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Weltliteratur

Freitag, 30. Januar 2009

Adelbert von Chamisso, Hans Erich Nossack

Der deutsche Dichter und Naturforscher Adelbert von Chamisso wurde am 30. Januar 1781 auf Schloß Boncourt (Champagne),geboren. Chamissos Familie floh während der französischen Revolution nach Deutschland. 1796 wurde er Page der Königin von Preußen, 1798 bis 1807 war er preußischer Offizier. 1815-1818 machte er eine Weltumseglung. Nach der Rückkehr wurde er Adjunkt am Botanischen Garten in Berlin, später Vorsteher des Herbariums. Neben seinen Studien als Naturforscher betätigte er sich als Erzähler und Lyriker. Sein Liederkreis "Frauenliebe und -leben" wurde von Robert Schumann vertont. Obwohl Französisch Chamissos Muttersprache war, gelang es ihm, in der deutschen Fremdsprache unsterbliche Werke zu schaffen. Am bekanntesten sind sicherlich „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“ (1814) und das Gedicht „Das Riesenspielzeug“ über die Burg Nideck im Elsass. Dies erklärt, dass der bisher einzige Literaturpreis für deutschsprachige Migrantenliteratur seinen Namen trägt. Mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis werden seit 1985 in Deutschland Autorinnen und Autoren nichtdeutscher Muttersprache ausgezeichnet.



Es ist nur so der Lauf der Welt

Mir ward als Kind im Mutterhaus
Zu aller Zeit, Tag ein, Tag aus,
Die Rute wohl gegeben.
Und als ich an zu wachsen fing,
Und endlich in die Schule ging,
Erging es mir noch schlimmer.

Das Lesen war ein Hauptverdruß,
Ach! wer's nicht kann und dennoch muß,
Der lebt ein hartes Leben.
So ward ich unter Schmerzen groß
Und hoffte nun ein bess'res Los,
Da ging es mir noch schlimmer.

Wie hat die Sorge mich gepackt!
Wie hab' ich mich um Geld geplackt!
Was hat's für Not gegeben!
Und als zu Geld ich kommen war,
Da führt' ein Weib mich zum Altar,
Da ging es mir noch schlimmer.

Ich hab's versucht und hab's verflucht
Pantoffeldienst und Kinderzucht
Und das Gekreisch der Holden.
O meiner Kindheit stilles Glück,
Wie wünsch' ich dich jetzt fromm zurück!
Die Rute war ja golden!







Adelbert von Chamisso (30. Januar 1781 – 21. August 1838)





Der deutsche Schriftsteller Hans Erich Nossack wurde am 30. Januar 1901 in Hamburg geboren. 1919 absolvierte er das Abitur am humanistischen Gymnasium Johanneum in Hamburg. Im Wintersemester 1919/20 immatrikulierte er sich an der jungen, 1919 gegründeten Hamburger Universität für die Fächer Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft. Danach wechselte er 1920 an die Universität Jena, wo er ein Studium der Rechtswissenschaft sowie der Staats- und Volkswirtschaftskunde begann, das er 1922 abbrach. 1923 kehrte er nach Hamburg zurück und heiratete 1925 Gabriele Knierer (geb. 1896), mit der er sein Leben lang trotz großer Schwierigkeiten verheiratet blieb. Er wurde Bankangestellter und absolvierte in den folgenden Jahren eine Ausbildung als Bankkaufmann. Neben dem Brotberuf verfasste er Gedichte und schrieb Dramen. 1933 zog er sich in die väterliche Firma zurück. Es kam zu Haussuchungen durch die SA und die Polizei, aber er wurde nicht verhaftet. Er übernahm bald darauf die Leitung der Importfirma (Kaffee und Rohkakao). 1943 wurden seine Tagebücher und Manuskripte durch den heftigsten Bombenangriff auf Hamburg vernichtet. Abgesehen von einigen publizierten Gedichten in der Neuen Rundschau 1942 und 1944, erschienen seine ersten Veröffentlichungen ab 1947. In seinem Prosatext Der Untergang (1948) thematisierte er als einer der ersten Schriftsteller der deutschen Nachkriegsliteratur die Schrecken des Bombenkriegs anhand der Zerstörung seiner Heimatstadt Hamburg. 1956 löste er mit Hilfe des Schweizer Industriellen Kurt Bösch die väterliche Firma auf und zog nach Aystetten bei Augsburg. Seitdem war er als freier Schriftsteller tätig.


Der Dichter

Im Hafen lichten jubelnd sie die Anker.
Ein Schiff wohin? Von Hoffnung ist es schwer
nach heimatlicher Insel überm Meer.
Abseits am Ufer steh ich wie ein Kranker.

Krank, weil ich warte und mich nicht verschwende;
gefesselt, daß ich mir nicht selbst entflieh
noch mich dem Werk des Wirklichseins entzieh.
Ja, ich war krank, damit ich mich vollende.

Denn immer Einer sei bereit und rage
als rettend Mal im Raum, wenn vor der Frage
die grelle Zeit erblaßt: Was soll ich tun?

Fragt ich es auch? Vielleicht schrie ich im Traum.
Nur Echo wars. Der Wind fuhr durch den Baum.
Du darfst getrost in meinem Schatten ruhn.




Ist das der Mensch?

Ich weiß, daß man mich eines Tages braucht.
Soll ich dann sagen, wenn sie suchend kommen -:
"Was war es noch, was uns die Flut genommen?"
Auch ich bin in Vergessenheit getaucht?

Schlimm ist die Welt versandet und verschlammt.
Seht auf den Straßen die Gesichter doch;
die alten süßen Formen sind es noch,
nur alles ausgelöscht, was sie entflammt.

Man geht umher wie auf dem Meeresgrunde
von Flut betäubt, bleibt stehen um zu lauschen:
Ist das das Leben? Wirklich? Ach, wir Armen!

Und dämmert weiter. Niemand weiß die Kunde.
Was war es noch? Man hört die Not nur rauschen.
Ist das der Mensch? Haben wir doch Erbarmen.







Hans Erich Nossack (30. Januar 1901 – 2. November 1977)

Donnerstag, 29. Januar 2009

Anton Tschechow, Gert Hofmann

Der russische Schriftsteller Anton Tschechow wurde am 29. Januar 1860 in Taganrog (Ukraine) geboren. Bereits während seines Medizinstudiums in Moskau schrieb und veröffentlichte er humorvolle Kurzprosa in verschiedenen Zeitschriften. Die ärztliche Praxis indes übte Tschechow nur kurze Zeit aus und widmete sich bald ganz seiner schriftstellerischen Tätigkeit. Ein erster Sammelband mit Kurzgeschichten erschien 1886 unter dem Titel Bunte Erzählungen. Tschechows Bühnendebüt Ivanov (Iwanow) kam ein Jahr später in Moskau auf die Bühne. 1888 wurde die längere Erzählung Step’ (Die Steppe. Geschichte einer Reise) publiziert, die im Umfeld der Kurzprosa eher eine Ausnahme darstellt und im Rahmen einer verstärkten Auseinandersetzung mit der Romanform entstand. 1890 reiste Tschechow nach Sachalin und besuchte die dortige Strafkolonie, ein Erlebnis, das ihn stark beeindruckte. Der Aufenthalt fand in dem Reisebericht Ostrov Sachalin (1893; Die Insel Sachalin) seinen Niederschlag. 1898 zwang ihn sein schlechter Gesundheitszustand – er litt an Lungentuberkulose –, Moskau zu verlassen und sich im wärmeren Klima der Halbinsel Krim niederzulassen. Mehrere Kuren führten Tschechow auch nach Westeuropa.

Aus: Weiberwirtschaft (Übersetzt von Reinhold Trautmann)

“Da lag ein dickes Geldpaket. Es kam aus dem Forstrevier, vom Verwalter. Er schrieb, daß er fünfzehnhundert Rubel schicke, die er eingetrieben habe nach einem in zweiter Instanz gewonnenen Prozeß. Anna Akimowna liebte Ausdrücke wie »eintreiben« und »den Prozeß gewinnen« nicht, sondern fürchtete sie. Sie wußte, daß man ohne Gerichtsverfahren nicht auskommt, aber es war ihr jedesmal unheimlich, und sie spürte Gewissensbisse, wenn der Fabrikleiter Nasarytsch oder der Revierverwalter, die häufig prozessierten, einen Rechtsstreit für sie gewannen.
Auch jetzt wurde ihr unheimlich und unbehaglich, und sie hätte diese tausendfünfhundert Rubel am liebsten möglichst weit weggelegt, um sie nicht mehr sehen zu müssen.
Sie dachte verdrießlich darüber nach, daß ihre Altersgenossinnen – sie war sechsundzwanzig Jahre
alt – sich jetzt mit dem Haushalt plagten, bald müde einschlafen und morgen früh in festtäglicher Stimmung erwachen würden; viele von ihnen waren schon verheiratet und hatten Kinder. Sie allein war dazu verurteilt, wie eine alte Frau über diesen Briefen zu sitzen, sie mit Bemerkungen zu versehen, Antworten zu schreiben, dann den ganzen Abend bis Mitternacht nichts weiter zu tun, als darauf zu warten, daß es Zeit wurde, schlafen zu gehen; morgen würde man ihr den ganzen Tag über gratulieren und Bitten vorbringen, und übermorgen gäbe es in der Fabrik bestimmt einen Skandal, man würde jemanden verprügeln, oder einer würde am Wodka sterben, und sie würde sich deswegen Vorwürfe machen; nach den Feiertagen würde Nasarytsch an die zwanzig Mann wegen Wegbleibens von der Arbeit entlassen, und alle zwanzig würden dann mit abgenommenen Mützen an der Treppe warten, und es würde ihr peinlich sein, zu ihnen hinauszugehen, und man würde sie wie Hunde wegjagen.“







Anton Tschechow (29. Januar 1860 – 15. Juli 1904)





Der deutsche Schriftsteller Gert Hofmann wurde am 29. Januar 1931 in Limbach, Sachsen, geboren. Hofmann wuchs in Limbach auf. 1948 zog die Familie nach Leipzig um, wo Hofmann eine Fremdsprachenschule besuchte und das Dolmetscher- und Übersetzerexamen für Englisch und Russisch ablegte. Nachdem er 1950 sein Abitur gemacht hatte, begann er ein Studium der Romanistik, Germanistik, Slawistik und Anglistik an der Universität Leipzig. Im Jahre 1951 verließ Hofmann die DDR und ging nach Freiburg im Breisgau, wo er sein Studium fortsetzte. 1957 promovierte er mit einer Arbeit über Henry James zum Doktor der Philosophie. Nachdem er einige Jahre als wissenschaftlicher Assistent an der Universität Freiburg im Breisgau gewirkt hatte, nahm Hofmann ab 1961 germanistische Lehraufträge an Universitäten in Toulouse, Paris, Bristol, Edinburgh, New Haven, Berkeley und Austin wahr. Von 1971 bis 1980 lebte er in Klagenfurt und lehrte gleichzeitig an der jugoslawischen Universität Ljubljana. Seit 1980 lebte er mit seiner Familie in Erding bei München. Dort erlag er 1993 einem Hirnschlag. Gert Hofmanns literarisches Werk besteht zum einen aus einer Vielzahl von Hörspielen und einigen Theaterstücken, die seit Beginn der Sechzigerjahre entstanden. Ab 1979 veröffentlichte der Autor dann eine Reihe von Erzählungen und Romanen, die ihn einer breiteren literarischen Öffentlichkeit bekannt machten. Gert Hofmann erhielt u. a. folgende Auszeichnungen: 1979 den Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt, 1982 den Alfred-Döblin-Preis, 1983 den Hörspielpreis der Kriegsblinden sowie 1993 den Literaturpreis der Stadt München.


Aus: Zur Phänomenologie des Snobs

„Während meine junge Frau und ich am Mittwochnachmittag unseren guten Kaspar auf dem Friedhof begraben haben, ist in unsere bescheidene, für unsere Verhältnisse aber schon zu teure Altbauwohnung hinter unserem Rücken ein neuer Mieter eingezogen. Noch ist Kaspar nicht von der Erde bedeckt, und schon sitzt ein anderer auf seinem Stuhl, ißt von seinem Teller, schläft in seinem Bett und schaut aus seinem Fenster hinaus. Noch haben wir bei unserer Rückkehr die Treppe nicht erstiegen, und schon fällt unser Blick auf das Kärtchen, das er an unsere Tür gezweckt hat: Popper, Opernsänger. Kennst du ihn, frage ich, indem ich, um den Namen zu lesen, in dem dunklen Treppenhaus ein Streichholz anzünde und mich wie in Verehrung vor seiner Karte neige. Nein, sagt meine Frau. Ich auch nicht, sage ich, hoffentlich ist er verträglich. Und warum sollte er nicht verträglich sein, sagt meine junge Frau, die von dem langen Begräbnis – einer nach dem anderen wollte an Kaspars Grab seine kleine Rede halten – noch ganz erschöpft ist. Weil er uns hätte fragen können, ehe er seine Karte an unsere Türe zweckt, sage ich. Aber es ist ja nun auch seine Tür, sagt sie. Richtig, sage ich. Und sage mir, daß es für Streitereien ja auch keine Gründe gibt. Der Wohnungsbesitzer, dessen Untermieter wir sind, lebt, wie wir wissen, weit von uns entfernt, unsere Wohnung ist geräumig, ihre Mauern sind dick, auf dem Gang ist ein Teppich ausgerollt, und wir haben unsere eigene kleine Toilette und Dusche, so daß wir mit dem Opernsänger, außer der Wohnungstür, nichts werden teilen müssen. Und dann sind wir ja im sicheren Besitz der besten zwei Zimmer in der Vierzimmerwohnung, in den anderen, viel kleineren, hatte Kaspar gewohnt. Seine Zimmer gehen auf die Mülltonnen im Hof und haben weder Licht noch Luft, während unsere Zimmer auf die Straße gehen und den ganzen Tag schön hell sind. Allerdings liegt uns gegenüber das städtische Gefängnis, so daß unsere Zimmer auf die lange und eintönige Gefängnisfassade mit den vergitterten Fenstern gehen, hinter denen schon früh die Lichter ausgelöscht werden. Was in den Zellen geschieht, wissen wir nicht, wir stellen es uns aber manchmal vor. Kurz: Unsere Zimmer sind hoch und hell, wenn auch nicht modern, so daß meine arme Frau jeden Freitag die Dielen scheuern muß. Der Opernsänger ist während unserer Abwesenheit in die anderen, natürlich viel kleineren Zimmer gezogen, doch hat er, wie wir sehen, alle Spuren seines Einzugs beseitigt, alles ist noch schön ordentlich. Er scheint ein stiller Mensch zu sein, wir können ihn nicht hören, auch als wir beim Betreten des Korridors laut: Guten Abend, Herr Popper! sagen. Diese Stille ist wichtig, weil ich in meiner Wohnung viel Ruhe haben muß. Zum Komponieren, meine ich, zum Hineinhorchen in mich selber.“






Gert Hofmann (29. Januar 1931 – 1. Juli 1993)

Mittwoch, 28. Januar 2009

Peter Verhelst, Maik Lippert

Der belgische Lyriker und Schriftsteller Peter Verhelst wurde am 28. Januar 1962 in Brügge, Belgien geboren. Peter Verhelst ist auch Theaterautor, Theatermacher und Performer und gehört damit in Flandern zu den wichtigsten zeitgenössischen Kulturträgern. Er debütierte Ende der achtziger Jahre als Dichter und hat sich seitdem außer in der Lyrik auch in den Genres Roman und Schauspiel einen Namen gemacht. Von seinen sieben oder acht Romanen sind bisher lediglich zwei in deutscher Sprache erschienen, Het “spierenalfabet” aus dem Jahre 1995, das als ‚Das Muskelalphabet’ herausgegeben wurde und das 1996 veröffentlichte Buch “De kleurenvanger”, das in Deutschland unter dem Titel ‚Der Farbenfänger’ in den Verkauf kam. Für seinen Roman Tongkat erhielt er die Literaturpreise ’De gouden uil’, ’De Jonge Gouden Uil’ und den flämischen Literaturpreis.


Alaska - Irgendwann muss uns einer von den Alaskas

ALASKA

If travel is searching
And home what’s been found
I’m not stopping
I’m going hunting
I’m a hunter
I’ll bring back the goods
But I don’t know when

BJÖRK
(Hunter)



Irgendwann muss uns einer von den Alaskas
Entwischt sein,
ein Feuerklumpen, auf seinem Weg,
fiebrig, durch die Savanne, sich von
einer Seite auf die andere werfend,
gleichgültig sandfarben, unter keuchender Sonne,
aufgegangen unter einem Dach aus Blättern, fleckig,
mit nadeldürren Pupillen schaut er uns an,
blitzend, wir beugen uns ein paar Meter tiefer
über dieses Rätsel
der sich in Luft auflösenden Spuren,
bis wir fühlen, wie uns der Blick im Nacken
brennt, wir hören, verzögert, wie sich eine Kugel in den Lauf
schiebt, es knackt, und wir lassen uns in dieser
einen luftleeren Sekunde vor der Zündung auf den
Rücken fallen, wir liegen, schießt es uns durch
Den Kopf, schon blind von einem Schneesturm
Auf der Ebene, als würden Tausende von ihnen
Gleichzeitig auf uns runtergehen, erfroren
In ihrem Sprung, Flusen, nach denen wir tasten,
ohne Chance, weil sie sich wie Schmetterlinge
zwischen unseren Fingern hindurchquetschen, um Jahre
später in uns
einen neuen Alaska aufflammen zu lassen.




Alaska - Du stehst da und

Du stehst da und
Funkelst allein
In einem Pelz aus Schnee
Und Beize umschwärmt
Von Spiegelungen die sich
Mit gespitzten Ohren voneinander
Abstoßen als wären sie ein Opfer
Der Schollenbewegung bis sie
Schließlich hervorgekrochen
Aus Spiegel und Spiegel jenseits
Der Vernunft und jenseits von
Müdigkeit unter einer merkwürdig
Eingefärbten Polarnacht daliegen und
Keuchen einer nach dem anderen
Träge wie eine Eisscholle in die Knie
Geht eine Ruhe in Resten
Aus geronnenem Fett
ein Schrei der sich in Echos
fortschleudert über eine schier endlose
Ebene abdriftet und irgendwann mal wieder fest
in deinem Gesicht landet.




Übersetzt von Thomas Kunst







Peter Verhelst (Brügge, 28. Januar 1962)





Der deutsche Lyriker und Schriftsteller Maik Lippert wurde am 28. Januar 1966 in Erfurt geboren. Von 1986 bis 1991 studierte er Wirtschaft in Moskau. Zwischen 1994 und 2003 lebte er in Frankfurt am Main und war unter anderem bei der Chemag AG kaufmännisch tätig. Heute arbeitet er als Berufsschullehrer in Berlin. Er ist seit 2005 mit der Schriftstellerin Katharina Lippert verheiratet. Er publiziert in Literaturzeitschriften und Anthologien wie dem Jahrbuch der Lyrik 2007 oder Lyrik von Jetzt und ist ein Bewunderer des Werks von T. S. Eliot und Arno Schmidt. Lippert debütierte 1995 mit Suizid wird nicht länger strafrechtlich verfolgt, einer gemeinsamen Publikation mit Ekkehard Schulreich aus Leipzig im Selbstverlag. Weitere Bände sind seitdem erschienen.
Maik Lippert erhielt einen Preis der Zeitschrift Das Magazin (Berlin) zum MDR - Literaturwettbewerb 2000 sowie im Rahmen des Literarischen März 2001 der Stadt Darmstadt den Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis 2001.



engelsposaune

jeden morgen der kelch
das gelb von gummihandschuhen
ein fingerzeig gottes
liegt auf dir
beim vorbeigehen am vorgarten
zur haltestelle
lukas stöbert
in den abfallkörben
den krumen nach
wandert am packpapier
die geäderte stierzunge
wie ein blatt
vom nachtschatten
noch bleich die geliebte
in der hand
das buch mit blauem einband
monologe über engelarten
und du denkst
an zierliche schulterblätter




rippenzählen

ich kam zu dir
rippenzählen
was hatte ich mehr
als deinen rücken
nach der schicht
rauchtest du erstmal
bis dein kopf ganz
porzellan war







Maik Lippert (Erfurt, 28. Januar 1966)

Dienstag, 27. Januar 2009

Lewis Carroll, Benjamin von Stuckrad-Barre

Der Englische Schriftsteller Lewis Carroll wurde am 27. Januar 1832 in Daresbury in England als der Sohn eines Geistlichen geboren und wuchs dort mit zehn weiteren Geschwistern auf. 1846 begann er seine Schulausbildung an der Rugby School und machte 1854 seinen Abschluss am Christ Church College in Oxford, das auch für seinen weiteren Lebensweg bestimmend bleiben sollte. Carroll machte seinen Abschluss am Christ Church College mit besonderem Erfolg im Bereich der Mathematik und des Schreibens. Er blieb als Mathematiklehrer an der Schule. Um 1881 gab Carroll seine Lehrtätigkeit auf und widmete sich ganz dem Schreiben. 1865 wurde sein berühmtes Buch Alice's Adventures in Wonderland (Alice im Wunderland) veröffentlicht, 1872 folgte die Fortsetzung Through the Looking Glass (Alice hinter den Spiegeln). Beide Werke waren von Anfang an ein großer Erfolg und werden heute als Kinderbücher mit satirischem Anklang angesehen, die in einer sehr phantasievollen, bizarren Welt spielen. Dabei haben sie jedoch noch eine weitere Facette, die den Mathematiker Carroll faszinierte: die Geschichten sind voller Denkspiele, Rätsel und Paradoxien und stellen somit auch Lehrbücher der Logik dar.

Aus: Alice im Wunderland (übersetzt von Antonie Zimmermann)

„Alice fing an sich zu langweilen; sie saß schon lange bei ihrer Schwester am Ufer und hatte nichts zu thun. Das Buch, das ihre Schwester las, gefiel ihr nicht; denn es waren weder Bilder noch Gespräche darin. "Und was nützen Bücher," dachte Alice, "ohne Bilder und Gespräche?"
Sie überlegte sich eben, (so gut es ging, denn sie war schläfrig und dumm von der Hitze,) ob es der Mühe werth sei aufzustehen und Gänseblümchen zu pflücken, um eine Kette damit zu machen, als plötzlich ein weißes Kaninchen mit rothen Augen dicht an ihr vorbeirannte.
Dies war grade nicht sehr merkwürdig; Alice fand es auch nicht sehr außerordentlich, daß sie das Kaninchen sagen hörte: "O weh, o weh! Ich werde zu spät kommen!" (Als sie es später wieder überlegte, fiel ihr ein, daß sie sich darüber hätte wundern sollen; doch zur Zeit kam es ihr Alles ganz natürlich vor.) Aber als das Kaninchen seine Uhr aus der Westentasche zog, nach der Zeit sah und eilig fortlief, sprang Alice auf; denn es war ihr doch noch nie vorgekommen, ein Kaninchen mit einer Westentasche und einer Uhr darin zu sehen. Vor Neugierde brennend, rannte sie ihm nach über den Grasplatz, und kam noch zur rechten Zeit, um es in ein großes Loch unter der Hecke schlüpfen zu sehen.
Den nächsten Augenblick war sie im nach in das Loch hineingesprungen, ohne zu bedenken, wie in aller Welt sie wieder herauskommen könnte.
Der Eingang zum Kaninchenbau lief erst geradeaus, wie ein Tunnel, und ging dann plötzlich abwärts; ehe Alice noch den Gedanken fassen konnte sich schnell festzuhalten, fühlte sie schon, daß sie fiel, wie es schien, in einen tiefen, tiefen Brunnen.
Entweder mußte der Brunnen sehr tief sein, oder sie fiel sehr langsam; denn sie hatte Zeit genug, sich beim Fallen umzusehen und sich zu wundern, was nun wohl geschehen würde. Zuerst versuchte sie hinunter zu sehen, um zu wissen wohin sie käme, aber es war zu dunkel etwas zu erkennen. Da besah sie die Wände des Brunnens und bemerkte, daß sie mit Küchenschränken und Bücherbrettern bedeckt waren; hier und da erblickte sie Landkarten und Bilder, an Haken aufgehängt. Sie nahm im Vorbeifallen von einem der Bretter ein Töpfchen mit der Aufschrift: "Eingemachte Apfelsinen", aber zu ihrem großen Verdruß war es leer. Sie wollte es nicht fallen lassen, aus Furcht Jemand unter sich zu tödten; und es gelang ihr, es in einen andern Schrank, an dem sie vorbeikam, zu schieben.“






Lewis Carroll (27. Januar 1832 – 14. Januar 1898)




Der deutsche Schriftsteller und Journalist Benjamin von Stuckrad-Barre wurde am 27. Januar 1975 in Bremen als viertes Kind einer Pastorenfamilie geboren und wuchs in Rotenburg (Wümme) auf. Dort besuchte er von 1987 bis 1990 das Ratsgymnasium. Seit 1993 arbeitet er als Schriftsteller. Nach seinem Abitur 1994 am Max-Planck-Gymnasium in Göttingen zog er nach Hamburg und begann ein Studium der Germanistik, das er jedoch bald darauf abbrach. Nach verschiedenen Praktika, u. a. beim NDR und der taz, folgten Anstellungen als Redakteur bei der Zeitschrift Rolling Stone, als Produktmanager beim Plattenlabel Motor Music und als Autor der Harald Schmidt Show. Nebenbei war er als freier Mitarbeiter diverser Zeitungen und Magazine wie FAZ, Die Woche, Stern und taz tätig. Bekanntheit erreichte er vor allem mit seinem 1998 erschienenen Debütroman Soloalbum, der 2003 auch verfilmt wurde. Durch den Erfolg dieses Romans und seiner folgenden Werke entwickelte sich Stuckrad-Barre zu einem der neuen deutschen Popliteraten der 1990er Jahre.

Aus: Was.Wir.Wissen.

“Alles kann man nicht wissen. Das weiß jeder. Bis immerhin Goethe (†1832) war das Weltwissen noch so überschaubar, dass man es sich komplett aneignen konnte – angeblich. Heute weiß man mehr und keiner mehr alles. Doch was man wenigstens wissen sollte, wird gern und häufig diskutiert und tabellarisch daherbehauptet. Allgemeinbildung!
Sollte man haben. Überhaupt: Das Wissen eines jeden wächst natürlich von Geburt bis Tod. Man lernt dazu – und wozu genau? Zum schon Gewussten, Abgenickten, Bewiesenen. Und wofür, das weiß man ja auch, nämlich nicht für die Schule. Sad vitae, traurige Lebensläufe.
Ein Witz, ein Fehler? Vielleicht auch ein Filmtitel. Mal nachgucken – und schon ist man drin.
Das ideale Medium, Wissen zu archivieren, zu verbreite(r)n, stetig, vertieft zu verknüpfen, ist mit dem Internet gefunden. Finden kann man dort alles, nur verliert man sich (tatsächlich und wortwörtlich alles Mögliche findend) bei der Suche gern einmal. Was es alles gibt, staunt man und ist so ratlos wie fasziniert. Es gibt nichts, was es nicht gibt, heißt es im so genannten Volksmund. Dieser wird gemeinhin als Urheber und Benutzer solcher Weisheiten, Bezeichnungen und Redewendungen identifiziert, deren Gebrauch zum Brauch geworden ist.
In diesen Prozess von Sprach- und Wissensentwicklung ermöglicht das Internet frühzeitig Einblick und Teilnahme. Jeder darf mitdefinieren. Und die relative Gleichförmigkeit von Präsentation, Zugänglichkeit und Ausschilderung von Quellen sehr unterschiedlicher Qualität spiegelt und potenziert die Verwirrung. An Wegweisern, Empfehlungen, Leitplanken und Abholungsangeboten mangelt es so wenig wie an Warnungen, Abschreckungen und Alternativen. Pisa usw.? Eher Babel und so www. Es wird Zeit, diesem Maul mal aufs Volk zu schauen."






Benjamin von Stuckrad-Barre (Bremen, 27. Januar 1975)

Montag, 26. Januar 2009

Achim von Arnim, Alfons Paquet

Der deutsche Schriftsteller Achim von Arnim wurde am 26. Januar 1781 als Spross eines alteingesessenen Adelshauses in Berlin geboren. Sein Vater war preußischer Kammerherr und Diplomat in Kopenhagen und Dresden, zeitweise auch Intendant der Berliner Theaterlandschaft; er selbst verbrachte einen Gutteil seiner Kindheit und Jugend bei seiner Großmutter. Während seines Studiums der Rechts- und der Naturwissenschaften in Halle (1798/99) und Göttingen (1800/01) lernte er Clemens Brentano kennen, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband. 1801 begab Arnim sich mit seinem Bruder auf eine dreijährige Bildungsreise durch Europa, vor allem durch Frankreich und England, wobei er in Dresden mit Ludwig Tieck zusammenkam. Gemeinsam mit Joseph von Görres bildeten Arnim und Brentano nach ihrem Umzug nach Heidelberg 1805 das Zentrum der jüngeren Romantik. Arnims gemeinsam mit Brentano herausgegebene dreibändige Sammlung Des Knaben Wunderhorn (1806-1808) mit etwa 600 Bearbeitungen deutscher Volkslieder, deren Idee wohl auf einer gemeinsamen Rheinfahrt 1802 geboren wurde, gehört zu den wichtigsten Zeugnissen einer von der Romantik propagierten „Volksdichtung”. Enthalten sind Liebes-, Kinder-, Kriegs- und Wanderlieder vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert. Arnims Novellensammlung Der Wintergarten (1809) zeigt die Hinwendung zum Übernatürlichen und übte ebenso wie der Eheroman Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores (1810) großen Einfluss auf die in der Tradition der Romantik stehenden Dichter aus.

Aus: Die Majoratsherren

“Wir durchblätterten eben einen ältern Kalender, dessen Kupferstiche manche Torheiten seiner Zeit abspiegeln. Liegt sie doch jetzt schon wie eine Fabelwelt hinter uns! Wie reich erfüllt war damals die Welt, ehe die allgemeine Revolution, welche von Frankreich den Namen erhielt, alle Formen zusammenstürzte; wie gleichförmig arm ist sie geworden! Jahrhunderte scheinen seit jener Zeit vergangen, und nur mit Mühe erinnern wir uns, daß unsre früheren Jahre ihr zugehörten. Aus der Tiefe dieser Seltsamkeiten, die uns Chodowieckis Meisterhand bewahrt hat, läßt sich die damalige Höhe geistiger Klarheit erraten; diese ermißt sich sogar am leichtesten an den Schattenbildern derer, die ihr im Wege standen und die sie riesenhaft über die Erde hingezeichnet hat. Welche Gliederung und Abstufung, die sich nicht bloß im Äußern der Gesellschaft zeigte! Jeder einzelne war wieder auch in seinem Ansehn, in seiner Kleidung eine eigene Welt, jeder richtete sich gleichsam für die Ewigkeit auf dieser Erde ein, und wie für alle gesorgt war, so befriedigten auch Geisterbeschwörer und Geisterseher, geheime Gesellschaften und geheimnisvolle Abenteurer, Wundärzte und prophetische Kranke die tiefgeheime Sehnsucht des Herzens, aus der verschlossenen Brusthöhle hinausblicken zu können. Beachten wir den Reichtum dieser Erscheinungen, so drängt sich die Vermutung auf, als ob jenes Menschengeschlecht sich zu voreilig einer höheren Welt genahet habe und, geblendet vom Glanze der halbentschleierten, zur dämmernden Zukunft in frevelnder Selbstvernichtung fortgedrängt, durch die Notdurft an die Gegenwart der Erde gebunden werden mußte, die aller Kraft bedarf und uns in ruhiger Folge jede Anstrengung belohnt.”






Achim von Arnim (26. Januar 1781 - 21. Januar 1831)
Kupferstich von Hans Meyer





Der deutsche Dichter, Journalist und Schriftsteller Alfons Paquet wurde am 26. Januar 1881 in Wiesbaden geboren. 1900 gewann er einen Preis für eine Erzählung und entschloss sich, nach Berlin zu übersiedeln und Journalist zu werden. Schon 1901 veröffentlichte er einen ersten Erzählungsband und im darauffolgenden Jahr ein Buch mit Gedichten und Liedern. Bereits 1903 begann Paquet eine - sein ganzes späteres Leben bestimmende - Reisetätigkeit. Er fuhr mit der neu eröffneten Transsibirischen Eisenbahn durch Sibirien. Schon im nächsten Jahr unternahm er eine Reise in die USA, zur Weltausstellung nach St. Louis. In dieses Jahr fällt auch der Beginn seiner Arbeit für die Frankfurter Zeitung. In den Jahren bis zum Ersten Weltkrieg unternahm Paquet mehrmals Reisen in die Mongolei und nach China, eine Fahrt mit der Bagdadbahn bis nach Syrien und an diverse andere Ziele. Außerdem war er Zeuge der Ferrer-Unruhen in Paris. Diese Unruhen bildeten die Folie für seinen ersten Roman Kamerad Fleming. In den Zwanziger Jahren schrieb Paquet vermehrt für das Theater. Seine Stücke wurden von Erwin Piscator an der Berliner Volksbühne aufgeführt. 1932 wurde Alfons Paquet in die Preußische Akademie der Künste aufgenommen, in Frankfurt überreichte er als Repräsentant der Stadt den Goethepreis. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten jedoch verlor er beide Privilegien.Während eines Bombenangriffs im Februar 1944 starb Alfons Paquet im Keller seines Wohnhauses an einem Herzinfarkt.

Aus: Im kommunistischen Russland

„Mitten auf den Plätzen stehen Tribünen, verkleidet in Pierrotstoffen, in ekstatischen Blättermustern. [...] Die Balkone des Gouverneurspalastes tragen wehende, rote Fahnen; von allen Fenstersimsen hängt in ewiger Wiederholung das unheraldische Wappen der wildesten Republik: die von der Sichel gefaßte Ähre auf runden, menningroten, karmensinfarbenen und weißen Skythenschildern. Der Bauzaun eines unvollendeten großen Eckgebäudes nicht weit davon bietet eine Bretterfläche, die sich bis in die Nebenstraße fortsetzt; Kandinski mit seinen Schülern hat diese Fläche entdeckt und in Beschlag genommen. Die Maler haben Kübel voll Farbe an ihr leergemacht, sie führten ihre Pinsel und Besen mit orgiastischer Armbewegung, malten Jünglingsgestalten von elegant verschrobener Magerkeit, marschierende Gestalten, wirbelnde Räder, sprühende Kanonenschlünde, prismatisch auseinandergerissene Lichter, und über einem schwarzen Eisenleib mit glühenden Laternenaugen die Inschrift:
Die Revolution ist die Lokomotive der Geschichte.“



Aus: Held Namenlos

Auf ihren Ochsen sind mir die Männer entgegengeritten
In roten Mänteln, mit der kosmischen Gastlichkeit ihrer Welt;
Auf alten Grabhügeln saßen wir inmitten,
Und ihre Weiber entkleideten zum Geschenk sich im Zelt.
Im stürmenden Sande grunzte die Karawane,
Die Tiere fielen vor Hunger, erstickten in des Fußbodens grauem Schleim;
In der Sandwüste ein Schädel, nur gehütet von einer kleinen Fahne,
Modert, und rollt den Abhang hinab, als wollte er dennoch heim.
Nicht eine Erbse von Silber gab ich für die Seide der ellenlangen
Köstlichen Fahnen, mit indischen Göttern und Regenbogen bestickt,
Die auf den Steinhaufen der Hochpässe als Opfer hangen,
Mit Pferdehaaren, mit gebleichten Schafsschulterblättern geschmückt.






Alfons Paquet (26. Januar 1881 – 8. Februar 1944)

Sonntag, 25. Januar 2009

Virginia Woolf, William Somerset Maugham, Robert Burns

Die britische Schriftstellerin und Verlegerin Virginia Woolf wurde am 25. Januar 1882 in London als Adeline Virginia Stephen geboren. Sie entstammte einer wohlhabenden Intellektuellen-Familie, die zahlreiche Kontakte zu Literaten hatte. Als Jugendliche erlebte sie noch die viktorianischen Beschränkungen für Mädchen und Frauen. Sie war früh als Literaturkritikerin und Essayistin tätig; ihre Karriere als Romanautorin begann im Jahr 1915 mit The Voyage Out (Die Fahrt hinaus). Ende der 1920er Jahre war sie eine erfolgreiche und international bekannte Schriftstellerin. Ihre Wiederentdeckung erfolgte in den 1970er Jahren, als ihr Essay A Room of One’s Own (Ein eigenes Zimmer) zu einem der meistzitierten Texte der neuen Frauenbewegung wurde. Mit ihrem avantgardistischen Werk zählt sie als erste Frau zur klassischen Moderne.

Aus: Mrs Dalloway

„Mrs Dalloway sagte, sie wolle die Blumen selber kaufen. Denn Lucy hatte genug zu bestellen. Die Türen würden aus den Angeln gehängt werden; Rumpelmayers Leute kämen. Un dann, dachte Clarissa Dalloway, was für ein Morgen - frisch, wie geschaffen für Kinder am Strand.
Was für ein Vergnügen! Was für ein Sprung! Denn so war es ihr immer vorgekommen, wenn sie, mit einem leichten Quietschen der Angeln, das sie jetzt hören konnte, die Fenstertür zum Garten aufgerissen hatte und in Bourton ins Freie gesprungen war. Wie frisch, wie ruhig, stiller natürlich als jetzt, die Luft am frühen Morgen war; wie der Klaps einer Welle; der Kuss einer Welle, eiskalt und schneidend und doch (für ein Mädchen von achtzehn, das sie damals war) feierlich, mit dem Gefühl, das sie an der offenen Tür stehend hatte, etwas Bestürzendes werde sich gleich ereignen; auf die Blumen blickend, auf die Bäume mit dem entweichenden Dunst und die steigenden und sinkenden Krähen, stehend und blickend, bis Peter Walsh sagte "zum Grübeln ins Gemüse" - war es das? - "Menschen sind mir lieber als Blumenkohl" - war es das?“






Virginia Woolf (25. Januari 1882 – 28. März 1941)
Porträt von Roger Fry




Der Britische Schrifsteller William Somerset Maugham wurde am 25. Januar 1874 als Sohn eines Beamten der britischen Botschaft in Paris geboren, wuchs zunächst französischsprachig auf und erlernte die englische Sprache erst nach dem Tod seiner Eltern, als er im Alter von zehn Jahren zu einem Onkel nach Kent kam. Er studierte Medizin, veröffentlichte währenddessen einen Roman ("Liza of Lambeth") und praktizierte nach der Abschlussprüfung 1897 nicht als Arzt, sondern lebte als freier Schriftsteller, unternahm ausgedehnte Reisen und arbeitete zeitweise für den Geheimdienst. Zunächst verfasste William Somerset Maugham Theaterstücke, dann gelang ihm 1915 mit "Of Human Bondage" ("Der Menschen Hörigkeit") auch als Romancier der Durchbruch. Immer wieder befasste er sich mit der übermäßigen Einschränkung der individuellen Freiheit durch zum Teil sinnlose gesellschaftliche Normen, die daraus resultierende Heuchelei und die Suche nach dem Sinn des Lebens. Er gilt als einer der meistgelesenen englischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts.

Aus: Der Magier (Aus d. Engl. v. Melanie Steinmetz u. Ute Haffmans)

“Ich wurde manches Mal eingeladen, ein Wochenende auf dem Land zu verbringen. Der Trinkgelder wegen, die man dem Butler geben musste, auch dem Diener, der einem den Tee ans Bett brachte, waren diese Tage kein reines Vergnügen für mich. Der Mann packte einem den Handkoffer aus, und man war sich verlegen bewusst, dass die recht vertragenen Pyjamas und die einfachen Toilettengegenstände darin keinen guten Eindruck auf ihn gemacht hatten. Trotz alledem fand ich das Leben freundlich und genoss die Zeit. Es schien keinen Grund zu geben, warum ich nicht endlos auf die gleiche Art weitermachen sollte: einmal im Jahr einen Roman herausbringen (er brachte selten mehr ein als den kleinen Vorschuss, den mir der Verleger gegeben hatte, wurde aber im allgemeinen anerkennend besprochen), zu immer mehr Einladungen gehen und immer mehr Freunde gewinnen. Das alles war gut und schön, aber ich sah doch nicht recht, dass es mich irgendwohin führte. Ich war dreissig. Ich hatte mich festgefahren. Ich fand, ich müsse aus diesem Geleise heraus. Für meinen Entschluss brauchte ich nicht viel Zeit. Dem Freund, mit dem ich die Wohnung teilte, erklärte ich, dass ich sie los sein und ins Ausland gehen wolle. Allein konnte er sie nicht halten, aber wir hatten Glück und fanden einen älteren Herrn, der seine Freundin dort unterbringen wollte und bereit war, sie uns abzunehmen. Wir verkauften die Möbel so günstig wie möglich, und einen Monat später war ich nach Paris unterwegs. In einem billigen Hotel am linken Seine-Ufer nahm ich mir ein Zimmer. Wenige Monate zuvor hatte ich das Glück gehabt, mit einem jungen Maler Freundschaft zu schliessen, der in der Rue Campagne-Première ein Atelier hatte. Er hiess Gerald Kelly. Für einen Maler hatte er eine ungewöhnliche Erziehung, denn er war in Eton und Cambridge gewesen.“






William Somerset Maugham (25. Januar 1874 – 16. Dezember 1965)




Der schottische Schriftsteller und Poet Robert Burns wurde am 25. Januar 1759 in Alloway, Ayrshire geboren und stammte aus einfachen Verhältnissen.Die Bildung wurde ihm teils vom Vater vermittelt, teils autodidaktisch erworben. 1786 hatte er mit seinem ersten Gedichtsband Poems chiefly in the Scottish dialect großen Erfolg. Dieser Band fand bei den Kritikern in Edinburghs literarischen Kreisen derart begeisterten Anklang, daß er sich zunächst vor Aufträgen kaum retten konnte. Er verlor die Sympathien seiner Gönner jedoch wegen seines freien Lebenswandels, seiner Klerikersatiren und seiner positiven Einstellung zur Französischen Revolution. Neben Sir Walter Scott ist er der berühmteste schottische Poet. In seinen volkstümlichen lyrischen und epischen Dichtungen verwertet er oft alte schottische Quellen. Er schrieb die Verserzählung "Tam o' Shanter", schlichte Liebesgedichte, anschauliche Naturlyrik und Lieder, die zu Volksliedern wurden, z.B. My heart's in the Highlands oder Auld lang syne.


The Ploughman's Life

As I was a-wand'ring ae morning in spring,
I heard a young ploughman sae sweetly to sing;
And as he was singin', thir words he did say, -
There's nae life like the ploughman's in the month o' sweet May.

The lav'rock in the morning she'll rise frae her nest,
And mount i' the air wi' the dew on her breast,
And wi' the merry ploughman she'll whistle and sing,
And at night she'll return to her nest back again.




I Murder Hate

I murder hate by flood or field,
Tho' glory's name may screen us;
In wars at home I'll spend my blood-
Life-giving wars of Venus.
The deities that I adore
Are social Peace and Plenty;
I'm better pleas'd to make one more,
Than be the death of twenty.

I would not die like Socrates,
For all the fuss of Plato;
Nor would I with Leonidas,
Nor yet would I with Cato:
The zealots of the Church and State
Shall ne'er my mortal foes be;
But let me have bold Zimri's fate,
Within the arms of Cozbi!







Robert Burns (25. Januar 1759 – 21. Juli 1796)
Statue in Stanley Park, Vancouver

Samstag, 24. Januar 2009

E. Th. A. Hoffmann, Ivan Ivanji

Der deutsche Schriftsteller, Jurist, Komponist und Kapellmeister Ernst Theodor Amadeus Hoffmann wurde am 24. Januar 1776 als Sohn eines Rechtsanwalts in Königsberg geboren. Hoffmann studierte in den Jahren von 1892 bis 1895 Jura in Königsberg. Während seines Studiums beschäftigte er sich mit dem Zeichnen und Malen, aber auch schon mit dem Schreiben und dem Komponieren. Ab 1821 war er Mitglied im Oberappelationssenat des Kammergerichts, der obersten Instanz der Strafgerichtsbarkeit von Preußen. Doch mit seinem Märchen "Meister Floh" (1822) und dem Roman "Kater “Murr" (1820–1822) handelte sich Hoffmann ein Verfahren wegen "Verletzung der Amtsverschwiegenheit" ein. In diesen Stücken schilderte er seine Doppeltätigkeit als Staatsdiener und Künstler in satirischer Weise. Ernst Theodor Amadeus Hoffmann war ein vielseitig begabter Künstler. Er selbst konnte sich lange Zeit nicht für eine bestimmte künstlerische Form entscheiden. Anfangs stellte sich ihm die Frage zwischen Malerei und Musik. Zunächst betätigte er sich als Musiker. Seiner Bewunderung zu Wolfgang Amadeus Mozart gab er darin Ausdruck, dass er seinen eigentlichen dritten Taufnamen Wilhelm durch Amadeus ersetzte.Mit der Fertigstellung der Novelle "Ritter Gluck" legte er dann den Schwerpunkt auf die literarische Tätigkeit. Hoffmann war überwiegend als Prosadichter tätig und schrieb vorwiegend Märchen, Geschichten und Novellen, aber auch kritische Essays. Seine Einzelwerke fasste er unter erzählerische beziehungsweise thematische Aspekte zusammen zu großen Sammlungen. Seine Romane wie zum Beispiel "Elexiere des Teufels" (1815/1816), "Nachtstücke" (1816/1817) und "Kater Murr" knüpfen an die traditionellen Schauerromane an.

Aus: Lebensansichten des Katers Murr

„Es ist doch etwas Schönes, Herrliches, Erhabenes um das Leben! – »O du süße Gewohnheit des Daseins!« ruft jener niederländische Held in der Tragödie aus. So auch ich, aber nicht wie der Held in dem schmerzlichen Augenblick, als er sich davon trennen soll – nein! – in dem Moment, da mich eben die volle Lust des Gedankens durchdringt, daß ich in jene süße Gewohnheit nun ganz und gar hineingekommen und durchaus nicht willens bin, jemals wieder hinauszukommen. – Ich meine nämlich, die geistige Kraft, die unbekannte Macht, oder wie man sonst das über uns waltende Prinzip nennen mag, welches mir besagte Gewohnheit ohne meine Zustimmung gewissermaßen aufgedrungen hat, kann unmöglich schlechtere Gesinnungen haben als der freundliche Mann, bei dem ich Kondition gegangen, und der mir das Gericht Fische, das er mir vorgesetzt, niemals vor der Nase wegzieht, wenn es mir eben recht wohlschmeckt.
O Natur, heilige hehre Natur! wie durchströmt all deine Wonne, all dein Entzücken meine bewegte Brust, wie umweht mich dein geheimnisvoll säuseln der Atem! – Die Nacht ist etwas frisch, und ich wollte – doch jeder, der dies lieset oder nicht lieset, begreift nicht meine hohe Begeisterung, denn er kennt nicht den hohen Standpunkt, zu dem ich mich hinaufgeschwungen! – Hinaufgeklettert wäre richtiger, aber kein Dichter spricht von seinen Füßen, hätte er auch deren viere so wie ich, sondern nur von seinen Schwingen, sind sie ihm auch nicht angewachsen, sondern nur Vorrichtung eines geschickten Mechanikers. Über mir wölbt sich der weite Sternenhimmel, der Vollmond wirft seine funkelnden Strahlen herab, und in feurigem Silberglanz stehen Dächer und Türme um mich her! Mehr und mehr verbraust das lärmende Gewühl unter mir in den Straßen, stiller und stiller wird die Nacht – die Wolken ziehen – eine einsame Taube flattert in bangen Liebesklagen girrend um den Kirchturm! –„






E. Th. A. Hoffmann (24. Januar 1776 – 25. Juni 1822)





Der jugoslawische Schriftsteller, Übersetzer, Diplomat und Journalist Ivan Ivanji wurde am 24. Januar 1929 in Veliki Bečkerek, Vojvodina, geboren. Als Sohn einer jüdischen Ärztefamilie wurde Ivan Ivanji 1944/45 in den Konzentrationslagern Auschwitz und Buchenwald, sowie in dessen Außenlagern Niederorschel und Langenstein-Zwieberge interniert. Danach studierte er an der Universität Belgrad Architektur und Germanistik. Er war unter anderem Lehrer, Theaterintendant, Dolmetscher für Josip Broz Tito, 1974-1978 als jugoslawischer Kulturattaché in Bonn tätig und 1982-1988 Generalsekretär des jugoslawischen Schriftstellerverbandes. Bekannt ist er vor allem als Romanschriftsteller, er schrieb aber auch Beiträge zu politischen Themen für deutsche Zeitungen und Zeitschriften, u. a. für den Spiegel und den Rheinischen Merkur. Über seine Zeit als Dolmetscher für den jugoslawischen Staatschef berichtet er in seinen Erinnerungen mit dem Titel Titos Dolmetscher. Ivan Ivanji übersetzt seine eigenen Romane sowie Danilo Kiš und andere jugoslawische Autoren ins Deutsche sowie Werke deutsch- und ungarischsprachiger Autoren ins Serbokroatische. Er lebt in Wien und Belgrad.

Aus: Titos Dolmetscher

“Ich habe gern für Tito gearbeitet. Hochachtung und Höflichkeit meinerseits waren etwas Selbstverständliches – er war nicht nur der Staatschef, er war auch um so viel älter. Er duzte mich manchmal, manchmal redete er mich mit Sie an; ich verstand, dass er oft zerstreut war, und das hat mich nie gestört. Er war immer liebenswürdig und fragte mich, wie alle anderen, die er seltener traf, stets nach dem Befinden. Er konnte auf eine listige Weise geistreich sein. Ich habe ihn mitunter den „besten schlechten Redner der Welt“ genannt. Ein guter Redner war er nicht, was bei einem erfolgreichen Politiker vielleicht wunderlich ist, aber am Anfang seiner Laufbahn war er wohl zu oft in der Illegalität, um eine solche Gabe zu entwickeln. Sein Akzent war seltsam, man glaubte deshalb im Ausland, er sei eigentlich Russe, was nicht stimmt. Er wurde, wie es in seiner offiziellen Biografie steht, in Kumrovec in Kroatien geboren, war als Kind aber oft bei seinen Großeltern mütterlicherseits in Slowenien. So wuchs er zwischen dem Slowenischen und dem Dialekt seiner kroatischen Heimat, dem Zagorje, auf und lebte später zwischen Deutsch, Serbisch und Russisch. Daher sein ungewöhnlicher Duktus. Einer meiner Onkel, der perfekt Serbisch, Deutsch und Ungarisch beherrschte, sprach trotzdem oder gerade deshalb alle diese Sprachen mit fremdem Akzent. Am besten war Tito, wenn er eine vorbereitete Rede ärgerlich beiseite schob und improvisierte. Dazu ein Beispiel.
Staatsbesuch in der Bundesrepublik Deutschland Ende Juni 1974. Mittagessen, gegeben vom Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Heinz Kühn, in Düsseldorf. Anwesend die Prominenz von Rhein und Ruhr.“






Ivan Ivanji (Zrenjanin, 24. Januar 1929)

Freitag, 23. Januar 2009

Christina Viragh, Friedrich von Matthisson

Die ungarisch-schweizerische Schriftstellerin Christina Viragh wurde am 23. Januar 1953 in Budapest geboren Christina Viragh musste 1956 mit ihrer Familie ihre ungarische Heimat verlassen und zog 1960 nach Luzern um, wo sie auch aufwuchs. Sie absolvierte ein Studium der Philosophie, Französischen und Deutschen Literatur an der Universität Lausanne. Von 1985 bis 1987 arbeitete Christina Viragh als Teaching Assistant für Französisch an der University of Manitoba in Winnipeg. Sie ist seit 1999 korrespondierendes Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Christina Viragh lebt und arbeitet heute in Rom. Sie ist auch bekannt als Übersetzerin (unter anderem von Péter Nádas, Sándor Márai, Imre Kertész und Alain-Fournier).

Aus: Im April

“Heuer, Sechzigerjahre, haben die Stürme des Vorfrühlings jedenfalls gehalten, was sie versprachen, schon am 4. Juni hat man im See baden können, und jetzt, am 11. Juni, sind es 29 Grad. Jeden Tag kann es soweit sein, denkt der Mann, der im Schlafzimmer angezogen auf dem Bett liegt. Sie räumen aus, es ist schon fast alles ausgeräumt. Seine Tochter Mari, der es verboten ist, hinter das Haus zu gehen, steht hinter dem Haus. Sie ist unsichtbar zwischen Möbeln und Kisten, die aus dem Bauernhaus ausgeräumt worden sind. Es sind auch Tiere zum Vorschein gekommen, aus dem Keller ein Schwein, aus dem Schuppen ein Schrankvoll Kaninchen. Der zum Käfig umfunktionierte Schrank ist ein Empire-Stück. Das Schwein ist mit einem Strick an einem der Birnbäume festgebunden und hat die Augen zu. Mari steht vor einer rotlackierten Kiste und fragt eins der Schacherkinder: Was ist da drin? Geht dich einen Scheißdreck an, sagt der älteste Schacherjunge. Im Neubau wird ein Fenster zugemacht, Mari blickt zum zweiten Stock hinauf, aber hinter den Geranienkisten aus Styropor ist das Schlafzimmerfenster, aus unerklärlichen Gründen die einzige Öffnung des Schlafzimmers zum Balkon, immer noch offen. Mari stellt sich etwas abseits, hinter die im Vorfrühling durch die Stürme gefällte kleine Tanne. Er kann mich nicht sehen, denkt sie, aber sie täuscht sich, vorhin hat er sie gesehen, als er vom Bett aufstand und sich ans Fenster stellte. Es schlägt zwölf, das Mittagsgeläut beginnt, Mari geht vom umgefallenen Baum wieder zur roten Kiste. Bekommst du zu Hause nichts zu fressen? fragt der älteste Schacherjunge, der von seiner Mutter gerade ins Haus kommandiert wird. Und du, verschwinde, sagt die Frau zu Mari. Mari verschwindet hinter dem Schuppen. Steht eine Weile dort, das Geläut hört auf, es wird still, kein Verkehr auf der Straße, nur jetzt eben die Straßenbahn, dann nur das Besteckgeklapper aus den Mietshäusern ringsum und aus zwei oder drei Wohnungen das Radio. Kein Mensch auf dem ganzen Grundstück. Mari blickt hinter dem Schuppen hervor zum Schwein hinüber, das sich hinzulegen versucht, was nicht geht, weil der Strick zu kurz ist. Jetzt, denkt Mari. Sie drückt sich an die morsche Schuppenwand und schaut zum zweiten Stock des Neubaus hinauf. Im linken Teil des Fensters hängt der Nylonvorhang in regloser Dichte, durch das schwarze Rechteck des vorhangfreien Fensterteils sieht man die Schlafzimmerwand als weißlichen Fleck. Mari drückt die Wange so stark an die Schuppenwand, daß ihr Kiefer aufklappt. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, es geschieht nichts, kein Knall in der Stille, sie hört zu zählen auf. Jetzt nicht, denkt sie und löst sich von der Schuppenwand. Was ist in der Kiste? Die Russen werden kommen. Was ist in der Kiste?”






Christina Viragh (Boedapest, 23. Januar 1953)




Der deutsche Lyriker und Sschriftsteller Friedrich von Matthisson wurde am 23. Januar 1761 in Hohendodeleben bei Magdeburg geboren. Sein Vater Johann Friedrich Matthisson war seit 1758 Pfarrer und starb wenige Wochen vor der im Pfarrhaus der Sankt-Peter-Kirche statt findenden Geburt seines Sohnes Friedrich. Dieser fand ab 1770 im Haus seines Onkels Aufnahme und besuchte mit ihm die literarische Mittwochsgesellschaft in Magdeburg. Ab 1773 besuchte er die Schule im Kloster Berge. Dann studierte er in Halle Theologie, Philologie und Literatur. Er arbeitete als Lehrer am Philanthropin in Dessau und ging darauf mit den jungen Grafen Sievers aus Livland auf Reisen, u.a. nach Hamburg, Eutin, Heidelberg und Mannheim. Dabei lernte er Klopstock, Johann Heinrich Voß und Matthias Claudius kennen. Nach zweijährigem Aufenthalt bei seinem Freund Karl Viktor von Bonstetten in Nyon am Genfersee nahm er 1790 die Stelle eines Erziehers bei einem reichen Kaufmann in Lyon an. 1794 wurde er zum Vorleser und Reisebegleiter der Fürstin Luise von Anhalt-Dessau berufen, bereiste mit ihr in den folgenden Jahren Italien, die Schweiz und Tirol. Von König Friedrich I. von Württemberg 1812 nach Stuttgart berufen, war er hier als Theaterintendant und Oberbibliothekar tätig, wurde geadelt, trat 1828 außer Dienst und zog sich 1829 nach Wörlitz zurück. Viele der Gedichte und Lieder Matthissons wurden von Ludwig van Beethoven und Franz Schubert vertont.


Der Grabstein

Bemooster Stein, im heiligen Gefilde
Der Aussaat Gottes, sei mir froh gegrüßt!
O du, auf den des Abendhimmels Milde
So freundlich sich ergießt!

Seit Jahren schweigen dir die Klagetöne
Des Freundes schon; auch sein Gebein ist Staub!
Dir streut kein Mädchen mehr, mit frommer Thräne,
Des Frühlings Erstlingslaub!

Wer nennt mir deinen Schlummrer! Halbverwittert,
Blieb dir des Todtenkopfes Zierde nur,
Die Schrift erlosch, und Wintergrün umzittert
Des Namens dunkle Spur!

Dir eil' ich zu, des Weltgetümmels müde,
Wann durchs Gebüsch die Abendröthe bebt,
Altar der Hofnung! wo Jehovas Friede
Auf Engelflügeln schwebt!





Sehnsucht

Gottes Dämrung ist schön! Wonne der Himlischen
Tönt dein Abendgesang, flötende Nachtigall!
Und es hüllet mein Auge
In den Schleier der Wehmuth sich?

Die du liebest ist fern! flüstert mein Genius,
Unter Erlen des Bachs wandelt die Traurende,
Weilt im dämmernden Schatten,
Wo die Zähre der Trennung rann!

Die ich liebe ist fern! Eil', o mein Genius,
Lispl' ihr: Einsam, wie du, denkt der Entfernte dein,
Und es hüllet sein Auge
In den Schleier der Wehmuth sich!







Friedrich von Matthisson (23. Januari 1761 – 12. März 1831)
Nach einem Gemälde von Johann H. W. Tischbein

Donnerstag, 22. Januar 2009

Wilhelm Genazino, Lord Byron

Der deutsche Schriftsteller Wilhelm Genazino wurde am 22. Januar 1943 in Mannheim geboren. Nach dem Abitur und einem Volontariat bei der Rhein-Neckar-Zeitung studierte Genazino Germanistik, Philosophie und Soziologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Nach Abschluss arbeitete er als freier Journalist und Redakteur. Er war bis 1971 Redakteur bei der Frankfurter Satire-Zeitschrift Pardon und von 1980 bis 1986 Mitherausgeber der Zeitschrift Lesezeichen. Seit Anfang der 1970er Jahre erwirbt er seinen Lebensunterhalt als freiberuflicher Schriftsteller. Genazino wurde mit dem Georg-Büchner-Preis sowie 2007 mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet

Aus: Mittelmäßiges Heimweh

Die Stadt ist fast leer. Die meisten Leute sind in Urlaub oder sitzen in Gartenlokalen. Die Hitze
drückt auf die Dächer. Ich könnte in mein Apartment gehen, aber dort ist es genauso warm wie draußen. Gestern abend bin ich so lange in der Stadt umherge laufen, bis ich durch die Müdigkeit ganz leicht geworden war. Schließlich habe ich mich auf eine Bank gesetzt und bin dort sogar eingeschlafen. Grölende Jugendliche haben mich zwanzig Minuten später geweckt, das war unangenehm. Es ist nicht einfach, ein einzelner zu sein. Ein Halbschuh liegt auf der Straße, die
Sohle nach oben. Aus einer Seitenstraße kommt das Geräusch eines Autos, das über eine Plastikflasche fährt. Es überholt mich ein Angestellter mit einem über der Schulter hängenden Koffer. Der Koffer zieht so stark nach unten, daß der Trageriemen den Rückenteil des Anzugs nach unten zieht und den Mann wie ein gehendes Unglück aussehen läßt. Ich ekle mich ein bißchen über die tief nach unten hängenden Unterlippen einiger vorüberkeuchender Jogger. Die Türen vieler Lokale sind weit offen. In manches Lokal trete ich kurz ein und kehre rasch wieder um. In Kürze werde ich dazu keine Lust mehr haben und mich einfach irgendwo auf einen Stuhl setzen und ein Glas Bier bestellen. Ich biege in die Wormser Straße ein und sehe in einiger Entfernung das Sportlereck. In diesem Lokal bin ich in der vorigen Woche zweimal gewesen. Der Wirt hob schon beim zweiten Mal wohlwollend die Hand, als er mich wiedererkannte. Die Tür unddie Fenster des Pils-Stübchens sind ebenfalls weit geöffnet, der Lärm der Besucher dringt auf die Straße und vermischt sich mit dem Lärm anderer Wirtschaften. Seit etwa einer Woche werden im Fernsehen die Spiele der Fußball-Europameisterschaft übertragen. In den meisten Lokalen sind die Fernsehapparate eingeschaltet. Meine Schritte führen mich halbautomatisch in die offene Tür des Sportlerecks hinein, obwohl ich mich nicht für Fußball interessiere.”






Wilhelm Genazino (Mannheim, 22. Januar 1943)





Der britische Dichter Lord George Gordon Byron wurde am 22. Januar 1788 in London geboren. Als Byron zehn Jahre alt war, verstarb sein Großvater, der 5. Lord Byron, und George erbte den Titel und Newstead Abbey, das Herrschaftshaus. Dennoch waren die Byrons bettelarm, das geringe Vermögen war treuhändisch festgelegt. Die energische Mutter schaffte es schließlich, Byrons Vormund zu einer Unterhaltszahlung zu überreden, von der die beiden einigermaßen existieren konnten. Byron wurde auf angemessene Schulen geschickt, hatte jedoch aufgrund seiner Behinderung dort kein leichtes Leben. 1806 veröffentlichte Byron seinen ersten Gedichtband, der sich außerordentlich gut verkaufte. Es gab einige schlechte Rezensionen seiner Verse, denen Byron jedoch öffentlich und mit beißendem Spott begegnete. Es war üblich, dass sich junge Herren aus gutem Hause auf eine Europareise begaben. So bereiste auch Byron 1809 zusammen mit den Freunden Hobhouse und Fletcher Europa, Albanien und den Mittleren Osten. Zu dieser Zeit begann er sein berühmtestes Werk, Childe Herold's Pilgrimage. Ein guter Freund überredete Byron 1812, die ersten zwei Gesänge des "Childe Harold" zu veröffentlichen. Die Verse brachten sensationellen Ruhm. Byron arrivierte zum Liebling der Gesellschaft.



On this day I complete my thirty-sixth year

'IS time the heart should be unmoved,
Since others it hath ceased to move:
Yet, though I cannot be beloved,
Still let me love!

My days are in the yellow leaf;
The flowers and fruits of love are gone;
The worm, the canker, and the grief
Are mine alone!

The fire that on my bosom preys
Is lone as some volcanic isle;
No torch is kindled at its blaze--
A funeral pile.

The hope, the fear, the jealous care,
The exalted portion of the pain
And power of love, I cannot share,
But wear the chain.

But 'tis not thus--and 'tis not here--
Such thoughts should shake my soul nor now,
Where glory decks the hero's bier,
Or binds his brow.

The sword, the banner, and the field,
Glory and Greece, around me see!
The Spartan, borne upon his shield,
Was not more free.

Awake! (not Greece--she is awake!)
Awake, my spirit! Think through whom
Thy life-blood tracks its parent lake,
And then strike home!

Tread those reviving passions down,
Unworthy manhood!--unto thee
Indifferent should the smile or frown
Of beauty be.

If thou regrett'st thy youth, why live?
The land of honourable death
Is here:--up to the field, and give
Away thy breath!

Seek out--less often sought than found--
A soldier's grave, for thee the best;
Then look around, and choose thy ground,
And take thy rest.








Lord Byron (22. Januar 1788 – 19. April 1824)
Porträt von Théodore Géricault

Mittwoch, 21. Januar 2009

Ludwig Thoma, Egon Friedell

Der deutsche Schrifsteller Ludwig Thoma wurde am 21. Januar 1867 als fünftes von acht Kindern in Oberammergau geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters wurde der siebenjährige Thoma in Landstuhl (in der damals bayerischen Pfalz), Neuburg/Donau, Burghausen , München und Landshut/Isar in Schulen und Internate geschickt. Die Schwierigkeiten mit Lehrern und Geistlichen, das bescheidene Leben der Mutter und die Entwicklung zur Individualität schilderte er in den "Lausbubengeschichten" und der "Tante Frieda" (1905 und 1907). Nach dem Referendariat in München eröffnete er 1894 in Dachau eine Anwaltspraxis. 1897 verlegte sie an den Marienplatz in München und verkaufte sie. Seit 1895 schrieb er für Zeitungen, zunächst für die "Augsburger Abendzeitung" , später für die "Münchner Neuesten Nachrichten" und den "Miesbacher Anzeiger" sowie für die Zeitschriften "Jugend" , "März" und "Süddeutsche Monatshefte". 1897 erschien sein erster Erzählungsband ("Agricola. Bauerngeschichten" ), Im März 1900 gewann ihn der junge Verleger Albert Langen als Redakteur der 1896 in München gegründeten satirischen Wochenzeitung "Simplicissimus" . Bis 1921 schrieb er für den "Simpl" 832 Artikel, Gedichte und Geschichten. Den ersten Bühnenerfolg hatte er 1901 in München mit der Komödie "Die Medaille" . Gleichzeitig schrieb er für Ernst von Wolzogens Berliner Kabarett "Überbrettl" . Als "Peter Schlemihl" veröffentlichte er im "Simplicissimus" satirische Gedichte, die ihn in ganz Deutschland bekannt machten.

Aus: Lausbubengeschichten

„Von meinem Zimmer aus konnte ich in den Vollbeckschen Garten sehen, weil die Rückseite unseres Hauses gegen die Korngasse hinausging.
Wenn ich nachmittags meine Schulaufgaben machte, sah ich Herrn Rat Vollbeck mit seiner Frau beim Kaffee sitzen, und ich hörte fast jedes Wort, das sie sprachen.
Er fragte immer: "Wo ist denn nur unser Gretchen so lange?", und sie antwortete alle Tage: "Ach Gott, das arme Kind studiert wieder einmal."
Ich hatte damals, wie heute, kein Verständnis dafür, daß ein Mensch gerne studiert und sich dadurch vom Kaffeetrinken oder irgend etwas anderem abhalten lassen kann. Dennoch machte es einen großen Eindruck auf mich, obwohl ich dies nie eingestand.
Wir sprachen im Gymnasium öfters von Gretchen Vollbeck, und ich verteidigte sie nie, wenn einer erklärte, sie sei eine ekelhafte Gans, die sich bloß gescheit mache.
Auch daheim äußerte ich mich einmal wegwerfend über dieses weibliche Wesen, das wahrscheinlich keinen Strumpf stricken könne und sich den Kopf mit allem möglichen Zeug vollpfropfe.
Meine Mutter unterbrach mich aber mit der Bemerkung, sie würde Gott danken, wenn ein gewisser Jemand nur halb so fleißig wäre wie dieses talentierte Mädchen, das seinen Eltern nur Freude bereite und sicherlich nie so schmachvolle Schulzeugnisse heimbringe. Ich haßte persönliche Anspielungen und vermied es daher, das Gespräch auf dieses unangenehme Thema zu bringen.
Dagegen übte meine Mutter nicht die gleiche Rücksicht, und ich wurde häufig aufgefordert, mir an Gretchen Vollbeck ein Beispiel zu nehmen.
Ich tat es nicht und brachte an Ostern ein Zeugnis heim, welches selbst den nächsten Verwandten nicht gezeigt werden konnte.
Man drohte mir, daß ich nächster Tage zu einem Schuster in die Lehre gegeben würde, und als ich gegen dieses ehrbare Handwerk keine Abneigung zeigte, erwuchsen mir sogar daraus heftige Vorwürfe.“






Ludwig Thoma (21. Januar 1867 – 26. August 1921)
Porträt von Thomas Baumgartner





Der deutsche Schriftsteller, Kulturphilosoph und Journalist Egon Friedell wurde am 21. Januar 1878 in Wien geboren. Er immatrikulierte sich noch vor der Reifeprüfung an der Berliner Universität für die Fächer Philosophie, Germanistik und Naturwissenschaften. Im Herbst 1897 wechselte er nach Heidelberg. Im selben Jahr konvertierte Friedell zum evangelisch-lutherischen Glauben. 1899 kehrte Egon Friedell nach Wien zurück und promovierte 1904 mit einer Dissertation zum Thema "Novalis als Philosoph". Der 1908 entstandene Einakter "Goethe" verschaffte dem Schriftsteller Renomee im deutschsprachigen Raum und Friedell, der bereits eine Vielzahl von Artikeln und Kurzgeschichten geschrieben hat, avancierte spätestens jetzt zu einer festen Größe der Wiener Kaffeehaus- und Theaterszene. Nachdem er zwischenzeitlich unter dem Künstlernamen "Friedländer" publiziert hatte, ließ er 1916 seinen ursprünglichen Familiennamen "Friedmann" auch amtlich auf "Friedell" ändern und arbeitete unter diesem Namen bis 1924 als Journalist und Theaterkritiker für das "Neue Wiener Journal" und andere Zeitungen. Einem Ruf Max Reinhardts folgend, war Friedell in den Jahren 1919 bis 1927 abwechselnd als Regisseur, Dramaturg und Schauspieler am "Deutschen Theater" in Berlin sowie am Wiener "Burgtheater" tätig. Ende der zwanziger, Anfang der dreissiger Jahre entstand sein dreibändiges Werk "Kulturgeschichte der Neuzeit", mit dem Egon Friedell international bekannt wurde.

Aus: Kulturgeschichte der Neuzeit (über Peter Altenberg)

„Peter Altenberg galt als der Typus des Dekadenten. Aber sein Feminismus war nicht Schwäche, sondern Stärke, nämlich eine erhöhte und bisher unerreichte Fähigkeit, sich in das weibliche Seelenleben zu versetzen. Alle früheren Dichter hatten sich zur Frau als mehr oder minder glückliche Deuter gestellt, er aber erlebte sie in sich selbst in der vollkommensten Weise, und wenn er sie schilderte, so las er gar nicht in einer fremden Seele, sondern in seiner eigenen. Sie sind die unheilbaren Träumerinnen und Idealistinnen, die grossen Enttäuschungen des Lebens, die wie verwunschene Märchenprinzessinen durch den Alltag wandern: Melanchonikerinnen wegen ihrer eigenen Unvollkommenheiten, wegen der Unvollkommenheiten der Männer, wegen der Unvollkommenheiten der ganzen Welt. Und in ihrem uferlosen, überspannten, hysterischen und im Grunde lebensunfähigen Idealismus wünschen sie nichts sehnlicher, als daß der Mann sie ins Vollkommene idealisiere, daß er in ihnen erblicke, was sie nicht sind, daß er ein Romantiker sei. Ein solcher Romantiker war Peter Altenberg. Er erblickte überall „Märchen des Lebens“, Melusinen und Dornröschen. Und jede bescheidene Kornblume war für ihn die blaue Blume der Romantik.“







Egon Friedell (21. Januar 1878 – 16. März 1938)

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Zuletzt aktualisiert: 23. Jan, 19:14

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