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Weltliteratur

Sonntag, 14. Juni 2009

Harriet Beecher Stowe, Peter Mayle

Die amerikanische Schrifstellerin Harriet Beecher Stowe wurde am 14. Juni 1811 in Litchfield, Connecticut, geboren. Harriet Beecher Stowe war eine der populärsten US-amerikanischen SchriftstellerInnen des 19. Jahrhunderts. Sie schrieb zahlreiche Kurzgeschichten und etliche Romane, ist aber heute vor allem berühmt wegen ihrer flammenden Anklage gegen die Sklaverei, dem Roman Onkel Toms Hütte (Uncle Tom’s Cabin), der in über 40 Sprachen übersetzt wurde. Stowe stammte aus einer Intellektuellenfamilie und bekam eine ungewöhnlich gute Ausbildung. Sie profitierte zudem von dem Pionierinnengeist ihrer 11 Jahre älteren Schwester Catharine, die eine Vorkämpferin der Mädchenbildung in Amerika wurde und Mädchenschulen gründete, in denen Harriet unterrichtet wurde und später selbst unterrichtete. Die Religion war für die Pastorentochter Harriet von zentraler Bedeutung - sie durchzieht all ihre literarischen Arbeiten und war Quelle beständiger Selbstprüfung und Unzufriedenheit mit dem Zustand ihrer Seele. In Cincinnati traf Harriet Calvin Stowe, einen Theologieprofessor, den sie 1836 heiratete und der ihre literarische Tätigkeit zeitlebens unterstützte

Aus: Onkel Toms Hütte

„In derselben Nacht ging Cassy in Emmelines Zimmer. Als sie eintrat, saß Emmeline, bleich vor Angst, in der äußersten Ecke. "Ach, du bist es, Cassy. Ich bin so froh, daß du da bist, ich hatte Angst, es wäre Legree. Was für einen abscheulichen Lärm sie da unten machen."
"Das habe ich oft genug gehört, und du wirst es noch öfter mitmachen", erwiderte Cassy.
"Sag doch, Cassy, gibt es denn keine Möglichkeit, zu entfliehen? Können wir denn nirgends hin?" "Nur ins Grab", sagte Cassy bitter. "Ich habe oft genug gesehen, wie es welche versucht haben - und was mit ihnen dann geschah." Emmmeline wandte sich schaudernd ab.
Cassy wollte Emmeline Branntwein zu trinken geben. "Trinke nur; mir ist er auch zuwider gewesen, und jetzt kann ich nicht mehr ohne ihn leben. Etwas muß man haben. Das Leben sieht nicht mehr so entsetzlich aus, wenn man trinkt."
Aber Emmeline lehnte ab. Die Mutter hatte ihr gesagt, sie solle nicht trinken. "O Cassy, bitte habe Mitleid mit mir", flehte sie.
"Mitleid? Habe ich das nicht? Habe ich nicht eine Tochter? Gott weiß, wo sie ist und wem sie jetzt gehört. Sie wird wahrscheinlich denselben Weg gehen, den ihre Mutter vor ihr eingeschlagen hat und auf dem ihre Kinder folgen müssen. Der Fluch dauert ewig "
Am Morgen nach der wüsten Nacht ging Legree in den Geräteschuppen, in dem Tom lag.
"Na, mein Junge, wie geht´s denn?" fragte er mit gehässigem Lächeln und stieß mit dem Fuß nach ihm. "Ich hab´ dir´s ja gesagt, daß ich dir noch was beibringen kann. Wie ist dir die kleine Kostprobe bekommen?"
Tom gab keine Antwort. "Los, steh auf, du Hund", schrie Legree. Endlich gelang es Tom, aufzustehen.
"Siehst du, du kannst stehen. Hast doch nicht genug bekommen. was? So, und jetzt wieder runter mit dir, aber diesmal auf die Knie. Und dann bittest du schön um Entschuldigung wegen gestern abend." Tom rührte sich nicht.
"Runter mit dir, hab´ ich gesagt !" brüllte Legree und schlug ihm mit der Reitpeitsche ins Gesicht.
"Mas´r Legree", sagte Tom mit leiser Stimme, "das kann ich nicht. Ich habe nur getan, was ich für recht hielt."
Legree bemühte sich nun, ruhig zu sprechen.
"Du weißt nicht, was dich noch erwartet. Das gestern abend war nichts, gar nichts. Was hältst du davon, wenn ich dich an einen Baum binden lasse, mit so einem hübschen kleinen Feuerchen rundherum?"






Harriet Beecher Stowe (14. Juni 1811 – 1. Juli 1896)
Um 1851




Der britische Schriftsteller Peter Mayle wurde am 14. Juni 1939 in Brighton geboren. Nach Anfängen als Kellner und Busfahrer war Peter Mayle in der Werbebranche tätig. Ab den 1970er-Jahren begann er zu schreiben, zuerst Erziehungs- bzw. Aufklärungsbücher. 1985 gab er seine Erwerbstätigkeit auf und zog 1987 in die Provence, wo er ein altes Bauernhaus renovierte und begann, Bücher über eigene Erlebnisse vor Ort, aber auch das Leben, die Kultur und die Mentalität Südfrankreichs zu schreiben. Einen besonderen Schwerpunkt nimmt die Beschreibung der südfranzösischen Küche ein. Seine Werke wurden in 17 Sprachen übersetzt, viele wurden große Erfolge. Durch seine Bücher Mein Jahr in der Provence und Toujours Provence wurde seine Popularität so groß, dass er 1997 nach Long Island in den USA flüchtete. Nach kurzer Zeit in den USA aber zog es ihn nach Südfrankreich zurück, wo er heute wieder lebt. Er hat aus seinen Erfahrungen gelernt: Die Adresse seines aktuellen Wohnsitzes gibt er heute nicht mehr preis. Sein Roman Mein Jahr in der Provence wurde 2003 vom britischen Nachrichtensender BBC verfilmt; sein Roman Ein guter Jahrgang wurde 2006 unter dem Titel Ein gutes Jahr von Ridley Scott verfilmt.

Aus: Encore Provence

“I think it was the sight of a man power-washing his underpants that really brought home the differences, cultural and otherwise, between the old world and the new.
It was a cold, still morning in early winter, and the pulsing thumpthump, thumpthump of a high-pressure hose echoed through the village. Getting closer to the sound, it was possible to see, over a garden wall, a laundry line totally devoted to gentlemen's underwear in a stimulating assortment of colors. The garments were under attack, jerking and flapping under the force of the water jet like hanging targets in a shooting gallery. Standing some distance away, out of ricochet range, was the aggressor, in cap and muffler and ankle-high zippered carpet slippers. He had adopted the classic stance of a soldier in combat, feet spread apart, shooting from the hip, a merciless hail of droplets raking back and forth. The underpants didn't stand a chance.
Only a few days before, my wife and I and the dogs had arrived back in Provence after an absence of four years. Much of that time had been spent in America, where we were able to slip back into the comfortable familiarity of a language that was relatively free--although not entirely--from the problems of being socially appropriate or sexually accurate. No longer did we have to ponder the niceties of addressing people as vous or tu, or to rush to the dictionary to check on the gender of everything from a peach to an aspirin. English was spoken, even if our ears were rusty and some of the fashionable linguistic flourishes took a little getting used to.
A friend of below-average height told us he was not considered short any more but "vertically challenged"; the hour, previously a plain old sixty minutes, had sprouted a "top" and a "bottom"; you were not seen leaving a room, but "exiting" it; the economy was regularly being "impacted," as though it were a rogue wisdom tooth; great minds "intuited" where once they had merely guessed; "hopefully," an agreeable word that never harmed a soul, was persistently abused. Important people didn't change their opinions, but underwent a significant "tactical recalibration."






Peter Mayle (Brighton, 14. Juni 1939)

Samstag, 13. Juni 2009

William Butler Yeats

Der irische Dichter William Butler Yeats wurde am 13. Juni 1865 als Sohn des bekannten irischen Kunstmalers John Butler Yeats in Sandymount (heute ein Stadtteil Dublins) geboren. Seine Schuldbildung erhielt er teils in London und teils in Dublin, wo er auch Kunst studierte. Die Semesterferien verbrachte Yeats in seiner Heimat, dem westirischen Sligo. Dort begeisterte er sich für das irische Kulturerbe. 1887 zog er mit seinen Eltern nach London, wo er zunächst unter dem Einfluss des französischen Symbolismus und der Präraffaeliten stand und sich mit der englischen Romantik, namentlich mit Percy Bysshe Shelley und William Blake, befasste. Während dieser Zeit begann er sich auch für Hinduismus, Theosophie und Okkultismus zu interessieren. Darüber hinaus verfasste er lyrische Gedichte, in denen er symbolhaft heidnische Traditionen Irlands beschrieb, wie z. B. The Wanderings of Oisin (1889) und The Lake Isle of Innisfree (1893). 1896 kehrte Yeats nach Irland zurück. Er unterhielt eine freundschaftliche Beziehung zu der irischen Schriftstellerin Lady Isabella Augusta Gregory, war häufig auf deren Landsitz Coole Park, einem Treffpunkt irischer Intellektueller, zu Gast und begleitete sie auf Reisen durch Italien. Gemeinsam gründeten sie 1904 das berühmte Abbey Theater. Als Theaterdirektor und Dramatiker trug Yeats wesentlich dazu bei, dass das neu gegründete Theater internationale Bedeutung erlangte und sich zum Zentrum einer literarischen Bewegung entwickelte, die als Irisch-Keltische Renaissance bezeichnet wird. Zu den Bühnenwerken, die Yeats für das Abbey Theater schrieb, gehören Cathleen ni Houlihan (1902, Cathleen, die Tochter Houlihans), ein nationalistisch geprägtes Prosastück mit Maud Gonne in der Hauptrolle, und die Verstragödie Deirdre (1907). Yeats’ literarisches Spätwerk entstand unter dem Einfluss seiner medial veranlagten Ehefrau Georgie Hyde-Lees, mit der er seit 1917 verheiratet war. Für sein Schaffen erhielt der Autor 1923 den Nobelpreis für Literatur.




THE INDIAN TO HIS LOVE

THE island dreams under the dawn
And great boughs drop tranquillity;
The peahens dance on a smooth lawn,
A parrot sways upon a tree,
Raging at his own image in the enamelled sea.

Here we will moor our lonely ship
And wander ever with woven hands,
Murmuring softly lip to lip,
Along the grass, along the sands,
Murmuring how far away are the unquiet lands:

How we alone of mortals are
Hid under quiet boughs apart,
While our love grows an Indian star,
A meteor of the burning heart,
One with the tide that gleams, the wings that gleam and dart,

The heavy boughs, the burnished dove
That moans and sighs a hundred days:
How when we die our shades will rove,
When eve has hushed the feathered ways,
With vapoury footsole by the water's drowsy blaze.





LINES WRITTEN IN DEJECTION

WHEN have I last looked on
The round green eyes and the long wavering bodies
Of the dark leopards of the moon?
All the wild witches, those most notable ladies,
For all their broom-sticks and their tears,
Their angry tears, are gone.
The holy centaurs of the hills are vanished;
I have nothing but the embittered sun;
Banished heroic mother moon and vanished,
And now that I have come to fifty years
I must endure the timid sun.





RECONCILIATION

SOME may have blamed you that you took away
The verses that could move them on the day
When, the ears being deafened, the sight of the eyes blind
With lightning, you went from me, and I could find
Nothing to make a song about but kings,
Helmets, and swords, and half-forgotten things
That were like memories of you--but now
We'll out, for the world lives as long ago;
And while we're in our laughing, weeping fit,
Hurl helmets, crowns, and swords into the pit.
But, dear, cling close to me; since you were gone,
My barren thoughts have chilled me to the bone.







wbyeats
William Butler Yeats (13. Juni 1865 – 28. Januar 1939)

Freitag, 12. Juni 2009

Achtzig Jahre Anne Frank, Christoph Meckel

Achtzig Jahre Anne Frank


Die niederländische Schriftstellerin Annelies Marie Frank, meist verkürzt Anne Frank genannt wurde am 12. Juni 1929 in Frankfurt am Main geboren. Anne Frank war ein jüdisches deutsches Mädchen, das während des Zweiten Weltkriegs im niederländischen Exil seine deutsche Staatsangehörigkeit verlor und kurz vor dem Kriegsende dem nationalsozialistischen Völkermord zum Opfer fiel. Zuvor hatte sie sich mit ihrer Familie in einem Hinterhaus in Amsterdam versteckt gehalten, wo sie ihre Erlebnisse und Gedanken in einem Tagebuch niederschrieb.
Das nach dem Krieg von ihrem Vater Otto Frank veröffentlichte Tagebuch der Anne Frank gilt als ein historisches Dokument aus der Zeit des Holocaust und die Autorin als Symbolfigur für alle Opfer der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten. Anne Frank wäre heute achtzig Jahre alt geworden.


Aus: Das Tagebuch der Anne Frank


“Dienstag, 7. März 1944
Liebe Kitty!
Wenn ich so über mein Leben von 1942 nachdenke, kommt es mir so unwirklich vor. Dieses Götterleben erlebte eine ganz andere Anne Frank als die, die hier jetzt vernünftig geworden ist. Ein Götterleben, das war es. An jedem Finger fünf Verehrer, ungefähr zwanzig Freundinnen und Bekannte, der Liebling der meisten Lehrer, verwöhnt von Vater und Mutter, viele Süßigkeiten, genug Geld - was will man mehr?
Du wirst mich natürlich fragen, wie ich denn all die Leute so um den Finger gewickelt habe. Peter sagt "Anziehungskraft", aber das stimmt nicht ganz. Die Lehrer fanden meine schlauen Antworten mein lachendes Gesicht und meinen kritischen Blick nett, amüsant und witzig. Mehr war ich auch nicht, nur kokett und amüsant. Ein paar Vorteile hatte ich, durch die ich ziemlich in der Gunst blieb, nämlich Fleiß, Ehrlichkeit und Großzügigkeit. Nie hätte ich mich geweigert, jemanden, egal wen, abschauen zu lassen, Süßigkeiten verteilte ich mit offenen Händen, und ich war nicht eingebildet.
Ob ich bei all der Bewunderung nicht übermütig geworden wäre? Es ist ein Glück, dass es mittendrin, auf dem Höhepunkt des Festes sozusagen, plötzlich in der Wirklichkeit landete, und es hat gut ein Jahr gedauert, bevor ich mich daran gewöhnt hatte, dass von keiner Seite mehr Bewunderung kam...


Mittwoch, 15. März 1944
Liebe Kitty!
Puh, ein Weilchen von den düsteren Szenen befreit! Heute habe ich nichts anderes gehört als: "Wenn dies oder das passiert, dann bekommen wir Schwierigkeiten, wenn der noch krank wird, stehen wir allein auf der Welt ..., wenn dann...".
Nun ja, den Rest weißt du schon. Ich vermute wenigstens, dass du die Hinterhäusler inzwischen gut genug kennst, um ihre Gespräche zu erraten.
Der Anlass für dieses "wenn, wenn" ist, dass Kugler zu sechs Tagen Arbeitsdienst aufgerufen worden ist, Bep die mehr als nur einen Stockschnupfen hat und wahrscheinlich morgen zu Hause bleiben muss, Miep von ihrer Grippe noch nicht genesen ist und Kleiman eine Magenblutung mit Bewusstlosigkeit gehabt hat. Eine wahre Trauerliste für uns... »







Anne Frank (12. Juni 1929 – März 1945)
Margot, Otto, Anne und Edith Frank in 1941




Der deutsche Schriftsteller und Grafiker Christoph Meckel wurde am 12. Juni 1935 in Berlin geboren. Christoph Meckel, Sohn des Schriftstellers Eberhard Meckel und Enkel des Architekten Max Meckel, verbrachte Kindheit und Jugend in Freiburg im Breisgau, wo er das Gymnasium bis zur Unterprima besuchte. 1954/55 studierte er Grafik an der Kunstakademie in Freiburg im Breisgau, 1956 an der Kunstakademie in München. Seit 1956 arbeitet er als Schriftsteller und Grafiker. Er unternahm ausgedehnte Reisen durch Europa, Afrika und Amerika und lebte in Ötlingen im Markgräflerland, in Berlin, in Südfrankreich und in der Toskana. Seine biografischen Daten sind Teil seines künstlerischen Werks. So behauptete er 1992 im Bericht zur Entstehung einer Weltkomödie, der Schriftsteller Christoph Meckel hätte eine andere Biographie als der Grafiker. Die Auseinandersetzung mit seinem Vater und dessen Generation im Nationalsozialismus und im Krieg prägte Meckel und wird am deutlichsten im Werk Suchbild. Über meinen Vater (1980). Ebenso intensiv setzte er sich 22 Jahre später in Suchbild: meine Mutter (2002) mit seiner Mutter auseinander, von der er sich zeitlebens ungeliebt fühlte. Meckels grafisches Werk rankt sich um die Weltkomödie: In zwölf Zyklen, schon als junger Mann begonnen und bis 1993 fortgesetzt.




Bahnhofstreppe

Wer will immer wieder Sternbilder ordnen
und auseinanderreißen. Ich erwarte
eine Schnauze mit Reißzahn, einen bezahlten Kuß
eine Faust an der Gurgel,
meine Faust an der Gurgel des andern
dreckig von Leben, nicht länger schuldlos
Auge in Auge, er ich oder beide.

Als wir hintereinander zu den Biertischen
runtergingen, in schlechter Beleuchtung -
meine Zigarettenkippe auf den Stufen
er hob sie auf und steckte sie zwischen die Zähne
hohnvoll, lässig, der andere, Dreckstück, Engel
Mörder Mensch, meine furchtbare Chance -

Leben, Leben, auseinandergerissen.







Der Spanische Platz

Der Spanische Platz wurde umbenannt in Naumann-Bezirk.
Was ist falsch an Spanien und wer war Naumann.
Alberto, Theodor, Harry Naumann?
Tycoon einer Handelskette, ein Sponsor, Agent?
Die besonnten Fassaden am Spanischen Platz.
Die geräumten Läden im Naumann-Bezirk.

Wird man wohnen an Promenaden,
Prospekten und Küsten mit hellen Namen.
Passage du petit Cladan. Die Straße der Küsse.
Die Höfe der Spieler. Die Kolibri-Gärten.
Am Sonnenufer. Im Regenbogen. Am Meer.

Am Schnee. Am Süßgras. Am Baum des Propheten.

Am Krematorium. Am Camping. Am Rieselfeld.

An Jubals Weg. Im Raum. An den Sieben Gestirnen.

Im Jammertal. Am Schlachthof. Im Nixon-Distrikt.

An der Straße des Südwinds. Am Blauen Horn.

Wer will die Sonne umbenennen, den Wind
mit den zwölftausend Vogelstärken im frühen Licht!







Christoph Meckel (Berlin, 12 juni 1935)

Donnerstag, 11. Juni 2009

William Styron, Renée Vivien

Der amerikanische Schriftsteller William Clark Styron, Jr. wurde am. Juni 1925 in Newport News, Virginia, geboren, nicht weit entfernt von dem Schauplatz der Sklavenrebellion von 1831, die später das Thema seines berühmtesten und am meisten diskutierten Romans wurde. Nach dem Studium kämpfte er während des Zweiten Weltkrieges im Marinekorps. Styron schrieb für viele amerikanische Magazine Essays und Kritiken und verfasste zahlreiche gesellschaftskritische Romane, die in der Erzähltradition des Südens von William Faulkner und Thomas Wolfe stehen. Für den Roman Die Bekenntnisse des Nat Turner wurde er 1968 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. William Styron starb am 1. November 2006 auf der Insel Martha’s Vineyard im US-Staat Massachusetts an einer Lungenentzündung.

Aus: Darkness Visible

„I was feeling in my mind a sensation close to, but indescribably different from, actual pain. This leads me to touch again on the elusive nature of such distress. That the word “indescribable” should present itself is no fortuitous, since it has to be emphasized that if the pain were readily describable most of the countless sufferers from this ancient affliction would have been able to confidently depict for their friends and loved ones (even their physicians) some of the actual dimensions of their torment, and perhaps elicit a comprehension that has been generally lacking; such incomprehension has usually been due not to a failure of sympathy but to the basic inability of healthy people to imagine a form of torment so alien to everyday experience. For myself, the pain is most closely connected to drowning or suffocation—but even these images are off the mark. William James, who battled depression for many years, gave up the search for an adequate portrayal, implying it near-impossibility when he wrote in The Varieties of Religious Experience: “It is a positive and active anguish, a sort of psychical neuralgia wholly unknown to normal life.”
The pain persisted during my museum tour and reached crescendo in the next few hours when, back at the hotel, I fell onto the bed and lay gazing at the ceiling, nearly immobilized and in a trance of supreme discomfort. Rational thought was usually absent from my mind at such times, hence trance. I can think of no more apposite word for this state of being, a condition of helpless stupor in which cognition was replaced by that “positive and active anguish.” And one of the most unendurable aspects of such an interlude was the inability to sleep. It had been my custom of a near-lifetime, to settle myself into a soothing nap in the late afternoon, but the disruption of normal sleep patterns is a notoriously devastating feature of depression; to the injurious sleeplessness with which I had been afflicted each night was added the insult of this afternoon insomnia, diminutive by comparison but all the more horrendous because it struck during the hours of the most intense misery.“







William Styron (11. Juni 1925 – 1. November 2006)




Die amerikanische Dichterin Renée Vivien (eig. Pauline Mary Tarn) wurde am 11. Juni 1877 in London geboren. Renée Vivien war die Tochter eines schottischen Vaters und einer amerikanischen Mutter. Nach ihrer Schulzeit, welche sie in New York, Paris und London absolvierte, ließ sie sich in Paris als Schriftstellerin nieder. Bereits während ihrer Schulzeit fiel sie durch ihre Zuneigung zu ihrer Jugendfreundin Violet Shillito auf. Sie war bekannt für ihren exzentrischen Kleidungsstil und für ihr offenes Bekenntnis zu ihren lesbischen Neigungen. So hatte sie beispielsweise mit Natalie Clifford Barney eine langjährige Beziehung. Sie war sehr kultiviert und reiste viel. Viele ihre Werke veröffentlichte Renée Vivien unter dem Pseudonym Paule Riversdale. 1908 unternahm Renée Vivien während eines Aufenthalts in London einen Selbstmordversuch, der allerdings fehlschlug. Als sie dann im darauffolgenden Jahr im Alter von 32 Jahren am 10. November 1909 in Paris starb, vermutete man ebenfalls einen Suizid. Aber da sie zu dieser Zeit bereits schwer an Magersucht (Anorexia nervosa) erkrankt und durch Alkoholmissbrauch geschwächt war, könnten auch das die Todesursachen gewesen sein.



Prolong the Night

Prolong the night, Goddess who sets us aflame!
Hold back from us the golden-sandalled dawn!
Already on the sea the first faint gleam
Of day is coming on.

Sleeping under your veils, protect us yet,
Having forgotten the cruelty day may give!
The wine of darkness, wine of the stars let
Overwhelm us with love!

Since no one knows what dawn will come,
Bearing the dismal future with its sorrows
In its hands, we tremble at full day, our dream
Fears all tomorrows.

Oh! keeping our hands on our still-closed eyes,
Let us vainly recall the joys that take flight!
Goddess who delights in the ruin of the rose,
Prolong the night!




Roses Rising

My brunette with the golden eyes, your ivory body, your amber
Has left bright reflections in the room
Above the garden.
The clear midnight sky, under my closed lids,
Still shines....I am drunk from so many roses
Redder than wine.
Leaving their garden, the roses have followed me....
I drink their brief breath, I breathe their life.
All of them are here.
It's a miracle....The stars have risen,
Hastily, across the wide windows
Where the melted gold pours.
Now, among the roses and the stars,
You, here in my room, loosening your robe,
And your nakedness glistens
Your unspeakable gaze rests on my eyes....
Without stars and without flowers, I dream the impossible
In the cold night.







Renée Vivien (11. Juni 1877 – 10. November 1909)

Mittwoch, 10. Juni 2009

Louis Couperus, Saul Bellow

Der niederländische Schriftsteller Louis Couperus wurde am 10. Juni 1863 in Den Haag geboren und starb am 16. Juli 1923 in De Steeg. Er verbrachte den Großteil seines Lebens im Ausland; als Kind ging er mit seinen Eltern nach Batavia in die damaligen Kolonie Niederländisch-Indien (Indonesien), wo sein Vater als Jurist tätig war. Auch als Erwachsener unternahm er ausgedehnte Reisen nach Skandinavien, England, Deutschland, Frankreich, Spanien, Niederländisch-Indien, Japan und vor allem nach Italien. Von 1915 bis zu seinem Tod wenige Wochen nach seinem 60. Geburtstag im Jahr 1923 lebte er in Den Haag. Er schrieb eine große Reihe von Romanen und kürzeren Werken.

Aus: Xerxes oder Der Hochmut (Übersetzt von O. Lerche)

„Da sprach Xerxes in dem weiten Apadhana zu Susa zu seinen versammelten Großen:
»Perser! Ich wünsche nichts Neues oder den Göttern Mißliebiges zu tun. Ich wünsche nur die Weltmacht zu erringen.« Mit dem Zepter machte er eine zierliche Gebärde, um zu unterstreichen, daß er in der Tat sehr sittsam sei und ehrlich Göttern und Menschen gegenüber.
Xerxes, der König der Könige, saß auf seinem erhabenen Throne. Der ruhte auf zwei goldenen Löwen mit wild verzerrten Fratzen, und an den breiten Stufen entlang reihten sich gleichfalls zweimal sechs Löwen aus Gold mit wild verzerrten Fratzen. Xerxes selber stand in der Blüte der männlichen Jugend, und sein gewinnendes Lächeln und sein gewinnender Blick – als müsse er es allen klarmachen, daß die Erlangung der Weltmacht ein Ziel des Ehrgeizes, dem König der Könige, dem König der Perser, wohl gestattet sei – strahlten sonnengleich aus seinem Antlitz in den Saal hinein über alle seine Großen, die sich, wo sie standen, vordrängten bis ganz weit weg, vorn, in der Mitte und weit hinten, zwischen den vor dem Blick verschwindenden Säulen. Viele der geringeren Großen, die weit entfernt standen, vernahmen Xerxes nicht. Dies machte wenig aus. Sie stimmten allezeit mit den einflußreicheren Großen überein, die wohl vernehmen konnten, was der Basileus mit wohltönender Stimme laut verkündete.
Es war im Spätherbst, und die Sonne (von der die Priester fälschlich behaupten, daß sie das Auge des Ormuzd sei) warf ihre schrägen Strahlen in einem glitzernd hellen, stäubenden Puder auf schiefen Glanzbahnen in den Thronsaal durch die tiefen quadratförmigen Fensteröffnungen.
Im Inneren standen dicht gereiht sehr schlanke Säulen, die zunächst in Kelchkapitelle ausliefen und über ihnen noch zu zwei doppelten blaugrauen Marmorvoluten erblühten. Darauf lasteten kniende Stiertorsen aus blaugrauem Marmor, fast zu hoch für die Schlankheit der Säulen, und diese knienden blaugrauen Stiertorsen trugen die ungeheuren, goldgeschmückten Balken der Decke aus Zedernholz.
Dort schwamm ein azurner Schattendunst. Die schiefe Bahn von Sonnenglanz schwebte hinter und um den Fürsten, und wer schlichten Gemütes war, konnte glauben, daß göttliche Genien auf diesem Pfade aus Sonnenstaub dem Himmel entsteigen und Xerxes umschweben würden oder daß er selber nach Beendigung seiner Rede auf ihnen emporwandeln werde, dem Himmel, Ormuzd, seinem Herrn, entgegen, gleich als sei dies ebenso rechtmäßig wie die Erstrebung der Weltmacht. Xerxes war hoch gewachsen. So wie er dort saß, stolz, doch liebenswürdig, mit einem bestrickenden Lächeln, auf seinem von bleckenden Löwen getragenen Thron und angetan mit seinem goldenen Mantel, den persische Königinnen eigenhändig gewebt hatten, machte er Eindruck sogar auf diejenigen Großen, die am weitesten entfernt standen. Die symmetrischen Locken, die aus seiner Tiara über sein bernsteinfarbenes Antlitz fielen, die symmetrischen Locken seines Bartes waren blauschwarz, schwarz mit blauem Widerschein.“







Louis Couperus (10. Juni 1863 – 16. Juli 1923)
Statue in Den Haag




Der amerikanische Schriftsteller Saul Bellow wurde am 10. Juni 1915 als Solomon Bellows in Lachine, Québec, Kanada, geboren. Aufgewachsen ist er in Chicago. Die erste Sprache, die der Junge erlernte, war Hebräisch. Die Familie zog nach Chicago um, als Saul neun Jahre alt war. Bellow selbst und sein literarisches Schaffen wurden zeitlebens durch das östlich-jüdisch geprägte Großstadtmilieu, in dem er aufwuchs, beeinflusst. Bellow promovierte an der University of Wisconsin in den Fächern Anthropologie und Soziologie, heiratete dann die Soziologin Anita Goshkin und arbeitete als Journalist, später als Universitätsprofessor für Literatur. Bereits mit seinem Tagebuchroman Dangling Man löste er 1944 Aufmerksamkeit aus. Hier kreist das Geschehen um einen jungen Mann, der seine Einberufung erwartet. Das Hauptthema seiner Werke ist die Situation des männlichen, jüdischen Intellektuellen in den heutigen USA, der ohne religiöse Bindung seinen Weg im Kampf des Lebens sucht, insbesondere verwirrt im Kampf der Geschlechter. Die Schauplätze seiner Romane sind vorwiegend New York und Chicago. Bellow was Träger des Nobelpreises für Literatur.

Aus: Humboldts Vermächtnis (Übersetzt von Eike Schönfeld)

“Das Balladenbuch, . das Von Humboldt . Fleisher in den dreißiger . Jahren vorlegte, war auf der . Stelle ein Erfolg. Auf einen wie . Humboldt hatte jeder gewartet. Ich jedenfalls im Mittleren Westen hatte voller Ungeduld darauf gewartet, das kann ich Ihnen sagen. Er war ein Avantgarde-Autor, der erste einer neuen Generation, er sah gut aus, war blond, groß, ernst, witzig, er war gebildet. Der Mann hatte es einfach. Alle Zeitungen besprachen sein Buch. Sein Bild war ohne Beleidigungen in Time und mit Belobigung in Newsweek. Ich las die Harlequin Ballads mit Begeisterung. Ich studierte an der Universität von Wisconsin und dachte Tag und Nacht an nichts anderes als an Literatur. Humboldt eröffnete mir neue Wege, die Dinge anzugehen. Ich war hingerissen. Ich beneidete ihn um sein Glück, sein Talent und seinen Ruhm, und im Mai fuhr ich gen Osten, um ihn mir anzusehen – vielleicht, ihm nahe zu kommen. Der Greyhound-Bus brauchte für die Fahrt auf der Scranton-Route rund fünfzig Stunden. Das machte nichts. Die Busfenster waren offen. Ich hatte noch nie richtige Berge gesehen. Die Bäume schlugen aus. Es war wie Beethovens Pastorale. Ich fühlte mich innerlich von Grün überschüttet. Auch Manhattan war schön. Ich nahm mir ein Zimmer für drei Dollar die Woche und fand einen Job als Vertreter für Fuller-Bürsten. Und alles war furchtbar aufregend für mich. Nachdem ich Humboldt einen langen Fanbrief geschrieben hatte, wurde ich nach Greenwich Village eingeladen, um über Literatur und Ideen zu diskutieren. Er wohnte in der Bedford Street, ganz in der Nähe vom Chumley’s. Erst stellte er mir eine Tasse schwarzen Kaffee hin, dann goss er Gin dazu. »Na, Sie sehen doch richtig gut aus, Charlie«, sagte er zu mir. »Sind Sie vielleicht nicht auch ein bisschen durchtrieben? Ich glaube, Sie kriegen mal früh eine Glatze. Und so große, gefühlige hübsche Augen. Aber jedenfalls lieben Sie die Literatur, und das ist ja die Hauptsache. Sie haben Feingefühl«, sagte er. Im Gebrauch dieses Wortes war er ein Pionier. Feingefühl kam später ganz groß raus. Humboldt war sehr nett. Er stellte mich Leuten im Village vor und besorgte mir Bücher zum Besprechen. Ich habe ihn immer geliebt.”






Saul Bellow (10. Juni 1915 – 5. April 2005)

Dienstag, 9. Juni 2009

Curzio Malaparte, Mirko Bonné

Der italienische Schriftsteller und Journalist Curzio Malaparte (eig. Kurt Erich Suckert) wurde am 9. Juni 1898 in Prato in der Toskana geboren. Er besuchte das Gymnasium Cigognini in Prato und wurde 1911 Mitglied in der Partito Repubblicano Italiano. 1912 erschienen seine ersten Gedichte im Druck. 1913 wurde er Herausgeber einer satirischen Zeitschrift. Im Ersten Weltkrieg meldete er sich mit 16 Jahren als Freiwilliger. Nach dem Krieg trat er in den Diplomatischen Dienst ein. Malaparte sympathisierte zunächst mit dem Faschismus. Mit seinem Buch Viva Caporetto! löste er bei den Faschisten Proteste aus; er beschrieb darin seine Kriegserlebnisse. In der Folge wurde er aus dem diplomatischen Dienst abberufen. 1928–31 war er Chefredakteur der großen Tageszeitung La Stampa und der kleineren Zeitschrift Fiera Letteraria. 1933 wurde er aufgrund kritischer Äußerungen verhaftet, aus der Partei ausgeschlossen und anschließend zu fünf Jahren Verbannung auf Lipari verurteilt. Im folgenden Jahr durfte er jedoch Lipari wieder verlassen. Er lebte in der Folge unter Hausarrest in der Toskana bzw. auf Ischia. 1937 gründete er die Literaturzeitschrift Prospettive. 1938 ging er als Korrespondent in das zwei Jahre zuvor von Italien annektierte Äthiopien. Im Zweiten Weltkrieg schrieb Malaparte als Kriegsberichterstatter für die Mailänder Zeitung Corriere della Sera in Nordafrika, Frankreich, Deutschland sowie 1940–45 auf dem Balkan, Finnland und Russland. Dort entstand Die Wolga entspringt in Europa, Augenzeugenberichte von der Ukraine-Front und der Belagerung Leningrads, die 1943 veröffentlicht wurden. 1945 wurde er Verbindungsoffizier der Amerikaner. In der Nachkriegszeit wandte Malaparte sich dem Kommunismus zu. Während einer Auslandsreise nach China wurde bei ihm Lungenkrebs diagnostiziert. Kurz vor seinem Tod trat er zum Katholizismus über.

Aus: Die Wolga entspringt in Europa (Übersetzt von Hellmut Ludwig)

„Jassy, 22. Juni 1941
Der Krieg gegen Sowjetrußland hat heute in der Morgendämmerung begonnen. Seit zwei Monaten hatte ich keinen Kanonendonner mehr gehört; zuletzt im April, unter den Mauern Belgrads. Vor den endlosen Korn- und Getreideflächen, vor den riesigen Sonnenblumenwäldern erlebe ich nun abermals den Krieg in der Präzision seiner metallenen Ordnung, im stählernen Leuchten seiner Maschinen, im ununterbrochenen, gleichmäßigen Dröhnen seiner tausend Motoren (Honegger, Hindemith). Der Geruch von Benzin überwältigt wiederum den Geruch von Mensch und Pferd. Als ich gestern in nordwestlicher Richtung den Pruth entlangfuhr, längs der sowjetischen Grenze von Galatz nach Jassy, begegnete ich an den Straßenkreuzungen wieder den unerschütterlich ruhigen, ernsten Feldgendarmen, mit ihrem Blechschild vor der Brust, die weiß-rote Befehlsscheibe in der Hand. »Halt!« Zwei Stunden lang stand ich an einer Straßenkreuzung, um eine deutsche Wagenkolonne vorbeifahren zu lassen. Es war eine motorisierte Division, der eine Abteilung schwere Panzer vorausfuhr. Sie kamen aus Griechenland. Sie waren durch Attika, Böotien, Thessalien, Mazedonien, durch Bulgarien und Rumänien gerollt. Von der dorischen Säulenhalle des Parthenon zur stählernen Säulenhalle des Piatiletka. Die Soldaten hockten auf den quergelegten Sitzbrettern der offenen Lastwagen, ganz mit einer weißen Staubschicht bedeckt. Auf den Kühler jedes Fahrzeugs war mit weißem Lack ein griechischer Tempel gemalt, ein kindliches Säulengebilde mit Gebälk, in "Weiß auf dem schmutzig-grauen Metall der Motorhaube. Unter der Staubmaske ahnte man von der Sonne geschwärzte, vom griechischen Wind verbrannte Gesichter. Die Soldaten hockten auf den Bänken in seltsamer Reglosigkeit, sie wirkten wie Statuen. Wie aus Marmor, so weiß von Staub waren sie.“








Curzio Malaparte (9. Juni 1898 – 19. Juli 1957)





Der deutsche Schriftsteller und Übersetzer Mirko Bonné wurde eboren am 1965 in Tegernsee. Nach dem Abitur 1986 jobbte Mirko Bonné unter anderem als Taxifahrer und Altenpflegehelfer. Seit 1994 ist er als Lyriker, Romancier und Übersetzer von Gedichten tätig. Zu den von ihm übertragenen Autoren zählen Keats, Cummings, Creeley, Yeats und Ghérasim Luca. Gedichte, Essays und Artikel zur Literatur wurden in Anthologien (Der Große Conrady. Das Buch deutscher Gedichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart u.a.), Literaturzeitschriften (BELLA triste u.a.) und Zeitungen (FAZ u.a.) veröffentlicht. Bonné ist Mitglied des Internationalen P.E.N.-Clubs.

Aus: Wie wir verschwinden

„Der dunkelgrüne Wagen flog fast, als er aus dem Wäldchen auftauchte und herauspreschte in Richtung Paris. Es war ein trüber Mittag Anfang Januar mit beständigem Nieseln. Diesiges Licht und in der Ferne Krähen und Elstern, die versprengt über Felder und Äcker längs der Chaussee durch die Lüfte gaukelten. Kein Schnee und keine Sonne. Aber beinahe dottergelb waren die zwei Paar Scheinwerferkegel, die da durchs Unterholz brannten und das Zwielicht zwischen den Bäumen auf einen Schlag zunichtemachten. Es schien, das triste Grau der Birken würde im selben Tempo zerplatzen, mit dem der fremde Wagen näher kam und hineinraste in die winterliche Stille des Tages.
Es war ein Tag, der dem Treiben von allem und jedem so zärtlich und so gleichgültig gegenüberstand wie jeder Tag vor ihm und jeder danach – nur ein gewöhnlicher Montag, wäre er nicht der erste Montag des Jahres gewesen. Am 4. Januar 1960 kam der grüne Wagen durch den Wald. Die Fahrbahn war regennass. Auf dem Asphalt spiegelte sich der Himmel. Und in den Pfützen schwammen Abbilder von Wolken, die seit Tagen von den Britischen Inseln herüberkamen und ihren Regen dem Land spendeten zwischen Seine, Marne und Yonne, rasche, tief dahinziehende Wolken aus Somerset und Cornwall.
Was dort herandonnerte, musste ein tonnenschweres Geschoss auf vier Rädern sein, ein Projektil, das durch den Tag flog und in dessen Innern Leute saßen, denen es offenbar darum ging, Zeit zu gewinnen. Der so dachte, stand in sein Regencape gehüllt, mit nassem Gesicht und beschlagener Brille am Straßenrand auf einem schmalen, schmutzig grünen Streifen zwischen Graben und zwei der uralten Platanen, die die Nationalstraße säumten. Vom Sattel auf die Rahmenstange gesprungen, hatte Paul Cassel, ein Bauer aus der Ortschaft Villeblevin, sein Fahrrad zum Stehen gebracht. Es kam nicht oft vor, dass derartiger Lärm die Mittagsstille durchbrach, Lärm wie von einem herabstoßenden Flugzeug. Paul Cassel hatte in den Ardennen gekämpft. Er war in Sachsen in Gefangenschaft gewesen.“







Mirko Bonné (Tegernsee, 9. Juni 1965)

Montag, 8. Juni 2009

Marguerite Yourcenar, Ulf Stolterfoht

Die belgisch-amerikanische Schriftstellerin Marguerite Yourcenar wurde am 8. Juni 1903 in Brüssel als Marguerite Antoinette Jeanne de Crayencour geboren. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter wuchs sie jedoch in Paris auf. Stark beeinflusst von ihrem Vater begann sie sehr früh ihre literarischen Studien. Von Anbeginn machtesie immer wieder die unkonventionelle Liebe zum Thema. Mit dem Roman über die Erinnerungen des römischen Kaisers Hadrian, deutsch "Ich zähmte die Wölfin", aus dem Jahr 1951 erlangte sie Weltruhm. 1980 wurde sie als erste Frau in die Academie française gewählt. Am 17.12.1986 sarbt sie in den Vereinigten Staaten, ihrer Wahlheimat seit 1937.

Aus: Ich zähmte die Wölfin (Die Erinnerungen Hadrians, Übersetzt von Fritz Jaffé)

“Mein lieber Mark,
ich bin heute Morgen zu Hermogenes gegangen, meinem Arzt, der von einer längeren Reise in Asien wieder in die Villa zurückgekehrt ist. Da die Untersuchung in nüchternem Zustand vorgenommen werden sollte, hatte ich mich in den frühen Morgenstunden eingefunden. Nachdem ich mich des Mantels und der Tunika entledigt hatte, streckte ich mich auf ein Bett hin. Einzelheiten, die Dir ebenso zuwider sein würden, wie sie es mir sind, erspare ich Dir, und ebenso die Beschreibung des Körpers eines gealterten Mannes, der sich darauf gefasst machen muss, an Herzwassersucht zugrunde zu gehen! So begnüge ich mich damit, Dir zu sagen, dass ich gemäß den Anweisungen von Hermogenes hustete, tief einatmeteund den Atem anhielt. Das rasche Fortschreitender Krankheit erschreckte ihn, und er schien geneigt, dem jungen Jollas die Schuld daran zu geben, der mich in seiner Abwesenheit gepflegt hatte.
Es ist schwer, vor einem Arzt Kaiser zu bleiben, geschweige denn die Menschenwürde zu bewahren.
Vor seinem wissenden Blick schrumpfte ich zu einem Haufen Körpersäfte zusammen, zu einem armseligen Gemisch aus Lymphe und Blut. Zum ersten Mal enthüllte sich mir heute Morgenmein Körper, dieser alte Freund und treue Gefährte, den ich so viel besser kenne als meine Seele,als ein tückisches Ungeheuer, das gegen seinen Gebieter aufbegehren will. Geduld! Ich liebe meinen Körper. Er hat mir treu gedient auf jegliche Weise, und mir steht es fern, ihm die notwendige Pflege zu missgönnen. Aber anders als Hermogenes es immer noch zu tun vorgibt, vertraue ich nicht mehr auf die Heilkräfte der Kräuter und das Mengenverhältnis der Salze, die er aus dem Orient mitgebracht hat. Der sonst so gescheite Mann glaubt, mich mit Redensarten trösten zu müssen, zu nichtssagend, als dass sie den Leichtgläubigsten täuschen könnten. Wohl weiß er, wie sehr ich diese Art von Betrug verabscheue, aber man ist schließlich nicht umsonst mehr als dreißig Jahre lang Arzt gewesen. So verzeihe ich denn dem ergebenen Diener seinen Versuch, mir meinen baldigen Tod zu verheimlichen. Hermogenes ist gelehrt, sogar weise, und weit redlicher, als Hofärzte gemeinhin zu sein pflegen. Ich werde also besser betreut werden als irgendein anderer Sterblicher.“








Marguerite Yourcenar (8. Juni 1903 – 17. Dezember 1987)





Der deutsche Lyriker und Schrifftsteller Ulf Stolterfoht wurde am 8. Juni 1963 in Stuttgart geboren. Nach dem Zivildienst studierte er Germanistik und Allgemeine Sprachwissenschaft in Bochum und Tübingen. Stolterfoht verfasst sprachkritische Lyrik und Essays, die in zahlreichen Anthologien (u.a. Der Große Conrady) und Literaturzeitschriften veröffentlicht wurden. Er debütierte 1998 mit dem Gedichtband »fachsprachen I-IX« beim Verlag Urs Engeler Editor. 2005 erschien Stolterfohts Übertragung von Gertrude Steins »Winning His Way«. Seit 2008 ist er Gastprofessor am Deutschen Literaturinstitut Leipzig.


kurzes geschlinge. poren wie ein sieb

I

mutmaßlich MÜÜÜÜDE NOW des dürfte auswurfs seiner
liebsten lauten / lausch aufriß leiser wunden heißen:
vernäht sie die taschen bei lebigem leib? sagt daß es
besser so sei? ja nun das tut sie nebenbei. haupt-

amtlich aber glans verbreitend der unprüd-radikalen art
(dubliner bekenntnis). unirische umtriebe. erweiterter
shamrock-begriff: die arktischen blumen (es könnte sie
geben!) die flaggen des fleisches - gut englisch. dann

angenommen DURCH das drehen des wolfes ihr geschlecht zu
bestimmen - schwant ihm: hier findet sanft verwursten
statt. doch je nach zunge weiter dann (im urtext
anglo-schwäbisch) the swell of STÜRMERS/kruges RITTER

auf ganze oder halbe liter. aaah! saug ist nicht saug
da man altert. habeas corpus bis anthrax: wirsch wirsch!
die üblen greise flegeln sich davon. ihm spülts nen
klumpen hadern runter. entfährt ein höhnisches gekicher.



II

dann meilenweit nur mohn. die farbe rot in der er-
innerung. schon schön wenn sich die drücke bündeln
ließen. und wie! nach kleinem ausschweif die gesichte
schwinden. sich selbst forsch an den codex greifen:

erweiterter verschwitzt-begriff. (schwer leserlich im
folgenden. vermutlich «vormals lethe». dann: angst man
ausfranzt grenzt an abspenst / wo man unlängst wächst ver-
gang.) schwamm drüber augen zu und wisch - um jesu willen

ab. bedankt! in bälde wird hineingeheimnist. ob man denn
fragen dürfe wie: auch nerven hätten ein gedächtnis?
der mund wenn er bereits verdautes käut? vernäht sie die
lippen bei offenem und: sagt daß es besser so sei. daß es

ihrer meinung nach sicherer sei. scheint er im gegenzug ge-
neigt sich seines beinkleids zu entäußern. zeigt damit
«unbehaust» in quasi trauter wohnlichkeit. verschweigt
sein sinnerblassen nicht. und zag verrinnselt das gedicht.








Ulf Stolterfoht (Stuttgart, 8. Juni 1963)

Sonntag, 7. Juni 2009

Orhan Pamuk, Mascha Kaléko

Der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk wurde am 7. Juni 1952 in Istanbul geboren. Pamuk studierte Architektur und Journalismus und lebte mehrere Jahre in New York. Für seine Romane erhielt er 1990 den "Independent Foreign Fiction Award", 1991 den "Prix de la decouverte europeene", 2005 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2006 den Nobelpreis für Literatur. Der in seiner Heimat oft angefeindete Autor ist der erste türkische Schriftsteller, der die renommierte Auszeichnung erhält. Das Nobelpreiskomittee lobte seine Vermittlerrolle zwischen Orient und Okzident. 2006 erhielt Orhan Pamuk die Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin und 2007 wurde er mit der Ehrendoktorwürde der Bosporus Universität in Istanbul ausgezeichnet. Pamuk lebt in Istanbul.

Aus: Das Museum der Unschuld (Übersetzt von Gerhard Meier)

„Die Geschehnisse und Zufälle, die meinem Leben einen anderen Verlauf geben sollten, nahmen einen Monat vorher ihren Anfang, nämlich am 27. April 1975, dem Tag, an dem ich zusammen mit Sibel in einem Schaufenster eine Handtasche der berühmten Marke Jenny Colon sah. Meine Fastverlobte und ich genossen in der Valikona˘gı-Straße den lauen Frühlingsabend, und beide waren wir etwas angeheitert und sehr glücklich. Im Fuaye, einem neueröffneten schicken Restaurant im Stadtteil Ni¸santa¸sı, hatten wir gerade beim Abendessen mit meinen Eltern ausführlich die Verlobungsvorbereitungen besprochen. Die Feier sollte Mitte Juni stattfinden, damit auch Sibels in Paris wohnende Freundin Nurcihan daran teilnehmen konnte, mit der sie in Istanbul bei den Dames de Sion zur Schule gegangen war und in Paris studiert hatte. Bei I˙pek, damals einer der angesehensten und teuersten Schneiderinnen von Istanbul, hatte Sibel schon längst ihr Verlobungskleid bestellt. Meine Mutter hatte mit Sibel zum erstenmal darüber beratschlagt, wie die Perlen, die sie ihr dafür geben würde, in das Kleid eingearbeitet werden sollten. Mein zukünftiger Schwiegervater wollte seinem einzigen Kind eine Verlobung ausrichten, die nicht minder prächtig ausfallen sollte als die Hochzeit selbst, und davon war meine Mutter sehr angetan. Mein Vater wiederum war hocherfreut
über eine Schwiegertochter, die in Paris an der Sorbonne studiert hatte (wenn aus der Istanbuler Bourgeoisie jemand seine Tochter in Paris studieren ließ, dann hieß es grundsätzlich, sie sei »an der Sorbonne«).
Ich war dabei, Sibel nach dem Essen nach Hause zu bringen, und dachte gerade voller Stolz, den Arm liebevoll um ihre Schulter gelegt, was für ein Glückspilz ich doch war, als Sibel plötzlich ausrief:
»Schau mal, die schöne Tasche!« Wenn auch mein Kopf vom Wein schon etwas benebelt war, merkte ich mir sogleich den Laden und die Tasche, um jene am Tag darauf zu erstehen. Eigentlich gehörte ich ja nicht zu den galanten Männern, die aus ganz natürlichem Antrieb eine Frau mit Geschenken verwöhnen und ihr beim geringsten Anlass Blumen schicken, aber vielleicht wollte ich so einer werden.“







Orhan Pamuk (Istanbul, 7. Juni 1952)





Die deutschsprachige Dichteren Mascha Kaléko wurde am 7. Juni 1907 in Schidlow - am Rande der ehemaligen Donaumonarchie - als Tochter eines russischen Vaters und einer österreichischen Mutter geboren.. Heute heißt der Ort Chrzanow und liegt in Polen. In Berlin gehörte Mascha Kaléko zum Kreis der schöpferischen Bohème, die sich Ende der Zwanziger und Anfang der Dreißiger Jahre das "Romanische Café" zum Treffpunkt erkoren hatte. Maler, Schauspieler und Literaten wie Tucholsky, Ringelnatz, Klabund, Else Lasker-Schüler, Erich Kästner, Walter Mehring saßen hier, dichteten und diskutierten, bis die meisten von ihnen in die Emigration gingen, in die äußere oder innere. Erst 1938 entschloss sich Kaléko auch zu gehen. In diesem Jahr hatte auch ihr privates Leben eine bedeutsame Wendung erfahren. Nach zehnjähriger Ehe war sie von dem Philologen Saul Kaléko geschieden worden und emigrierte mit ihrem zweiten Mann, Chemjo Vinaver, und beider kleinem Sohn nach New York. Nach dem Krieg fand sie in Deutschland wieder ein Lesepublikum, das Lyrische Stenogrammheft wurde erneut von Rowohlt erfolgreich verlegt (1956). 1960 Wandertesie ihrem Mann zuliebe mit ihm nach Jerusalem, Israel aus. Dort leidete sie sehr unter der sprachlichen und kulturellen Isolation und lebte enttäuscht und einsam. 1968 starb ihr musikalisch hochbegabter Sohn plötzlich in New York. Als auch Vinaver 1973 starb, fand sie im letzten Lebensjahr wieder Kraft zu schreiben. Sie selbst stabr 1975 – nur 14 Monate nach ihrem Mann – in Zürich an Magenkrebs.


Weil du nicht da bist

Weil du nicht da bist, sitze ich und schreibe
All meine Einsamkeit auf dies Papier.
Ein Fliederzweig schlägt an die Fensterscheibe.
Die Maiennacht ruft laut. Doch nicht nach mir.

Weil du nicht bist, ist der Bäume Blühen,
Der Rosen Duft vergebliches Bemühen,
Der Nachtigallen Liebesmelodie
Nur in Musik gesetzte Ironie.

Weil du nicht da bist, flücht ich mich ins Dunkel.
Aus fremden Augen starrt die Stadt mich an
Mit grellem Licht und lärmendem Gefunkel,
Dem ich nicht folgen, nicht entgehen kann.

Hier unterm Dach sitz ich beim Lampenschirmner;
Den Herbst im Herzen, Winter im Gemüt.
November singt in mir sein graues Lied.
»Weil du nicht da bist« flüstert es im Zimmer.

»Weil du nicht da bist« rufen Wand und Schränke,
Verstaubte Noten über dem Klavier.
Und wenn ich endlich nicht mehr an dich denke,
Die Dinge um mich reden nur von dir.

Weil du nicht da bist, blättre ich in Briefen
Und weck vergilbte Träume, die schon schliefen.
Mein Lachen, Liebster, ist dir nachgereist.
Weil du nicht da bist, ist mein Herz verwaist.








Mascha Kaléko (7. Juni 1907 – 21. Januar 1975)

Samstag, 6. Juni 2009

Thomas Mann

Der deutsche Schriftsteller Thomas Mann wurde am 6. Juni 1875 in Lübeck geboren. Bereits in seiner ersten Veröffentlichung, der Novellensammlung Der kleine Herr Friedemann, ist Manns identifizierend-distanzierter Umgang mit seinen Erzählerfiguren zu bemerken. Um das Spannungsverhältnis von Individuum und Bürgertum geht es auch in Manns erstem Roman, den Buddenbrooks (1901). Erzählt wird die stark autobiographisch geprägte Geschichte einer Lübecker Kaufmannsfamilie und deren über vier Generation beschriebenen Verfall. Die Figuren des Romans – allen voran Thomas Buddenbrook und seine Schwester Tony – haben sich den Normen des bürgerlichen Erfolgs verschrieben und unterdrücken dafür ihre persönlichen Sehnsüchte und Bedürfnisse. Obwohl Mann sich unsterblich in den Maler Paul Ehrenberg verliebt und sogar an Selbstmord denkt, heiratet er im Februar 1905 die aus einer wohlhabenden jüdischen Familie stammende Katia Pringsheim. Das Paar bekommt sechs Kinder: Erika Mann (1905-1969) wird Schauspielerin, Schriftstellerin und Nachlassverwalterin ihres Vaters; Klaus Mann (1906-1949) lebt offen homosexuell und wird ebenfalls Schriftsteller; Golo (1909-1994), Monika (1916-1992), Elisabeth (1918-2002) und Michael (1919-1977) sind allesamt künstlerisch aktiv oder schlagen akademische Laufbahnen ein. Die Ehe zwischen Thomas und Katia Mann hält bis zu seinem Tod und ermöglicht dem Schriftsteller ein scheinbar normales bürgerliches Leben. Die Ehe zwischen Thomas und Katia Mann hält bis zu seinem Tod und ermöglicht dem Schriftsteller ein scheinbar normales bürgerliches Leben. Zwiespältig ist wiederum die Hauptfigur in Manns nächster Arbeit, seiner wohl berühmtesten Novelle Der Tod in Venedig (1912). Hauptfigur ist Gustav von Aschenbach, der sich während seines Urlaubs in Venedig in den 14-jährigen Tadzio verliebt. Aschenbach beobachtet den Knaben nur aus der Distanz, verliert aber völlig die Kontrolle über sein bis dahin rationales Selbst und gibt sich zunehmend zügellos seinen Gefühlen hin. Aschenbach zahlt seinen Ich-Verlust – vordergründig dargestellt durch eine Cholera-Infektion – mit dem Tod.

Aus: Der Tod in Venedig

“Es war eine Gruppe halb und kaum Erwachsener, unter der Obhut einer Erzieherin oder Gesellschafterin um ein Rohrtischchen versammelt: drei junge Mädchen, fünfzehn-bis siebzehnjährig, wie es schien, und ein langhaariger Knabe von vielleicht vierzehn Jahren. Mit Erstaunen bemerkte Aschenbach, daß der Knabe vollkommen schön war. Sein Antlitz,--bleich und anmutig verschlossen, von honigfarbenem Haar umringelt, mit der gerade abfallenden Nase, dem lieblichen Munde, dem
Ausdruck von holdem und göttlichem Ernst, erinnerte an griechische Bildwerke aus edelster Zeit, und bei reinster Vollendung der Form war es von so einmalig-persönlichem Reiz, daß der Schauende weder in Natur noch bildender Kunst etwas ähnlich Geglücktes angetroffen zu haben glaubte. Was ferner auffiel, war ein offenbar grundsätzlicher Kontrast zwischen den erzieherischen Gesichtspunkten, nach denen die Geschwister gekleidet und allgemein gehalten schienen. Die Herrichtung der drei Mädchen, von denen die Älteste für erwachsen gelten konnte, war bis zum Entstellenden herb und keusch. Eine gleichmäßig klösterliche Tracht, schieferfarben, halblang, nüchtern und gewollt unkleidsam von Schnitt, mit weißen Fallkrägen als einziger Aufhellung, unterdrückte und verhinderte jede Gefälligkeit der Gestalt. Das glatt und fest an den Kopf geklebte Haar ließ die Gesichter nonnenhaft leer und nichtssagend erscheinen. Gewiß, es war eine Mutter, die hier waltete, und sie dachte nicht einmal daran, auch auf den Knaben die pädagogische Strenge anzuwenden, die ihr den Mädchen gegenüber geboten schien. Weichheit und Zärtlichkeit bestimmten ersichtlich seine Existenz. Man hatte sich gehütet, die Scheere an sein schönes Haar zu
legen; wie beim Dornauszieher lockte es sich in die Stirn, über die Ohren und tiefer noch in den Nacken. Ein englisches Matrosenkostüm, dessen bauschige Ärmel sich nach unten verengerten und die feinen Gelenke seiner noch kindlichen, aber schmalen Hände knapp umspannten, verlieh mit seinen Schnüren, Maschen und Stickereien der zarten Gestalt etwas Reiches und Verwöhntes. Er saß, im Halbprofil gegen den Betrachtenden, einen Fuß im schwarzen Lackschuh vor den andern
gestellt, einen Ellenbogen auf die Armlehne seines Korbsessels gestützt, die Wange an die geschlossene Hand geschmiegt, in einer Haltung von lässigem Anstand und ganz ohne die fast untergeordnete Steifheit, an die seine weiblichen Geschwister gewöhnt schienen. War er leidend? Denn die Haut seines Gesichtes stach weiß wie Elfenbein gegen das goldige Dunkel der umrahmenden Locken ab. Oder war er einfach ein verzärteltes Vorzugskind, von parteilicher und launischer Liebe getragen? Aschenbach war geneigt, dies zu glauben. Fast jedem Künstlernaturell ist ein üppiger und verräterischer Hang eingeboren, Schönheit schaffende Ungerechtigkeit anzuerkennen und aristokratischer Bevorzugung Teilnahme und Huldigung entgegenzubringen.“








Thomas Mann (6. Juni 1875 – 12. August 1955)
Porträt von Dieter van Offern






Thomas Manns letzte Villa in Kilchberg in der Schweiz. Sein Sohn Golo Mann hat hier noch bis zu senem eigenen Tode im Jahre 1994 gewohnt.

Freitag, 5. Juni 2009

Federico García Lorca, Thomas Kling

Der spanische Dichter Federico García Lorca wurde am 5. Juni 1898 in Fuente Vaqueros geboren. Lorca begann 1914 ein Universitätsstudium in Rechtswissenschaft, Philosophie sowie Literaturwissenschaft an der Universität Granada. Ausgedehnte Reisen durch das ganze Land schlossen sich an. Bis 1928 studierte er an der Universität Complutense Madrid. Dort machte er die Bekanntschaft des Schriftstellers Juan Ramón Jiménez und des Regisseurs Luis Buñuel. Seine Herkunftsregion spielt eine große Rolle in Lorcas Werk, angefangen bei Ersten Liedern (Primeras Canciones) bis zu Bernarda Albas Haus (La casa de Bernarda Alba), das zusammen mit Yerma und der Bluthochzeit (Bodas de Sangre) eine Trilogie bildet, die die Stellung der Frau in der ländlichen Bevölkerung zum Thema hat. Lorcas Stil ist durch eine Kombination aus säkularer Tradition und dem Modernismus des 20. Jahrhunderts gekennzeichnet.
Seine ersten literarischen Werke entstanden in Madrid, das Libro de poemas und sein erstes Theaterstück Mariana Pineda (1928). Außerdem veröffentlichte er Romancero gitano (1928), Poemas del Cante Jondo (1931) und Llanto por Ignacio Sánchez Mejías (1935). Letzteres stellt sein berühmtestes lyrisches Werk dar. Es ist einem spanischen Torero gewidmet, der ein Freund Lorcas war sowie ein Mäzen der Madrider Kunstwelt. Er starb bei der Ausübung seines Berufes.
In Madrid lernte Lorca auch den surrealistischen Künstler Salvador Dalí kennen. Beide verband eine enge Freundschaft. Neben seiner Dichtkunst galt Lorca auch als ein begnadeter Musiker, er improvisierte auf der Gitarre und auf dem Klavier und komponierte zudem einige Lieder. Er war mit dem spanischen Komponisten Manuel de Falla befreundet.
Seine gesellschaftskritischen Arbeiten hatten Lorca bei der politischen Rechten unbeliebt gemacht. Dies und wohl auch seine Homosexualität führten zu seiner Ermordung am 19. August 1936, zu Beginn des Spanischen Bürgerkriegs, durch spanische Nationalisten.




Gacela der überraschenden Liebe

Niemand begriff den dunklen Magnolien-
duft deines Bauches.
Niemand wußte, daß du zwischen den Zähnen
einen Kolibri der Liebe zu Tode quältest.

Tausend persische Pferdchen schliefen
auf dem Platz im Mondlicht deiner Stirn,
während ich vier Nächte lang deine
Taille, Feindin des Schnees, umschlungen hielt.

Zwischen Gips und Jasmin war dein Blick
ein blasser Zweig mit Samen.
Ich suchte, als Gabe für dich, in meiner Brust
die Elfenbeinbuchstaben, die ewig, ewig,

ewig bedeuten: Garten meiner Qual,
dein Körper für immer flüchtig,
das Blut aus deinen Adern in meinem Mund,
dein Mund schon lichtlos zu meinem Tode.




Casida der Wehklage

Ich habe meinen Balkon verriegelt,
weil ich das Wehgeschrei nicht hören will,
doch hinter den grauen Mauern
höre ich nur das Wehgeschrei.

Nur ganz wenige Engel singen,
nur ganz wenige Hunde bellen,
tausend Geigen passen in meine Handfläche.

Doch die Wehklage ist ein ungeheurer Hund,
sie ist ein ungeheurer Engel,
sie ist eine ungeheure Geige.
Die Tränen knebeln den Wind,
und nur das Wehgeschrei ist zu hören.



Übersetzt von Johannes Beilharz




Klageruf

der klageruf verhallt
von berg zu berg
die not

vom olivendunkel her
ist er schwarzer regenbogen
der die blaue nacht vermißt

ay!

ein bratschenbogen sacht am laut
verzittert er die saiten
die sich der wind erspurt

ay!

(die in den höhlen hausen
schütten licht vors aug)

ay!




Übersetzt von José F.A. Oliver







Federico García Lorca (5. Juni 1898 – 19. August 1936)
Porträt von José Bello





Der deutsche Lyriker und Schriftsteller Thomas Kling wurde am 5. Juni 1957 in Bingen geboren. Kling wuchs in Hilden auf und besuchte in Düsseldorf ein humanistisches Gymnasium. Er studierte Philologie in Köln, Düsseldorf und Wien und hielt sich längere Zeit in Finnland auf. Seit 1983 präsentierte er - zuerst in Wien, dann im Rheinland - seine Gedichte bei öffentlichen Lesungen, die häufig Performancecharakter hatten. Später trat er auch gemeinsam mit dem Jazzschlagzeuger Frank Köllges auf. Er lebte mit seiner Frau, der Malerin Ute Langanky, bis zu seinem Tod 2005 durch Lungenkrebs auf dem Gelände der ehemaligen Raketenstation in Hombroich bei Neuss.



provinz

längst nicht voller rätischer
mond. provinzmond den das
bild sich reinzieht; der reindringt
in nennenswertn geschwindig-
keitn.
++++anweisun` eines stummfilm-
regisseurs: knarren im lärchholz, ja-
gende dazujagende staffage von
nachtwolkndetails. nachtgletscher,
hintn, als "spülbrühe" in isabellem
cair-obscur. alles in raschester auf-
lösun` begriffn! art städteraugn-
blende; nichtgewohnt von solcher
wildn jagd. ich mein, wilder fuhre,
da di handelsstraße, alberbestand
der allee verstopft von a bis zett
daß di maschine vonnötn ist um
den einkauf zu schaffn. in der stadt
m. wo kurgast dr. benn sich am glas
festhielt (lodener kurstadtmond),
vorzeitn.





bläue

anläufe; anläufe, es ans laufn
zu kriegn; diese blindanläufe für
leitmotive, für handzeichn. reanimations-
versuche am themen-, am textkadaver wobei
di zungnspizze sichtbar wird: di helfer-
zungn zungnhelfer beim hantieren; dies
handfläche auf handrükkn pumpm pumpm bis
di rippm knakkn. helfershelferzungn. was
di leistn beim überm herzaas hantiern.
ein schaun, ein schaum in di runde; ein
zukkn mittn schultern, mit den zungn in
stillem, ständig wiederkehrendem licht.








Thomas Kling (5. Juni 1957 – 1. April 2005)

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Zuletzt aktualisiert: 23. Jan, 19:14

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