Aktuelle Beiträge

Christina Viragh, Derek...
DIESER BLOG WIRD HIER NICHT MEHR WEITERGEFÜHRT!!! DIE...
froumen - 23. Jan, 19:14
Felicitas Hoppe, Margit...
DIESER BLOG WIRD HIER NICHT MEHR WEITERGEFÜHRT!!! DIE...
froumen - 23. Dez, 07:50
Rebecca West, Heinrich...
DIESER BLOG WIRD HIER NICHT MEHR WEITERGEFÜHRT!!! DIE...
froumen - 23. Dez, 07:49
Rafał Wojaczek, Peter...
DIESER BLOG WIRD HIER NICHT MEHR WEITERGEFÜHRT!!! DIE...
froumen - 6. Dez, 20:44
Joseph Conrad, France...
DIESER BLOG WIRD HIER NICHT MEHR WEITERGEFÜHRT!!! DIE...
froumen - 3. Dez, 22:09
Daniel Pennac, Mihály...
DIESER BLOG WIRD HIER NICHT MEHR WEITERGEFÜHRT!!! DIE...
froumen - 1. Dez, 19:24
Carlo Levi, Jean-Philippe...
DIESER BLOG WIRD HIER NICHT MEHR WEITERGEFÜHRT!!! DIE...
froumen - 29. Nov, 16:30
Eugène Ionesco, William...
DIESER BLOG WIRD HIER NICHT MEHR WEITERGEFÜHRT!!! DIE...
froumen - 26. Nov, 22:17
Nadine Gordimer, Thomas...
DIESER BLOG WIRD HIER NICHT MEHR WEITERGEFÜHRT!!! DIE...
froumen - 20. Nov, 22:11
José Saramago, Hugo Dittberner
DIESER BLOG WIRD HIER NICHT MEHR WEITERGEFÜHRT!!! DIE...
froumen - 16. Nov, 19:17
Jurga Ivanauskaitė, Taha...
DIESER BLOG WIRD HIER NICHT MEHR WEITERGEFÜHRT!!! DIE...
froumen - 14. Nov, 19:28
C.K.Williams, Klabund
DIESER BLOG WIRD HIER NICHT MEHR WEITERGEFÜHRT!!! DIE...
froumen - 4. Nov, 19:16
Bilal Xhaferri, Leo Perutz
DIESER BLOG WIRD HIER NICHT MEHR WEITERGEFÜHRT!!! DIE...
froumen - 2. Nov, 19:07
Dylan Thomas, Sylvia...
DIESER BLOG WIRD HIER NICHT MEHR WEITERGEFÜHRT!!! DIE...
froumen - 27. Okt, 19:56
Stephen L. Carter, Karin...
DIESER BLOG WIRD HIER NICHT MEHR WEITERGEFÜHRT!!! DIE...
froumen - 26. Okt, 19:51

Mein Lesestoff


Thomas Mann
6. Juni - 12. August 1955


Rainer Maria Rilke
4. Dezember 1875 - 29. Dezember 1926


Georg Trakl
3. Februar 1887 - 4. November 1914

Archiv

Juli 2025
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
 
 
 
 
 
 

Sonntag, 21. Dezember 2008

Heinrich Böll, Rolf Lappert, Thomas Hürlimann

Der deutsche Schriftsteller Heinrich Böll wurde am 21. Dezember 1917 als achtes Kind des katholischen Schreiners und Holzbildhauers Viktor Böll und dessen zweiter Ehefrau Maria in Köln geboren. Nach dem Abitur (1937), einer Ausbildung in einer Buchhandlung in Bonn und dem Reichsarbeitsdienst fing Heinrich Böll im Sommer 1939 an der Universität Köln ein Germanistikstudium an. Einige Monate später wurde er zur Infanterie einberufen. Im März 1943 heiratete er die Lehrerin Annemarie Cech. Im Jahr darauf erlag seine Mutter nach einem Fliegerangriff auf Köln einem Herzinfarkt. 1945 geriet er vorübergehend in amerikanische und britische Kriegsgefangenschaft. Nach dem Krieg nahm Heinrich Böll das Studium wieder auf und verdiente den Lebensunterhalt zunächst mit Gelegenheitsarbeiten. Mit der Veröffentlichung seiner Kurzgeschichte "Der Zug war pünktlich" begann er 1947 eine Karriere als Schriftsteller. Vier Jahre später zeichnete die "Gruppe 47" ihn für seine satirische Erzählung "Die schwarzen Schafe" mit einem Preis aus.

Aus: Wo warst du Adam

„Erst geschah nichts. Die Explosion war ungeheuerlich laut in dieser Stille. Die Russen wußten nur, daß das Geschoß nicht von ihnen war und daß der Mann mit der Fahne plötzlich in einer Staubwolke verschwunden war. Kurz darauf knallten sie wie irrsinnig auf das Haus. Sie schwenkten ihre Rohre, staffelten sich neu zum Schießen, schossen erst in den Südflügel, dann ins Mittelgebäude und in den Nordflügel, wo die winzige Fahne des Hausmeisters schlaff aus dem Fenster hing. Sie fiel in den Dreck, der vom Haus herunterbröckelte - und zuletzt schossen sie wieder in den Südflügel, besonders lange und wütend; sie hatten lange nicht geschossen, und sie sägten die dünne Wand des Hauses durch, bis das Gebäude vornüberkippte. Erst später merkten sie, daß von der anderen Seite kein einziger Schuß fiel.
(....)

Die weiße Fahne am Haus seines Vater war die einzige in der ganzen Straße, und er sah jetzt, daß sie sehr groß war - es schien eins von Mutter riesigen Tischtüchern zu sein, die sie bei Festlichkeiten aus dem Schrank holte. Er lächelte wieder, warf sich aber plötzlich hin und wußte, daß es zu spät war. Sinnlos, dachte er, wie vollkommen sinnlos. Die sechste Granate schlug in den Giebel seines Elternhauses - Steine fielen herunter, Putz bröckelte auf die Straße, und er hörte unter dem Keller seine Mutter schreien. Er kroch schnell ans Haus heran, hörte den Abschuß der siebenten Granate und schrie schon, bevor sie einschlug, er schrie sehr laut, einige Sekunden lang, und er wußte plötzlich, daß Sterben nicht das einfachste war - er schrie laut, bis die Granate ihn traf, und er rollte im Tod auf die Schwelle des Hauses. Die Fahnenstange war zerbrochen, das weiße Tuch fiel über ihn.“





Heinrich Böll (21. Dezember 1917 – 16. Juli 1985)






Der Schweizer Schriftsteller Rolf Lappert wurde am 1. Dezember 1958 in Zürich geboren. Bekanntheit im deutschsprachigen Raum erlangte er vor allem durch den dritten Teil seiner „Amerikanischen Trilogie“, Nach Hause schwimmen (2008). Nach der Schule machte er eine Ausbildung als Grafiker, begann aber bereits mit 20 Jahren als freier Autor Kurzgeschichten, Romane und Gedichte zu verfassen. Anfang der 1980er Jahre legte er mit Folgende Tage (1982) seinen ersten Roman vor. Diesem folgte 1984 der zweite Roman Passer, während er mit Die Erotik der Hotelzimmer (1982) und Im Blickfeld des Schwimmers (1986) Gedichtbände veröffentlichte.Zwischenzeitlich unterbrach Lappert das Schreiben, um gemeinsam mit einem Freund einen Jazz-Club in einem ehemaligen Kino in Aarburg (Kanton Aargau) zu gründen. Erst Mitte der 1990er Jahre legte er mit Der Himmel der perfekten Poeten erneut einen Roman vor.

Aus: Nach Hause schwimmen

“Das Haus und Orla, das war Wilburs Welt. Er war kein kräftiger Junge geworden, Erkältungen zwangen ihn für Tage ins Bett, und nach fünf Liegestützen, die er heimlich machte, lag er heftig atmend auf dem Teppich in seinem Zimmer. Er war schmächtig und auch am Ende eines guten
Sommers bleich, er hatte nie einen Fußball getreten und war auf keinen Baum geklettert. Die Hügelzüge um das Haus waren ihm bekannt, aber nicht vertraut. Das Meer mied er, nur an Orlas Hand sah er über das Wasser und stellte sich Fische darin vor, groß wie die Schiffe, die den Horizont querten. Orla hatte eigenhändig eine Öffnung in die Mauer geschlagen. Stand die rot gestrichene Holztür offen, sah man einen Streifen Meer. Mit einer Spitzhacke hatte sie einen Teil der Asphaltdecke aufgebrochen und die Brocken in einer Schubkarre weggebracht. Von einem Haufen neben dem Haus hatte sie gute Erde in die Schubkarre geschaufelt und dort ausgekippt, wo der Asphalt steinigem Boden gewichen war. Sie hatte Büsche gepflanzt und Blumen, Efeu, der irgendwann die nackte Mauer bedecken würde. Auf der Fläche, die der Küche am nächsten war, verlegte sie wetterfeste Holzplanken, in einer Ecke baute sie für Wilbur einen Sandkasten, in die andere stellte sie einen runden Tisch und zwei Stühle.
Eamon hatte ihr nicht geholfen, dafür Colm Finnerty, ein unverheirateter Nachbar, der für ein paar Pfund und ein Mittagessen den Holzrahmen und die Tür in die Mauer eingesetzt hatte. Er hatte ihr auch das Material besorgt, die Bretter, die Bausteine, den Zement. Geld hatte sie zum Glück genug. Nach der Heirat hatte Eamon sie damit überhäuft, obwohl sie nicht viel damit anzufangen wusste. Den größten Teil hatte sie ihrer Schwester gegeben, die es für sie anlegte.“






Rolf Lappert (Zürich, 21. Dezember 1958)






Der Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann wurde am 21. Dezember 1950 in Zug geboren. Nach der Matura studierte er Philosophie an der Universität Zürich und der Freien Universität Berlin. Dieses Studium brach er 1974 ab und ließ sich als freier Schriftsteller in Berlin-Kreuzberg nieder. Als Autor debütierte Hürlimann mit dem Erzählband Die Tessinerin (1981). Von 1982 bis 1985 war er Regieassistent und Dramaturg am Berliner Schillertheater. 1985 kehrte er in die Schweiz zurück. Zum erzählerischen Werk des Autors gehören Das Gartenhaus, Der Gesandte (über den Schweizer Minister in Berlin während des Zweiten Weltkriegs, Hans Frölicher), Die Satellitenstadt, Das Holztheater, Der große Kater, Fräulein Stark und Vierzig Rosen. Dazu kommen Theaterstücke und Komödien – darunter Der Franzos im Ybrig (1991) und Das Lied der Heimat (1998) sowie Das Einsiedler Welttheater (2000)

Aus: Vierzig Rosen

„Genua im Spätsommer 1939.
Um acht Uhr abends erscholl jeweils der Gong zum Dinner, worauf sie mit Papa nach unten ging, in den Speisesaal. Die Emigranten waren leicht zu erkennen. Da sie ihre letzten Abende in Europa würdig begehen wollten, erschienen sie en grande toilette, einige der Männer sogar im Frack. Dagegen war sie, Marie, eher behelfsmäßig kostümiert, already worn, wie der Brite sagt. Das grün schillernde, von Luise umgenähte Fähnchen stammte aus den Roaring Twenties, und nur Lavendels Schühlein, die roten, aus Lack, konnten den Ansprüchen genügen. Dennoch wurde sie von sämtlichen Kellnern bewundernd zur Kenntnis genommen, und eines Abends sprangen sie am Nebentisch sogar auf: Sturmtruppleute! Ein Männercercle in schwarzen Hemden und Kniebundhosen! Sie hoben die Gläser, winkelten die Ellbogen und: E viva, riefen sie, e viva la bellezza!
Errötend senkte Marie den Blick, aber beim Suppeschöpfen zwinkerte ihr Serafina, die Hotelwirtin, verstohlen zu und meinte flüsternd, die Herren würden sich glücklich schätzen, nachher mit ihr zu tanzen.
Oh, es wird getanzt?
Der Prosecco, sagte Serafina, kommt vom Nebentisch.
Serafina schien mit aller Welt auszukommen, mit jüdischen Emigranten und Mussolinis Faschisten, auch schämte sie sich ihrer Üppigkeit keineswegs, sondern ließ unter den Bändeln einer weißen Servierschürze die Gesäßbacken derart aufreizend mahlen, daß sogar Papa, der die Frauen als abgeschlossenes Kapitel betrachtete, zu unverhohlenen Seitenblicken verführt wurde. Serafinas Fülle drohte den Rock aus allen Nähten zu pressen; sie roch nach Parfum, Schweiß und anderen Säften; das rote Haar wurde durch einen Schildpattkamm zu einem bombastischen Turm gefügt, und ihr Gebiß, das sie dauernd blitzen ließ, war ganz aus Gold. Für sie, hatte Serafina erklärt, hätten die Rassegesetze keine Bedeutung, wer zahle, sei willkommen, basta.
Papa sprach beim Essen kaum ein Wort. Er löffelte, er schlürfte, er schwitzte. Schließlich faßte sich Marie ein Herz und sagte: Papa, stimmt es, daß demnächst die Batavia einläuft? Sie soll von Dakar heraufkommen und noch am selben Abend via Marseille zurückgehen.“





Thomas Hürlimann (Zug, 21. Dezember 1950)

Samstag, 20. Dezember 2008

Friederike Mayröcker, Jürg Laederach

Die österreichische Schriftstellerin Friederike Mayröcker wurde am 20. Dezember 1924 in Wien geboren. Von 1946 bis 1969 war Mayröcker Englischlehrerin an verschiedenen Wiener Hauptschulen und legte dazwischen ihre Externistenmatura ab. 1969 ließ sie sich als Lehrerin karenzieren und 1977 frühpensionieren. Ihr literarisches Schaffen begann sie als 15-Jährige (1939); 1946 veröffentlichte sie ihre ersten Arbeiten in der Zeitschrift Plan. Friederike Mayröcker gilt als eine der bedeutendsten österreichischen zeitgenössischen Lyrikerinnen. Erfolg hatte sie auch mit Hörspielen. Vier davon verfasste sie gemeinsam mit Ernst Jandl, mit dem sie von 1954 bis zu dessen Tod im Jahr 2000 zusammenlebte. Ihre Prosawerke werden der Kategorie "Autofiktion" zugerechnet. Sie bildet darin eine Gruppe mit Christine Lipp, Wiesbaden.

Aus: Brütt

„Es ist was die Spazierkunde angeht, alles in allem 1 spurloses Leben gewesen, nämlich im Rückblick, 1 Leben in Verheerung Mißverständnis Geistes Verdunkelung, mit dem Hirnschaber in steter Aktion, nicht wahr, sage ich zu Blum, wieso hat zB die Flasche so groß ausgesehen in der Auslage und als ich sie in die Hand nahm so winzig? diese und andere Leverkusen Wunder und Wälder seien mir zugeflogen, und während ich ins dampfende Fußbad tauche, ist es als ob in die eisige Kälte, eine Sinnesverwicklung, -verwirrung, -vernichtung, so scheint es, also 1 wehendes verwehtes VATERUNSER, weil anders firmiert, weil in andere Sprachbüschel zusammengefügt – wenn ich so Woche um Woche nicht arbeiten kann, sind Ohnmacht und Ingrimm kaum mehr auszuhalten, sage ich zu Blum, Gefühl von Pechsträhne, gebrochener Zunge, Verlorenheit, diese beleibte Passantin, sage ich zu Blum, als ankerte ihre Hüfte im Straßendunst, also dann fiel mir ein: »ihre Kruppe bewegte sich sachte durchs Menschengewühl«, usw., wie SCHNEIEN in einer Auslage, es waren aber Lichtbilder, kannst du dir das vorstellen, sage ich zu Blum. während ihre Schnute und Doppelblick..

ich meine da sitze ich im zerbrochenen Stuhl, halb wiegende Position, die Tischlocken ringeln überall hervor, die Scheinhaftigkeit dieses Daseins, ein Wehklopfen eine Wehrlosigkeit der mit den schärfsten Klingen ausgestatteten Welt gegenüber, immer mehr ins Heulen und Wehklagen versunken, und ganz kleingeseelt oder -gesellt, nein das ist keine Aufgeblasenheit in der Sprache auch nicht Blödigkeit (Gestammel) der Gefühle, es ist eigentlich mehr 1 FINGERSATZ, wenn ich mir ohne Anstrengung 9 oder 10 Dutzend Telefonnummern zu merken imstande bin, das Englische, sage ich zu Blum, das bedrückt mich, sage ich zu Blum, das Englische ist in den letzten Jahren zur (deutschen) Umgangssprache geworden, ich muß darüber reflektieren, nichts kritiklos übernehmen, da schreibt doch dieser Redakteur, sage ich zu Blum, was micht erbost, sage ich zu Blum, diese ununterbrochenen Bilder machen ihm Schwierigkeiten, die Autorin springe von einem zum anderen Bild ohne Zusammenhänge aufkommen zu lassen, etc., seit einigen Tagen Gefühl von Ungenügen in meinem Bewußtsein nämlich da sei etwas noch offen, unversorgt, am Korpus dieser Schrift, etwas blute noch, zeige Wundmale, sei nicht verheilt. Alles müsse verheilt sein, sage ich zu Blum, dann erst besäße der Text Gültigkeit und dürfe als abgeschlossen gelten, nicht wahr.“






Friederike Mayröcker (Wien, 20. Dezember 1924)






Der Schweizer Schriftsteller Jürg Laederach wurde am 20. Dezember 1945 in Basel geboren. Laederach begann nach dem Abschluss des Humanistischen Gymnasiums in Basel ein Studium der Mathematik an der ETH Zürich. Später wechselte er zur Universität Basel, wo er Romanistik, Anglistik und Musikwissenschaft studierte. 1969 hielt er sich als Stipendiat und Deutschlehrer in Paris auf; anschliessend arbeitete er ein Jahr lang als Werbetexter in Basel, wo er heute als freier Schriftsteller und Übersetzer lebt. Laederach hatte 1986/87 eine Gastdozentur für Poetik an der Universität Graz inne, 1987 war er Poet in Residence an der Universität-Gesamthochschule Essen. 1996 trennte er sich aus Protest gegen die Veröffentlichung von Peter Handkes serbienfreundlichen Texten zum Bosnienkrieg von seinem langjährigen Verlag Suhrkamp. Neben seinen literarischen Aktivitäten trat Laederach, der Saxophon, Klarinette und Klavier spielt, gelegentlich als Musiker mit der Basler Jazzformation „BIQ“ auf. Laederach ist Verfasser experimenteller Prosa sowie von Theaterstücken und Hörspielen. Daneben hat er sich als Übersetzer aus dem Englischen und Französischen hervorgetan.

Werke u.a. : Einfall der Dämmerung, 1974, Ein milder Winter, 1978, Flugelmeyers Wahn, 1986, Passion, 1993, Schattenmänner, 1994, In Hackensack, 2003

Uit: Kopfschule beim Essen. Ein Stilleben

„Im Endstadium meiner schweren, schon lange Zeit körperlich sich äussernden Neurose litt ich unter dem mich abscheulich peinigenden délire d’enormité, das meine allmählich zerfallende physische Erscheinung in mir ungeheuerlich scheinende Dimensionen erweiterte. Zoll für Zoll wurde ich ein gehetzter Antipode der wahnsinnigen Mikromanischen, die sich für Schrauben hielten und ins Brett bohrten. Nicht zu reden von meinem kopfstehenden Verfolgungswahn, bei dem ich der Verfolger war, dessen linguistische Füchse auf der atemlosen Jagd aufgescheucht durcheinanderwirbelten – ich weiss, dass ihr Bau gerade ausgeräuchert wird. Griff an den Kopf, den depressiven, der sein ungelebtes Vorleben als Trauma mitschleppt. Ich sass im Gasthaus. Durch meine bei allem Verschütten arrogante Gegenwart wurde es gnadenlos auf die Stufe des Literatengasthauses gehoben. Die sozialen Verhaltensanteile meiner Instinkte waren am Schwinden. Gerade da
verlor ich, verblödend und auch organisch verblödend, weitere Körperteile, die mir im Hirn schnell nachwuchsen.
Glaubte ich, das gehe gut aus. Kaum. Dem Gasthaus fügte meine da, dort und drüben schrankenlos waltende Sprachlibido eine antipathische Servier-Tablett-Zerstörung-durchseidenohrige- Kellnerinnen zu. Das Gasthaus servierte karge, aber fettreiche Mahlzeiten an wie üblich Häftlinge, lauter Häftlinge. Sie kamen der schwarz gekleideten hochgeschlossenen, immer sitzenden, im Stehen schwankenden,
der bereits wieder sitzenden Wirtin zu Hilfe. Sie regulierten die Öfen. Sie räumten die Teller ab und zerbrachen sie dann. Zum Entstopfen drückten sie mit einer Handpumpe heisses Wasser in die Ausgüsse. Einer wollte etwas von mir, ein Häftling liess mich nicht in Ruhe. Er sah, daß ich mit dem Löffel aß, den ich aus meinem Halfter am Gürtel gezogen hatte. Ich, Grand Malade und Vollstrecker sämtlicher Testamente des Umkreises, durfte endlich die letzten Verantwortlichkeiten und Zellenerinnerungen abstreifen, um mich in die liebevollste Pflege ; anderer Wahnsinniger, viel gutmütigerer Wahnsinniger zu begeben. Ich erzähle das klar, bloß, wo war ich eben. Der Satz zerrinnt zur Pfütze. Krank bin ich nicht, denn gestern war ich schon so.“





Jürg Laederach (Basel, 20. Dezember 1945)

Freitag, 19. Dezember 2008

Italo Svevo, Peter Stephan Jungk, Jean Genet

Der Italienische Schriftsteller Italo Svevo wurde am 19. Dezember 1861 in Triest geboren als Hector Aron ("Ettore") Schmitz. Sein Großvater stammte aus Deutschland. Das fünfte von acht Kindern eines Glaswarenhändlers wuchs in dem bis 1918 zu Österreich gehörenden Triest auf, lebte von 1867 bis 1872 in einem Internat in Deutschland und kehrte dann in seine Geburtsstadt zurück, um dort zu studieren. Doch als das Unternehmen seines Vaters zusammenbrach, begann er in einer Bank zu arbeiten. Nebenbei schrieb er Theaterstücke. Das Pseudonym "Italo Svevo" (italienischer Schwabe bzw. schwäbischer Italiener) benützte er erstmals 1892 bei der Veröffentlichung seines Romans "Una vita" (deutsch: Ein Leben, 1962). 1896 heiratete er seine Cousine Livia Veneziana, die Tochter eines reichen Triestiner Schifflackherstellers. Aufgrund seiner Misserfolge als Schriftsteller hörte er mit dem Schreiben auf, doch als er seine Englischkenntnisse an der Berlitz School in Triest verbesserte und dabei James Joyce (1882 - 1941) begegnete, der dort als Sprachlehrer tätig war, fasste er neuen Mut. 1923 erschien sein dritter Roman: "La coscienza di Zeno" (deutsch: Zenos Gewissen).

Aus: Ein Leben (Una Vita, übertragen von Barbara Kleiner)

«Meine liebe Mama,
gestern abend erst erhielt ich Deinen guten und schönen Brief.
Sei unbesorgt, Deine große Schrift hat nichts Rätselhaftes für mich¸ auch wenn ich ein Wort nicht entziffern kann, verstehe ich, oder glaube ich doch zu verstehen, was Du wolltest, als Du die Feder in dieser Art übers Papier wandern ließest.
Ich lese Deine Briefe immer wieder; sie sind so einfach, so gut, sie gleichen Dir; sie sind Fotografien von Dir. Ich liebe sogar das Papier, auf dem Du mir schreibst! Ich erkenne es wieder, der alte Creglingi verkauft es, und wenn ich es sehe, erinnere ich mich an die gewundene, aber reinliche Hauptstraße in unserem Dorf. Ich sehe mich wieder dort, wo sie sich zu einem Platz weitet, in dessen
Mitte das Haus von Creglingi steht, niedrig und klein, das Dach in Form eines Kalabreserhuts, das Ganze ein einziges Loch, der Laden! Drin er, eifrig dabei, Papier zu verkaufen, Nägel, Fusel, Zigarren und Stempelmarken, langsam, aber mit den aufgeregten Gebärden eines Menschen, der schnell machen will, indem er zehn Menschen auf einmal bedient, oder besser gesagt, indem er einen bedient und die anderen neun dabei unruhig im Blick behält. Grüß ihn bitte vielmals von mir. Wer hätte gedacht, daß ich je Lust verspüren würde, diesen brummigen Geizkragen wiederzusehen?
Du mußt nicht glauben, Mama, daß es einem hier nicht gutgeht; ich bin es, dem es schlechtgeht!
Ich kann mich nicht damit abfinden, Dich nicht zu sehen, so lang so fern von Dir zu sein, und es steigert meinen Schmerz, wenn ich denke, daß auch Du Dich allein fühlen wirst in dem großen Haus weitab vom Dorf, wo Du partout wohnen bleiben willst, weil es nun einmal uns gehört. Außerdem habe ich wirklich das Bedürfnis, unsere gute Luft zu atmen, die rein und ursprünglich ist. Hier atmet man eine gewisse dikke, verräucherte Luft, die ich bei meiner Ankunft schwer über der Stadt liegen sah, in Form eines riesigen Kegels, wie bei uns im Winter der Dunst über dem Teich, von dem man aber weiß, woraus er besteht; er ist reiner. Die Menschen, die hier leben, sind alle, oder doch fast alle, heiter und gelassen, weil sie nicht wissen, daß man anderswo um so vieles besser leben kann.”






Italo Svevo (19. Dezember 1861 – 13. September 1928)





Der amerikanische deutschsprachige Schriftsteller Peter Stephan Jungk wurde am 19. Dezember 1952 in Santa Monica, Kalifornien, geboren. Er wuchs zunächst in den Vereinigten Staaten und nach 1957 in Wien auf. In Berlin besuchte er von 1968 bis 1970 die Rudolf-Steiner-Schule, von 1970 bis zu seiner Matura 1972 lebte er in Salzburg. 1973 arbeitete er als Regieassistent am Basler Theater. Von 1974 bis 1976 studierte er am American Film Institute in Los Angeles. Von 1976 bis 1979 war er erneut in Salzburg ansässig. 1977 wirkte er als Peter Handkes Regieassistent bei der Verfilmung von Handkes "Die linkshändige Frau". 1980 besuchte der gebürtige Jude Jungk eine Thoraschule in Jerusalem. 1981 übersiedelte er zurück nach Wien. Seit 1988 lebt er in Paris. Peter Stephan Jungk ist Verfasser von Romanen, Essays und Drehbüchern, bei deren Verfilmung er teilweise selbst Regie führte. Daneben übersetzt er aus dem Englischen.

Aus: Der König von Amerika

“Seit vier Jahrzehnten glückt mir ein Wagnis nach dem anderen, flüstert er sich zu, wie an jedem Morgen nach dem Erwachen und vor dem Aufstehen. Es hat Rückschläge gegeben, unbestritten. Aber sie waren selten. Äußerst selten. Mitunter sah es aus, als müßten wir unsere Mitarbeiter allesamt entlassen. Das Studio auflösen. Roy aber hat es immer wieder verstanden, Bankiers, Financiers, Aktionäre umzustimmen. Roy, der um siebeneinhalb Jahre ältere Bruder. Der Realist in der Familie, der vor jeder neuen Entwicklung zurückschreckte, mehr noch, sie zunächst zu verhindern suchte. Der niemals glauben mochte, die Ideen seines jüngsten Bruders könnten Gewinne erzielen. Trotzdem: Ohne Roy, denkt Walt, gäbe es unser Unternehmen nicht. Millionen und Abermillionen hat er der Bank of America entlockt, im Verlauf der Zeit. Walt begreift nicht ganz, wie Roy das schaffen konnte. Anderseits ist er sich dessen bewußt, sein Einfallsreichtum allein habe die Endloskette der Kredite ermöglicht. Er war der Erste, der Zeichentrickfiguren Persönlichkeit verlieh. Er war der Erste, der in seinen Filmen mit Farbe arbeitete. Er war der Erste, der Trickfilme erfolgreich vertonte. Der Erste, der einen abendfüllenden Zeichenfilm produzierte. Der Erste, dem es gelang, einen Spielpark in die Welt zu setzen, der weder traurig, noch jemals schmutzig oder gar häßlich war“.






Peter Stephan Jungk (Santa Monica, 19. Dezember 1952)




Der französische Schrifsteller Jean Genet wurde am 19. Dezember 1910 in Paris geboren. Der Vater war unbekannt. Seine Mutter, eine Prostituierte, übergab ihn schon früh der öffentlichen Fürsorge. Er kam zunächst in eine Pflegefamilie nach Alligny-en-Morvan. Im Alter von 10 Jahren wurde er eines Diebstahls beschuldigt, den er nicht begangen hat. Aus Trotz beschloss er, genau das zu sein, wofür er gehalten wurde: ein Dieb. Wegen wiederholtem Diebstahl und Landstreicherei wurde er im Alter von 15 Jahren in die berüchtigte landwirtschaftliche Strafkolonie Mettray überwiesen. 1926 brach er aus. Er floh zur Fremdenlegion, desertierte aber bereits nach wenigen Tagen. Mehrere Jahre zog er als Bettler, Dieb und Strichjunge durch Europa. Wegen Raubes, Zuhälterei, Opiumschmuggel und verschiedener Sexualdelikte verbüßte er in dieser Zeit mehrere Gefängnisstrafen – und begann zu schreiben. 1942 entstand im Gefängnis sein erstes Gedicht ("Der zum Tode Verurteilte") und auch sein erster Roman ("Notre-Dame-des-Fleurs"), der 1944 erschien. In den 1940er Jahren wurde Genet als Gewohnheitsverbrecher zu lebenslanger Haft verurteilt. Jean-Paul Sartre und Jean Cocteau reichten eine von vielen Künstlern und Intellektuellen unterzeichnete Petition an den Präsidenten Frankreichs ein. 1948 wurde Genet daraufhin begnadigt. In der Folgezeit lebte er unter anderem in Frankreich, den USA und Marokko. Er schrieb zahlreiche Bühnenstücke ("Die Zofen" 1948, "Unter Aufsicht" 1949, "Die Neger" 1958 u.v.a.) und Romane ("Wunder der Rose" 1946, "Tagebuch eines Diebes" 1949, u.a.).


Aus:: Le condamné à mort et autres poèmes


A la mémoire de Maurice Pilorge, assassin de vingt ans

Le vent qui roule un cœur sur le pavé des cours,
Un ange qui sanglote accroché dans un arbre,
La colonne d’azur qu’entortille le marbre
Font ouvrir dans ma nuit des portes de secours.



Un pauvre oiseau qui tombe et le goût de la cendre,
Le souvenir d’un œil endormi sur le mur,
Et ce poing douloureux qui menace l’azur
Font au creux de ma main ton visage descendre.

Ce visage plus dur et plus léger qu’un masque,
Et plus lourd à ma main qu’aux doigts du receleur
Le joyau qu’il convoite ; il est noyé de pleurs.
Il est sombre et féroce, un bouquet vert le casque.

Ton visage est sévère : il est d’un pâtre grec.
Il reste frémissant aux creux de mes mains closes.
Ta bouche est d’une morte et tes yeux sont des roses,
Et ton nez d’un archange est peut-être le bec.

[...]

Sur mon cou sans armure et sans haine, mon cou
Que ma main plus légère et grave qu’une veuve
Effleure sous mon col, sans que ton cœur s’émeuve,
Laisse tes dents poser leur sourire de loup.

O viens mon beau soleil, ô viens ma nuit d’Espagne,
Arrive dans mes yeux qui seront morts demain.
Arrive, ouvre ma porte, apporte-moi ta main,
Mène-moi loin d’ici battre notre campagne.

Le ciel peut s’éveiller, les étoiles fleurir,
Et les fleurs soupirer, et des prés l’herbe noire
Accueillir la rosée où le matin va boire,
Le clocher peut sonner : moi seul je vais mourir.






Jean Genet (19. Dezember 1910 – 15. April 1986)

Donnerstag, 18. Dezember 2008

Mazarine Pingeot, Christopher Fry

Die französische Journalistin und Schriftstellerin Mazarine Marie Pingeot wurde 18. Dezember 1974 in Paris geboren. Sie ist die uneheliche Tochter des ehemaligen französischen Staatspräsidenten François Mitterrand mit Anne Pingeot, seiner langjährigen Freundin. Mazarine Pingeots Existenz war eines der am besten gehüteten Staatsgeheimnisse Frankreichs. François Mitterrand erkannte seine uneheliche Tochter offiziell erst im Jahre 1984 an. Näheres beschreibt Pingeot in ihrem 2005 erschienenen autobiografischen Buch Bouche Cousue (sinngemäß: „Redeverbot“). Nach eigenen Angaben ist die Schwangerschaft für sie das „auslösende Element“ gewesen, ihr Leben zu erzählen. Im Januar 2006 entschied sich Pingeot den Namen ihres Vaters anzunehmen, und sich Mazarine Pingeot-Mitterrand zu nennen.

Uit: Le Cimetière des poupées

J’avais mis des bottes, j’étais sûre d’avoir du succès, elles étaient si chères. Je ne t’ai pas parlé
de la dépense, tu m’aurais fait des reproches, c’est sûr. Mais je pensais que, vu le prix, on les remarquerait. Il y avait une femme, avec un chapeau, un chapeau, comment dire, ni rond ni carré, un
chapeau de détective, le même, presque le même que ma mère gardait en souvenir de mon père.
C’est tout ce qu’il lui a laissé, j’aurais pu dire nous n’est-ce pas, mais le nous que nous formions, ma
mère et moi, n’était que de circonstance. Dire qu’il lui a laissé est aussi excessif, il l’a abandonné, dans une pièce quelconque, il l’a oublié là, avant de claquer la porte une bonne fois pour toutes, devant ce ventre infâme que je déformais. Elle l’aurait voulu vide, ce ventre, et plein ce chapeau.
Tout le monde n’avait d’yeux que pour elle, parce qu’elle était belle je crois, mais je ne pouvais
m’empêcher de penser que c’était à cause du chapeau. Alors mes bottes, bien sûr. D’une certaine
manière, ça aurait pu me rassurer, tu ne les as pas remarquées toi non plus, ces bottes hors de
prix, peut-être les aurais-tu trouvées jolies, sans poser de questions, parce que après tout elles ressemblent à des bottes, celles que je portais il y a dix ans déjà, depuis c’est revenu à la mode, mais
est-ce que tu te soucies des modes, est-ce que tu te soucies de la manière dont je m’habille, est-ce
que tu regardes jamais mes pieds ? Son chapeau, oui, parce qu’elle l’a sur la tête et que, quoi qu’on
en dise, c’est toujours le visage qu’on regarde en premier.
J’avais encore raté mon entrée dans cette salle, mais comment deviner que ce serait notre dernière
soirée ?
Tu te tenais à mes côtés, et je les observais, toutes ces femmes, femelles, artistes, présidentes
de société ou assistantes, des élégantes. Tu n’aimais pas l’élégance, le luxe, l’ostentation, et j’avais réussi à me rendre invisible, comme tu trouvais qu’il seyait à une femme. Pourtant j’avais remarqué que tu les regardais, ces femmes habillées avec soin, que tu leur souriais et même que tu leur plaisais. J’aimais que tu les approches, les séduises, combien tu étais brillant alors, combien j’étais fière de toi, de tes mots, de ton esprit, de cet humour que tu déployais, toi qui n’avais pas tant l’occasion de faire rire, parce que je suis sérieuse, trop sérieuse, et si j’ai pensé un moment que cela te convenait, je soupçonnais aussi que tu m’aurais peut-être préférée éblouissante. A` défaut, tu te délectais de leur compagnie, à ces femmes du monde, et je n’en prenais pas ombrage, j’aurais fait comme toi à ta place, je les trouvais intéressantes moi aussi, je les admirais, et je t’admirais de te faire admirer d’elles.“





Mazarine Pingeot (Avignon, 18. Dezember 1974)




Der britische Schriftsteller und Dramatiker Christopher Fry wurde am 18. Dezember 1907 in Bristol als Christopher Harris geboren. Der Sohn eines Missionspredigers und Architekten arbeitete zunächst als Lehrer. 1927 trat er als Schauspieler und Regisseur einer Theatergruppe in Bath bei. Obwohl er kurze Zeit später den Lehrerberuf wieder aufnahm, ließ ihn das Theater nicht mehr los. In den frühen 1930er-Jahren leitete er wiederum als Regisseur eine kleine Theatergruppe und war Theaterkritiker. Zeitgleich begann er mit dem Abfassen von eigenen Stücken. Darüber hinaus übersetzte er Stücke von Jean Anouilh und Jean Giraudoux.

Fry ist vor allem durchs eine geistreichen Verskomödien bekannt, in denen er ähnlich wie Anouilh und T. S. Eliot spielerische Leichtigkeit mit scharfsichtiger Betrachtung menschlicher Existenz verbindet. Zu seinen bekanntesten Werken gehören Ein Phoenix zuviel, Die Dame ist nicht fürs Feuer und Venus im Licht.


A sleep of prisoners

The human heart can go the lengths of God.
Dark and cold we may be, but this
Is no winter now. The frozen misery
Of centuries breaks, cracks, begins to move;
The thunder is the thunder of the floes,
The thaw, the flood, the upstart Spring.
Thank God our time is now when wrong
Comes up to face us till we take
The longest stride of soul men ever took.
Affairs are now soul size.
The enterprise
Is exploration into God.
Where are you making for? It takes
So many thousand years to wake,
But will you wake for pity's sake!






Christopher Fry (18. Dezember 1907 – 30. Juni 2005)

Mittwoch, 17. Dezember 2008

Jón Kalman Stefánsson, Hans Henny Jahnn

Der isländische Schriftsteller Jón Kalman Stefánsson wurde am 17. Dezember 1963 in Reykjavík geboren. Von 1975 bis 1982 verdiente Jón Kalman sein Geld mit den verschiedensten Arbeiten, so etwa in der Fischindustrie, als Maurer und für kurze Zeit auch als Polizist am Flughafen von Keflavík, wo er bis 1986 lebte. Von 1986 bis 1991 studierte er Literaturwissenschaft an der Hochschule von Island (Háskóli Íslands) ohne das Studium abzuschließen. Acht Jahre lang unterrichtete er Literatur an einer Schule in Akranes. Gleichzeitig verfasste er Artikel und Rezensionen für die Zeitung Morgunblaðið sowie für den nationalen Radiosender RÚV. Von 1992 bis 1995 lebte Jón Kalman in Kopenhagen, las, schrieb und zählte Straßenbahnen. Anschließend leitete er bis zum Jahr 2000 die Stadtbücherei von Mosfellsbær bei Reykjavík. Seitdem ist er freier Schriftsteller und lebt weiterhin in Mosfellsbær. Jón Kalman veröffentlichte zunächst einige Lyrikanthologien und Sammlungen von Erzählungen. Der erste Roman, mit dem er in Deutschland bekannt wurde, hieß Der Sommer hinter dem Hügel (1997).

Aus: Verschiedenes über Riesenkiefern und die Zeit (Übersetzt von Karl-Ludwig Wetzig)

“Großvater trinkt in der Küche Kaffee. Großvater toastet Brot. Großmutter schläft noch, meine Schwester auch. Todsicher. Alles ist still. Kein Auto draußen unterwegs, keine Stimme zu hören. Es ist noch so früh am Morgen, dass Großvater vermutlich allein auf der Welt ist, Kaffee im Becher, Toast auf dem Teller, die Brille auf dem Tisch. Da betrete ich die Küche und damit nimmt die Weltbevölkerung beträchtlich zu. Jetzt gibt es Großvater, mich und eine größer werdende Spinne in meinem Bauch.
"Opa, glaubst du, es ist gefährlich, eine Spinne zu verschlucken?"
"Das kommt ganz darauf an", sagt Großvater. "Das muss gründlich bedacht werden. Schmier du mir meine Butterbrote, während ich mal über die Sache nachdenke!" Großvater setzt die Brille auf und denkt nach, während ich ihm die Brote schmiere und sie mit Ziegenkäse belege.
Aus irgendeinem Grund kann Großvater es nicht ausstehen, sich selbst das Pausenbrot für die Arbeit zu machen. Normalerweise erledigt Großmutter das am Vorabend, es sei denn, sie und Großvater sind wegen irgendwas uneins, etwa darüber, was man mit einem Jungen machen soll, der eine Packung Kekse und ein Glas Nussnougatcreme klaut, dann einen ganzen Tag lang verschwindet und erst am Abend wieder auftaucht. Ich belege ihm die Brote, Großvater denkt. Er schenkt sich Kaffee nach und denkt weiter. Hm. Einmal hat er versucht, meine Schwester zu wecken, damit sie ihm die Brote schmiert - manchmal kann er ein unverbesserlicher Optimist sein. Es wäre realistischer und leichter gewesen, einen Toten zum Leben zu erwecken. Großvater denkt nach.
"Hast du tatsächlich eine Spinne in deinem Bauch, Junge?"
Ich schlucke. "Wenn ich eine im Magen hätte, könnte sie dann wachsen und wachsen und größer werden als ich selbst, mich am Ende in Stücke zerreißen und ich würde sterben?"
"Sind die Brote fertig? Gut, dann komm mit mir nach draußen in den Schuppen! Bei so etwas muss man gründlich sein, da taugen keine halben Sachen. Komm und sei leise!"





Jón Kalman Stefánsson (Reykjavík, 17. Dezember 1963)




Der deutsche Schriftsteller Hans Henny Jahnn wurde am 17. Dezember 1894 in Stellingen geboren. Der Sohn eines Schiffbauers besuchte ab 1904 die Realschule in St. Pauli, wo er auch Gottlieb Harms (1893–1931, später Musikschriftsteller) kennenlernte, dann ab 1911 die Oberrealschule Kaiser-Friedrich-Ufer in Hamburg-Eimsbüttel, auf der er 1914 sein Abitur machte. Jahnn emigrierte 1915 zusammen mit Harms nach Norwegen, um dem Ersten Weltkrieg zu entgehen. Ende 1918 kehrte er zunächst nach Hamburg zurück, zog dann für kurze Zeit aufs Land bei Eckel. Hier lebte er mit Gottlieb Harms und Franz Buse (1900–1971, damals Bildhauer). Auch andere Personen, wie Ellinor Philips (1893–1970), Jahnns spätere Ehefrau, wohnten dort. Obwohl sich Jahnn öffentlich nie dazu bekannte und heiratete, gilt als eindeutig erwiesen, dass er von Jugend an homosexuelle Beziehungen, so u. a. zu Harms, der seine große Liebe war und neben dem er bestattet liegt, unterhalten hat. 1919 gründeten Jahnn, Harms und Buse gemeinsam die Künstlergemeinschaft Ugrino. Die Gemeinschaft Ugrino wollte Kunstwerke aller Art erhalten und neue schaffen. Seit 1934 wohnte er auf Bornholm in Dänemark, wo seine Schwägerin Sibylle auf Jahnns Rat einen Bauernhof erworben hatte, den er bis 1950 bewirtschaftete. Auf Bornholm verfasste er auch den größten Teil seines Hauptwerkes Fluß ohne Ufer, einer gewaltigen Trilogie von über 2000 Seiten, deren letzten Band Epilog er nicht abschloss. 1950 kehrte er zurück nach Hamburg und setzte sich vor allem gegen die Entwicklung von Atombomben und die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik ein. Jahnn war Mitbegründer und erster Präsident der „Freien Akademie der Künste“ zu Hamburg.

Aus: Das Holzschiff

„Das Schiff fuhr mit dunklen bauchigen Segeln über den Abgründen, die mit Wasser ausgefüllt sind. Die Luft war ungewöhnlich lange nur voll leichter Wirbel gewesen. Der neue Tag, wie um den Triumph des weißen Lichtes zu überhöhen, war klar und kalt, ganz ausgeleuchtet mit dem Schimmer der silbrigen Helligkeit. Die Gegenstände an Deck erschienen allesamt hart, unförmig, gar nicht der geringen Bewegung von Wasser und Wind angemessen. Noch vor Abend strichen warme Schwaden um das Schiff. Unbegreiflich schnell mischte sich die fahle Kälte mit dem lauen Dunst. Nebelmauern rückten heran. Wolken, kaum wahrgenommen, fielen schon aus der Höhe herab und umdampften das Schiff. Masten und Segel wuchsen riesenhaft. Vor kurzem noch war der Horizont das Maß aller Dinge gewesen. Jetzt war das Sichtbare verengt. Das Gebilde aus Menschenhand schwebte im Nebelmeer, war von der Erde abgestürzt.“






Hans Henny Jahnn
(17. Dezember 1894 – 29. November 1959)

Dienstag, 16. Dezember 2008

Jane Austen, Rafael Alberti

Die britische Schriftstellerin Jane Austen wurde am 16. Dezember 1775 im Pfarrhaus des Ortes Steventon, Hampshire, geboren, wo ihr Vater als Geistlicher tätig war. Sie hatte sechs Brüder und eine ältere Schwester, der sie sehr nahe stand. Nach dem Tod ihres Vaters 1805 zogen Jane, ihre Mutter und ihre Schwester zunächst mit ihrem Bruder Francis und seiner Frau nach Southampton, wo sie bis 1809 lebten. Danach stellte ihnen Janes Bruder Edward, der von einem reichen Onkel adoptiert worden war, auf seinem Anwesen in Chawton ein kleines Landhaus zur Verfügung. Heute ist dieses Haus ein kleines Museum. Jane heiratete nie; eine Verlobung mit dem jüngeren Harris Bigg-Wither löste sie auf. Als etablierte Romanautorin lebte sie in relativer Zurückgezogenheit und wurde schließlich schwer krank. Ihre Werke, besonders Emma, werden oft als formal perfekt gelobt, während die moderne Rezeption immer neue Sichtweisen auf Jane Austens scharfe Kommentierung der Lage junger lediger Frauen der „Gentry“ (der höheren bürgerlichen Schicht) im England des frühen 19. Jahrhunderts zu Tage fördert. Besonders Walter Scott lobte sie sehr. Seitdem hat die Anerkennung, die man ihrer Arbeit zollt, nur zugenommen; heute gilt sie als eine der größten englischen Romanautorinnen.

Aus: Emma

“EMMA WOODHOUSE, handsome, clever, and rich, with a comfortable home and happy disposition seemed to unite some of the best blessings of existence; and had lived nearly twenty-one years in the world with very little to distress or vex her.

She was the youngest of the two daughters of a most affectionate, indulgent father; and had, in consequence of her sister's marriage, been mistress of his house from a very early period. Her mother had died too long ago for her to have more than an indistinct remembrance of her caresses; and her place had been supplied by an excellent woman as governess, who had fallen little short of a mother in affection.

Sixteen years had Miss Taylor been in Mr. Woodhouse's family, less as a governess than a friend, very fond of both daughters, but particularly of Emma. Between them it was more the intimacy of sisters. Even before Miss Taylor had ceased to hold the nominal office of governess, the mildness of her temper had hardly allowed her to impose any restraint; and the shadow of authority being now long passed away, they had been living together as friend and friend very mutually attached, and Emma doing just what she liked; highly esteeming Miss Taylor's judgment, but directed chiefly by her own.

The real evils, indeed, of Emma's situation were the power of having rather too much her own way, and a disposition to think a little too well of herself: these were the disadvantages which threatened alloy to her many enjoyments. The danger, however, was at present so unperceived, that they did not by any means rank as misfortunes with her."






Jane Austen (16. Dezember 1775 – 18. Juli 1817)





Der spanische Dichter Rafael Alberti wurde am 16. Dezember 1902 in El Puerto de Santa María (Cádiz) geboren. Er wird der sogenannten Generación del 27 zugerechnet, die nach dem 300.Todestag von Luis de Góngora benannt ist, dessen Werke sie bekannter machen wollte. Als Jugendlicher widmete er sich erst der Malerei, bevor er sich endgültig der Dichtung hingab. In Deutschland wohl am bekanntesten ist sein erster Gedichtband, Mar y tierra, später in Marinero en tierra umbenannt (dt. von "Meer und Erde" in "Matrose auf Landgang" umbenannt) und seine Memoiren La arboleda perdida (dt. Der verlorene Hain). Nachdem 1939 im Spanischen Bürgerkrieg die republikanischen Kräfte unterlagen, ging er nach Argentinien ins Exil, wo er auch nach dem Militärputsch bis 1963 blieb. Nach einigen Jahren in Italien kehrte er 1977 wieder ins demokratische Spanien zurück und saß auch für die kommunistische Partei im Parlament.


Matrose an Land

Wenn meine Stimme an Land stirbt,
bringt sie hinunter ans Meer
und laßt sie mir am Strande.

Bringt sie hinunter ans Meer
und ernennt sie zum Kapitän
auf einem weißen Kriegsschiff.

Oh, meine Stimme mit dem
großen Seemannsorden!
Über dem Herzen ein Anker
und über dem Anker ein Stern
und über dem Stern der Wind
und über dem Wind das Segel!






Getäuscht hat sich die Taube

Getäuscht hat sich die Taube.
Sie hat sich getäuscht.

Um nach Norden zu fliegen, flog sie nach Süd.
Sie glaubte der Weizen sei Wasser.
Sie hat sich getäuscht.

Sie glaubte das Meer sei der Himmel,
die Nacht sei früher Morgen.
Sie hat sich getäuscht.

Die Sterne seien Tau,
die Hitze Schneegestöber.
Sie hat sich getäuscht.

Dein Rock sei deine Bluse,
in deinem Herzen sei ihr Nest.
Sie hat sich getäuscht.

(Sie schlief am Ufer. — Du
auf der Spitze eines Zweiges.)




Übersetzt von Erwin Walter Palm





Rafael Alberti (16. Dezember 1902 – 27. Oktober 1999)

Montag, 15. Dezember 2008

Ingo Schulze, Klaus Rifbjerg

Der deutsche Schriftsteller Ingo Schulze wurde am 15. Dezember 1962 in Dresden geboren. Schulze, Sohn eines Physikprofessors und einer Ärztin, wuchs nach der Scheidung der Eltern bei seiner Mutter auf. Nach seinem Abitur 1981 absolvierte er den Grundwehrdienst in der NVA; bis 1988 studierte er Klassische Philologie an der Universität Jena. Anschließend war Schulze für zwei Jahre als Dramaturg am Landestheater Altenburg, das er verließ, um als Journalist zu arbeiten: 1990 gründete er die »unabhängige Zeitung« Altenburger Wochenblatt, die bis Herbst 1991 erschien, sowie ein Offertenblatt namens Anzeiger; beide wurden im Altenburger Verlag publiziert, dessen Geschäfte Schulze bis Ende 1992 leitete. Anfang 1993 ging er im Auftrag eines Geschäftsmannes nach Russland, wo er die Annoncenzeitung Привет Петербург (Privet Peterburg) lancierte. Seit Mitte der 90er-Jahre lebt Schulze als freier Schriftsteller in Berlin.

Aus: Neue Leben

“Ich weiß nicht, wann ich Michaela das letzte Mal so ausgelassen und schön gesehen habe wie bei diesem Essen. Als wir vom Tisch aufstanden, fragte sie, worüber Herr Steen denn so gelacht habe, und Georg antwortete, das sei ihm auch nicht ganz klargeworden. Aber Herr Steen hege die Absicht, uns zwanzigtausend D-Mark in die Hand zu drücken. Für zwanzigtausend D-Mark, sagte Michaela, könne man diese Ungewißheit in Kauf nehmen.
Um fünf sollten wir in Offenburg sein. Wir hatten uns hingelegt und ein weinig verschlafen, doch als wir ankamen, stieg die Altenburger Delegation gerade erst aus dem Bus. Die Offenburger waren irritiert, keinen Anführer in dem erwartungsfrohen Haufen ausmachen zu können. Ihr braungebrannter Bürgermeister schüttelte alle Hände und stellte sich trotz seiner Größe immer wieder auf die Zehenspitzen, als fürchtete er, jemanden übersehen zu haben. Wie zuvor Steen bot er Michaela seinen Arm und führte sie ins Rathaus, wo er eine Art Führung mit uns veranstaltete. Er legte Wert darauf, daß Michaela jeden Raum vor ihm betrat.
Wir bewunderte die cremefarbenen Teppichböden, die Computer, die Schreibtische, die Tastentelephone und ließen uns in den Sessel des Bürgermeisters fallen. Zum Abschluß wurde mit Sekt angestoßen, das Knabberzeug war schnell weg.
Ein zierlicher Mann in einem gelben Pullover blieb wie zufällig neben mir stehen und fragte nach einer Weile, ob ich ihm vielleicht etwas erklären könnte. Er bedankte sich im voraus und schilderte mir sein Problem: Täglich erhalte er aus Altenburg zehn bis zwanzig kleine Päckchen, in jedem befinde sich ein Skatspiel mit einer farbigen weiblichen Aktphotographie als Deckblatt. Die Leute wünschten sich Adressen in Offenburg. Er sah mich an. Was denn nun die Frage sei, wollte ich wissen. Mit einem Finger fuhr er sich in den Kragen seines Pullovers, betrachtete mich noch einen Moment, dankte mir und entfernte sich so unbemerkt, wie er erschienen war."






Ingo Schulze (Dresden, 15. Dezember 1962)





Der dänische Lyriker und Schriftsteller Klaus Rifbjerg wurde am 15. Dezember 1931 in Kopenhagen geboren. Rifbjerg wuchs auf der Insel Amager im Öresund, Ostküste von Sjælland, auf. Seine Eltern waren beide Lehrer und Rifjberg wurde relativ frei erzogen. Später studierte er Englisch und Literatur, sowohl in Kopenhagen als auch ein Jahr in den USA. Er brach sein Studium jedoch ab, um zuerst Regisseur und später Kritiker und Verfasser zu werden. Der Durchbruch gelang ihm 1958 mit dem Roman Den kroniske Uskyld in dem es um Teenager und ihre sexuellen Erfahrungen und Probleme geht. Dieser Roman wurde auch, unter der Leitung von Edward Fleming im Jahr 1985 verfilmt. Seit 1956 veröffentlichte er über 100 Romane sowie Gedicht- und Novellensammlungen, Schauspiele, Fernseh- und Hörspiele, Filmmanuskripte, Kinder- und Tagebücher.


VORMITTAG

Man sollte sich konzentrieren auf die Schale mit Kirschen

Und Äpfeln. Die ist so schön und führt die Gedanken weg von
All dem Überflüssigen, das uns beschäftigt,
Tagein, tagaus.

Die Äpfel und die Kirschen in der Keramikschale
Rufen Cézanne in Erinnerung und alle die Bilder
Mit Frucht in Schalen, die man die Jahre über gesehen hat,
Alle die Stillleben mit ihrer unaufdringlichen Ruhe.

Fasziniert betrachte ich den Weg eines Käfers zur Schale.

Ich kenne dessen Namen nicht, es ist ein gewöhnlicher Käfer,
Trotzdem spüre ich die Hand sich spannen zum
Erheben und klatsch.

Es ist Vormittag, einer von Tausenden, wie man so sagt,
Und nichts geschieht, nicht das Geringste. Der Käfer
Versucht nicht, die Schale zu erklimmen, sondern läuft
Drumherum und verschwindet.

Es wird allmählich langweilig. Dann entdecke ich
Einen Schatten hinter der Tür. Ich kenne dessen Namen nicht,
Habe jedoch eine Ahnung. Die Äpfel und die Kirschen liegen
vergänglich schön immer noch in der Schale.

Es ist Vormittag, einer von Tausenden, wie man so sagt.




Übersetzt von Lutz Volke






Klaus Rifbjerg (Kopenhagen, 15. Dezember 1931)

Sonntag, 14. Dezember 2008

Hervé Guibert, Andreas Mand, Paul Eluard

Der französische Schriftsteller Hervé Guibert wurde geboren am 14. Dezember 1955 in Paris. Guibert war Fotograf und Fotokritiker bei "Le Monde". Mit Patrice Chereau schrieb er das Drehbuch zu "Der verführte Mann". Weiter schrieb er Erzählungen und einen autobiographisch gefärbten Roman ("Der Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat".) 1991 starb Hervé Guibert in Paris an Aids. Sieben Jahre dauerte die Freundschaft Guiberts mit Vincent. Sie begann, als der Junge 15 Jahre alt war, und endet, als er im Drogenrausch aus dem Fenster springt. Anhand von Zitaten aus seinem Tagebuch ruft sich der Autor in Verrückt nach Vincent die gemeinsame, wechselvolle Geschichte ins Gedächtnis zurück

Aus: Verrückt nach Vincent (Fou de Vincent, übersetzt von J. Schlegel)

“Was war es? Eine Leidenschaft? Eine Liebe? Eine erotische Zwangsvorstellung? Oder eine meiner Erfindungen? Sah im Schaufenster eines Ladens für Zaubereiartikel eine schwarze Bakelitschachtel, in Form einer fliegenden Untertasse, die über Lupen und Spiegel ein Hologramm erzeugt. Man muß ein Objekt hineinlegen, zum Beispiel ein Goldstück oder einen Ring, damit es sich auf einer transparenten Fläche im Deckel dreidimensional widerspiegelt. Man glaubt, es wegnehmen zu können, es ist aber ungreifbar. Ich komme in Versuchung, das Ding zu kaufen, um etwas darin einzuschließen, das Vincent gehört hat und das mich durch diese eigenartige Illusion an ihn erinnert, aber kein Einfall (eine Haarlocke, ein Foto) entspricht meiner Lust auf den Apparat. Allenfalls für sein Geschlechtsteil wäre dieser Reliquienschrein der rechte Platz. Ich kämme mich nie. Ich reibe mein feuchtes Haar in einem Handtuch und fahre dann mit den Fingern hindurch, um es in Form zu bringen. Gestern, ich weiß nicht, warum, hab ich den kleinen Kamm bemerkt, den mir Vincent geschenkt hat, ganz vereinsamt auf dem Brett im Badezimmer (er hat mir so selten Geschenke gemacht), ich nahm ihn, kämmte mich damit, der Kamm wurde zum magischen Gegenstand. Vincent hatte in dem Kamm seine Zauberformel hinterlassen: «Wenn du mich eines Tages brauchst – nimm den Kamm, und ich komme!»
Ich spitze die Ohren, aber das Telefon klingelt nicht. Am nächsten Morgen: Ich kämme mich wieder, vielleicht bekommt der Kamm seine Zauberkraft erst beim zweiten Gebrauch. Tags darauf kämme ich mich noch einmal: Vielleicht wirkt er erst beim dritten Mal, usf.”





Hervé Guibert (14. Dezember 1955 – 27. Dezember 1991)




Der deutsche Schriftsteller Andreas Mand wurde am 14. Dezember 1959 in Duisburg geboren. Mand veröffentlichte 1982 sein erstes Buch „Haut ab. Ein Schulaufsatz“. Seine späteren Werke sind größtenteils Romane, wobei die Gattungsbezeichnung stets locker interpretiert ist. Der (Anti-)Held des Debüts, Paul Schade, steht auch im Mittelpunkt weiterer Bücher, in Reihenfolge der Handlungszeit etwa: „Kleinstadthelden“ (1996), „Das rote Schiff“ (1994), „Paul und die Beatmaschine“ (2006) und „Vaterkind“ (2001). Die Romane Mands erschienen größtenteils in unabhängigen Verlagen. Details der abenteuerlichen Publikationsgeschichte lassen sich teilweise ihnen selbst entnehmen. Bekannt wurde Mand mit seinem Kindheits-Roman „Grovers Erfindung“ (1990), später erweitert um "Grover am See" (1992).

Aus: Kleinstadthelden

„Als ich jung war und alles wichtig war, lebte ich in einer anderen Stadt, zweieinhalb Bahnstunden von meinen Eltern entfernt. Mein Zimmer lag zur Straßenseite im ersten Stock eines schmalen Mietshauses, an einer engen, gepflasterten Straße in der Nähe der Fußgängerzone.
Es war eine Einbahnstraße, durch die nicht viele Autos fuhren, aber wenn doch, hörte man sie durch die einfachen Fensterscheiben ziemlich gut. Morgens hörte man die Anlasser der Wagen, mit denen die Anwohner zur Arbeit fuhren, und tagsüber ein untertouriges Brummen, wenn versprengte Pendler und Einkäufer den letzten freien Parkplatz suchten. Abends sangen die Kneipengänger "Olé, olé, olé" oder "Wir fahren in den Puff von Barcelona" auf dem Rückweg.
Doch all diese Geräusche waren leichter zu ertragen als das unablässige Hämmern und Kreischen von der Großbaustelle, keine 50 Meter weiter. Das Zittern des Bodens übertrug sich auf die Schaumstoffmatratze und weckte mich auf.
Ich hatte einen angenehmen Wohngefährten und ziemlich unangenehme Nachbarn. Gegenüber zum Beispiel war ein Möbelgeschäft, dessen Auslagen mein Auge genauso irritierten wie mein Äußeres den glattrasierten Besitzer und seine Frau. Solange mein Mofa vor ihrem Schaufenster parkte, führten sie richtig Krieg gegen mich. Sie beschwerten sich täglich bei der Vermieterin und gingen dazu über, wie ich natürlich nie beweisen konnte, es nachts heimlich umzukippen. Es gab keinen Hof, in das man es stellen konnte, und der Bürgersteig auf meiner Seite war höchstens einen halben Meter breit. Der Ärger hörte erst auf, als ich mir ein Fahrrad besorgte, das man immerhin in den niedrigen Keller tragen konnte.
Im Flur war kein Platz dafür, das sah ich ein, und im Grunde genommen hat die achtundsiebzigjährige Vermieterin, die im Erdgeschoß wohnte, nur durchgesetzt, was sich aus architektonischen und sozialen Gegebenheiten zwingend ergab. Drei Versprechen hatte sie mir beim Einzug abgenommen: Gardinen aufzuhängen, alle zwei Wochen die Treppe zu putzen und die Haustür auch tagsüber abzuschließen.“






Andreas Mand (Duisburg, 14. Dezember 1959)





Der französische Dichter Paul Éluard, eigentlich Eugène-Émile-Paul Grindel, wurde am 14. Dezember 1895 in Saint Denis bei Paris geboren. Er wuchs in geordneten bürgerlichen Verhältnissen auf und besuchte nach der staatlichen Volksschule die Oberschule, die er als mittelmäßiger Schüler mit 16 Jahren abschloss. Im Jahre 1927 trat er mit Louis Aragon, André Breton, Benjamin Péret und Pierre Unik der Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF) bei, von der er jedoch bereits 1933 wieder ausgeschlossen wurde. Zwei Jahre später lernte er den Maler Salvador Dalí kennen; seinetwegen ließ sich seine Frau Gala 1932 von ihm scheiden. Doch er schrieb ihr bis zum Ende seines Lebens Liebesbriefe. Den Zweiten Weltkrieg verbrachte er mit seiner 1918 geborenen Tochter Cécile in Paris. 1938 wurde Éluard aus der surrealistischen Gruppe um Breton ausgeschlossen. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht ging er in den Untergrund und engagierte sich in der Résistance. 1942 trat er wieder der KPF bei und wurde zu einer Art sozialistischem Dichter-Star. Zehn Jahre später starb Éluard, inzwischen verarmt, an einem Herzinfarkt und wurde auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris beigesetzt.


Pour vivre ici

Je fis un feu, l'azur m'ayant abandonné,
Un feu pour être, son ami,
Un feu pour m'introduire dans la nuit d'hiver
Un feu pour vivre mieux.

Je lui donnai ce que le jour m'avait donné :
Les forêts, les buissons, les champs de blé, les vignes,
Les nids et leurs oiseaux, les maisons et leurs clés,
Les insectes, les fleurs, les fourrures, les fêtes.

Je vécus au seul bruit des flammes crépitantes,
Au seul parfum de leur chaleur;
J'étais comme un bateau coulant dans l'eau fermée,
Comme un mort je n'avais qu'un unique élément.




Je te l'ai dit

Je te l'ai dit pour les nuages
Je te l'ai dit pour l'arbre de la mer
Pour chaque vague pour les oiseaux dans les feuilles
Pour les cailloux du bruit
Pour les mains familières
Pour l'oeil qui devient visage ou paysage
Et le sommeil lui rend le ciel de sa couleur
Pour toute la nuit bue
Pour la grille des routes
Pour la fenêtre ouverte pour un front découvert
Je te l'ai dit pour tes pensées pour tes paroles
Toute caresse toute confiance se survivent.






Paul Eluard (14. Dezember 1895 – 18. November 1952)

Suche

 

Status

Online seit 6078 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 23. Jan, 19:14

Credits

Zufallsbild

DiPrima

Counter


Weltliteratur
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren