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Weltliteratur

Montag, 23. März 2009

Nils-Aslak Valkeapää, Yōko Tawada

Der samische Schriftsteller, Musiker, Künstler und Schauspieler Nils-Aslak Valkeapää wurde am 23. März 1943 in Enontekiö, Finnisch-Lappland, geboren. Die samische Tradition des Joik-Gesangs nahm in seinem musikalischen wie auch in seinem künstlerischen und schriftstellerischen Schaffen einen zentralen Platz ein. Seinen eigenen künstlerischen Ruf begründete er als Joik-Interpret. In den 1960ern suchten junge Samen nach ihren kulturellen Wurzeln und Valkeapää wurde einer der prominentesten Vertreter dieser neuen Generation von Joikern. Seine ersten Plattenaufnahmen, Jojkuja von 1968, enthielten „modernisierte“ Joiks.
Als Schriftsteller bediente er sich hauptsächlich des Samischen, Übersetzungen gibt es vor allem ins Finnische und auch in die Skandinavischen Sprachen. Seine Popularität ist am größten in Norwegen – dem Land der größten samischen Gemeinschaft. Seine erste Veröffentlichung war ein politisches Pamphlet namens Hilsen fra Sameland (dt. Grüße aus dem Land der Samen) an die Adresse der herrschenden Norweger. Er wurde der erste Sekretär des Weltrats der Indigenen Völker (World Council of Indigenous Peoples). In dieser Position war er eine Inspirationsquelle, nicht allein für samische Künstler, sondern auch für Mitglieder von indigenen Völkern auf der ganzen Welt. Er veröffentlichte insgesamt acht Gedichtsammlungen. Eine seiner bekanntesten ist Beaivi áhčážan, die unter anderem ins Englische übersetzt wurde, unter dem Titel The Sun, My Father.


Can you hear the sound of life
in the roaring of the creek
in the blowing of the wind

That is all I want to say
that is all


*



this is my life
winds and smoky snow
sunshine and drizzle
the sound of bells and dogs barking
the bluethroat singing
in the tundra as wide as a sea

that is how my life’s rain falls
winds blow
ice rumbles
storms howl across the tundras

this is my life
its sorrows tears the heart’s crying
its happiness and joy
and delight
yesterday and today
brothers and sisters
young and old
men and women

this is my life
I am a part of nature
I feel I know
The yoik in wind
The bird’s singing in summer night




Übersetzt von Harald Gaski, Lars Nordström und Ralph Salisbury








Nils-Aslak Valkeapää (23. März 1943 – 26. November 2001)




Die japanische Schriftstellerin Yōko Tawada wurde am 23. März 1960 in Nakano, Tokio, geboren. Sie studierte in Japan Literaturwissenschaft (Schwerpunkt russische Literatur). 1979 kam sie zum ersten Mal mit der transsibirischen Eisenbahn nach Deutschland. Ab 1982 wohnte Yoko Tawada in Hamburg. Dort studierte sie Neuere Deutsche Literaturwissenschaft bei Sigrid Weigel. Seit 2006 wohnt sie in Berlin. Erste literarische Veröffentlichung 1986 in "Japan-Lesebuch". Erste Buchveröffentlichung in Deutschland 1987, in Japan 1992. 1999 Veröffentlichung einer CD mit Aki Takase sowie auf Raster-Noton mit Noto ("13"). Sie schreibt in deutscher und japanischer Sprache Essays, Prosa, Theaterstücke, Hörspiele und Lyrik.
Sie erhielt u.a. den Förderpreis für Literatur der Stadt Hamburg (1990), den Adelbert-von-Chamisso-Preis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (1996), die Goethe-Medaille 2005. Trotz der vielen Preise macht sie um sich selbst, ihre Werke und ihr Privatleben wenig Aufhebens

Aus: An der Spree

Ich bin in Europa, ich weiß nicht, wo ich bin. Eines ist sicher: der Nahe Osten ist von hier aus ganz nah. Der Ort, von dem aus der Nahe Osten ganz nah ist, heißt Europa. Als ich noch im Fernen Osten lebte, war der Nahe Osten ganz fern. Auch das war aber ein Irrtum. Der Nahe Osten war nicht so fern vom Fernen Osten, wie man im Fernen Osten gedacht hatte. Die Seidenstraße verband einen Punkt schnell mit einem anderen. So wurde die alte Kaiserstadt Kyoto von den Persern gebaut, die über China weiter nach Japan gewandert waren. Kyoto ist also eine persische Stadt. Der Nahe Osten ist der Ort, der von überall aus nah ist.
Europa liegt dort, wo die Seidenstraße endet. Aber da die Seidenstraße heute zerstört und zerschnitten ist, kann man keine Linie bis Europa ziehen. Sollte man die komplizierte Mitte überfliegen? Kann eine geflügelte Maschine das Ziel erreichen, ohne den flammenden Weg zu berühren? Ich stand auf dem Flughafen Tokyo-Narita und las die blinkenden Ortsnamen auf der Tafel: Amsterdam, Brüssel, Frankfurt, Helsinki, Istanbul, London, Madrid, Moskau, Paris, Rom, Wien. Sie standen da wie bunt eingepackte Weihnachtsgeschenke. Europa liegt dort, 12 wo die Flugzeuge landen. Sie landen aber nicht immer dort, wo die Landung geplant ist.
Mit dem Warszawa-Express kam ich in „Berlin Zoologischer Garten“ an und entdeckte in „Berlin“ ein „B“, im „Zoologischen“ ein C und im „Garten“ ein A. Das Alphabet erinnerte mich immer an den Nahen Osten. Vilém Flusser schrieb: „Das A zeigt noch immer die Hörner des syriakischen Stiers, das B noch immer die Kuppeln des semitischen Hauses, das C (G) noch immer den Buckel des Kamels in der vorderasiatischen Wüste.“








Yōko Tawada (Tokyo, 23. März 1960)

Sonntag, 22. März 2009

Wolfgang Bächler, Albrecht Goes

Der deutsche Lyriker und Schriftsteller Wolfgang Bächler wurde am 22. März 1925 in Augsburg geboren. Wolfgang Bächler war der Sohn eines Landgerichtspräsidenten. Er besuchte die Volksschule in Bamberg und das Gymnasium in München und Memmingen. 1943 legte er sein Abitur ab, anschließend wurde er zum Arbeitsdienst, später als Soldat zur Wehrmacht eingezogen. 1944 erlitt er eine schwere Verwundung in den französischen Alpen. Er geriet in Kriegsgefangenschaft, aus der er befreit wurde. Nach Lazarettaufenthalten in Süddeutschland schloss sich eine erneute Kriegsgefangenschaft an, aus der er floh. Von 1945 bis 1948 studierte Bächler Germanistik, Romanistik, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft an der Universität München. 1947 nahm er als jüngstes Mitglied an der ersten Tagung der Gruppe 47 teil. In den folgenden Jahren war er vor allem journalistisch tätig. Bächler war in den Fünfzigerjahren ein von Kollegen wie Gottfried Benn und Karl Krolow hochgeschätzter Autor; seine Lyrik und Kurzprosa ist in ihrer Behandlung existenzieller Themen mit den Werken Wolfgang Borcherts verglichen worden. Ein ausgeprägtes depressives Leiden führte zu großen Schaffenspausen in Bächlers Leben, war allerdings auch die Inspiration für seine „Traumprotokolle“.


Bahnhof

Regen.
Der Zug hat Verspätung.
Ich warte auf dich.
Aber so lange kann kein Zug sich verspäten,
wie ich gewartet habe
auf dich
bevor ich dich kannte.




Frost

Frost weckt uns auf.
Wir werfen Mäntel
über die Träume
und knüpfen sie zu.
Der Wind verhört uns.
Wir sagen nichts aus,
treten auf unsere Schatten.
Unter den Bäumen im Schnee
finde ich die zertanzten Schuhe
der zwölf Prinzessinnen.
Ich hebe sie auf.








Wolfgang Bächler (22. März 1925 – 24. Mai 2007)




Der deutsche Schriftsteller und Theologe Albrecht Goes wurde am 22. März 1908 in Langenbeutingen geboren. Nach dem frühen Tod seiner Mutter 1911 kam er 1915 zur Großmutter nach Berlin-Steglitz, wo er bis 1919 das Gymnasium besuchte. Von 1919 bis 1922 ging er in Göppingen zur Schule. Ab 1926 studierte er Germanistik und Geschichte, später Theologie in Tübingen und ab 1928 Theologie in Berlin, wo er von Romano Guardini beeinflusst wurde. Goes wurde 1930 in der Tuttlinger Stadtkirche zum Pfarrer ordiniert und war 1931 Stadtvikar in der Martinskirche in Stuttgart. 1933 trat er seine erste Pfarrstelle in Unterbalzheim an.
Im Zweiten Weltkrieg wurde er 1940 einberufen und zum Funker ausgebildet und danach in Rumänien eingesetzt. 1942 bis 1945 war er als Geistlicher im Lazarett und im Gefängnis in Russland, Polen, Ungarn und Österreich tätig. Nach dem Krieg war er wieder Pfarrer in Gebersheim, bis er 1953 den Pfarrdienst quittierte und von da an als freier Schriftsteller wirkte. Bereits 1932 erschienen mit Verse und dann 1934 mit Der Hirte erste Gedichtbände. 1950 veröffentlichte er die Erzählung Unruhige Nacht. Die 1954 erschienene Erzählung Das Brandopfer thematisiert die Judenverfolgung während des Dritten Reiches. Seine beiden Werke Unruhige Nacht und Das Brandopfer wurden verfilmt.



Nach schwerem Winter

Ob dir gleich in winterwährend
Dunkler Welt den Sinn versehrt
Schwermut, die der süßen Hoffnung
Flügelschlag und Flug verwehrt,

Ob der Hall vom Schrei der Krähen
Dir im Ohr noch, lang und bang,
Und aus Nächten, vieldurchwachten,
Klagender, des Windes Klang –

Ach das Herz, es mild zu trösten,
Ist das Kleine groß genug:
Eine gelbe Krokusblüte,
Einer Wolke Frühlingszug.




Landschaft der Seele

Kein Himmel, nur Gewölk ringsum
Schwarzblau und wetterschwer.
Gefahr und Angst. Sag: - wovor?
Gefahr: und sprich - woher?
Rissig der Weg. Das ganze Feld
Ein golden-goldner Brand.
Mein Herz, die Hungerkrähe fährt
Kreischend über das Land.








Albrecht Goes (22. März 1908 – 23. Februar 2000)

Samstag, 21. März 2009

Hamid Skif, Jean Paul, Hubert Fichte

Der algerische Schriftsteller und Journalist Hamid Skif wurde am 21. März 1951 als Mohamed Benmebkhout im algerischen Oran geboren. Er arbeitete als Reporter, gründete eine Zeitschrift und den algerischen Journalistenverband und war Mitglied einer Theatergruppe in Algier. Wegen seiner gesellschaftskritischen Schriften wurde er von der algerischen Regierung drangsaliert und erhierlt mehrere Morddrohungen seitens islamischer Fundamentalisten. Als ihn 1997, während des algerischen Bürgerkrieges, ein Anschlag auf sein Leben nur knapp verfehlte, floh Skif mit seiner Familie nach Hamburg. Er veröffentlicht Lyrik, Prosa und Theaterstücke. Hamid Skif lebt mit seiner Frau und seinen vier Kindern nach wie vor in Hamburg.

Aus: Geografie der Angst (Übersetzt von Andreas Münzner)

„Nichts mehr zu essen. Was ist mit Michel passiert? Er hat vergessen zu kommen.
Gestern bin ich trotz meiner Probleme beim Gehen zwischen ein und zwei Uhr nachts auf meinen wöchentlichen Spaziergang gegangen. Ich habe in Mülleimern gewühlt. Kommt er heute noch oder ist er der Last überdrüssig geworden?
Schlechte Neuigkeiten. In den Hangars beim Flughafen haben sie Tausende von Illegalen eingesperrt. Über das Radio werden die Leute aufgefordert, der Polizei, deren Belegschaft durch Truppen verstärkt wurde, tatkräftig zur Hand zu gehen. Die kleine Alte ist wieder am Fenster aufgetaucht. Sie schiebt ganz offensichtlich Wache. Meine Angst ist um eine Stufe gestiegen. Ich habe alle Bücher außer eines, das ich in Reserve halte, verschlungen und die Zeitungslektüre wieder aufgenommen. Jeden Tag lese ich einen alten Bericht noch einmal und erfinde eine Fortsetzung. Katastrophe, Unfall, Mord, der ganze Katalog der Vermischten Meldungen wird durch-exerziert. Ich liebe es, Dialoge zwischen Gefangenen zu erfinden – ob das ein Zufall ist?“







Hamid Skif (Oran, 21. März 1951)




Der deutsche Dichter Jean Paul wurde am 21. März.1763 in Wunsiedel (Fichtelgebirge) geboren. Sein Vater war Organist und Dorfpfarrer. Sein richtiger Name war Johann Paul Friedrich Richter. Er wuchs unter ärmlichen Verhältnissen auf. Er besuchte ab 1779 das Gymnasium in Hof, wo er bei seinen Großeltern lebte. 1781 bis 1784 studierte er Theologie und Philosophie in Leipzig. Die Bemühungen, sein Studium durch Privatstunden zu finanzieren, scheiterten, er mußte es wegen Armut abbrechen. Von 1790-1794 arbeitete er als Lehrer an der von ihm gegründeten Elementarschule in Schwarzenbach, bis ihm der Erfolg seiner Bücher Unabhängigkeit vom reinen Broterwerb brachte. Er lebte von 1798-1800 in Weimar, wo er Herder, Goethe und Schiller begegnete. Bis 1803 arbeitete er als Legationsrat in Meiningen, danach in Coburg und Bayreuth. Jean Paul erblindete 1824.

Aus: Dr. Katzenbergers Badereise

“Daß sich niemand als Wagen-Mitbelehnter meldete, war ihm als Mittelmanne herzlich einerlei, da er mit der Anzeige schon genug dadurch erreichte, daß mit ihm kein Bekannter von Rang umsonst mitfahren konnte. Er hatte nämlich eine besondere Kälte gegen Leute von höherem oder seinem Range und lud sie deshalb höchst ungern zu Diners, Gouters, Soupers ein und gab lieber keine; leichter besucht' er die ihrigen zur Strafe und ironisch; – denn er denke (sagte er) wohl von nichts gleichgültiger als von Ehren-Gastereien, und er wolle ebensogern à la Fourchette des Bajonetts gespeiset sein, als feurig wetteifern mit den Großen seiner Stadt im Gastieren, und er lege das Tischtuch lieber auf den Katzentisch. Nur einmal – und dies aus halbem Scherz – gab er ein Gouter oder Degouter, indem er um 5 Uhr einer Gesellschaft seiner verstorbnen Frau seinen Tee einnötigte, der Kamillen-Tee war. Man gebe ihm aber, sagte er, Lumpenpack, Aschenbrödel, Kotsassen, Soldaten auf Stelzfüßen: so wüßt' er, wem er gern zu geben habe; denn die Niedrigkeit und Armut sei eine hartnäckige Krankheit, zu deren Heilung Jahre gehören, eine Töpfer- oder Topf-Kolik, ein nachlassender Puls, eine fallende und galoppierende Schwindsucht, ein tägliches Fieber; – venienti aber, sage man, currite morbo, d.h. man gehe doch dem herkommenden Lumpen entgegen und schenk' ihm einen Heller, das treueste Geld, das kein Fürst sehr herabsetzen könne.”








Jean Paul (21. März 1763 – 14. November 1825)
Statue in Bayreuth





Der deutsche Schriftsteller Hubert Fichte wurde am 21. März 1935 in Perleberg, Brandenburg, geboren. Er absolvierte eine Ausbildung zum Schauspieler als auch eine Lehre in der Landwirtschaft und lebte ab 1961 in Hamburg. Nach missglückten dramatischen Versuchen veröffentlichte er unter anderem den Erzählband Der Aufbruch nach Turku (1963), Das Waisenhaus (1965), Die Palette (1968) und Detlevs Imitationen "Grünspan" (1971). Ein Teilvorabdruck aus dem Roman "Detlevs Imitationen - Grünspan" erschien mit einem Portrait von Hubert Fichte in der Zeitschrift konkret, Nr. 20 im Jahr 1970.
Zu seinen prägenden Einflüssen gehörte neben Marcel Proust Hans Henny Jahnn, den Fichte 1949 kennenlernte, aber auch Jean Genet, mit dem er ein vielbeachtetes Interview geführt hat. Sein Verhältnis zu Jahnn - und dessen Einfluss auf die Entdeckung der eigenen Homosexualität - hat Fichte in seinem letzten zu Lebzeiten erschienenen Roman Versuch über die Pubertät (1974) dargestellt, mit dem er seinen autobiografisch inspirierten roman-fleuve vorläufig zu einem Abschluss brachte. In den 1970er Jahren beschäftigte sich Fichte zunehmend mit ethnologischen Untersuchungen. Von 1971 bis 1975 hielt er sich hierzu in Bahia (Brasilien), Haiti und Trinidad auf.

Aus: St. Pauligeschichte

“Davidstraße. – Über der Elbe ein Dunstlicht von Werften und Schiffen. – Eine Frau zieht vorbei; drei Katzen und fünf Hunde hält sie an kleinen Zügeln. – Der Duft des Flußwassers weht heran. Doch ich will nicht zum Strom hinunter. Um diese Zeit breitet sich am diesseitigen Ufer eine graue, – schwarze, – schwerblaue Einsamkeit zwischen Häuser und Gerüste. – Ich kehre dem Hafen den Rücken –, ich schlage auch nicht den Weg zum Pinnasberg ein, mit den vertrauten und unheimlichen Schenken und schlendre sogar an dem freundlichen Konditorladen voll billiger, kranker Mädchen vorüber.
Mich erfüllt ein unerträglicher Durst in der lauen Vergnügungsunruhe.
Die Lichter der Reeperbahn zucken auf, zittern, – verlöschen und blitzen heftiger wieder hervor. – Eine gleißende, bonbongetönte Fuge.

Ich gehe in die „Lorelei“. Neulich bei meinem nächtlichen Streifzug durch homosexuelle Lokale habe ich sie ausgelassen.
Auf den Tischen stehen Getränkekarten; das Bier hier ist nicht teurer als in jeder gewöhnlichen Kneipe. Es fehlt jener peinliche Geruch der Vereinskrämerei, welcher sich in gewissen Bars schon durch die teuren Getränkepreise aufdrängt.
Auf den zweiten Blick entdecke ich einen prominenten Buchhändler der Hansestadt. Wir begrüßen uns distanziert.
Arbeiter sonst. –
Sie trinken ihr Bier und sehen sich tief in die Augen. An der Theke lehnen sie dicht nebeneinander. – Ich kann ihnen wohl ansehen, daß sie „so“ sind. Dennoch wirken sie natürlich, unauffällig, einfach. Vielleicht sind sie nur ein wenig sentimentaler, als sie es sonst wären.”







Hubert Fichte (21. März 1935 – 8. März 1986)

Freitag, 20. März 2009

Friedrich Hölderlin, Jens Petersen

Der deutsche Lyriker Friedrich Hölderlin wurde am 20. März 1770 in Lauffen am Neckar geboren. Im Alter von zwei Jahren verlor er seinen Vater; sieben Jahre später starb auch der zweite Mann seiner Mutter. Die Mutter konnte sich nichts anderes vorstellen, als dass ihr ältester Sohn evangelischer Pfarrer würde. Deshalb besuchte Hölderlin die Lateinschule in Nürtingen und dann die evangelischen Klosterschulen (Gymnasien) in Denkendorf (Württemberg) und Maulbronn. Während des Studiums an der Universität Tübingen, als Stipendiat im Tübinger Stift, schloss er mit den zukünftigen Philosophen Hegel und Schelling Freundschaft.
Aufgrund der begrenzten Mittel der Familie und seiner Weigerung, eine kirchliche Laufbahn einzuschlagen, war Hölderlin zunächst als Hauslehrer für Kinder wohlhabender Familien tätig. So wurde er 1793/94 Hauslehrer bei Charlotte von Kalb in Waltershausen im Grabfeld. 1794 besuchte er die Universität Jena, um dort Fichtes Vorlesungen zu hören; er lernte während dieses Aufenthaltes Goethe, Schiller und Fichte kennen. Auch soll er die Bekanntschaft Friedrich von Hardenbergs gemacht haben. Im Mai 1794 lernte Hölderlin in Jena Isaac von Sinclair kennen. Sie bewohnten ab April 1795 ein Gartenhäuschen in Jena. Im Juni 1795 verließ er die Universitätsstadt fluchtartig und kehrte nach Nürtingen zurück. 1796 wurde er Hauslehrer der Kinder von Jakob Gontard, einem Frankfurter Bankier. Hier begegnete er dessen Frau Susette, die seine große Liebe werden sollte. Susette Gontard ist das Modell für die Diotima seines Briefromans Hyperion.
Als Gontard von der Beziehung seiner Frau zum Erzieher des Sohnes erfuhr, musste Hölderlin seine Tätigkeit im Haus des Bankiers beenden und flüchtete nach Homburg zu seinem Studienfreund Isaac von Sinclair. Hölderlin befand sich in einer schwierigen finanziellen Situation und war auf die materielle Unterstützung seiner Mutter angewiesen. Schon damals wurde bei ihm das Leiden an einer schweren „Hypochondrie” festgestellt, ein Zustand, der sich nach seinem letzten Treffen mit Susette Gontard 1800 verschlechtern sollte.1807 kam er zur Pflege in den Haushalt Ernst Zimmers, eines Tübinger Tischlers und Bewunderers des Hyperion. Unter dem Namen „Scardanelli“ schrieb er weiterhin eigentümlich formale Gedichte. In den folgenden 36 Jahren wohnte Hölderlin im Haus Zimmers in einer Turmstube oberhalb des Neckars (Hölderlinturm), versorgt von der Familie Zimmer bis zu seinem Tod 1843.


Hälfte des Lebens

Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm' ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.



Menons Klagen um Diotima (Fragment)

IX

So will ich, ihr Himmlischen! denn auch danken, und endlich
Atmet aus leichter Brust wieder des Sängers Gebet.
Und wie, wenn ich mit ihr, auf sonniger Höhe mit ihr stand,
Spricht belebend ein Gott innen vom Tempel mich an.
Leben will ich denn auch! schon grünts! wie von heiliger Leier
Ruft es von silbernen Bergen Apollons voran!
Komm! es war wie ein Traum! Die blutenden Fittiche sind ja
Schon genesen, verjüngt leben die Hoffnungen all.
Großes zu finden, ist viel, ist viel noch übrig, und wer so
Liebte, gehet, er muß, gehet zu Göttern die Bahn.
Und geleitet ihr uns, ihr Weihestunden! ihr ernsten,
Jugendlichen! o bleibt, heilige Ahnungen, ihr
Fromme Bitten! und ihr Begeisterungen und all ihr
Guten Genien, die gerne bei Liebenden sind;
Bleibt so lange mit uns, bis wir auf gemeinsamem Boden
Dort, wo die Seligen all niederzukehren bereit,
Dort, wo die Adler sind, die Gestirne, die Boten des Vaters,
Dort, wo die Musen, woher Helden und Liebende sind,
Dort uns, oder auch hier, auf tauender Insel begegnen,
Wo die Unsrigen erst, blühend in Gärten gesellt,
Wo die Gesänge wahr, und länger die Frühlinge schön sind,
Und von neuem ein Jahr unserer Seele beginnt.








Friedrich Hölderlin (20. März 1770 – 7. Juni 1843)
Der Hölderlinturm in Tübingen




Der deutsche Schriftsteller und Arzt Jens Petersen wurde am 20. März 1976 in Pinneberg geboren. Nach seinen Studien in München, Lima, New York, Florenz und Buenos Aires lebt Jens Petersen nun als Mediziner in Zürich. Literarisch trat er bisher mit Erzählungen in verschiedenen Anthologien hervor. Für sein Romanprojekt Die Haushälterin erhielt er bereits 2003 ein Literaturstipendium der Stadt München, 2005 dann den Aspekte-Literaturpreis, den Bayerischen Kunstförderpreis, den Kranichsteiner Literatur-Förderpreis und 2007 den Evangelischen Buchpreis.

Aus: Im Auge des Jägers

„Es war der Dritte in diesem Jahr, keine hohe Zahl. Der erste war ein Dicker gewesen, die zweite eine Frau. Seit fünfundneunzig, als ihm ein Kater ins Schußfeld geraten war, hatte es keine Zwischenfälle mehr gegeben; Kater mochte er seitdem nicht.
Was mochte Fred überhaupt?
Früher hatte er gern gebumst, war gern mit dem Wagen gefahren, hatte bei Boxkämpfen manchmal vor Freude oder Wut geschrien ... er trank einen Schluck aus der Wasserflasche und legte an.
Tom. Wollte der alte Mutzke nicht Toms Zimmer streichen? Hatte Mutzke ihm das nicht letzte Woche versprochen, als sie bei Trine Skat gekloppt und gezecht hatten? Diesem Kerl würde er gelegentlich was erzählen. Große Töne spucken; nach drei, vier Korn die Segel streichen: Schön! Aber seine Versprechen nicht zu halten ... wie war das damals mit dieser rostigen Anhängerkupplung gewesen? Hatte Mutzke da auch behauptet, er könnte vielleicht was drehen?
Im Souterrain des Nachbarhauses erschien die Zielperson. Er atmete aus, hielt zwei Sekunden die Luft an und drückte ab. Dann schob er das Gewehr in die stoffgefütterte Posterrolle, stand auf, nahm seine Einkaufstüten und fuhr mit dem Lift nach unten.
Die Straßenlaternen brannten schon, aber der seit Tagen vorhergesagte schwere Schauer war ausgeblieben. Daß manche
Menschen mit Unsinn wie der Wetterkunde ihr Geld verdienten, hätte ihn früher in die Weissglut getrieben.
Und jetzt?
Über einen wie Mutzke ärgerte er sich. Was sonst aufs Tapet kam: ein neuer Krieg am Zeitungsstand beim U-Bahn-Schacht; ein Typ, dessen riesiger Köter gegen die Fahrplantafel schiss; die Jungs mit ihren Springerstiefeln, brennende Kippen im Mund, Runen an Waggonfenster kritzelnd, Sitzpolster zerschlitzend: all das nahm er hin wie den Eintritt der Nacht.“







Jens Petersen (Pinneberg, 20. März 1976)

Donnerstag, 19. März 2009

Philip Roth, Ion Barbu

Der amerikanische Schriftsteller Philip Roth wurde 19. März 1933 in Newark, New Jersey geboren. Roth stammt aus einer jüdischen Familie. Seine Großeltern, die aus Osteuropa emigrierten, sprachen Jiddisch. Roth selbst besuchte die jüdische Weequahic High School und studierte 1950-51 an der Rutgers University. 1954 erwarb er an der Bucknell University in Lewisburg/Pennsylvania den B.A. in Englisch, graduierte ein Jahr darauf in Chicago zum M.A. und erhielt die Lehrerlaubnis. 1955-56 diente er in der Armee, anschließend war er von 1956-58 Dozent für Englische Literatur an der University von Chicago. 1959/60 war er Guggenheim-Stipendiat, danach lehrte er bis 1962 an der University of Iowa Creative Writing. Als Writer-in-Residence verbrachte er die Jahre 1962 bis 1980 erst in Princeton, dann an der University of Pennsylvania. Ab 1989 nahm Roth eine Dozententätigkeit für Creative Writing am Hunter College in New York wahr. Seit Ende der 1950er Jahre ist Roth schriftstellerisch tätig und publizierte mit großem Erfolg Romane, Erzählungen und Essays. Sowohl sein jüdischer Familienhintergrund als auch seine Eheerfahrungen fließen in seine Werke ein, ohne dass Roth ein spezifisch jüdischer Autor wäre. Sein Thema ist die gesamte amerikanische Gesellschaft. So ist Mein Mann, der Kommunist eine literarische Antwort auf ein autobiographisches Buch, das Claire Bloom nach der Scheidung publizierte (Leaving a Doll's House), zugleich eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Hang der USA zur Diskriminierung Andersdenkender, wozu er auch die Behandlung der Kommunisten in der McCarthy-Ära zählt. Portnoy's Complaint (deutsch: Portnoys Beschwerden) beschreibt u.a. neurotisierende Strukturen in jüdischen Familien der 50er Jahre in Amerika.

Aus: The Plot Against America

„Fear presides over these memories, a perpetual fear. Of course no childhood is without its terrors, yet I wonder if I would have been a less frightened boy if Lindbergh hadn't been president or if I hadn't been the offspring of Jews. When the first shock came in June of 1940--the nomination for the presidency of Charles A. Lindbergh, America's international aviation hero, by the Republican Convention at Philadelphia--my father was thirty-nine, an insurance agent with a grade school education, earning a little under fifty dollars a week, enough for the basic bills to be paid on time but for little more. My mother--who'd wanted to go to teachers' college but couldn't because of the expense, who'd lived at home working as an office secretary after finishing high school, who'd kept us from feeling poor during the worst of the Depression by budgeting the earnings my father turned over to her each Friday as efficiently as she ran the household--was thirty-six. My brother, Sandy, a seventh-grader with a prodigy's talent for drawing, was twelve, and I, a third-grader a term ahead of himself--and an embryonic stamp collector inspired like millions of kids by the country's foremost philatelist, President Roosevelt--was seven.
We lived in the second-floor flat of a small two-and-a-half-family house on a tree-lined street of frame wooden houses with redbrick stoops, each stoop topped with a gable roof and fronted by a tiny yard boxed in with a low-cut hedge. The Weequahic neighborhood had been built on farm lots at the undeveloped southwest edge of Newark just after World War One, some half dozen of the streets named, imperially, for victorious naval commanders in the Spanish-American War and the local movie house called, after FDR's fifth cousin-and the country's twenty-sixth president- the Roosevelt. Our street, Summit Avenue, sat at the crest of the neighborhood hill, an elevation as high as any in a port city that rarely rises a hundred feet above the level of the tidal salt marsh to the city's north and east and the deep bay due east of the airport that bends around the oil tanks of the Bayonne peninsula and merges there with New York Bay to flow past the Statue of Liberty and into the Atlantic.“







Philip Roth (Newark, 19. März 1933)




Der rumänische Lyriker und Mathematiker Ion Barbu (eigentlich Dan Barbilian) wurde am 19. März 1895 in Câmpulung, Rumänien, geboren. Ion Barbu studierte in Bukarest, Berlin und Göttingen die Fächer Philosophie und Mathematik. Er promovierte in Göttingen zum Doktor der Philosophie und arbeitete ab 1942 als Professor für Algebra in Bukarest. Sein eigentliches Arbeitsgebiet war jedoch die Geometrie. Er gilt als Erfinder einer bestimmten Metrik Jordanscher Bereiche; bekannt wurde vor allem seine zweiteilige Arbeit zur Geometrie über Ringen (1940/41).
Bereits seine ersten Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften (u.a. im Contimporanul) sorgten durch ihre klangvolle und sprachgewaltige Verbindung von Neologismen und Archaismen für großes Aufsehen in der Fachwelt, da er keiner der dichterischen Strömungen seiner Zeit eindeutig zuzuordnen war. Ion Barbus Werk thematisierte stets die verschiedenen Aspekte des menschlichen Daseins. Neben seinem eigenen Schaffen übersetzte er Werke William Shakespeares ins Rumänische.




Klangfarbe

Am Wegesrand die Flöte behäbig tönt und grob,
Der Dudelsack im Welken geteilten Schmerz erahne;
Doch Steine im Gebet, Grund im Entblössungswahne,
Dem Himmel fest Verlobte, die Welle, zweifeln ob.

Ein Lied wär da vonnöten, des Engelgartens Lob
Sowie das Seidenrauschen der salz'gen Ozeane,
Beginnend als sich Evas schönrauchige Platane
Aus eines Mannes Rippe empor zum Licht erhob.



Gruppe

Ein Kerker würdelos verbrannt die Erde,
Vom Tage trügt das gold'ne Heu der Strahlen;
Und uns're Häupter, als ovale Herde,
Steh'n in des Kalkes Widerschein, im fahlen.

Und fänden Garben voll der wirren Fäden,
Wohl einen Wink, um diese zu vereinen:
Ein Dreiecksaug' im reinen Schnitt nach Eden,
Gerade, soll's dein Linienbruch verneinen?



Übersetzt von Alexander Mehlmann







Ion Barbu (19. März 1895 – 11. August 1961)

Mittwoch, 18. März 2009

Charlotte Roche, John Updike

Die deutsche Schriftstellerin, Moderatorin, Produzentin, Sängerin und Schauspielerin Charlotte Roche wurde am 18. März 1978 in High Wycombe, England, geboren. Die zweisprachig aufgewachsene Roche kam als Tochter eines Ingenieurs und einer politisch aktiven und künstlerisch tätigen Mutter von London über die Niederlande im Alter von acht Jahren nach Deutschland. 1983, als Charlotte fünf Jahre alt war, ließen sich ihre Eltern scheiden. Diese Erfahrung arbeitet sie später in ihr Buch "Feuchtgebiete" ein. Sie wuchs hier überwiegend in einer eher kreativ-alternativen Szene am Niederrhein in einem liberal eingestellten Elternhaus auf. Die Grundschule besuchte sie in Niederkrüchten, 1989 wechselte sie auf das St. Wolfhelm Gymnasium in Schwalmtal. Nach der achten Klasse zog sie nach Mönchengladbach und besuchte dort das Hugo-Junkers-Gymnasium. Erste Bühnenerfahrungen sammelte Roche in Theater-AGs während ihrer Gymnasialzeit. Im Jahr 1993 zog Roche von zu Hause aus und gründete mit drei Freundinnen die Garagenrock-Band „The Dubinskis“. Die Bandmitglieder schworen sich, niemals zu proben und auch nicht öffentlich aufzutreten. Einem breiteren Publikum wurde Roche nach einem erfolgreichen Casting im Frühjahr 1998 durch ihre Moderatorentätigkeit auf VIVA Zwei in der Musiksendung Fast Forward, die sich auf die so genannte alternative Szene konzentrierte, bekannt.

Aus: Feuchtgebiete

“Ein lächelnder Pfleger mit Kakadufrisur kommt rein. »Guten Tag, Frau Memel. Mein Name ist Robin. Ich sehe schon, Sie machen sich mit Ihrem Arbeitsmaterial für die nächsten Tage vertraut. Sie werden am Anus operiert, eine sehr unhygienische Stelle, eigentlich die unhygienischste Stelle überhaupt am Körper. Mit den Sachen aus der Kiste können Sie Ihre Wunde nach der OP komplett selber versorgen. Und wir empfehlen Ihnen, sich mindestens einmal am Tag breitbeinig in die Dusche zu stellen und die Wunde mit dem Duschkopf abzuduschen. Am besten so, dass einige Wasserstrahlen auch reingehen. Mit ein bisschen Übung klappt das ganz gut. Die Wunde mit Wasser zu reinigen ist wesentlich weniger schmerzhaft für Sie, als sie mit Tüchern sauberzuwischen. Nach dem Abduschen einfach vorsichtig mit einem Handtuch abtupfen. Und hier habe ich eine Beruhigungstablette, die können Sie jetzt schon nehmen, macht den Übergang in die Vollnarkose weicher, geht gleich los, die lustige Fahrt.«
Diese Informationen sind für mich kein Problem. Mit Duschköpfen verstehe ich mich sehr gut. Und ich weiß genau, wie ich ein paar Wasserstrahlen in mich reinbefördert kriege. Während Robin mich in meinem Rollbett durch Flure schiebt und ich die Neonröhren über mich hinwegsausen sehe, lege ich heimlich die Hand unter der Bettdecke auf meinen Venushügel, um mich vor der Operation zu beruhigen. Ich lenke mich von der Angst ab, indem ich daran denke, wie ich mich schon als ganz junges Mädchen mit dem Duschkopf aufgegeilt habe.
Erst mal habe ich die Strahlen nur von außen gegen meine Muschi geschossen, später die Vanillekipferln hochgehalten, damit ich die Hahnenkämme und den Perlenrüssel mit dem Wasserstrahl treffe. Je fester, desto besser. Das soll richtig zwiebeln. Dabei hat mal der eine oder andere harte Strahl voll in die Muschi reingetroffen. Da hab ich schon gemerkt, dass das genau mein Ding ist. Volllaufen lassen und – genauso geil – alles wieder rauslaufen lassen.”








Charlotte Roche (High Wycombe, 18. März 1978)




Der amerikanische Schriftsteller John Updike wurde am 18. März 1932 als Sohn eines Lehrers und Diakons in Reading / Pennsylvania geboren. 1950 erhielt er ein Stipendium zum Studium am Harvard College, Hauptfach Anglistik. 1953 heiratete er die Kunststudentin Mary Entwistle Pennington. Von 1955 bis 57 war Updike fest angestellter Redakteur bei dem Magazin "The New Yorker", danach veröffentlichte er als freier Mitarbeiter Erzählungen sowie literarische Kritiken. 1957 zogen die Updikes nach Ipswich im neuenglischen Massachusetts, wo sich John Updike fortan ausschließlich dem Schriftstellerberuf widmete. Berühmt wurde Updike mit dem Roman "Rabbit, Run" (dt. Hasenherz), dem 1960 erschienenen ersten Band der Rabbit-Reihe. 1976 wurden Updike und Mary Pennington geschieden; 1977 heiratete er in zweiter Ehe Martha Bernhard in Georgetown (Massachusetts). Updike erhielt für seine Romane, Erzählungen, Essays, Gedichte zahllose Preise und Auszeichnungen, darunter den National Book Award, den American Book Award und den Pulitzerpreis. John Updike starb im Januar dieses Jahres.

Aus: Terrorist

„Devils, Ahmad thinks. These devils seek to take away my God. All day long, at Central High School, girls sway and sneer and expose their soft bodies and alluring hair. Their bare bellies, adorned with shining navel studs and low-down purple tattoos, ask, What else is there to see? Boys strut and saunter along and look dead-eyed, indicating with their edgy killer gestures and careless scornful laughs that this world is all there is—a noisy varnished hall lined with metal lockers and having at its end a blank wall desecrated by graffiti and roller-painted over so often it feels to be coming closer by millimeters.
The teachers, weak Christians and nonobservant Jews, make a show of teaching virtue and righteous self-restraint, but their shifty eyes and hollow voices betray their lack of belief. They are paid to say these things, by the city of New Prospect and the state of New Jersey. They lack true faith; they are not on the Straight Path; they are unclean. Ahmad and the two thousand other students can see them scuttling after school into their cars on the crackling, trash-speckled parking lot like pale crabs or dark ones restored to their shells, and they are men and women like any others, full of lust and fear and infatuation with things that can be bought. Infidels, they think safety lies in accumulation of the things of this world, and in the corrupting diversions of the television set. They are slaves to images, false ones of happiness and affluence. But even true images are sinful imitations of God, who can alone create.“







John Updike (18. März 1932 – 27. Januar 2009)

Dienstag, 17. März 2009

Siegfried Lenz, Hans Wollschläger

Der deutsche Schriftsteller Siegfried Lenz wurde am 17. März 1926 als Sohn eines Zollbeamten in Lyck geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters zog seine Mutter samt Tochter von Lyck weg und ließ den gerade schulpflichtig gewordenen Siegfried bei der Großmutter zurück. Nach dem Notabitur 1943 wurde er zur Kriegsmarine eingezogen. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs desertierte er in Dänemark und geriet auf seiner Flucht in Schleswig-Holstein in britische Kriegsgefangenschaft. Dort wurde Lenz zum Dolmetscher einer britischen Entlassungskommission. Nach seiner Entlassung besuchte er die Universität Hamburg, um dort Philosophie, Anglistik und Literaturwissenschaft zu studieren. Sein Studium brach er allerdings vorzeitig ab und wurde Volontär bei der Tageszeitung Die Welt und von 1950 bis 1951 Redakteur dieser Zeitung. Dort lernte er auch seine zukünftige Ehefrau Liselotte kennen, 1951 unternahm Siegfried Lenz eine von dem Honorar für seinen ersten Roman (Es waren Habichte in der Luft) finanzierte Reise nach Kenia. Über das, was er in dieser Zeit erlebte, unter anderem den Mau-Mau-Aufstand, schreibt er in seiner Erzählung Lukas, sanftmütiger Knecht.
Siegfried Lenz lebt seit 1951 als freier Schriftsteller in Hamburg und war regelmäßiger Gast des Literatentreffens Gruppe 47. Gemeinsam mit Günter Grass engagierte er sich für die SPD und unterstützte die Ostpolitik Willy Brandts.

Aus: Schweigeminute

„“Wir setzen uns mit Tränen nieder”, sang unser Schülerchor zu Beginn der Gedenkstunde, dann ging Herr Block, unser Direktor, zum bekränzten Podium. Er ging langsam, warf kaum einen Blick in die vollbesetzte Aula; vor Stellas Photo, das auf einem hölzernen Gestell vor dem Podium stand, verhielt er, straffte sich, oder schien sich zu straffen, und verbeugte sich tief. Wie lange er in dieser Stellung verharrte, vor deinem Photo,Stella,über das ein geripptes schwarzes Band schräg hinlief, ein Trauerband, ein Gedenkband; während er sich verbeugte, suchte ich dein Gesicht, auf dem das gleiche nachsichtige Lächeln lag, das wir, die ältesten Schüler, aus deiner Englischstunde kannten. Dein kurzes schwarzes Haar, das ich gestreichelt, deine hellen Augen, die ich geküßt habe auf dem Strand der Vogelinsel: Ich mußte daran denken, und ich dachte daran, wie du mich ermuntert hast, dein Alter zu erraten. Herr Block sprach zu deinem Photo hinab, er nannte dich liebe, verehrte Stella Petersen, er erwähnte, daß du fünf Jahre zum Lehrerkollegium des Lessing-Gymnasiums gehörtest, von den Kollegen geschätzt, bei den Schülern beliebt. Herr Block vergaß auch nicht, deine verdienstvolle Tätigkeit in der Schulbuchkommission zu erwähnen, und schließlich fiel ihm ein, daß du ein allzeit fröhlicher Mensch gewesen warst: “Wer ihre Schulausflüge mitmachte, schwärmte noch lange von ihren Einfällen, von der Stimmung, die alle Schüler beherrschte, dies Gemeinschaftsgefühl, Lessingianer zu sein; das hat sie gestiftet, dies Gemeinschaftsgefühl.”







Siegfried Lenz (Lyck, 17. März 1926)





Der deutsche Übersetzer und Schriftsteller Hans Wollschläger wurde am 17. März 1935 in Minden geboren. Wollschlägers wortmächtige Version des Romans «Ulysses» von James Joyce erschien im Jahr 1975 und wurde von der Kritik als eine der «grossen sprachschöpferischen Leistungen der deutschen Literatur» gefeiert. Neben vielen Essays und weiteren Übersetzungen herausragender angelsächsischer Autoren wie Edgar Allan Poe, Mark Twain und Oscar Wilde bildeten Leben und Werk von Karl May einen Schwerpunkt seiner Arbeit. Zu Wollschlägers geistigen Mentoren gehörten vor allem Arno Schmidt und Theodor W. Adorno. Wollschläger erhielt zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Arno Schmidt Preis, den Deutschen Jugendbuchpreis und den Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.

Aus: Anderrede vom Weltgebäude herab oder Kleine Mauerschau des Alterns

„Über die ganz ernsten Dinge läßt sich eigentlich bloß ernst nicht mehr reden, schon gar nicht über das komplizierte und unabsehbar implizierende Ernsteste Ding überhaupt, den Tod. Sein Dasein allein läßt einem derart die Luft wegbleiben, daß die Wörter nicht mehr von der Zunge kommen: eine Lebe-Welt, in der Alles, aber auch Alles von ihm abgeschlossen wird, und zumeist auch noch auf die haarsträubendste Weise, ist das unglaubliche Absurdum selber. Man kann imgrunde gar nicht davonreden und müßte, wollte man’s wenigstens versuchen, einen eigenen Zynismus dafür ersinnen: eine Satire-Form, die das Große Gelächter wie ein Stück Eis über den Rücken schöbe; Karl Kraus hätte sie schreiben können. Unser tod-ernstes Mienenspiel ist zu sehr kompromittiert durch die Alfanzereien,die wir täglich damit begleiten, als daß es für das wüste Un-Ding noch ausreichte, von dem wir’s haben.Spätestens seit der Tod nicht als Person mehr vorstellbar ist, mit der man Bergman’sche (oder sogarnoch bessere) Dialoge führen könnte, ist auch die Vorstellung dahin, er wäre als Nebenwesen überlistbar, zu besiegen, gar selber sterblich; die Religionen, die ihn früher so wohlgemut nach seinem Stachel gefragt haben, werden in Kürze nur noch eine liebenswürdige Erinnerung sein. Selbst Bazon Brock, der seinerzeit, mit meinem ungeteilten Beifall, eine Liga zu seiner Abschaffung gegründet hat,war ohne Fortune, wenn man ihm nicht als Teilerfolg anrechnen will, daß er selber trotz seiner Werke noch da ist. Die Situation ist tatsächlich absurd, empörend, unerhört: das Leben als nun wirklich prädestinierter Kreuzweg aufs Grab zu stellt eine derartige Zumutung des Großen Ganzen an uns Kleine Teilchen dar, daß mir schon in der Wiege die mir dort beigebrachte, ebenso stark geglaubte wie schwach beglaubigte Vorstellung von einem allmächtigen und allgütigen Schöpfer, egal ob Gott, Allah oder das Tetragrammaton geheißen, schier zum Kopfschütteln war.“







Hans Wollschläger (17. März 1935 – 19. Mai 2007)

Montag, 16. März 2009

César Vallejo, Francisco Ayala

Der peruanische Dichter und Schriftsteller César Abraham Vallejo Mendoza wurde am 16. März 1892 in Santiago de Chuco, einem Dorf in den peruanischen Anden, geboren. Er begann mit 13 Jahren die ersten Gedichte zu schreiben, studierte dann Literatur an der Universidad de la Libertad in Trujillo und erlangte 1915 einen Master-Abschluss in spanischer Literatur. Als Student arbeitete er auch auf einer Zuckerplantage. Hier lernte er die Ausbeutung der Landarbeiter kennen, was ihn in seiner späteren literarischen und politischen Arbeit stark beeinflussen sollte. Nach dem Studium lebte Vallejo in Lima, wo er wichtige Vertreter der intellektuellen Linken kennenlernte. Er gab Nachhilfestunden und erhielt schließlich eine Anstellung als Lehrer. Er verlor diese Anstellung, nachdem er sich geweigert hatte, seine schwangere Geliebte zu heiraten; diese starb nach einer von ihm initiierten Abtreibung. In dieser Zeit, um 1918, schrieb er sein Erstlingswerk, den Gedichtband Los heraldos negros. Nach der Veröffentlichung von Trilce 1922 verlor César Vallejo eine weitere Lehrerstelle und emigrierte 1923 nach Europa. Hier ließ er sich in Paris nieder. In der Folgezeit nahmen kommunistische Einflüsse auf sein Werk zu, 1928 reiste er zudem nach Moskau, um den Sozialismus in diesem Land kennenzulernen. Er wurde 1931 Mitglied im Kongreß Antifaschistischer Autoren und gründete 1937 zusammen mit Pablo Neruda in Paris das Lateinamerika-Komitee zur Unterstützung der spanischen Republik. Nach seinem Tod 1938 wurde er auf dem Friedhof Montparnasse in Paris beerdigt. Obwohl während seiner Lebenszeit nur drei seiner Bücher veröffentlicht wurden, gilt César Vallejo dennoch als einer der großen poetischen Neuerer der spanischen Sprache des 20. Jahrhunderts.

JETZT UNTER UNS HIER

Jetzt, unter uns, hier,
komm mit mir, nimm deinen Körper bei der Hand,
wir wollen zusammen nachtessen gehen und einen Augenblick Leben
als Leben zu zweit verbringen, und auch unser Tod soll sein Teil davon haben.
Jetzt, komm mit dir, tu mir den Gefallen und bleibe,
in meinem Namen und im Lichte der Nebelnacht,
in der du deine Seele bei der Hand nimmst
und wir auf Fußspitzen vor uns fliehen.

Komm zu mir, ja sicher! Und zu dir, ja sicher!
Im Gleichschritt, damit wir zwei im ungleichen Schritt
den Abschiedsschritt uns vorführen sehn.
Bis zum nächsten Mal! Bis wir wiederkommen!
Bis wir lesen können, Analphabeten!
Bis zum nächsten Mal. Jetzt müssen wir gehn.

Was liegt mir an den Gewehren,
hör,
hör zu, was liegt mir an ihnen,
wenn die Kugel schon auf der Höhe meiner Unterschrift kreist?
Was gehen dich die Kugeln an,
wenn der Bauch des Gewehrs schon nach dir riecht?
Noch heute wollen wir
einen Blinden unsern Stern wiegen lassen, und
wenn du anfängst mir vorzusingen, wollen wir weinen.
Heute noch, meine Schöne, im gleichen Schritt
und mit deinem Vertrauen, bis zu dem meine Angst reicht,
wollen wir fort aus uns, zu zweit wir zwei,
bis wir blind sind,
bis
wir weinen vor soviel Rückkehr!

Jetzt,
unter uns, nimm
deine süße Person bei der Hand,
wir wollen zusammen nachtessen gehen und einen Augenblick Leben
als Leben zu zweit verbringen, und auch unser Tod soll sein Teil davon haben.
Jetzt, komm mit dir, tu mir den Gefallen
etwas zu singen
und spiel etwas auf deiner Seele und klatsch den Takt mit der Hand.
Bis zum nächsten Mal! Bis es soweit ist!
Bis wir uns trennen! Jetzt müssen wir gehn.



Übersetzt von Erwin Walter Palm








César Vallejo (16. März 1892 – 15. April 1938)





Der spanische Schriftsteller Francisco Ayala wurde am 16. März 1906 in Granada geboren. Ayala stammte aus einer wohlhabenden Familie. Er wuchs zunächst in Granada, später in Madrid auf, wo er Jura, Philosophie und Literaturwissenschaft studierte. 1925 erschien sein erster Roman Tragikomödie eines geistlosen Mannes. Er wurde Mitarbeiter der Zeitschrift Revista de Occidente, die von José Ortega y Gasset herausgegeben wurde. Von 1929 bis 1931 lebte er in Berlin. In den 1930er Jahren arbeitete er als Anwalt für die republikanische Regierung Spaniens. Während der sich abzeichnenden Niederlage der Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg ging er 1939 ins Exil, zunächst nach Lateinamerika (Stationen Argentinien, Puerto Rico), schließlich in die USA. Dort war er als Universitätsprofessor für Literatur und Soziologie, als Journalist und Übersetzer literarischer Werke (u.a. Thomas Mann, Rainer Maria Rilke) tätig. Nach dem Tod Francos kehrte Ayala 1976 nach Spanien zurück. Ayala feiert heute seinen 103. Geburtstag.

Aus: Wie Hunde sterben (Muertes de perro, Übersetzt von Erna Brandenberger)

„Wir sind heute nur allzusehr daran gewöhnt, im Kino Revolutionen, Kriege, Überfälle, Aufruhr aller Art und spektakuläre Gewalttaten anzuschauen, bei denen die Bestie Mensch brüllt; wenn man all das jedoch nur im Kino gesehen hat, kann man sich - glaube ich - kaum vorstellen, mit welch verblüffender Gewöhnlichkeit es sich in der Realität abspielt, anders als wenn man - wie ich jetzt - bedauerlicherweise dazu auserkoren ist, es hautnah mitzuerleben. Spätere Generationen werden angesichts solcher Ereignisse bestimmt staunen und alle daran Beteiligten vorbehaltlos als Helden betrachten. Auf solche Ehren verzichte ich, was mich betrifft, selbstverständlich gerne und bin bestrebt, diesen Bericht in der Blöße der reinen Wahrheit abzuliefern. Tag für Tag sitze ich hier in
meinem Rollstuhl, werde Zeuge des ganzen grausamen Durcheinanders und befinde mich mitten im Wirbel, ohne daß mich bislang jemand behelligt hätte. Falls mir meine Nutzlosigkeit weiterhin von Nutzen ist und nicht doch noch jemand aus Bosheit seine Scherze mit meiner Lähmung treibt und mich mit einem Stoß in den schauerlichen Totentanz hineinbefördert, so ist es sehr wahrscheinlich, daß wir das Ende erleben und ich es selbst erzählen kann ... Denn das alles muß ja schließlich ein Ende haben; und dann ist jemand vonnöten, es zu erzählen.
Bis dahin schützt mich meine Bedeutungslosigkeit.Wer wird sich denn schon mit mir abgeben? Ich habe mehr als genug Zeit, zu beobachten und auszukundschaften, Zeit, meine Erkundigungen auf ihre Stichhaltigkeit hin zu überprüfen, Zeit sogar, Beweismaterial zu sammeln, ja die Papiere zusammenzutragen, auf deren dokumentarischen Wert die Geschichte dieser verworrenen Zeitläufte sich stützen muß.“







Francisco Ayala (Granada, 16. März 1906)

Sonntag, 15. März 2009

David Albahari, Kurt Drawert

Der serbische Schriftsteller David Albahari wurde am 15. März 1948 in Peć im ehemaligen Jugoslawien geboren. In Belgrad studierte er Englische Literatur und Sprache. Sein erster Band mit Kurzgeschichten erschien 1973. Sein Buch Opis smrti (1982; dt. Beschreibung des Todes, 1993) wurde 1982 mit dem Ivo Andrić-Preis ausgezeichnet. Albahari bezeichnet das I Ging als wichtigen Einfluss auf sein Leben und Schreiben, in dessen Mittelpunkt das Persönliche und die Familie stehen.
Trotz gegenteiliger Bemühungen konnte sich Albahari als jüdischer Serbe der Politisierung seines Lebens und seiner Arbeit im Krieg in Jugoslawien nicht entziehen. 1991 übernahm er das Amt des Vorsitzenden des Verbandes der jüdischen Gemeinden Jugoslawiens. In dieser Funktion war er maßgeblich an der Aussiedlung der Juden Sarajevos beteiligt. Zwei Jahre später wählte er freiwillig die „Entwurzelung“ des kanadischen Exils, um der „Zwangspolitisierung“ zu entkommen, von der er sein Leben bestimmt sah. Aus der Ferne tritt jedoch die Geschichte seiner Heimat verstärkt in den Vordergrund seines Werkes. Ausgehend von seiner autobiographischen Situation als Auswanderer erzählt er in Mutterland die Lebensgeschichte seiner Mutter. Dabei setzt sich der Ich-Erzähler nicht nur mit ihrer Biographie vor dem Hintergrund der jugoslawischen Geschichte auseinander, sondern thematisiert zugleich seine Ambivalenzen gegenüber dem Umgang mit Erinnerung, Identität und Geschichte in seiner neuen Heimat. Der Roman Gec i Majer (1998; dt. Götz und Meyer, 2003) beschreibt die Suche nach im Zweiten Weltkrieg verschwundenen Juden. Sie führt den Erzähler auf die Spur zweier SS-Offiziere, die für deren Ermordung verantwortlich sind.

Aus: Fünf Wörter

“Schon immer beneidete ich Menschen, die ihre Flugreisen genießen. Die Welt ist für sie wie eine fleckige Birne, die man möglichst schnell umfliegen sollte. Vielleicht ist das ja richtig. In unserer Zeit, in der man die Langsamkeit verachtet, sind Flugzeuge kein Luxus, sondern ein Mittel, mit dem man die Zugehörigkeit zur Gegenwart dokumentiert und sogar der eigenen Vergangenheit oder Zukunft einige Stunden stehlen kann. Das ist eine Magie, der man nur schwer widersteht.
Ich widerstehe ihr schon seit vielen Jahren. Mich würde es überhaupt nicht stören, ja ich würde mich richtig freuen, wenn ich immer noch mit der Kutsche reisen könnte. Aber die Menschen haben keine Zeit mehr für den Pferdetrab, ja nicht einmal für den Galopp, und deswegen steige ich ungeachtet meines Widerstandes gegenüber dem Zauber der Geschwindigkeit demütig in das Flugzeug und höre untertänig auf die Befehle der Stewardessen. Ich lege den Sicherheitsgurt an, prüfe die Schwimmweste und kontrolliere das Fach, aus dem, wenn nötig, die Sauerstoffmaske herausfallen wird, danach folgt mein Blick dem fluoreszierenden Band, das mich im Falle einer Notlandung zum nächsten Ausgang bringen wird. Dann setze ich den Kopfhörer auf, suche den Kanal mit der Jazzmusik, schlage ein Buch auf und bemühe mich, so schnell wie möglich in Schlaf zu versinken.
So tat ich auch diesmal zu Beginn eines Flugs nach Amerika. Ich kam aus Europa zurück von einem Treffen von Schriftstellern aus Ex-Jugoslawien, das nach der Vorstellung der Stiftung, die es organisiert hatte, Wege zu einer neuen Verständigung öffnen sollte, das aber nur die alten Unterschiede wieder ans Tageslicht beförderte. Ich weiß nicht, warum ich etwas anderes erwartet hatte. Statt von Freude war ich von Bitterkeit erfüllt, die sich, während das Flugzeug auf der Startbahn beschleunigte, langsam, aber sicher in Übelkeit verwandelte, die keine Tablette lindern konnte.”







David Albahari (Peć, 15. März 1948)




Der deutsche Schriftsteller Kurt Drawert wurde am 15. März 1956 in Hennigsdorf / Brandenburg geboren. Er wuchs auf in Borgsdorf und Hohen Neuendorf bei Berlin sowie ab 1967 in Dresden. Da er sich bereits früh den Forderungen von Familie und Gesellschaft verweigerte, konnte er eine Ausbildung zum Facharbeiter für Elektronik absolvieren, holte allerdings später auf einer Abendschule das Abitur nach. Er übte verschiedene Hilfstätigkeiten aus, u.a. in einer Bäckerei, bei der Post und als Hilfskraft in der Sächsischen Landesbibliothek Dresden. Von 1982 bis 1985 studierte er am Literaturinstitut Johannes R. Becher in Leipzig, wo er ab 1984 auch seinen Wohnsitz hatte. Seit 1986 ist er als freier Schriftsteller tätig. 1993 zog er nach Osterholz-Scharmbeck bei Bremen. Es folgte eine Reihe von Auslandsreisen, u.a. nach Australien, Brasilien und Russland. Seit 1996 lebt Drawert in Darmstadt, wo er seit 2004 das Zentrum für junge Literatur leitet.

Aus: Spiegelland

“Gewiß hätten wir auf die Frage, woher wir denn kämen, kurz und verbindlich antworten können, aber es muß in uns beiden in demselben Augenblick das Gefühl geherrscht haben, heimatlos zu sein, so daß sie "aus Sonnenstadt" antwortete und ich "aus Utopia".
Wir lachten, während der Mann etwas verwirrt war und sein freundliches Interesse an uns lächerlich gemacht sah, ohne indes verstehen zu können, daß wir nicht seine Frage, sondern die Antwort ins Lächerliche brachten, denn wir müssen sehr genau empfunden haben, daß die Stadt unserer Herkunft nicht die Stadt unserer Heimat entsprechen und mit ihr nichts zu tun haben wollen und nach ihr nicht gefragt werden und gleich gar nicht mir ihr in einem Zusammenhang erscheinen wollen, der nur ein Äußerer Zusammenhang sein kann. Und wie es weder eine Sonnenstadt gibt noch ein Utopia, so gibt es keine Heimat, sondern immer nur Herkunft, am ehesten noch, dachten wir, als wir vor einiger Zeit in einem polnischen Krankenhaus lagen, verleiht die gemeinsame Sprache dem Wort Heimat eine Bedeutung, aber die gemeinsame Sprache ist auch nur Äußerlich eine gemeinsame Sprache und kann im tieferen Sinn einer Verständigung eine ganz und gar unverständliche Sprache sein, denn es gibt keine Heimat, wenn es sie in einem selbst nicht gibt, und ich kann jede Stadt und jede Landschaft und jede Herkunft entschieden verlassen, denn ich verlasse immer eine Fremde und tausche sie aus gegen eine andere, unbekanntere Fremde, ich verlasse eine Stadt oder eine Landschaft oder eine Herkunft in dem Gefühl, einen Zusammenhang mir ihr leugnen zu müssen und nach ihr gefragt zu werden als lästig zu empfinden.”







Kurt Drawert (Henningsdorf, 15. März 1956)

Freitag, 13. März 2009

Mahmoud Darwish

Der palästinensische Dichter Mahmud Darwisch wurde am 13. März 1941 in Barwa bei Akko geboren. Darwisch flüchtete 1948 mit seiner Familie in den Libanon, wo die Familie zuerst in Jezzin, nach einigen Monaten jedoch in Damur lebte. Bald kehrte Mahmud Darwisch mit seiner Familie heimlich nach Israel zurück. Nach einer Protestaktion wurde er als 14-Jähriger in ein israelisches Gefängnis gebracht. Er lernte in der Schule Hebräisch und las daraufhin Klassiker der Weltliteratur und die Bibel auf hebräisch. Nach dem Besuch der Oberschule in Nazaret ging er nach Haifa. 1969 ging Darwisch für ein Jahr nach Moskau, um dort zu studieren. Danach lebte er im Exil in Kairo, ab 1972 in Beirut, das er wegen des Einmarschs der Israelis 1982 verließ, danach auf Zypern, in Tunis und Paris. Seit 1996 lebte er in Amman und Ramallah. Im Juli 2007 trat Darwisch zum ersten Mal wieder in Haifa auf.
Er wurde Direktor des Palestine Research Center der PLO und Herausgeber der Zeitschrift Palästinensische Angelegenheiten sowie der Literaturzeitschrift Al-Karmal (Der Karmel). Von 1987 bis 1993 war er Mitglied des Palästinensischen Nationalrats und am 14. November 1988 Mitverfasser der Proklamation des Palästinensischen Staates. Er erhielt nationale und internationale Auszeichnungen, darunter 1983 den Lenin-Friedenspreis, 2004 den Prince Claus Award und 2007 den Goldenen Kranz beim internationalen Lyrikertreffen Die Abende der Poesie in Struga (Mazedonien). Mahmud Darwisch starb am 9. August 2008 nach einer Herzoperation im Memorial Hermann Texas Medical Center in Houston. Mahmud Darwisch war einer der herausragenden zeitgenössischen Dichter in der arabischen Welt, und seine Gedichtbände erreichten Millionenauflagen. Er wurde weithin als die poetische Stimme des palästinensischen Volkes anerkannt. In Europa, besonders in Frankreich, wurde seine Poesie begeistert aufgenommen. Seine Werke sind in mehr als 20 Sprachen übersetzt worden.



Identity Card

Record !
I am an Arab
And my identity card is number fifty thousand
I have eight children
And the nineth is coming after a summer
Will you be angry?

Record !
I am an Arab
Employed with fellow workers at a quarry
I have eight children
I get them bread
Garments and books
from the rocks...
I do not supplicate charity at your doors
Nor do I belittle myself
at the footsteps of your chamber
So will you be angry?

Record !
I am an Arab
I have a name without a title
Patient in a country
Where people are enraged
My roots
Were entrenched before the birth of time
And before the opening of the eras
Before the pines, and the olive trees
And before the grass grew.

My father..
descends from the family of the plow
Not from a privileged class
And my grandfather..was a farmer
Neither well-bred, nor well-born!
Teaches me the pride of the sun
Before teaching me how to read
And my house
is like a watchman's hut
Made of branches and cane
Are you satisfied with my status?
I have a name without a title !

Record !
I am an Arab
You have stolen the orchards
of my ancestors
And the land
which I cultivated
Along with my children
And you left nothing for us
Except for these rocks..
So will the State take them
As it has been said?!

Therefore !
Record on the top of the first page:
I do not hate people
Nor do I encroach
But if I become hungry
The usurper's flesh will be my food
Beware..
Beware..
Of my hunger
And my anger !





Psalm 9

O rose beyond the reach of time and of the senses
O kiss enveloped in the scarves of all the winds
surprise me with one dream
that my madness will recoil from you
Recoiling from you
In order to approach you
I discovered time
Approaching you
in order to recoil form you
I discovered my senses
Between approach and recoil
there is a stone the size of a dream
It does not approach
It does not recoil
You are my country
A stone is not what I am
therefor I do not like to face the sky
not do I die level with the ground
but I am a stranger, always a stranger









Mahmoud Darwish (13. März 1941 – 9. August 2008)

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