeinflusste. Nachdem Owen später an der Front gefallen war, veröffentlichte er dessen dichterisches Werk. Auch nach dem Krieg widmete sich Sassoon in einer Reihe von autobiographisch geprägten Romanen diesem Thema. Drei dieser Romane erschienen zusammengefasst als The Complete Memoirs of George Sherston (1937). Die Trilogie besteht aus den Bänden Memoirs of a Fox-Hunting Man (1928, Glück im Sattel), Memoirs of an Infantry Officer (1930) und Sherston’s Progress (1936). Siegfried’s Journey, 1916-1920 (1945, Vom Krieg zum Frieden) beendete die autobiographischen Aufzeichnungen, die aus seinem gewachsenen Bewusstsein über die Sinnlosigkeit des Krieges entstanden sind. Collected Poems 1908-1956 (1961) enthält Sassoons Gedichte aus späteren Jahren, von denen viele religiös geprägt sind (er konvertierte 1957 zum Katholizismus).



A Poplar and the Moon

There stood a Poplar, tall and straight;
The fair, round Moon, uprisen late,
Made the long shadow on the grass
A ghostly bridge ’twixt heaven and me.
But May, with slumbrous nights, must pass;
And blustering winds will strip the tree.
And I’ve no magic to express
The moment of that loveliness;
So from these words you’ll never guess
The stars and lilies I could see.




Autumn

October's bellowing anger breaks and cleaves
The bronzed battalions of the stricken wood
In whose lament I hear a voice that grieves
For battle’s fruitless harvest, and the feud
Of outraged men. Their lives are like the leaves
Scattered in flocks of ruin, tossed and blown
Along the westering furnace flaring red.
O martyred youth and manhood overthrown,
The burden of your wrongs is on my head.





Before the Battle

Music of whispering trees
Hushed by a broad-winged breeze
Where shaken water gleams;
And evening radiance falling
With reedy bird-notes calling.
O bear me safe through dark, you low-voiced streams.

I have no need to pray
That fear may pass away;
I scorn the growl and rumble of the fight
That summons me from cool
Silence of marsh and pool
And yellow lilies is landed in light
O river of stars and shadows, lead me through the night.







Sassoon
Siegfried Sassoon (8. September 1886 – 1. September 1967)






Der deutsche Dichter Clemens Brentano wurde am 8.September 1778 in Ehrenbreitstein geboren. Clemens Brentano ist der Bruder von Bettina von Arnim. Er studierte in Halle und Jena und verkehrte mit Wieland, Herder, Goethe, F. Schlegel, Fichte und Tieck. 1801 zog er nach Göttingen, dort verband ihn eine Freundschaft mit Achim von Arnim. 1804 zog er nach Heidelberg um und war Mitarbeiter an Arnims "Zeitungen für Einsiedler" und "Des Knaben Wunderhorn". In den Jahren 1808-1818 lebte er meist in Berlin, von 1819-1824 in Dülmen/Westfalen.


Wenn die Sonne weggegangen

Wenn die Sonne weggegangen,
kommt die Dunkelheit heran,
Abendrot hat goldne Wangen,
und die Nacht hat Trauer an.

Seit die Liebe weggegangen,
bin ich nun ein Mohrenkind,
und die roten frohen Wangen
dunkel und verloren sind.

Dunkelheit muß tief verschweigen
alles Wehe, alle Lust;
aber Mond und Sterne zeigen,
was mir wohnet in der Brust.

Wenn die Lippen dir verschweigen
meines Herzens stille Glut,
müssen Blick und Tränen zeigen,
wie die Liebe nimmer ruht.





Der Spinnerin Nachtlied

Es sang vor langen Jahren
Wohl auch die Nachtigall,
Das war wohl süßer Schall,
Da wir zusammen waren.

Ich sing' und kann nicht weinen,
Und spinne so allein
Den Faden klar und rein
So lang der Mond wird scheinen.

Als wir zusammen waren
Da sang die Nachtigall
Nun mahnet mich ihr Schall
Daß du von mir gefahren.

So oft der Mond mag scheinen,
Denk' ich wohl dein allein,
Mein Herz ist klar und rein,
Gott wolle uns vereinen.

Seit du von mir gefahren,
Singt stets die Nachtigall,
Ich denk' bei ihrem Schall,
Wie wir zusammen waren.

Gott wolle uns vereinen
Hier spinn' ich so allein,
Der Mond scheint klar und rein,
Ich sing' und möchte weinen.





Zorn und Liebe

O Zorn! du Abgrund des Verderben,
Du unbarmherziger Tyrann,
Du frißt und tötest ohne Sterben
Und brennest stets von Neuem an;
Wer da gerät in deine Haft
Gewinnt der Hölle Eigenschaft.

Wo ist, o Liebe, deine Tiefe,
Der Abgrund deiner Wunderkraft?
Oh, wer an deiner Quell entschliefe,
Der hätte Gottes Eigenschaft;
O wer, o Lieb, in deinem Meer
Gleich einem Tropfen sich verlör!







clemens-brentano
Clemens Brentano (8. September 1778 – 28.Juli 1842)
Porträt von Emilie Linder, um 1835

Montag, 7. September 2009

Edith Sitwell, Jenny Aloni

Die englische Schriftstellerin Dame Edith Sitwell wurde geboren am 7. September 1887 in Scarborough. Den Zeitgenossen war die Sitwell sowohl durch ihre Gedichte als auch durch ihren exzentrischen Lebensstil ein Begriff. Ihr Frühwerk steht deutlich in der Tradition der experimentellen Lyrik Baudelaires und Rimbauds, lässt aber auch Einflüsse der Zeitgenossen Yeats und Eliot erkennen. Ein Beispiel hierfür ist Façade (1922), ein Zyklus von 33 Gedichten. Vergleichbare experimentelle Werke waren auch die Totentanzdichtung Gold Coast Customs (1929; Gebräuche an der Golfküste) und der Roman I live under a Black Sun (1937; Ich lebe unter einer schwarzen Sonne), in dem sie Prosa und Lyrik zu einem eigenwilligen Sprachkunstwerk vermischte. Der Roman handelt zwar vordergründig vom Leben Jonathan Swifts, die zentrale Todesthematik bezieht sich aber auf Ereignisse im Freundeskreis der Autorin. Hier deutet sich ein Wandel im Schaffen Sitwells an, der sich unter dem Eindruck des 2. Weltkrieges beschleunigte. Ihre späteren Werke sind weniger von formalen Experimenten geprägt, sondern von christlich-humanitärer Denkart. Ein berühmtes Gedicht im Kontext des Krieges ist Still Falls the Rain, das einen Luftangriff auf London beschreibt. Edith Sitwell, die außerdem mit mehreren biographischen und literaturkritischen Werken an die Öffentlichkeit trat, wurde 1954 zur Dame Commander of the Order of the British Empire ernannt.


The Fan

LOVELY Semiramis
Closes her slanting eyes:
Dead is she long ago.
From her fan, sliding slow,
Parrot-bright fire's feathers,
Gilded as June weathers,
Plumes bright and shrill as grass
Twinkle down; as they pass
Through the green glooms in Hell
Fruits with a tuneful smell,
Grapes like an emerald rain,
Where the full moon has lain,
Greengages bright as grass,
Melons as cold as glass,
Piled on each gilded booth,
Feel their cheeks growing smooth.
Apes in plumed head-dresses
Whence the bright heat hisses,--
Nubian faces, sly
Pursing mouth, slanting eye,
Feel the Arabian
Winds floating from the fan.





Four in the Morning

Cried the navy-blue ghost
Of Mr. Belaker
The allegro Negro cocktail-shaker,
"Why did the cock crow,
Why am I lost,
Down the endless road to Infinity toss'd?
The tropical leaves are whispering white
As water; I race the wind in my flight.
The white lace houses are carried away
By the tide; far out they float and sway.
White is the nursemaid on the parade.
Is she real, as she flirts with me unafraid?
I raced through the leaves as white as water...
Ghostly, flowed over the nursemaid, caught her,
Left her...edging the far-off sand
Is the foam of the sirens' Metropole and Grand;
And along the parade I am blown and lost,
Down the endless road to Infinity toss'd.
The guinea-fowl-plumaged houses sleep...
On one, I saw the lone grass weep,
Where only the whimpering greyhound wind
Chased me, raced me, for what it could find."
And there in the black and furry boughs
How slowly, coldly, old Time grows,
Where the pigeons smelling of gingerbread,
And the spectacled owls so deeply read,
And the sweet ring-doves of curded milk
Watch the Infanta's gown of silk
In the ghost-room tall where the governante
Gesticulates lente and walks andante.
'Madam, Princesses must be obedient;
For a medicine now becomes expedient--
Of five ingredients--a diapente,
Said the governante, fading lente...
In at the window then looked he,
The navy-blue ghost of Mr. Belaker,
The allegro Negro cocktail-shaker--
And his flattened face like the moon saw she--
Rhinoceros-black (a flowing sea!).








Sitwell
Edith Sitwell (7. September 1887 - 9. Dezember 1964)
Porträt von Roger Fry





Die deutsch-israelische Lyrikerin und Schriftstellerin Jenny Aloni (geb. Rosenbaum) wurde am 7.September 1917 als Tochter eines jüdischen Kaufmanns in der westfälischen Provinzstadt Paderborn geboren. Die Familie war seit Jahrhunderten in Westfalen ansässig. Von 1924-1935 besuchte sie das katholische Oberlyzeum des St. Michael-Klosters, eine von Augustinerchorfrauen geleitete Mädchenschule in Paderborn. Aufgrund der zahlreicher werdenden antisemitischen Anfeindungen entschloss sie sich zur Auswanderung nach Palästina. Mit 18 bereitete sie sich im landwirtschaftlichem Anwesen Gut Winkel in Mark Brandenburg in einem Lager der Jugend-Alija auf ihre Auswanderung vor.1936 zog sie nach Berlin, wo sie sich einer zionistisch- sozialistischen Gruppe anschloss, lernte ihre Hebräisch, sowie etwas Arabisch und holte von Juni 1938 bis zum Februar 1939 auf einer jüdischen Oberschule für Mädchen ihr Abitur nach. Schon zwei Monate später wurde sie Gruppenleiterin einer Jugend-Alija im Hachscharah-Kibbuz Schniebinchen in der Niederlausitz und arbeitete etwa weitere sieben Monate mit Kindern und Jugendlichen zusammen. Im selben Jahr wanderte sie nach Palästina aus, um dort im Dezember ein Studium an der Hebräischen Universität in Jerusalem anzufangen. Jenny Rosenbaum arbeitete von 1938-1950 in der Jugendfürsorge. 1955 besuchte sie erstmals seit der Auswanderung ihren Heimatort Paderborn.



Impression, September

Äste halten den Himmel vergittert
hinter den Blättern der Sykomore,
der letzten im Brachland der Seelen.
Nestgestrüppe stopfen
schwarze Knoten in das Wolkenlose.
Schwärme schmarotzender Fliegen
schwirren erregt um Gürtel
süß gegorener Feigen.
Ein Telegraphendraht zerschneidet
das endenlose Nichts zu langer Sommer
in zwei leere Ewigkeiten.
In ihnen schillert fremd der blaue Vogel
mit dem krummen Schnabel
fischefangender Jäger.
Sein harter, einsamer Ruf
kämmt lockend die dunklen
Stämme der Zypressen.




Sommerblumen

Du aber irrtest, die du wähntest, der Glutenwind des Sommers habe alle Blumen verbrannt, alle außer den Disteln. Vielleicht glaubtest du es, weil dein bildermüdes Auge zu eilig über die gelbbraunen Ebenen und Berghänge hastete auf rasender Fahrt von einer Stadt zur anderen. Jetzt da du Lärm und grellen Farben entflohst in die Stille deines abgelegenen Hauses, erkanntest du deinen Irrtum. Durch einen Totenacker der Frühlingsblumen führt dich ein schmaler Pfad zum nächsten Dorf. Dürre Blätter auf fahlen Stielen knistern noch immer den eigenen Sterbegesang, wenn dein Fuß an die ineinander verstrickten Stengel stößt oder ein seltener Lufthauch sie bewegt. Zwischen ihnen, wie unter gelben Strohschirmen vor der stechenden Sonne geschützt, öffnen die Blumen des Sommers ihre Kelche, namenlos für dich, die du sie nicht zu benennen weißt. Durch wasserlose Monate tragen sie die winzigen Blüten, ein blasses Rot, ein mattes Blau, ein leises Gelb. Mit dem spärlichen Naß frühen Nebeltaues begnügen sie sich. Sie blühen den ganzen trockenen Sommer hindurch, bis die Pflanzen des Regens, breiter und stämmiger als sie aus der Erde auftreiben und sie in dem Wust des üppigen Grüns ersticken.






Aloni
Jenny Aloni (7. September 1917 – 30. September 1993)

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Zuletzt aktualisiert: 23. Jan, 19:14

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