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Weltliteratur

Donnerstag, 23. April 2009

William Shakespeare, Peter Horst Neumann

Der englische Dichter William Shakespeare wurde vermutlich am 23. April 1564 in Stratford-upon-Avon geboren. Shakespeares genaues Geburtsdatum ist nicht überliefert. Er wurde laut Kirchenregister der Holy Trinity Church in Stratford-upon-Avon, Warwickshire, am 26. April 1564 getauft. Seit dem 18. Jahrhundert wird der 23. April oft als sein Geburtstag genannt, doch ist diese Angabe nicht gesichert und geht letztlich wohl nur darauf zurück, dass Shakespeare am gleichen Tag des Jahres 1616 (23. April) verstorben ist. Shakespeare arbeitete als Schauspieler in kleineren Rollen und schrieb Schauspiele für seine Theatertruppe, an der er Teilhaber war. Seine Stücke waren offensichtlich sehr erfolgreich, wie die Tagebuchaufzeichnungen des Theaterunternehmers Philip Henslowe belegen. Shakespeare war allerdings nur einer von etlichen elisabethanischen Stückeschreibern; sein größter Konkurrent war zunächst Christopher Marlowe, später Ben Jonson. Es war durchaus üblich, ältere Stücke umzuschreiben und wieder neu aufzuführen;
Shakespeare war mehr als nur ein Stückeschreiber. Er versuchte sich (vermutlich als die Theater Londons wegen der Pest-Epidemien zeitweise schließen mussten) auch im eigentlichen Medium der Dichter jener Zeit, im epischen Gedicht und in der Lyrik, was seinen Ruhm bei seinen Zeitgenossen begründete. Er schrieb 1593 die zwei Verserzählungen Venus and Adonis und Lucrece, die er seinem adeligen Gönner Henry Wriothesley, Earl of Southampton, zueignete. Auch ein Zyklus von 154 Sonetten erschien 1609. Diese Arbeit umgeben zahlreiche Geheimnisse schon außerhalb des Textes, weil nicht klar ist, wer in einem kurzen Verleger-Vorspann, der meist als „Widmung“ gelesen wird, mit „the only begetter“ und „Mr. W.H.“ gemeint ist. Ab 1599 war Shakespeare Mitbesitzer des Londoner Globe Theatre, das seine Truppe als Nachfolger für das Theatre baute, als der Pachtvertrag ausgelaufen war. Die Lord Chamberlain’s Men benannten sich nach ihrem Mäzen und Sponsor, dem Lord Chamberlain, und sie waren auch am Hof der Königin Elisabeth gern gesehen. Später, unter Elisabeths Nachfolger Jakob I., durften sie sich sogar nach dem königlichen Gönner King’s Men nennen.Mit 46 Jahren kehrte Shakespeare als reicher Mann nach Stratford zurück, und verbrachte dort seine letzten Lebensjahre, wobei er die Verbindungen zu seinen ehemaligen Kollegen nicht ganz abreißen ließ und bei einigen Theaterproduktionen als Mitautor beteiligt war.



SONNET 12

When I do count the clock that tells the time,
And see the brave day sunk in hideous night;
When I behold the violet past prime,
And sable curls all silver'd o'er with white;
When lofty trees I see barren of leaves
Which erst from heat did canopy the herd,
And summer's green all girded up in sheaves
Borne on the bier with white and bristly beard,
Then of thy beauty do I question make,
That thou among the wastes of time must go,
Since sweets and beauties do themselves forsake
And die as fast as they see others grow;
And nothing 'gainst Time's scythe can make defence
Save breed, to brave him when he takes thee hence.





SONNET 18

Shall I compare thee to a summer's day?
Thou art more lovely and more temperate:
Rough winds do shake the darling buds of May,
And summer's lease hath all too short a date:
Sometime too hot the eye of heaven shines,
And often is his gold complexion dimm'd;
And every fair from fair sometime declines,
By chance or nature's changing course untrimm'd;
But thy eternal summer shall not fade
Nor lose possession of that fair thou owest;
Nor shall Death brag thou wander'st in his shade,
When in eternal lines to time thou growest:
So long as men can breathe or eyes can see,
So long lives this and this gives life to thee.





SONNET 129

The expense of spirit in a waste of shame
Is lust in action; and till action, lust
Is perjured, murderous, bloody, full of blame,
Savage, extreme, rude, cruel, not to trust,
Enjoy'd no sooner but despised straight,
Past reason hunted, and no sooner had
Past reason hated, as a swallow'd bait
On purpose laid to make the taker mad;
Mad in pursuit and in possession so;
Had, having, and in quest to have, extreme;
A bliss in proof, and proved, a very woe;
Before, a joy proposed; behind, a dream.
All this the world well knows; yet none knows well
To shun the heaven that leads men to this hell.








William Shakespeare (23. April 1564 – 23. April 1616)




Der deutsche Lyriker, Essayist und Literaturwissenschaftler Peter Horst Neumann wurde am 23. April 1936 in Neisse, Oberschlesien, geboren. Nach der Vertreibung 1945 wuchs Peter Horst Neumann in Aue (Sachsen) auf. In Leipzig studierte er Musik (Gesang, Klavier, Kontrabass) und Germanistik; 1958 wurde er relegiert und floh nach West-Berlin. 1965 promovierte er bei Walther Killy in Göttingen mit einer Arbeit über Jean Pauls Roman „Flegeljahre“. Als Ordinarius für Neuere Deutsche Literaturgeschichte lehrte er ab 1968 an der Universität Freiburg im Üechtland (Schweiz), ab 1980 an der Justus-Liebig-Universität Gießen und von 1983 bis zu seiner Emeritierung 2001 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Von 1984 bis 2002 war er Präsident der Eichendorff-Gesellschaft; 1995 initiierte er mit Reinhard Knodt die „Nürnberger Autorengespräche“. Seit 2000 ist er Präsident der Goethe-Gesellschaft in Erlangen. Gemeinsam mit Ilse Aichinger und anderen Autorenkollegen übte er im Frankfurter Appell Kritik an der Rechtschreibreform von 1996.


Mein Vater

Er war nicht im Krieg,
schickte aus Frankreich
keine Pakete, erfror nicht
vor Stalingrad und war
auch in Warschau
nicht dabei (falls ihr
noch wißt, was ich meine).

Weil er den Schuh
sich nicht selber binden konnte:
ein Klumpfuß seit Kindesbeinen.

Als ich erfuhr, daß Ödipus
Klumpfuß heißt, war's
für Komplexe zu spät und
das Morden der Väter vorbei.

Jeden Morgen saß er
vor meinem Bett, im Halb-
schlaf kreuzte ich ihm
den Senkel zwischen den Ösen
und über die Schleife
schlug ich für eines Tages
Halt und Dauer meinen Knoten.

Gestern, nach vierzig Jahren,
bin ich von seiner Stimme
erwacht mit meinem Namen
im Ohr, und heute (wen's
interessiert) hab ich ihn
tanzen gesehn.





Stundenglas

Wie Mehl, vom feinsten,
eine Handvoll Sand,
der tausendmal hin und zurück
durchs nadelfeine Öhr
fiel, tausendmal zu malen
eine Stunde, bis es zerbrach,
das Glas, die Zeit aus ihrer Haft
zurücksprang in die Ewigkeit
und mir, in Versen,
diese Handvoll Sand verblieb -
die schenk ich dir.







Peter Horst Neumann (Neisse, 23. April 1936)

Mittwoch, 22. April 2009

Vladimir Nabokov, Louise Glück

Der russische Schriftsteller Vladimir Nabokov wurde am 22. April 1899 als ältestes von fünf Kindern in St. Petersburg geboren. Nabokov studierte in Cambridge russische und französische Literatur. Die erste und wohl produktivste Phase seines künstlerischen Schaffens begann in Berlin, wo Nabokov von 1922 bis 1937 lebte. Er veröffentlicht unter dem Pseudonym "Vladimir Sirin" Gedichte, Dramen und Erzählungen. Auch erste Romane schrieb er dort, zum Beispiel "Maschenka" (1926) oder "Lushins Verteidigung" (1929/30). Seinen Lebensunterhalt allerdings konnte er mit der Literatur noch nicht bestreiten, er schlug sich mit Tennis-, Box- und Russischunterricht durch. Nach 15 Jahren verließ Nabokov mit seiner Familie das nationalsozialistische Deutschland und emigrierte nach Frankreich. Drei Jahre lebte und arbeitete er in Paris und Südfrankreich und vollendete seinen Roman "Die Gabe" (1937/38), der das Schicksal eines russischen Emigranten beschreibt.Im Jahr 1940 ging er in die USA, wo er von 1948 bis 1956 als Professor für russische Literatur an der Cornell Universität in Ithaka (New York) arbeitete. 1945 wurde Nabokov US-Staatsbürger. In Amerika begann auch seine zweite Schaffensphase. Er verzichtete fortan auf sein Pseudonym und veröffentlichte seinen ersten englischsprachigen Roman "The real life of Sebastian Knight" (1941). Weitere Romane folgten. Als eine der facettenreichsten Dichterpersönlichkeiten der Moderne veröffentlichte er 1955 "Lolita", jener Roman, über die pikante Affäre des 50-jährigen Humbert mit seiner 12-jährigen Stieftochter Lolita. Skandalumwittert, umstritten und oftmals missverstanden, machte ihn das Buch mit einem Schlag weltweit berühmt. Im Jahr 1961 verließ Nabokov mit seiner Frau die USA und kehrte nach Europa zurück. Sie ließen sich im schweizerischen Montreux nieder. Unter dem Titel "Sprich, Erinnerung, sprich" (1967) veröffentlichte Nabokov seine Autobiografie.

Aus: Speak Memory

“The cradle rocks above an abyss, and common sense tells us that our existence is but a brief crack of light between two eternities of darkness. Although the two are identical twins, man, as a rule, views the prenatal abyss with more calm than the one he is heading for (at some forty-five hundred heartbeats an hour). I know, however, of a young chronophobiac who experienced something like panic when looking for the first time at homemade movies that had been taken a few weeks before his birth. He saw a world that was practically unchanged—the same house, the same people—and then realized that he did not exist there at all and that nobody mourned his absence. He caught a glimpse of his mother waving from an upstairs, and that unfamiliar gesture disturbed him, as if it were some mysterious farewell. But what particularly frightened him was the sight of a brand-new baby carriage standing there on the porch, with the smug, encroaching air of a coffin; even that was empty, as if, in the reverse course of events, his very bones had disintegrated.
Such fancies are not foreign to young lives. Or, to put it otherwise, first and last things often tend to have an adolscent note—unless, possible, they are directed by some venerable and rigid religion. Nature expects a full-grown man to accept the two black voids, fore and aft, as solidly as he accepts the extraordinary visions in between. Imagination, the supreme delight of the immortal and the immature, should be limited. In order to enjoy life, we should not enjoy it too much.
I rebel against this state of affairs. I feel the urge to take my rebellion outside and picket nature. Over and over again, my mind has made colossal efforts to distinguish the faintest of personal glimmers in the impersonal darkness on both sides of my life. That this darkness is caused merely by the walls of time separating me and my bruised fists from the free world of timelessness is a belief I gladly share with the most gaudily painted savage. I have journeyed back in thought—with thought hopelessly tapering off as I went—to remote regions where I groped for some secret outlet only to discover that the prison of time is spherical and without exists.”








Vladimir Nabokov (22. April 1899 - 2. Juli 1977)
Statue in Montreux




Die Amerikanische Lyrikerin und Schriftstellerin Louise Glück wurde am 22. April 1943 in New York geboren und hat an verschiedenen Universitäten gelehrt. Seit 1968 hat sie zehn Gedichtbände veröffentlicht, für die sie zahlreiche Preise erhielt, u.a. den Pulitzerpreis für "Wilde Iris", den Bollingen Prize und den National Book Critics Circle Award for Poetry. 2003-2004 war Louise Glück Poet Laureate der Vereinigten Staaten. Sie lebt in Cambridge, Massachusetts. 2007 erschien bei Luchterhand ihr Gedichtband "Averno", mit dem sie 2006 auf die Shortlist des National Book Award for Poetry kam.


A Fantasy

I'll tell you something: every day
people are dying. And that's just the beginning.
Every day, in funeral homes, new widows are born,
new orphans. They sit with their hands folded,
trying to decide about this new life.

Then they're in the cemetery, some of them
for the first time. They're frightened of crying,
sometimes of not crying. Someone leans over,
tells them what to do next, which might mean
saying a few words, sometimes
throwing dirt in the open grave.

And after that, everyone goes back to the house,
which is suddenly full of visitors.
The widow sits on the couch, very stately,
so people line up to approach her,
sometimes take her hand, sometimes embrace her.
She finds something to say to everbody,
thanks them, thanks them for coming.

In her heart, she wants them to go away.
She wants to be back in the cemetery,
back in the sickroom, the hospital. She knows
it isn't possible. But it's her only hope,
the wish to move backward. And just a little,
not so far as the marriage, the first kiss.







Louise Glück (New York, 22. April 1943)

Dienstag, 21. April 2009

Charlotte Brontë, Peter Schneider

Die Schwestern Charlotte, Emily und Anne Brontë gehören bis heute zu den meistgelesenen Autoren des 19. Jahrhunderts. Als Töchter eines englischen Pfarrers wuchsen sie in der Abgeschiedenheit eines abgelegenen Pfarrhauses in West Yorkshire auf, wo sie bis zu ihrem Lebensende blieben. Bereits als Kinder verfaßten die Schwestern gemeinsam mit ihrem Bruder Branwell (1817-1848) die Erzählungen aus Angria. Als der Bruder jedoch alkohol- und drogenkrank wurde, waren die Schwestern aufgrund des frühen Todes der Mutter und der mangelnden Unterstützung des Vaters auf sich alleine gestellt.
Ihre Werke erschienen zeitlebens unter den männlichen Pseudonymen Currer Bell (Charlotte), Ellis Bell (Emily) und Acton Bell (Anne). Charlotte Brontё, die älteste der drei Schwestern. wurde am 21. April 1816 in Thornton geboren. Sie arbeitete u.a. als Lehrerin und Gouvernante, nachdem sie in Brüssel an der Privatschule der Madame Heger Französisch gelernt hatte. Der erst posthum veröffentlichte Roman Der Professor handelt von ihrer unerfüllten Liebe zu Hegers Ehemann und zählt zusammen mit Jane Eyre zu ihren größten Erfolgen.

Aus: Jane Eyre

“Es war ganz unmöglich, an diesem Tage einen Spaziergang zu machen. Am Morgen waren wir allerdings während einer ganzen Stunde in den blätterlosen, jungen Anpflanzungen umhergewandert; aber seit dem Mittagessen – Mrs. Reed speiste stets zu früher Stunde, wenn keine Gäste zugegen waren – hatte der kalte Winterwind so düstere, schwere Wolken und einen so durchdringenden Regen heraufgeweht, daß von weiterer Bewegung in frischer Luft nicht mehr die Rede sein konnte.
Ich war von Herzen froh darüber: lange Spaziergänge, besonders an frostigen Nachmittagen, waren mir stets zuwider: – ein Greuel war es mir, in der rauhen Dämmerstunde nach Hause zu kommen, mit fast erfrorenen Händen und Füßen, – mit einem Herzen, das durch das Schelten Bessie's, der Kinderwärterin, bis zum Brechen schwer war, – gedemütigt durch das Bewußtsein, physisch so tief unter Eliza, John und Georgina Reed zu stehen.
Die soeben erwähnten Eliza, John und Georgina hatten sich in diesem Augenblick im Salon um ihre Mama versammelt: diese ruhte auf einem Sofa in der Nähe des Kamins und umgeben von ihren Lieblingen, die zufälligerweise in diesem Moment weder zankten noch schrieen, sah sie vollkommen glücklich aus. Mich hatte sie davon dispensiert, mich der Gruppe anzuschließen, indem sie sagte, daß es sie tief unglücklich mache, gezwungen zu sein, mich fern zu halten; daß sie mich aber von Vorrechten ausschließen müsse, zu deren Genuß nur zufriedene, glückliche, kleine Kinder berechtigt seien, und daß sie mir erst verzeihen würde, wenn sie sowohl durch eigene Wahrnehmung wie durch Bessie's Worte zu der Überzeugung gelangt sein würde, daß ich in allem Ernst versuche, mir anziehendere und freundlichere Manieren, einen kindlicheren, geselligeren Charakter – ein leichteres, offenherzigeres, natürlicheres Benehmen anzueignen.
»Was sagt denn Bessie, daß ich gethan habe?« fragte ich.
»Jane, ich liebe weder Spitzfindigkeiten noch Fragen; außerdem ist es gradezu widerlich, wenn ein Kind ältere Leute in dieser Weise zur Rede stellt. Augenblicklich setzest du dich irgendwo hin und schweigst, bis du freundlicher und liebenswürdiger reden kannst.«







Charlotte Brontë (21. April 1816 – 31. März 1855)
Porträt von Evert A. Duyckinck




Der deutsche Schriftsteller Peter Schneider wurde am 21. April 1940 in Lübeck geboren. Er verbrachte seine frühe Kindheit in Königsberg und in Sachsen; von 1945 bis 1950 lebte er in Grainau bei Garmisch-Partenkirchen und ab 1950 in Freiburg im Breisgau. Nach seinem Abitur im Jahre 1959 studierte er an den Universitäten Freiburg und München Germanistik, Geschichte und Philosophie. 1962 wechselte er zur Freien Universität Berlin. Im Laufe der Sechzigerjahre machte Schneider eine politische Radikalisierung durch, die ihn zu einem der Wortführer und Organisatoren der Berliner Studentenbewegung werden ließ. 1967 war er an der Vorbereitung des "Springer-Tribunals" beteiligt. Schneider arbeitete zeitweise als Hilfsarbeiter in den Bosch-Werken. Später unterrichtete er an einer Privatschule und arbeitete als freier Rundfunkmitarbeiter. 1972 legte er sein 1. Staatsexamen ab; wegen Schneiders politischer Aktivitäten verweigerte ihm 1973 der Berliner Schulsenator die Anstellung als Referendar. Diese Maßnahme wurde erst 1976 durch einen Beschluss des Berliner Verwaltungsgerichts aufgehoben. Da er sich inzwischen eine Existenz als freier Schriftsteller aufgebaut hatte, verzichtete Schneider auf das Referendariat. Sein Roman Lenz war ab 1973 zum Kultbuch der enttäuschten Linken geworden, da es ihr Lebensgefühl nach dem Scheitern ihrer Utopie und Revolte beschrieb. Peter Schneider verfasst seitdem Romane, Erzählungen und Drehbücher, die häufig Schicksale von Angehörigen seiner Generation zum Thema haben.

Aus: Skylla

“Damals, als ich zum ersten Mal auf dem Hügel stand, habe ich mir gewünscht, auf ihm alt zu werden. Jetzt bin ich so alt, wie ich nie werden wollte, und frage mich, was ich mir damals gewünscht habe.
Wenn ich am Nachmittag vom Meer zurückkehre und die Sonne sich dort im Nussbaum fängt, sich in der Baumkrone rot aufbläht und den ganzen Horizont zum Glühen bringt, und dann in ungeheurem Tempo – man kann gerade mal bis zwanzig zählen!
– in dem dunstigen Gewaber zwischen Meer und Himmel verschwindet, ist alles wieder wie am Anfang. Ja, du hast gut gewählt. Mit der gleichen Gewissheit, mit der du die Frau deines Lebens erkannt hast, als du ihr zum ersten Mal begegnet bist, hast du dich für dieses Stück Erde entschieden. Und dann kommen die ersten Enttäuschungen, die kleinen und großen Katastrophen,
die Kompromisse und Betrügereien: die übliche Enttäuschung des Wunsches durch seine Erfüllung. Aber die Euphorie des ersten Blicks, sie stellt sich immer wieder ein. Es ist der schönste Punkt im Umkreis von hundert Quadratkilometern. Hinten die kahlen, elefantengrauen Bergrücken, vorn das ungeheure Meer.
Die Zeit vergeht hier oben anders als in den Städten. Ich sehe die weiß schimmernden Bugwellen, die die Passagierdampfer und Containerschiffe in die Wasserfl äche schneiden, die von hier aus wie blaues, gehämmertes Metall aussieht, und weiß, dass schon vor Jahrtausenden anders geformte Schiffe, von Seeleuten einer anderen Art gelenkt, ähnliche Bugwellen erzeugt haben.
Dort, hinter der Mauer an der Stirnseite des Hügels, mögen vor fünfhundert Jahren Mönche gekniet und ihre Gebete zum Himmel geschickt haben. Womöglich waren sie die letzten, aber ganz sicher nicht die ersten Besiedler des Hügels, denn unter den mittelalterlichen Ruinen kommen römische Mauern zum Vorschein und unter diesen wieder andere, die von noch früheren Generationen zeugen. Vor den Menschen müssen Adler hier gehaust haben.”






Peter Schneider (Lübeck, 21. April 1940)

Montag, 20. April 2009

Herman Bang, Aloysius Bertrand

Der dänische Schriftsteller Herman Joachim Bang wurde am 20. April 1857 in Asserballe auf der Insel Alsen, geboren. Bang, der Sohn eines Pastors, studierte ab 1875 Staatswissenschaften an der Universität Kopenhagen, gab sein Studium allerdings 1877 auf und wurde Journalist. Er schrieb für dänische, norwegische und deutsche Zeitungen. Nach Reisen ließ er sich in Kopenhagen nieder, wo er verschiedene Wohnsitze innehatte. Bang war homosexuell, was ihm manche Anfeindungen und Isolation in Dänemark eintrug. 1885-86 lebte er mit dem deutschen Schauspieler Max Eisfeld (1863-1935) in Meiningen, Wien und Prag zusammen. Bang scheiterte als Schauspieler, avancierte aber zu einem gefeierten Theaterregisseur und war angesehen als Schriftsteller. Viele Vortragsreisen führten ihn durch Europa und die USA. Auf einer dieser Vortragsreisen starb Bang in Utah. Bangs erste Veröffentlichungen waren essayistischer Art, bis er 1880 seinen ersten Roman Hoffnungslose Geschlechter vorlegte. Bang war anfangs noch dem Naturalismus verhaftet und wurde von Émile Zola, Henrik Ibsen und Charles Darwin beeinflusst. Auch Iwan Sergejewitsch Turgenew und Jonas Lie sind als literarische Vorbilder zu nennen. In seiner weiteren künstlerischen Entwicklung wurde Bang zum Schöpfer des dänischen Impressionismus und der Repräsentant der dänischen Dekadenz.

Aus: Sommerfreuden (Übersetzt von Aldo und Ingeborg Keel)

“ Margueritta stand nahe bei Ihm. Sie lehnte sich an Ihn. Sie nahm seine Hand in ihre kleinen Hände und hielt sie fest. Manchesmal drückte sie sie sanft an ihre Brust. Und doch war sie erst elf Jahre alt. «Margueritta ist die Menschenfreundin», sagte die Mutter zu dem jungen Manne, «Rositta ist anders – –. Sie liebt die Einsamkeit, die Natur und die Thiere. Jetzt hat sie ihr Herz einem gelben Dachshund geschenkt, Herrn von Bergmann.
Sie hatte das Glück, ihm gestern vorgestellt zu werden. Sie hat heute die Taschen voll Würfelzucker für ihn – – – aber es ist eine unglückliche Liebe.»
«Wieso unglücklich – –?!» sagte das Kind, «ich liebe ihn ja! Ich denke immer an ihn – –. Das macht mich doch glücklich?!»
Rositta war neun Jahre alt, zart und bleich. Margueritta sagte: «Oh, Rositta ist übertrieben–!»
«Wieso?!» fragte die Schwester und erbleichte –.
«Ja, du bist übertrieben – –! Sie will Sennin werden am Patscherkof l3 und Cither lernen!»
Rositta: «Der Wirth in Igls hat so schön Cither gespielt und gesungen! Und er hat gar nicht gewusst,
dass er schön singt – –! Er ist dagesessen und hat gesungen – – –.»
Margueritta: «Rosie hat eine Altstimme und dichtet sich selber die Lieder. In der Früh singt sie manchmal: ‹O meine Berge, meine Berge – –!›
Aber übertrieben ist sie doch – – –!»
Die Mutter sagte: «Das ist doch kein Lied: ‹O meine Berge – –!?›»
Rosie sah ihre Schwester an. Sie war erstaunt, verlegen.
Margit sagte: «O ja, das ist ein Lied – –! Mama, das verstehst du nicht, das verstehen nur wir. Ein Lied ist es, nicht wahr, Herr – – –?!»
Der junge Mann sagte: «Ja!»
Er dachte: «Es ist eine tönende Menschenseele – – ein Lied!»
Er blickte in die Welt zweier Kinderseelen.”








Herman Bang (20. April 1857 – 19. Januar 1912)




Der französische Dichter Aloysius Bertrand (eig. Louis-Jacques-Napoléon Bertrand) wurde am 20. April 1807 in Ceva, Piemont, Italien, geboren. Mit Gaspard de la Nuit (1842 postum veröffentlicht) führte er das Prosagedicht in die französische Literatur ein. Das Buch war eine Quelle der Inspiration für die symbolistischen Dichter. Lange unbekannt, wurde es von Charles Baudelaire und Stéphane Mallarmé entdeckt, gilt heute als Klassiker der poetischen und fantastischen Literatur und fand bedeutenden musikalischen Niederschlag in Ravels gleichnamigem Klavierstück.

Aus: Gaspard de la Nuit (Fragment)

HARLEM.



Quand d'Amsterdam le coq d'or chantera
La poule d'or de Harlem pondra.
Les Centuries de Nostradamus.


Harlem, cette admirable bambochade qui résume l'école flamande,
Harlem peint par Jean Breughel, Peeter-Neef, David Téniers et Paul
Rembrandt;

Et le canal où l'eau bleue tremble, et l'église où le vitrage
d'or flamboie, et le stoël (*) où sèche le linge au soleil, et les
toits, verts de houblon;
Balcon de pierre.

Et les cigognes qui battent des ailes autour de l'horloge de la
ville, tendant le col du haut des airs et recevant dans leur bec les
gouttes de pluie;

Et l'insouciant bourguemestre qui caresse de la main son menton
double, et l'amoureux fleuriste qui maigrit, l'oeil attaché à une
tulipe;

Et la bohémienne qui se pâme sur sa mandoline, et le vieillard
qui joue du Rommelpot (*), et l'enfant qui enfle une vessie;
(*) Instrument de musique

Et les buveurs qui fument dans l'estaminet borgne, et la
servante de l'hôtellerie qui accroche à la fenêtre un faisan mort.








Aloysius Bertrand (20. April 1807 – 29. April 1841)
Büste in Dijon.

Sonntag, 19. April 2009

Manuel Bandeira, Gudrun Reinboth

Der brasilianische Schriftsteller und Dichter Manuel Carneiro de Souza Bandeira Filho wurde am 19. April 1886 in Recife geboren. Er wird zur Generation der 22 in der modernen brasilianischen Literatur gezählt. Manuel Bandeira besaß einen einfachen und direkten Stil, der jedoch nicht die Härte von Lyrikern die João Cabral de Melo Neto teilte. Er wählte alltägliche und universelle Themen, die er häufig mit poetischem Witz bearbeitete, was zu Formen und Einfällen führte, die die akademische Tradition als vulgär betrachtete. Einige seiner Gedichte (wie Poética im Band Libertinagem) sind fast ein Manifest der modernen Lyrik. Bandeiras Wurzeln liegen in der Poesia Parnasiana, dem experimentierfreudigen brasilianischen Modernismus Das Werk Bandeiras ist von einer gewissen Melancholie gekennzeichnet, in dem er gleichzeitig einen Weg sucht, das Lebensfreude zu finden. Unheilbar lungenkrank wusste er davon, dass er jeden Augenblick aus dem Leben scheiden konnte; dieses Gefühl spiegelt sich an vielen Orten seines Werkes wider.



My Last Poem

I would like my last poem thus

That it be gentle saying the simplest and least intended things
That it be ardent like a tearless sob
That it have the beauty of almost scentless flowers
The purity of the flame in which the most limpid diamonds are consumed
The passion of suicides who kill themselves without explanation.




Übersetzt von Elizabeth Bishop





Nice, nice, nice

I have everything I want
I have the fire of constellations
Extinct millennia ago.
And the over-short trace
What's that? It is over!
For so many cadent stars
Dawn dims, and I retain
The most pure tears of the dawn.
The day comes, and day on
I keep possessing
The great secret of death.
Nice, nice, nice
I have everything I want
I don't want ecstasy nor torments
I don't want something which
Earth gives only by working,
Gifts from angels are useless
Angels cannot understand men.
I don't want to love,
I don't want to be loved
I don't want to fight
I don't want to be a soldier
I want the pleasure of being able to feel
The most simple things...




The Star

I saw a so high star
I saw a so cold star
I saw a shining star
In my empty life.
It was a so high star
It was a so cold star
It was a lonely star
Shining in the end of the day.
Why that so distant star
Didn't come down
To make me company?
Why did it shine so high?
And I listen to it in the deep shadow
Answering that it behaved this way
In order to give a sadder hope
To the end of my day.





Übersetzt von Mirna Rubim








Manuel Bandeira (19. April 1886 – 13. Oktober 1968)
Circuito da Poesia, Recife, Brasilien




Die deutsche Lyrikerin und Schriftstellerin Gudrun Reinboth wurde am 19. April 1943 in Berlin geboren. Sie lebte in der Kindheit in Gießen und Murten und verbrachte ihre Jugend in Bern. Nach dem Studium der Germanistik und Kunstgeschichte kehrte sie nach Deutschland zurück. Sie war acht Jahre lang als Bundesfachbeirätin für Literatur im Verband der Gemeinschaften der Künstlerinnen und Kunstförderer e.V. tätig. Gudrun Reinboth lebt heute in Neckargemünd bei Heidelberg.


Antigenesis

Siebenter Tag:
Am Anfang jener Zeit
hatte der Mensch
die höchste Vollendung
zu denken, zu erkennen,
zum Leben zu führen
endgültig erreicht.

Die ihm untertane Erde
hielt den Atem an. –

Doch er nützte den Tag nicht,
den letzten, der ihm
gegeben war.
Nichts wirklich Böses
geschah: nur kindlich
löste er die Vernichtung aus,
einfach, weil sie möglich war.

Sechster Tag:
Da verschwand jedes
menschliche Leben.
Viele verglühten
ahnungslos sofort,
beneidet von allen,
die einen schleichenden Tod
nach ihnen starben.


Fünfter Tag:
Hier und da
rührte sich noch
zählebiges Getier,
aus Felsen und Höhlen
schwerfällig kriechend,
zerfetzte Haut nachschleifend
und verendend in Qualen.
Zuletzt noch schleppten
Käfer mit Taumeln
ihren Chitinpanzer
über die Asche.
Ihr Tod dauerte lang ...








Gudrun Reinboth (Berlin, 19. April 1943)

Samstag, 18. April 2009

Kathy Acker, Joy Davidman

Die amerikanische Schriftstellerin Kathy Acker wurde am 18. April 1947 in New York City geboren. Ihr erstes literarisches Werk hieß Black Tarantula. Unter diesem Pseudonym trat Kathy Acker zuweilen auch auf. Sie begeisterte sich für die Arbeiten von William S. Burroughs und für die Ideen und Texte des Antipsychiaters Ronald D. Laing. Kathy Ackers Ruf als Queen of Punk beruhte einerseits auf formalen und inhaltlichen Schwerpunkten ihrer literarischen Arbeit, andererseits aber auch auf der Stilisierung ihrer Person. Die erste Arbeit der Autorin erschien Mitte der 1970er vor dem Hintergrund des damals aufkeimenden literarischen Untergrunds in New York City. Ihre ersten Werke wurden durch ihre eigenen mehrmonatigen Erfahrungen als Stripperin grundlegend beeinflusst. Acker blieb lange an den Rändern des literarischen Establishments und wurde bis Mitte der 1980er-Jahre nur von kleinen alternativen Verlagen veröffentlicht, was der Autorin den Ruf einer literarischen Terroristin verlieh. 1984 wurde mit Blood and Guts in High School erstmal eines ihrer Werke im Vereinigten Königreich veröffentlicht. Acker erschuf in der folgenden Zeit eine bemerkenswerte Anzahl von Erzählungen, die fast alle noch heute im Verlag Grove Press erscheinen. Weiterhin schrieb sie Beiträge für Magazine und Anthologien. Zum Ende ihres Lebens hin veröffentlichte Acker auch erfolgreich in klassischen Massenmedien wie zum Beispiel mehrere Artikel in der britischen Zeitung The Guardian, darunter ein Interview mit den Spice Girls, welches wenige Monate vor ihrem Tod erschien.

Aus: Essential Acker. The Selected Writings of Kathy Acker

“I'm not under pressure constantly to fuck them watch if my clothing's always closed which it's not I was feeling anomalous Mark started saying the mattress in the waterbed on the waterbed is torn I have to fix it he even threaded a real needle Lenny can you help me Ronny's cracking ridiculous jokes Mark's done it so often he even has it timed Mark says you can watch Ronny's not a voyeur we watch Rat-Race Debbie Schmereynolds an incredibly creepy flic in which Debbie's a good girl who'd rather give up her guy than prostitute I don't remember if she's living with him in sin it was very romantic Ronny and I were finally talking Johnny Carson turned on crude gags about hookers drag queens everyone's one for fun I'm learning about Middle America the whole place is mad I'm cold to Lenny don't admit I am which is nasty I want to see my cats Mark has one Tiffany she's seven weeks pregnant and crawls through almost closed windows and bars no one else comes it was a party not even Mickey Mark said that Mickey would be very upset if he knew that Mark slept with anyone else Mark would if Mickey did it's quite nutty there's this rich guy Jack who's been supporting Mark still is? they have an expensive looking place not much furniture yet no books of course we're open for any garbage I get pissed off when Mark kisses me and calls me a girl he's upset I am I try to relax rub him goodnight Lenny's acting like he's lost his mind we get a ride with this dope seller creep doesn't know why anyone would live in a commune not enough money to the Eighth Street subway this is the first dream sequence 1:17 I have to go out for the rest of the day get my hair cut again thank god.”







Kathy Acker (18. April 1947 – 30. November 1997)




Die amerikanische Schriftstellerin Helen Joy Davidman wurde am 18. April 1915 in New York geboren. Schon in frühester Kindheit war sie oft kränklich. In ihrer Jugend wurde sie radikale Kommunistin und heiratete den Schriftsteller William Lindsay Gresham. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor: Douglas und David. Nachdem sie sich Ende der 40er-Jahre zum Christentum bekehrt hatte fuhr sie mit ihren Söhnen nach England, um den christlichen Schriftsteller C. S. Lewis zu treffen, dessen Schriften sie maßgeblich beeinflusst hatten. Nachdem ihr Ehemann sie in ihrer Abwesenheit betrogen hatte, ließ sie sich scheiden und zog mit Douglas und David ganz nach England. Es entwickelte sich eine enge Freundschaft zwischen Davidman und Lewis, der eine Frau fand, die ihm intellektuell gewachsen war. Davidman und Lewis heirateten standesamtlich, mit der Begründung, dass die Familie dadurch einen Aufenthalt in England zugesichert bekäme. Für die Kirche war dies ein regelrechter Skandal, da Joy ja eine jüdische, kommunistische und geschiedene Frau war. Wenig später wurde bei Joy Knochenkrebs festgestellt. Durch ihre plötzlich ausbrechende Krankheit entdeckte Lewis seine Liebe zu ihr und fand einen Priester, der sie am Krankenbett christlich traute. Joy erholte sich noch einmal von ihrem Krebsleiden, doch 1960 starb sie 45-jährig im Haus der Brüder Lewis.



Snow in Madrid

Softly, so casual,
Lovely, so light, so light,
The cruel sky lets fall
Something one does not fight.
How tenderly to crown
The brutal year
The clouds send something down
That one need not fear.
Men before perishing
See with unwounded eye
For once a gentle thing
Fall from the sky.







Joy Davidman (18. April 1915 – 13. Juli 1960)

Freitag, 17. April 2009

Ida Boy-Ed, David Wagner

Die deutsche Schriftstellerin Ida Boy-Ed wurde am 17. April 1852 in Bergedorf (heute zu Hamburg) geboren als Tochter des Reichstagsabgeordneten, Büchereibesitzers, Journalisten und Herausgebers der „Eisenbahn-Zeitung“ Christoph Marquard Ed und dessen Frau Friederike Amalie Pauline, geb. Seltzam. Im Alter von 17 Jahren heiratete sie 1870 den Kaufmann Karl Johann Boy und wurde Mutter zweier Söhne und einer Tochter, darunter Karl Boy-Ed. Nachdem sie ihren Mann verlassen hatte, zog sie 1878 mit ihrem ältesten Sohn nach Berlin. Dort arbeite sie als Journalistin und schrieb Romane. Zudem unterhielt sie eine rege Korrespondenz mit Künstlern der Zeit. 1880 wurde sie zur Rückkehr zu ihrem Ehemann in Lübeck genötigt, der nicht in die Scheidung einwilligen wollte. Ida Boy-Ed verfasste über 70 Romane und Erzählbände und beeinflusste mit ihrem Lübecker Salon das kulturelle Leben von Lübeck nachhaltig. Sie war 1901 nach Erscheinen der Buddenbrooks eine Förderin des jungen Thomas Mann. Genauso förderte sie nachhaltig den Komponisten und Dirigenten Wilhelm Furtwängler in seiner Lübecker Zeit.

Aus: Lübeck als Geistesform

“Auch bedeutende Worte verklingen im Gedächtnis der Hörer. Willkommen zu heißen ist es also, daß Thomas Manns Vortrag vor diesem Los gesichert und in ein Büchlein eingefangen wurde. Er ward gehalten am 5. Juni 1926 inmitten hochschwingender Jubiläumsstimmung; zwischen Entfaltungen, deren Auswirken Zeit haben muß, das Ereignis, dessen Bedeutung sogleich überzeugte. Vor allem war er von historischem Gewicht durch den sehr merkwürdigen Augenblick, wo diese Bekenntnisse zum freistädtischen Bürgertum gesprochen wurden, während der Boden von den Bemühungen bebte, die eben dies Bürgertum stürzen möchten. Hiervon noch ohne Kenntnis und ganz unpolitisch hatte sich dem Dichter die seelische Nötigung aufgedrängt, von dem zu sprechen, was ihm aus dem Wissen der Geschichte der Hansestadt und ihren einzig möglichen Lebensbedingungen sicher geworden war: von der Würde und dem geistigen Gehalt hansischer Bürgerlichkeit.




Lübeck

Doch die tiefsten Erkenntnisse erwachsen den Schöpferischen immer aus ihren eigenen Werken. Diese psychologische Wahrheit offenbarte sich aus allem, was Thomas Mann von seinen Dichtungen erzählte. Er sprach von dem erst so mühseligen buchhändlerischen Weg der »Buddenbrooks«, der dann in steilem Aufstiege zum Gipfel des Erfolges führte. Er bekannte, in welcher künstlerischen Unschuld er dem eigenen Werk gegenüberstand, seines kulturgeschichtlichen Wertes sich noch nicht bewußt. Er bekannte, daß er von Täuschung über sich selbst befangen war: künstlerisch, indem er seine Begabung auf die Form der knappen Erzählung gerichtet hielt; intellektuell, da er seine Verbundenheit mit der Heimat noch nicht in sich erspürte.“





Ida Boy-Ed (17. April 1852 – 13. Mei 1928)




Der deutsche Schriftsteller David Wagner wurde am 17. April 1971 in Andenach geboren. Er wuchs im Rheinland auf und studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Bonn, Paris und Berlin. Er hielt sich längere Zeit in Rom, Barcelona und Mexiko-Stadt auf. Von 1999 bis 2001 schrieb er Feuilletons für die Berliner Seiten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 2002 und 2003 eine Kolumne für Die Zeit. David Wagner wurde bekannt durch seinen Debütroman, in dem er eine Kindheit im Rheinland der siebziger und achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts schildert. Es folgten ein Band mit Kurzgeschichten und feuilletonistische Beiträge über das Leben im Berlin der Gegenwart. David Wagner erhielt u.a. 1998 das Alfred-Döblin-Stipendium, 1999 den Walter-Serner-Preis, 2000 den Dedalus-Preis für Neue Literatur, 2001 den Georg-K.-Glaser-Preis sowie den Kolik-Literaturpreis.

Aus: Was alles fehlt

„Sie hat sich letztes Jahr umgebracht", sagt meine Cousine, "sie hat Schlaftabletten aus der Apotheke ihres Vaters genommen, hat Wasser getrunken und sich in den Schlafzimmerschrank ihrer Eltern gesetzt", meine linke Hand legt sich auf die Bremse zwischen den Sitzen, die rechte faßt den Griff in der Beifahrertür. Und ich denke, ich werde Hanna aus meinem Adreßbuch streichen müssen. Das erste, was ich verdammt noch mal denke, ist, daß ich ein kleines Kreuz hinter ihren Namen malen muß, "sie hat sich letztes Jahr im Frühsommer umgebracht", sagt meine Cousine, "sie hat Tabletten aus der Apotheke ihres Vaters geschluckt, hat Wasser getrunken und sich in den großen Kleiderschrank ihrer Eltern gesetzt", und mir fällt ein, daß Hanna sich selbst in mein Adreßbuch eingetragen, ihren Namen und ihre Wiener Anschrift in breiter Kinderhandschrift aufgeschrieben hat, "sie ist unter den Röcken und Kleidern ihrer Mutter, nicht weit von den Anzügen ihres Vaters, gestorben", sagt meine Cousine, der Wagen wiegt und schaukelt, wir rollen über eine Landstraße, und was meine Cousine sagt, kommt ohne Gewicht, sie schaltet einen Gang höher und vor der nächsten Kurve wieder zurück, der Motor jault, das Auto schiebt sich nach links und rechts durch die Kurven, und hin und wieder spritzt Rollsplitt vom Straßenrand gegen den Unterboden, die Steinchen stechen in den Autobauch. Hanna ist unter den Kleidern ihrer Mutter, nicht weit von den Anzügen ihres Vaters, gestorben, wiederhole ich mir und erinnere mich an den Tag, an dem ich sie das erste Mal sah: Wir fuhren zu dritt auf zwei Motorrollern über die Grenze nach Tschechien, Tschechei, wie meine Großmutter noch immer sagt, Grenze sei ein slawisches Lehnwort, eines der wenigen, die es im Deutschen gebe, sagte meine Cousine und erzählte von dem Volksschullehrer, der immer davor gewarnt habe, dieser Grenze zu nahe zu kommen, er habe gesagt, wer der Grenze zu nahe kommt, wird von den Russen mitgenommen und nach Sibirien verschleppt, meinte Hanna, da saß ich hinter ihr auf dem Roller, eine Hand lag auf ihrer Schulter, und die Finger der anderen spielten mit den kurzen, dunklen Haaren in ihrem Nacken."







David Wagner (Andernach, 17. April 1971)

Donnerstag, 16. April 2009

Sarah Kirsch, Sibylle Lewitscharoff

Die deutsche Lyrikerin und Schriftstellerin Sarah Kirsch wurde am 16. April 1935 geboren in Limlingerode. Sie studierte Biologie in Halle an der Saale und Literatur in Leipzig. Danach arbeitete sie als freie Schriftstellerin, von 1968 an in Ost-Berlin, ab 1977 im Westen der Stadt. 1983 zog sie in das Zwergschulhaus hinter dem Eiderdeich im schleswig-holsteinischen Tielenhemme. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Georg-Büchner-Preis (1996).



Die Nacht streckt ihre Finger aus

Die Nacht streckt ihre Finger aus
Sie findet mich in meinem Haus
Sie setzt sich unter meinen Tisch
Sie kriecht wird gross sie windet sich

Und der Rauch schwimmt durch den Raum
Wächst zu einem schönen Baum
Den ich leicht zerstören kann
Ich rauche einen neuen, dann

Zähl ich alle meine lieben
Freunde an den Fingern ab
Es sind zu viele Finger, die ich hab
Zu wenig Freunde sind geblieben

Streckt die Nacht die Finger aus
Findet sie mich in meinem Haus
Rauch schwimmt durch den leeren Raum
Wächst zu einem Baum

Der war vollbelaubt mit Worten
Worten die alsbald verdorrten
Schiffchen schwimmen durch die Zweige
Die ich heut nicht mehr besteige





Keiner hat mich verlassen

Keiner hat mich verlassen
Keiner ein Haus mir gezeigt
Keiner einen Stein aufgehoben
Erschlagen wollte mich keiner
Alle reden mir zu




Elegie

Ich bin der schöne Vogel Phönix
Schüttle mich am Morgen, sage
Pfeif drauf! bekomme sie, meine Seele
Gänseblümchenweiss
Ich bin
Der schöne Vogel Phönix
Aber durch das
Flieg ich nicht wieder








Sarah Kirsch (Limlingerode, 16. April 1935)




Die deutsche Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff wurde am 16. April 1954 in Stuttgart geboren. Sibylle Lewitscharoff stammt von einem bulgarischen Vater und einer deutschen Mutter ab. Sie wuchs in Stuttgart auf, wo sie 1972 ihr Abitur machte. Anschließend studierte sie Religionswissenschaft an der Freien Universität Berlin und erlangte den Grad eines Magisters. Während ihres Studiums hielt sie sich für jeweils ein Jahr in Buenos Aires und Paris auf. Seit ihrem Studienabschluss arbeitet Lewitscharoff als Buchhalterin in einer Berliner Werbeagentur. Ihre schriftstellerische Tätigkeit begann sie mit dem Verfassen von Radio-Features und Hörspielen.
Den Durchbruch als Autorin erlebte Lewitscharoff 1998, als sie für ihren Roman Pong den Ingeborg-Bachmann-Preis gewann. 2006 wurde sie mit dem Kranichsteiner Literaturpreis ausgezeichnet, 2007 mit dem Preis der Literaturhäuser, 2008 mit dem Marie-Luise-Kaschnitz-Preis und 2009 für ihren Roman Apostoloff mit dem Preis der Leipziger Buchmesse.

Aus: Consummatus

“Wie fein die Toten hören! Zu einem Riesenohr vereinigt, segeln ihre Ohren am Himmel und überspannen ihn zu weiten Teilen. Was sich von Zungen löst, was sich in Hirnen formt, erzählte Worte, geträumte Worte, Worte ohne Klang, sie alle werden vom
Großen Totenohr erlauscht. Es wedelt, es fächelt, es zuckt wie ein Elefantenohr im Takt zu den Lügen, Beschwörungen, Gebeten, den Sirenengesängen, Notschreien, Märchen in den Babelsprachen der Erde, es hört die Tierlaute und den Krach der Maschinen, hört das Uuuijujuio der Gibbons so präzis wie das Huuijui der Kleinen Hufnase, hört das Schwappen der Meere und die dunkle Verzweiflung der Callas. Hört selbst Fehlwörter und schlampig gesprochene Silben, Wörter, die so huschig erscheinen und wieder verschwinden, daß nicht einmal wer sie geboren hat imstande ist, sie zu verstehen.
Es war einmal. Wann immer dieser Satzstummelvernommen wird, rinnt ein freudiger Schauder über das Totenohr. Es war einmal sind seine liebsten Worte. Es waren einmal ein Mann und eine Frau. Ein unauffälliger Mann und eine Frau, die alle Blicke auf sich zog, früher heiße, später nur mehr neugierige. Daß sich so ein Mann und diese Frau treffen mußten, um neun Monate lang durch Europa zu kreuzen, ist einer jener seltenen Würfe, die das Leben manchmal in einem geschlossenen Becher ausbringt. Der Mann bin ich.”







Sibylle Lewitscharoff (Stuttgart, 16. April 1954)

Mittwoch, 15. April 2009

Henry James, Beate Morgenstern

Der amerikanischer Schriftsteller Henry James wurde am 15. April 1843 in New York geboren. Sein Vater, Henry James Sr., war einer der angesehensten Intellektuellen, zu dessen Freunden und Bekannten Thoreau, Emerson und Hawthorne zählten. Von früher Jugend an wurde James mit den Klassikern britischer, amerikanischer, französischer und deutscher Literatur vertraut gemacht. In seiner Jugend bereiste Henry Jr. Europa und studierte in New York, London, Paris, Bologna, Bonn und Genf. Im Alter von 19 Jahren begann er ein Studium der Rechtswissenschaften an der Harvard Law School, stellte aber bald fest, dass ihm die Literatur näher lag. Bereits als 20-Jähriger begann James, Beiträge für amerikanische Zeitschriften zu verfassen. Im Alter von 21 Jahren veröffentlichte er seine erste Kurzgeschichte A Tragedy of Errors. 1866 bis 1869 und 1871 bis 1872 war er Mitarbeiter des Magazins The Atlantic Monthly und der Zeitung Nation. Nachdem er eine Zeit lang in Paris gelebt hatte und von dort aus diverse Artikel für den New Yorker Tribune verfasst hatte, wurde er schließlich 1875 in England sesshaft und 1915 britischer Staatsbürger. Dort schrieb er unter anderem für The Yellow Book. In den Jahren 1913 bis 1914 erschienen die ersten beiden Bände seiner Autobiographie, A small boy and others sowie Notes Of A Son And Brother. Der dritte Band erschien postum 1917.
Der Schock des beginnenden Ersten Weltkrieges veranlasste James dazu, britischer Staatsbürger zu werden, unter anderem, um damit gegen die Nichteinmischungspolitik der USA zu protestieren.

Aus: The Portrait of a Lady

“Under certain circumstances there are few hours in life more agreeable than the hour dedicated to the ceremony known as afternoon tea. There are circumstances in which, whether you partake of the tea or not--some people of course never do--the situation is in itself delightful. Those that I have in mind in beginning to unfold this simple history offered an admirable setting to an innocent pastime. The implements of the little feast had been disposed upon the lawn of an old English country-house, in what I should call the perfect middle of a splendid summer afternoon. Part of the afternoon had waned, but much of it was left, and what was left was of the finest and rarest quality. Real dusk would not arrive for many hours; but the flood of summer light had begun to ebb, the air had grown mellow, the shadows were long upon the smooth, dense turf. They lengthened slowly, however, and the scene expressed that sense of leisure still to come which is perhaps the chief source of one's enjoyment of such a scene at such an hour. From five o'clock to eight is on certain occasions a little eternity; but on such an occasion as this the interval could be only an eternity of pleasure. The persons concerned in it were taking their pleasure quietly, and they were not of the sex which is supposed (2) to furnish the regular votaries of the ceremony I have mentioned. The shadows on the perfect lawn were straight and angular; they were the shadows of an old man sitting in a deep wicker-chair near the low table on which the tea had been served, and of two younger men strolling to and fro, in desultory talk, in front of him. The old man had his cup in his hand; it was an unusually large cup, of a different pattern from the rest of the set and painted in brilliant colours. He disposed of its contents with much circumspection, holding it for a long time close to his chin, with his face turned to the house. His companions had either finished their tea or were indifferent to their privilege; they smoked cigarettes as they continued to stroll. One of them, from time to time, as he passed, looked with a certain attention at the elder man, who, unconscious of observation, rested his eyes upon the rich red front of his dwelling. The house that rose beyond the lawn was a structure to repay such consideration and was the most characteristic object in the peculiarly English picture I have attempted to sketch.”







Henry James (15. April 1843 – 28. Februar 1916)
Porträt von John Singer Sargent





Die deutsche Schriftstellerin Beate Morgenstern wurde am 15. April 1946 in Cuxhaven geboren. Beate Morgenstern entstammt einer pietistischen Familie und wuchs in Herrnhut/Oberlausitz und in Halle (Saale) auf. Ihr Studium der Germanistik und Kunsterziehung an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin schloss sie mit dem Staatsexamen ab. Anschließend arbeitete sie als Buchhändlerin und von 1970 bis 1978 als Bildredakteurin bei der DDR-Nachrichtenagentur ADN. Nach einem Volontariat in der Kulturabteilung eines Berliner Großbetriebs ist sie seit 1978 freie Schriftstellerin. Sie ist Verfasserin von Romanen, Erzählungen und Theaterstücken.

Aus: Der Gewaltige Herr Natasjan. Eine Burleske

„Sieben Jahre sind vergangen, seit mich Walja Kunze im Sommer 2001 aufsuchte und mir tage- und nächtelang ihre Geschichte erzählte und ich mir auf ihren ausdrücklichen Wunsch alles notierte. Ihr selbst, die das Schreiben als Beruf hatte wie ich, war es verwehrt, sich auf diesem Wege von ihrer Vergangenheit zu lösen. Oft habe sie versucht, aufzuschreiben, was ihr seit dem abendlichen Gang zum Club der Kulturschaffenden in Ostberlin im Juni 1989 widerfahren sei, sagte sie mir. Doch jedes Mal habe sie ihre Erinnerung so heftig überfallen, dass sie meinte, sich immer noch im Kreis der zwölf Kollegen im CdK zu befinden. Keine Hand habe sie rühren können, sobald sie dachte, ihre Erlebnisse niederzuschreiben, sagte sie. Dass Walja nach elf Jahren aus den Staaten nach Deutschland zurückkehrte, diente offenbar einzig und allein dem Zweck, ihre Geschichte loszuwerden. Wir jüngeren Autoren im Verband kannten uns alle irgendwie, wie überhaupt die Nemezen, ob turingischen, sächsischen, brandenburgischen oder mekelnburgischen Stammes. Warum Walja mich ausgesucht hatte, war mir zunächst nicht deutlich, da ich in Zeiten der SRR Nemezien jede ihrer Annäherungen unfreundlich und sehr bestimmt abgewehrt hatte. Die Antwort hat mit ihrer Geschichte zu tun, weshalb ich sie nicht vorwegnehmen möchte. Walja wirkte sehr gehetzt, angespannt.
Ihr eigentlich rundes Gesicht noch abgezehrter als in jungen Jahren, sodass ich annahm, sie ernähre sich ausschließlich von Äpfeln und Brokkolis, womit ich nicht ganz falsch lag.
Walja hat mir aufgetragen, erst dann ihren von mir verfassten Bericht der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wenn ich nach Jahren immer noch keine neue Nachricht von ihr habe. Nach wie vielen Jahren genau? fragte ich nach, um ja keinen Fehler zu begehen. Sieben, sagte sie. Sieben ist eine schöne Zahl. Das fand ich auch.”







Beate Morgenstern (Cuxhaven, 15. April 1946)

Dienstag, 14. April 2009

Gabriele Stötzer, Péter Esterházy

Die deutsche Schriftstellerin und Künstlerin Gabriele Stötzer wurde am 14. April 1953 in Emleben, Thüringen, als Gabriele Kachold geboren. Ab 1969 absolvierte sie in Erfurt eine Ausbildung zur Medizinisch-Technischen Assistentin. Anschließend holte sie auf der Abendschule das Abitur nach. 1973 heiratete sie und trug nun den Namen Gabriele Kachold. Sie begann, an der Pädagogischen Hochschule in Erfurt Germanistik und Kunsterziehung zu studieren. Im Sommer 1976 wurde sie wegen einer Petition gegen die Entlassung eines kritischen Kommilitonen von der Hochschule relegiert und zur „Bewährung“ in die Produktion geschickt. Im November 1976 beteiligte mit ihrer Unterschrift am Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns. Bei der Überbringung der Unterschriftenliste von Erfurt nach Berlin wurde sie von der Stasi festgenommen; nach der Untersuchungshaft folgte im Frühjahr 1977 ihre Verurteilung zu einem Jahr Haft wegen „Staatsverleumdung“. Während ihrer Haftzeit im Zuchthaus Hoheneck in Stollberg/Sachsen fasste Gabriele Kachold den Entschluss, zu schreiben. Nach ihrer Entlassung lehnte sie die Ausreise in den Westen ab und musste erneut zur „Bewährung“ in die Produktion. Sie begann mit dem Verfassen von autobiografischen und experimentellen Texten, die den Versuch dokumentieren, eine spezifisch weibliche Ausdrucksweise zu finden. 1979 wurde ihre Ehe geschieden; bis 1992 nannte sie sich Gabriele Stötzer-Kachold. 1980 unternahm sie in Erfurt den Versuch, eine private Kunstgalerie zu betreiben. Nachdem sie sich mit Techniken wie Siebdruck, Fotografie und Weberei befasst hatte, stellte sie dort eigene Werke und solche von Angehörigen ihres Freundeskreises aus der alternativen Szene aus. 1981 wurde die Galerie durch die Stasi geschossen.
Gedruckt erschienen ihre Werke nur in Szene-Publikationen, mit Ausnahme des Bandes Zügel los, der 1989 vom staatlichen Aufbau-Verlag veröffentlicht wurde. 1990 war sie Mitbegründerin des Erfurter Vereins „Kunsthaus“. Ihre Texte konnten nunmehr in regulären Verlagen erscheinen, und auf Reisen im In- und Ausland präsentierte sie die zahlreichen Facetten ihres künstlerischen Schaffens.

Aus: Ich bin die Frau von gestern

“Da war der Mann, der sonst immer zwei Tische entfernt saß. Unbeweglich und still, wie ein sterbender Indianer, aufrecht und der Blick ging ins Endlose. Nie hatte er etwas getan, den Kopf bewegt, die Hände gehoben. Sein Haar war immer akkurat gekämmt und seine Lippen hatten ein tonloses Rot. Der Anzug farblos. Ich hatte den Mann gesehen, fern, unantastbar, und ich hatte sein in die Länge gezogenes Sterben akzeptiert.
Als er so vor mir saß und mich ansah, bemerkte ich eine Neugier in seinen Augen. Er sah gewöhnlicher aus, ich merkte, wie ein Bild zu zerfließen begann. Ich würde ihn nie wieder wie vordem sehen können. Nie mehr ohne Mitleid. Er war älter als ich. Ich stellte es fest und fühlte Triumph. Nur wir beide waren in der Lage, das fest zu stellen, denn die anderen um uns herum waren unsäglich jünger, und die Jugend hat für das Alter keine Jahre. Er wollte mit mir reden. Er war offen, er war allein.
Vor Jahren gab es hier noch Zeitungen, zusammengeknüpft, so dass man sie bequem umblättern konnte. Und es gab noch Heimlichkeiten, die man sich zuflüstern konnte. Man hatte auch manchmal noch Träume, die trugen uns über das Land hinaus. Auch der Kaffee schmeckte noch. Und ich hatte Freunde. In der langen Zeit ist nichts passiert, doch es ist, als hätte ein Krieg alles zerstört. Überall sind jetzt nur noch diese ganz jungen Leute. Auf den Straßen, in den Bussen. Sie haben fremde Worte. Wenn ich ein Wort verstehe, dann meinen sie es gar nicht. Ich weiß nicht, ob das nur in dieser Stadt so ist oder schon im ganzen Land. Die Theater sind aufgelöst, es spielt sich alles auf der Straße ab. Der Zufall ist wichtig. Fällt ihnen einmal ein neues Wort ein, dann verwenden sie es unbeschwert. Sie wollen nicht wissen, was es einmal bedeutet hat. Sie sind frei, brutal, ohne Nostalgie. Die Nutten sind in der Überzahl. Sie tragen das Gleiche ohne die kleinste Variante: Tüllkleider, gold, silbern und schwarz.”






Gabriele Stötzer (Emleben, 14. April 1953)




Der ungarische Schriftsteller und Essayist Péter Esterházy de Galántha wurde am 14. April 1950 in Budapest geboren. Aus einem gräflichen Zweig der Familie Esterházy stammend, einem bedeutenden Geschlecht ungarischer Magnaten, das unter dem kommunistischen Regime enteignet und unterdrückt wurde, schloss er zunächst ein Studium der Mathematik ab, arbeitete 1974-78 als EDV-Spezialist und begann dann zu publizieren. Nach einer Reihe eindrucksvoller und in den Prosatechniken hochversierter Erzählungen und Romane schuf er in seinem Hauptwerk Harmonia Caelestis ein vielgestaltes ungarisches und europäisches Panorama anhand der Geschichte seiner Familie. Nach Erscheinen des Werkes musste er feststellen, dass sein Vater mit dem kommunistischen ungarischen Geheimdienst zusammengearbeitet hatte. Mit dieser Enthüllung, die den Beschreibungen in Harmonia Caelestis nicht hatte zugrunde liegen können, befasst sich das Nachfolgewerk Verbesserte Ausgabe. Esterházy war 1980 Stipendiat des DAAD, 1996/97 Fellow am Wissenschaftskolleg Berlin und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung sowie seit 1998 der Akademie der Künste (Berlin), Sektion Literatur.

Aus: Deutschlandreise im Strafraum (Übersetzt von György Buda)

“Fußball gespielt hat jeder, auch der, der es nicht getan hat, das ist die Conditio sine qua non des Fußballs. Nicht ein jeder ist aber ein Fußballspieler. Ich war einer. Ein Fußballer vierter Klasse. Wenn ich das ausspreche (ansonsten eher fünfter, mal vierter, mal fünfter), lachen die meisten, als hätten sie einen Witz gehört, als nähme ich meine Aussage gleich in selbstironischer Weise zurück, als zöge das Attribut »vierter Klasse« das Substantiv in die Lächerlichkeit, als übte ich Selbstkritik.
O nein. Als sagte ich, wenn ich vierter Klasse sage, ich wäre schlecht gewesen, mies, tolpatschig, ein verirrter Handballer, nicht der Rede wert. Ein Fußballer vierter Klasse indessen ist kein verpatzter Fußballer erster Klasse, er ist kein untalentierter Fußballer zweiter Klasse oder ein undisziplinierter, ein Möchtegern-Fußballer dritter Klasse. Jede Ebene hat ihr eigenes Niveau, das ist ein hierarchisch wohlorganisiertes Ressort, ein guter Spieler vierter Klasse ist ein guter Spieler in der vierten Klasse. – Ich entstamme übrigens einer alten Fußballerfamilie. Wenn wir auch noch nicht unter den Habsburgern gespielt haben (ich stelle mir meinen Großvater, den Ministerpräsidenten,vor, wie er links außen davonzieht, nach einem Doppelpaß mit Kaiser Franz Josef I. über den Kopf Wilhelms II. hinweg, der zu weit herausgelaufen ist, den Ball ins Netz hebt; der verruchte Clemenceau aber entscheidet auf Abseits, er pfeift den ganzen Weltkrieg ab, und sie unterzeichnen die schrecklichen Friedensdiktate von Versailles, St. Germain und Trianon), so hat doch mein Vater schon Fußball gespielt (meine Brüder und ich vermuten fachmännisch und kaum ödipal, er sei katastrophal gewesen),\ sodann spielten alle meiner Brüder, und nicht nur so, spaßeshalber, vor dem Haus oder auf der Wiese (obwohl auch das, jeden Tag, wirklich jeden Tag), sondern richtig, in einer Mannschaft, in einem Verein. Ja, mein jüngster Bruder wurde sogar Profifußballer, zuerst spielte er in der ehemaligen Mannschaft von Ferenc Puskás im Budapester Honvéd, dann verpflichtete er sich nach Griechenland, zum AEK Athen, dann zu Panathinaikos, und in der ungarischen Nationalmannschaft spielte er wohl dreißigmal."







Péter Esterházy (Boedapest, 14. April 1950)

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