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Weltliteratur

Dienstag, 20. Januar 2009

Edward Hirsch, Nazim Hikmet

Der Amerkanische Lyriker und Schriftsteller Edward Hirsch wurde am 20. Januar 1950 in Chicago geboren. Hirsch studierte an der University of Pennsylvania, wo er über Folklore promovierte. Für seinen ersten Gedichtband »For the Sleepwalkers« (1981; Für die Schlafwandler) erhielt er den Lavan Younger Poets Award und den Delmore Schwartz Memorial Award. Das folgende Werk »Wild Gratitude« (1986; Wilde Dankbarkeit) wurde mit dem National Book Critics Circle Award ausgezeichnet. Hirschs Gedichte, die zwischen persönlicher Erfahrungswelt und Metaphysik einen Bogen schlagen, sind vom Dialog mit der klassischen und der zeitgenössischen internationalen Dichtkunst inspiriert. Hirsch verfasste auch theoretische Bücher, darunter »How to Read a Poem and Fall in Love with Poetry«, das in den USA ein Bestseller war. Als eifriger Botschafter der Dichtkunst wirkte er auch mit seiner wöchentlichen Poesiekolumne »Poet's Choice« in der »Washington Post Book World«. Er veröffentlichte Essays in Publikationen wie »The New Yorker«, »The New York Times Book Review«, »American Poetry Review« und »DoubleTake«,



In Memoriam Paul Celan

Lay these words into the dead man's grave
next to the almonds and black cherries---
tiny skulls and flowering blood-drops, eyes,
and Thou, O bitterness that pillows his head.

Lay these words on the dead man's eyelids
like eyebrights, like medieval trumpet flowers
that will flourish, this time, in the shade.
Let the beheaded tulips glisten with rain.

Lay these words on his drowned eyelids
like coins or stars, ancillary eyes.
Canopy the swollen sky with sunspots
while thunder addresses the ground.

Syllable by syllable, clawed and handled,
the words have united in grief.
It is the ghostly hour of lamentation,
the void's turn, mournful and absolute.

Lay these words on the dead man's lips

like burning tongs, a tongue of flame.
A scouring eagle wheels and shrieks.
Let God pray to us for this man.






Lay Back the Darkness

My father in the night shuffling from room to room
on an obscure mission through the hallway.

Help me, spirits, to penetrate his dream
and ease his restless passage.

Lay back the darkness for a salesman
who could charm everything but the shadows,

an immigrant who stands on the threshold
of a vast night

without his walker or his cane
and cannot remember what he meant to say,

though his right arm is raised, as if in prophecy,
while his left shakes uselessly in warning.

My father in the night shuffling from room to room
is no longer a father or a husband or a son,

But a boy standing on the edge of a forest
listening to the distant cry of wolves,

to wild dogs,
to primitive wingbeats shuddering in the treetops.







Edward Hirsch (Chicago, 20. Januar 1950)




Der türkische Lyriker Nazim Hikmet wurde am 20. Januar 1902 in Saloniki geboren. Er war zunächst Anhänger des türkischen Nationalismus, wandte sich aber rasch davon davon ab, als er die blutigen Auswirkungen erkannte und wurde zur Symbolfigur der demokratischen Bewegungen. Im Jahre 1938 wurde Hikmet zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Bis 1965 waren seine Werke in der Türkei verboten und wurden ausschließlich im Ausland gedruckt und unter der Hand verbreitet. In der Haft arbeitete Hikmet an seinem Hauptwerk "Ansichten der Menschen in meinem Heimatland".
Erst 1950 wurde der Dichter nach internationalen Protesten freigelassen. Kurz danach wurde er zum Militär einberufen und erhielt er gleichzeitig mit der Einberufung Morddrohungen. Hikmet floh mit einem Ruderboot übers Schwarze Meer und wurde von einem rumänischen Frachter aufgenommen.
1950-63 lebte Hikmet vorwiegend in Moskau. Offene Kritik an Stalin vor dem sowjetischen Schriftstellerkongress brachte ihn ins Visier des KGB, der sich jedoch mit der Überwachung des prominenten Flüchtlings begnügen musste


Sehnsucht

Heimkehren
will ich zum Meer,
hineintauchen in den blauen Wasserspiegel,
ins Meer!
Heimkehren will ich zum Meer!
Die Schiffe streben zum Horizont,
hell und weit,
ihre straffen Segel sind nicht gebläht vom Leid.
Ich wäre glücklich,
könnt ich einmal auf einem solchen Schiff Wache tun.
Da uns der Tod eines Tages gewiss ist,
nun so möcht ich wie ein in der Flut versickerndes Licht
verlöschen im Meer.
Heimkehren will ich zum Meer!
Heimkehren zum Meer!




Today is Sunday

Today is Sunday.
For the first time they took me out into the sun today.
And for the first time in my life I was aghast
that the sky is so far away
and so blue
and so vast
I stood there without a motion.
Then I sat on the ground with respectful devotion
leaning against the white wall.
Who cares about the waves with which I yearn to roll
Or about strife or freedom or my wife right now.
The soil, the sun and me...
I feel joyful and how.




Übertragen von Talat Sait Halman







Nazim Hikmet (20. Januar 1902 – 3. Juni 1963)

Sonntag, 18. Januar 2009

Rubén Darío, Peter Stamm

Der nicaraguanische Schriftsteller und Diplomat Rubén Darío wurde am 18. Januar 1867 in Metapa geboren. Schon mit 6 Jahren galt er als poeta niño – als dichterisches Wunderkind. In den 80er Jahren ging er nach Chile und arbeitete als freier Mitarbeiter bei verschiedenen Zeitungen, allen voran der Zeitung La Nación. Seine Tätigkeiten für erstere führten ihn nach Buenos Aires, New York und 1898 schließlich als Korrespondent nach Europa, wo er hauptsächlich in Kontakt mit spanisch- und französischsprachigen Autoren kam. Sein Werk Azul wird besonders in Spanien breit rezipiert. 1908 bis 1910 war er in Madrid als nicaraguanischer Botschafter tätig, beendete diese Tätigkeit aber aufgrund seiner Alkohol-Erkrankung. 1914 kehrte er von einer Vorlesungsreise, zu der er überredet wurde, – im Vorgefühl seines Todes – nach Nicaragua zurück. Er starb am 7. Februar 1916 an einer schweren Lungenentzündung in León. Darío gilt als Begründer des Modernismo in Lateinamerika. Beeinflusst wurde sein Werk vor allem durch die symbolistischen Dichter Paul Verlaine und Jean Moréas, aber auch durch Victor Hugo. Er war einer der ersten mittelamerikanischen Schriftsteller, der in spanischer Sprache schrieb und damit dem mittelamerikanischen Volk eine Stimme gab.


In Autumn

I know there are those who ask: Why does he not
sing with the same wild harmonies as before?
But they have not seen the labors of an hour
the work of a minute, the prodigies of a year.

I am an aged tree that, when I was growing.
uttered a vague, sweet sound when the breeze caressed me.
The time for youthful smiles has now passed by:
now, let the hurricane swirl my heart to song!




Nocturne

You that have heard the heartbeat of the night,
you that have heard, in the long, sleepless hours,
a closing door, the rumble of distant wheels,
a vague echo, a wandering sound from somewhere:

you, in the moments of mysterious silence,
when the forgotten ones issue from their prison--
in the hour of the dead, In the hour of repose--
will know how to read the bitterness in my verses.
I fill them, as one would fill a glass, with all
my grief for remote memories and black misfortunes,
the nostalgia of my flower-intoxicated soul
and the pain of a heart grown sorrowful with fêtes;

with the burden of not being what I might have been,
the loss of the kingdom that was awaiting me,
the thought of the instant when I might not have been born
and the dream my life has been ever since I was!

All this has come in the midst of that boundless silence
in which the night develops earthly illusions,
and I feel as if an echo of the world's heart
had penetrated and disturbed my own.




Übersetzt von Lysander Kemp







Rubén Darío (18. Januar 1867 – 6. Februar 1916)
Statue in Buenos Aires




Der Schweizer Schriftsteller Peter Stamm wurde am 18. Januar 1963 in Weinfelden, Kanton Thurgau, geboren als Sohn eines Buchhalters und wuchs in Weinfelden im Kanton Thurgau auf. Nach Primar- und Sekundarschule absolvierte er von 1979 bis 1982 eine kaufmännische Lehre und arbeitete zeitweise als Buchhalter. Er legte auf dem Zweiten Bildungsweg die Reifeprüfung ab und studierte ab 1987 an der Universität Zürich Anglistik, Wirtschaftsinformatik, Psychologie und Psychopathologie. Nach längeren Aufenthalten in New York, Paris und Skandinavien ließ sich Stamm 1990 als freier Schriftsteller und Journalist in Zürich nieder. Sein heutiger Wohnort ist Winterthur.
Stamm ist Verfasser von erzählender Prosa, von Hörspielen und Theaterstücken. Seit der Rückkehr in die Schweiz arbeitete er unter anderem für die Neue Zürcher Zeitung, den Tages-Anzeiger, die Weltwoche und die satirische Zeitschrift Nebelspalter. Seit 1997 gehörte er der Redaktion der Literaturzeitschrift entwürfe an und ist seit 2003 Mitglied des Verbandes „Autorinnen und Autoren der Schweiz“.

Aus: An einem Tag wie diesem

“Andreas liebte die Leere des Morgens, wenn er am Fenster stand, eine Tasse Kaffee in der einen, eine Zigarette in der anderen Hand, und auf den Hof hinausschaute, den kleinen, aufgeräumten Hinterhof, und an nichts dachte als an das, was er sah. In der Mitte des Hofes ein mit Efeu bepflanztes, viereckiges Beet, darin ein Baum, aus dem in der Mitte und oben ein paar dünne Äste wuchsen, zurechtgestutzt nach dem wenigen Raum, der zur Verfügung stand. Die leuchtend grünen Container, Glas, Verpackungen, Restmüll, das regelmäßige Muster der Zementplatten, von denen einige etwas heller waren, vor Jahren ersetzt aus irgendeinem Grund. Die Geräusche der Stadt waren nur leise zu hören, ein homogenes Rauschen, dazwischen entfernte Vogelrufe und sehr deutlich
das Geråusch eines sich öffnenden und wieder schließenden Fensters.
Dieser besinnungslose Zustand hielt nur wenige Minuten lang an. Noch bevor Andreas die Zigarette zu Ende geraucht hatte, fiel ihm der gestrige Abend ein.
Was er denn unter Leere verstehe, hatte Nadja gefragt. Für sie bedeutete Leere einen Mangel an Beachtung, an Liebe, die Abwesenheit von Menschen, die sie verloren hatte oder die sich nicht genug um sie kümmerten. Die Leere war ein Raum, der einmal ausgefüllt gewesen war, oder von dem sie glaubte, er könnte ausgefüllt sein, das Fehlen von etwas, das sie wohl selbst nicht genau hätte bezeichnen können.”





Peter Stamm (Weinfelden, 18. Januar 1963)

Freitag, 16. Januar 2009

Inger Christensen, Aleksandar Tišma

Die dänische Lyrikerin und Schriftstellerin Inger Christensen wurde am 16. Januar 1935 in Vejle, Dänemark geboren. Christensen absolvierte eine Ausbildung zur Volksschullehrerin, studierte Medizin, Chemie und Mathematik an der Universität Kopenhagen und arbeitete einige Jahre an einer Kunsthochschule. Seit 1962 lebte sie in Kopenhagen. Nach ihrem Debüt mit dem Gedichtband Lys (dt. Licht) im Jahre 1962 veröffentlichte sie 1969 eines ihrer Hauptwerke, den Gedichtzyklus Det (dt. Das) Der Gedichtband Alfabet (dt. „Alphabet“ 1981), ihr zweites Hauptwerk, bezieht sich auf die sogenannte Fibonacci-Reihe, eine nach dem italienischen Mathematiker Leonardo Fibonacci benannte Zahlenreihe, bei der sich jedes Glied der Reihe aus der Summe der beiden vorangehenden Zahlen errechnet (also: 0, 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13…). Christensen setzte die Fibonacci-Zahlen in Korrespondenz mit Struktur und Wachstum verschiedener Pflanzenarten. Daneben erschienen von ihr weitere Gedichtbände und eine Vielzahl von anderen literarischen Arbeiten, darunter zwei Romane, Kinder- und Jugendbücher, Theaterstücke, Hörspiele und zahlreiche Essays, davon viele auch in deutscher Übersetzung, so etwa im Jahr 2000 der Essayband Der Geheimniszustand und Gedicht vom Tod. Inger Christensen starb am 2. Januar dieses Jahres im Alter von 73 Jahren.


Alphabet (Fragment)

5

den herbst gibt es; den nachgeschmack und das nachdenken
gibt es; und das insichgehn gibt es; die engel,
die witwen und den elch gibt es; die einzelheiten
gibt es, die erinnerung, das licht der erinnerung;
und das nachleuchten gibt es, die eiche und die ulme
gibt es, und den wacholderbusch, die gleichheit, die einsamkeit
gibt es, und die eiderente und die spinne gibt es,
und den essig gibt es, und die nachwelt, die nachwelt


6

den fischreiher gibt es, mit seinem graublau gewölbten
rücken gibt es ihn, mit seinem federschopf schwarz
und seinen schwanzfedern hell gibt es ihn; in kolonien
gibt es ihn; in der sogenannten Alten Welt;
gibt es auch die fische; und den fischadler, das schneehuhn
den falken; das mariengras und die farben der schafe;
die spaltprodukte gibt es und den feigenbaum gibt es;
die fehler gibt es, die groben, die systematischen,
die zufälligen; die fernlenkung gibt es und die vögel;
und die obstbäume gibt es und das obst im obstgarten wo
es die aprikosenbäume gibt, die aprikosenbäume gibt,
in ländern wo die wärme genau die färbe im fleisch
erzeugen wird die aprikosenfrüchte haben


12

das leben, die luft die wir einatmen gibt es
eine leichtigkeit in allem, eine gleichheit in allem,
eine gleichung, eine offen bewegliche aussage
in allem, und während baum um baum hinaufbraust in
den frühen sommer, eine leidenschaft, leidenschaft
in allem, als gäbe es für das spiel der luft mit
dem fallenden manna eine einfache modellzeichnung,
einfach wie wenn das glück massenhaft nahrung hat
und das unglück keine, einfach wie wenn die sehnsucht
massenhaft wege hat und das leiden keine,
einfach wie der heilige lotus einfach ist
weil man ihn essen kann, eine zeichnung so einfach
wie wenn das lachen dein gesicht in luft zeichnet



Aus dem Dänischen von Hanns Grössel





Inger Christensen (16. Januar 1935 – 2. Januar 2009)





Der serbische Schriftsteller Aleksandar Tišma wurde am 16. Januar 1924 als Sohn eines Serben und einer ungarischen Jüdin in Horgoš an der Grenze Jugoslawiens zu Ungarn geboren. In Belgrad studierte er Deutsch, Englisch und Französisch und absolvierte eine Ausbildung als Journalist. Ab November 1944 nahm er an der Volksbefreiungsbewegung teil. Er arbeitete ab 1945 als Journalist und bei dem Verlag "Letopis matice srpske" als Lektor. Er lebte in Frankreich und Novi Sad. Ab 1950 beschäftigte er sich mit literarischen Arbeiten. Des Weiteren übersetzte er aus dem Deutschen und Ungarischen. Aleksandar Tišma war von Mai bis August 2000 am Literaturhaus Basel «Writer in Residence». Tišmas Werk gilt als Teil der Weltliteratur. Darin fokussierte er das Scheitern des europäischen Humanismus. Seine autobiografisch geprägten ersten fünf Bücher ergeben zusammen einen Romanzyklus, der in seiner Heimatstadt Novi Sad spielt.

Aus: Ohne einen Schrei (Übersetzt von Barbara Antkowiak)

„Die Wirtin erwachte von einem ungewohnten, gedehnten Ton; als sie lauschte, brach er ab, dann zerriß er wieder die schläfrige Stille des morgendlich dämmerigen Zimmers. Sie wußte, daß ihr Mann bereits zur Arbeit gegangen war - sie erinnerte sich, ihn über die Waschschüssel gebeugt und später mit der Mütze auf dem Kopf an der Tür gesehen zu haben - und daß das Kind neben ihr lag, sie spürte sein Gewicht und seinen Atem. In der Wohnung war also niemand sonst; dennoch wollte dieser gedehnte Ton, der wie ein Wimmern klang, nicht verstummen. In der Sekunde, als ihr bewußt wurde, daß es wirklich ein Wimmern war - vermutlich von einem Menschen -, war sie wach genug, um zu begreifen, daß es aus dem Mädchenzimmer kam, wo die Untermieterin wohnte.
Sie richtete sich im Bett auf, zog vorsichtig den Arm unter dem Kopf des Kleinen hervor, setzte die Füße auf den Boden und ging im Unterkleid, wie sie immer schlief - ohne in die Schuhe zu schlüpfen, die sie im Dunkeln nicht finden konnte -, auf Zehenspitzen zwischen Bett und Tisch hindurch zur Küche, in die das Licht des kalten Wintermorgens drang. Vor der Tür des Mädchenzimmers blieb sie stehen. Es war still gewesen, als sie über den kalten glatten Betonboden tapste, und für einen Moment hatte sie gedacht, das Geräusch zuvor sei ein Irrtum gewesen; nun machte sie zögernd an der Tür halt und hörte einen Schmerzenslaut, viel deutlicher als das schwer bestimmbare Wimmern, das sie im Zimmer vernommen hatte. Ohne Bedenken öffnete sie die Tür. Das Mädchenzimmer war hell wie die Küche, denn die Gardine war nicht zugezogen; die Wirtin erblickte mitten im Raum wie auf einer Bühne ihre Untermieterin Branka. Sie stand weit vorgebeugt, die Schuhe hatte sie von den Füßen gestreift, hielt die Knie gebeugt, der Kopf mit dem langen blonden Haar war kraftlos herabgesunken. Sie klammerte sich mit den Händen ans Bettgestell, als fürchte sie, jeden Augenblick zusammenzubrechen. Als die Tür knarrte, wandte sie erschrocken den Kopf und sah die Wirtin aus großen, grünen, weitstehenden Augen an; sie erkannte sie und begann zu weinen.“






Aleksandar Tišma (16. Januar 1924 – 16. Februar 2003)

Mittwoch, 14. Januar 2009

John Dos Passos, Werner Helwig

Der amerikanische Schriftsteller John Dos Passos wurde am 14. Januar 1896 in Chicago. Er gilt neben Ernest Hemingway und F. Scott Fitzgerald als einer der Hauptvertreter der amerikanischen Moderne und wird mit diesen zur Lost Generation gezählt. Dos Passos wurde als unehelicher Sohn eines wohlhabenden Rechtsanwalts portugiesischer Abstammung geboren und wuchs unter der Obhut seiner Mutter in Virginia auf. Noch als Schüler unternahm er mit einem Privatlehrer eine halbjährige Bildungsreise durch Frankreich, England, Italien, Griechenland und den Nahen Osten, um dort Meisterwerke der klassischen Kunst und Architektur im Original zu studieren. 1913 schrieb er sich an der Harvard-Universität ein und ging nach Studienabschluss 1916 nach Spanien, um sich dort ebenfalls Kunst und Architektur anzuschauen. Zu der Zeit wütete in Europa der Erste Weltkrieg, in den die USA damals noch nicht eingetreten waren. Dos Passos meldete sich im Juli 1917 auf französischer Seite zusammen mit seinen Freunden E. E. Cummings und Robert Hillyer als Krankenwagenfahrer. Der erste Roman One Man's Initiation: 1917 wurde 1920 veröffentlicht. Ihm folgte 1921 der Anti-Kriegs-Roman Three Soldiers, der ihm erste Anerkennung eintrug. 1925 erschien Manhattan Transfer, das heute neben James Joyce′ Ulysses und Alfred Döblins Berlin, Alexanderplatz als einer der großen Großstadtromane der literarischen Moderne gilt.

Aus: Three Soldiers

„The company stood at attention, each man looking straight before him at the empty parade ground, where the cinder piles showed purple with evening. On the wind that smelt of barracks and disinfectant there was a faint greasiness of food cooking.
At the other side of the wide field long lines of men shuffled slowly into the narrow wooden shanty that was the mess hall. Chins down, chests out, legs twitching and tired from the afternoon’s drilling, the company stood at attention. Each man stared straight in front of him, some vacantly with resignation, some trying to amuse themselves by noting minutely every object in their field of vision,—the cinder piles, the long shadows of the barracks and mess halls where they could see men standing about, spitting, smoking, leaning against clapboard walls. Some of the men in line could hear their watches ticking in their pockets.
Someone moved, his feet making a crunching noise in the cinders.
The sergeant’s voice snarled out: “You men are at attention. Quit yer wrigglin’ there, you!”
The men nearest the offender looked at him out of the corners of their eyes.
Two officers, far out on the parade ground, were coming towards them. By their gestures and the way they walked, the men at attention could see that they were chatting about something that amused them. One of the officers laughed boyishly, turned away and walkedslowly back across the parade ground. The other, who was the lieutenant, came towards them smiling. As he approached his company, the smile left his lips and he advanced his chin, walking with heavy precise steps.“






John Dos Passos (14. Januar 1896 – 28. September 1970)





Der deutsche Schriftsteller Werner Helwig wurde am 14.Januar 1905 in Berlin geboren. Von seinem Vater wurde er künstlerisch und musikalisch beeinflusst. Seine Leselust gedieh schon ungewöhnlich früh. Nach dem Besuch des Real-Gymnasiums begann er eine landwirtschaftliche Lehre und eignete sich in den folgenden Jahren als Autodidakt vielfältige Kenntnisse in den Bereichen Völkerkunde, Literatur und Musik an. Großen Einfluss auf sein weiteres Schaffen übte die Jugendbewegung aus; Helwig gehörte dem Nerother Wandervogel an und verbrachte Mitte der zwanziger Jahre längere Zeit auf der Burg Waldeck, dessen Bundeszentrum. Vagabundierend erkundete er viele Jahre lang Skandinavien, Island, Irland, Spanien und hielt sich als Emigrant seit 1933 in Griechenland und Italien auf.
Kurz vor Ausbruch des Krieges kam er in die Schweiz, von wo er – frisch verheiratet, seine Frau erwartete ein Kind – nach Liechtenstein ausgewiesen wurde. Dort verbrachte er die Kriegszeit in kargen Verhältnissen, da er nichts veröffentlichen durfte. Von 1949 bis zu seinem Tode lebte er in Genf.

Aus: Raubfischer in Hellas

„Ich gab nicht nach und hielt ihm entgegen, daß der Mensch, der in den Zentralen der Hochzivilisation lebe, sozusagen in der Urzelle seiner selbst bedroht sei. Die Luft sei nicht mehr in Ordnung, an den Nahrungsmitteln wirkten sich schädliche, kaum kontrollierbare Einflüsse aus, wegen der Übervölkerung nehme der Verkehr ständig zu. Man wisse nicht mehr, wohin das führen solle. Es sei keine Zukunft mehr da, der man geruhig und in Erwartung eines vergnüglichen Lebensabends entgegengedeihen könne. Man müsse von Moment zu Moment überleben und freue sich der erfochtenen Siege kaum. Denn schon wäre die nächste Sorge da und würde die Kraft von gestern und morgen zugleich verbrauchen. Er jedoch hätte sich in eine, wie er selbst dargestellt - Räubergesellschaft zurückgezogen, die sich, alles überspringend, an die Spitze des Vernichtungszuges gesetzt hätte, der, man wisse nicht wann, jedenfalls irgendwo im neunzehnten Jahrhundert, aufgebrochen sei, um der Welt die letzte ihrer Stunden aufzuzwingen. Was aber unternähme er, um diese Entwicklung zu stoppen? Während in den Städten Gegenmaßnahmen durchberaten und erprobt würden, hätten seine Freunde nichts Besseres im Sinn, als das Meer, die Lebensweide von einigen hunderttausend Wesen, lahmzulegen und der künftigen Weltverödung die ersten gelungenen Entwürfe zu liefern!"





Werner Helwig (14. Januar 1905 – 4. Februar 1985)

Dienstag, 13. Januar 2009

Edmund White, Daniel Kehlmann

Der amerikanische Schriftsteller Edmund White wurde am 19. Januar 1940 in Cincinnati geboren. Nach längeren Aufenthalten in New York und Rom arbeitete er Anfang der 70er Jahre als Redakteur für die Literaturzeitschriften The Saturday Review und Horizon. Zusammen mit sechs anderen schwulen Autoren begründete er die literarische Gruppe Violet Quill. Nach Whites ersten Erzählungen Forgetting Elena (1973) und Notturno für den König von Neapel (1978) erschien 1982 als erster Titel in einer Reihe autobiografischer Romane Selbstbildnis eines Jünglings. Geschildert wird das Ende der Kindheit eines Jungen, der seine Homosexualität entdeckt und herauszufinden versucht, wie er mit dieser Entdeckung umgehen soll. Diesem Buch folgten Und das schöne Zimmer ist leer (1988), Abschiedssymphonie (1997) und The Married Man (2000). Damit ist die Tetralogie seiner autobiografischen Romane abgeschlossen. White verfasste zwei Biografien – über Jean Genet 1993 und über Marcel Proust 1999.

Aus: Hotel de Dream

„Cora never thought for a moment that her young husband could die. Other people—especially that expensive specialist who'd come down for the day from London and stuck his long nose into every corner of Brede Place and ended up charging her fifty pounds!—he'd whispered that Stevie's lungs were so bad and his body so thin and his fever so persistent that he must be close to the end. But then, contradicting himself, he'd said if another hemorrhage could be held off for three weeks he might improve.
It was true that she had had a shock the other day when she'd bathed Stephen from head to foot and looked at his body standing in the tub like a classroom skeleton. She'd had to hold him up with one hand while she washed him with the other. His skin was stretched taut against the kettledrum of his pelvis.
And hot—he was always hot and dry. He himself said he was "a dry twig on the edge of the bonfire."
"Get down, Tolstoi, don't bother him," Cora shouted at the tatterdemalion mutt. It slipped off its master's couch and trotted over to her, sporting its feathery tail high like a white standard trooped through the dirty ranks. She unconsciously snuggled her fingers under his silky ears and he blinked at the unexpected pleasure.
The newspapers kept running little items at the bottom of the page headlined, "Stephen Crane, the American Author, Very Ill." The next day they announced that the American author was improving. She'd been the little bird to drop that particular seed about improvement down their gullets.
Poor Stephen—she looked at his head as he gasped on the pillow. She knew that even in sleep his dream was full of deep, beautiful thoughts and not just book-learning! No, what a profound wisdom of the human heart he'd tapped into. And his thoughts were clothed in such beautiful raiments.“






Edmund White (Cincinnati, 13. Januar 1940)





Der deutsche Schriftsteller Daniel Kehlmann wurde am 13. Januar 1975 als Sohn des Regisseurs Michael Kehlmann und der Schauspielerin Dagmar Mettler in München geboren. 1981 kam er mit seiner Familie nach Wien, wo er das Kollegium Kalksburg, eine Jesuitenschule, besuchte und danach an der Universität Wien Philosophie und Germanistik studierte. 1997 erschien sein erster Roman "Beerholms Vorstellung". Er hatte Poetikdozenturen in Mainz, Wiesbaden und Göttingen inne und wurde mit zahlreichen Preisen, darunter dem Preis der Konrad-Adenauer-Stiftung, dem Doderer-Preis, dem Kleist-Preis 2006 sowie zuletzt dem WELT-Literaturpreis 2007 ausgezeichnet. Kehlmanns Rezensionen und Essays erschienen in zahlreichen Magazinen und Zeitungen, darunter "Der Spiegel", "Guardian", "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Süddeutsche Zeitung", "Literaturen" und "Volltext". Sein Roman "Ich und Kaminski" war ein internationaler Erfolg, sein Roman "Die Vermessung der Welt", in bisher vierzig Sprachen übersetzt, wurde zu einem der erfolgreichsten deutschen Romane der Nachkriegszeit. Daniel Kehlmann lebt als freier Schriftsteller in Wien und Berlin.

Aus: Die Vermessung der Welt

“Im September 1828 verließ der größte Mathematiker des Landes zum erstenmal seit Jahren seine Heimatstadt, um am Deutschen Naturforscherkongreß in Berlin teilzunehmen. Selbstverständlich wollte er nicht dorthin. Monatelang hatte er sich geweigert, aber Alexander von Humboldt war hartnäckig geblieben, bis er in einem schwachen Moment und in der Hoffnung, der Tag käme nie, zugesagt hatte.
Nun also versteckte sich Professor Gauß im Bett. Als Minna ihn aufforderte aufzustehen, die Kutsche warte und der Weg sei weit, klammerte er sich ans Kissen und versuchte seine Frau zum Verschwinden zu bringen, indem er die Augen schloß. Als er sie wieder öffnete und Minna noch immer da war, nannte er sie lästig, beschränkt und das Unglück seiner späten Jahre. Da auch das nicht half, streifte er die Decke ab und setzte die Füße auf den Boden.
Grimmig und notdürftig gewaschen ging er die Treppe hinunter. Im Wohnzimmer wartete sein Sohn Eugen mit gepackter Reisetasche. Als Gauß ihn sah, bekam er einen Wutanfall: Er zerbrach einen auf dem Fensterbrett stehenden Krug, stampfte mit dem Fuß und schlug um sich. Er beruhigte sich nicht einmal, als Eugen von der einen und Minna von der anderen Seite ihre Hände auf seine Schultern legten und beteuerten, man werde gut für ihn sorgen, er werde bald wieder daheim sein, es werde so schnell vorbeigehen wie ein böser Traum. Erst als seine uralte Mutter, aufgestört vom Lärm, aus ihrem Zimmer kam, ihn in die Wange kniff und fragte, wo denn ihr tapferer Junge sei, faßte er sich. Ohne Herzlichkeit verabschiedete er sich von Minna; seiner Tochter und dem jüngsten Sohn strich er geistesabwesend über den Kopf. Dann ließ er sich in die Kutsche helfen.
Die Fahrt war qualvoll. Er nannte Eugen einen Versager, nahm ihm den Knotenstock ab und stieß mit aller Kraft nach seinem Fuß. Eine Weile sah er mit gerunzelten Brauen aus dem Fenster, dann fragte er, wann seine Tochter endlich heiraten werde. Warum wolle die denn keiner, wo sei das Problem?
Eugen strich sich die langen Haare zurück, knetete mit beiden Händen seine rote Mütze und wollte nicht antworten.”





Daniel Kehlmann (München, 13. Januar 1975)

Montag, 12. Januar 2009

Fatos Kongoli, Jakob Michael Reinhold Lenz

Der albanische Schrifsteller Fatos Kongoli wurde am 12. Januar 1944 in Elbasan geboren und wuchs in Tirana auf. Er studierte Mathematik und arbeitete nach der Diplomprüfung 1967 zwei Jahre lang als Mathematiklehrer, ehe er als Redakteur bei der Kulturzeitschrift „Drita” zu arbeiten begann. Von 1977 bis zum Ende der kommunistischen Herrschaft in Albanien im Jahr 1992 war er als Lektor beim Verlag „Naim Frashëri” tätig. Fatos Kongoli gehörte zu den Mitbegründern der albanischen Demokratiebewegung.

Uit: Die albanische Braut (Übersetzt von Joachim Roehm)

„Natürlich wußte ich, daß Vilma im Labor arbeitete. Ich hatte sie n weißen Leinenhosen und im weißen Arbeitsmantel hinten aus er Fabrik kommen sehen, auf dem Kopf die unvermeidliche nd gleichfalls weiße Haube. Allerdings immer nur von weitem.
In der Hölle, in der ich mich bewegte, bewies mir ihre Erscheinung, aß es irgendwo noch ein anderes Leben gab als das, das ir alltäglich in Gestalt sündiger Teufel entgegentrat. Jemand, er von solch unglückseligen Bevölkerern der Hölle umgeben ar, konnte nicht anders, als ein paradiesisches Wesen in ihr u sehen. Darauf war es wahrscheinlich auch zurückzuführen, aß ich meinte, das Reich der Schatten in Richtung Garten den zu verlassen, als Dori einen ehemaligen Studenten der industriellen
Chemie im dritten Semester für geeignet hielt, den latz der jählings entführten Laborantin zu besetzen. In Wahrheit andelte es sich dabei um einen absolut gewöhnlichen aum mit absolut gewöhnlichen Geräten, in dem Tag und Nacht in ohrenbetäubender Lärm herrschte. Von einem Paradies war
wirklich nichts zu spüren. Die einzige Veränderung in meinem eben war die, daß ich auf meinem Weg ins Labor keine in Zeitungspapier ingewickelte Pausenzehrung bei mir führte. Und aß ich nicht mehr mit Teufeln zu tun hatte, sondern den Tag n Gesellschaft zweier von Kopf bis Fuß in Weiß gehüllter Wesen erbrachte. Eines davon war Vilma.
Das gütige Geschick führte mich in Vilmas Labor auf dem mweg über ein Büro, in dem es weder Staub noch Lärm gab.
Es war darin weder besonders hell noch besonders dunkel, und as einzige Fenster war vergittert. Wollte man hineingelangen, ußte man erst an einer mit emailliertem Blech beschlagenen
Tür anklopfen. Wenn man sie dann öffnete, stand man verdutzt or einem Käfig: von einer Wand zur anderen erstreckte sich in deckenhohes Eisengitter. Es war, als würde man eine Gefängniszelle
betreten. Doch es handelte sich um kein Verlies, ondern um das Kaderbüro. In dem eisernen Käfig saß zwischen egalen und Tresoren ein Mensch.“





Fatos Kongoli (Elbasan, 12. Januar 1944)




Der Deutsche Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz wurde am 12. Januar 1751 in Seßwegen/Livland als evangelischer Pfarrerssohn geboren. Er studierte Theologie in Königsberg, wo er vor allem die Vorlesungen Kants hörte. Auf einer Reise nach Straßburg lernte er 1771 Goethe kennen, den er bewunderte. In den folgenden Jahren kam es zu mehreren Treffen. 1773 unterhielt er einen Briefwechsel mit Herder . Nachdem seine ersten Dramen veröffentlicht worden waren folgte er im April Goethe nach Weimar. Aufgrund eines nicht überlieferten Vorfalls wurde er im November aus der Stadt ausgewiesen. Goethe brach jeden Kontakt mit ihm ab. Ende 1777 erlitt er in Zürich einem psychischem Anfall, von dem er sich nie vollends erholen sollte.

Urania

Du kennst mich nicht,
Wirst nie mich kennen
Wirst nie mich nennen
Mit Flammen im Gesicht.

Ich kenne dich
Und kann dich missen –
Ach mein Gewissen
Was peinigest du mich?

Dich missen? Nein,
Für mich geboren –
Für mich verloren?
Bei Gott es kann nicht sein.

Sei hoch dein Freund
Und groß und teuer –
Doch ist er treuer
Als dieser, der hier weint?

Und dir mißfällt – –
O Nachtgedanken!!
Kenn ihn, den Kranken,
Sein Herz ist eine Welt.



An die Sonne

Seele der Welt, unermüdete Sonne!
Mutter der Liebe, der Freuden, des Weins!
Ach ohne dich erstarret die Erde
Und die Geschöpfe in Traurigkeit.
Und wie kann ich von deinem Einfluß
Hier allein beseelt und beseligt
Ach wie kann ich den Rücken dir wenden?

Wärme, Milde! Mein Vaterland
Mit deinem süßesten Strahl, nur laß mich,
Ach ich flehe, hier dir näher,
Nah wie der Adler dir bleiben.






Jakob Michael Reinhold Lenz (12. Januar 1751 – 24. Mai 1792)

Sonntag, 11. Januar 2009

Jasper Fforde, Katharina Hacker

Der britische Schriftsteller und Kameramann Jasper Fforde wurde am 11. Januar 1961 in London geboren. Fforde schrieb über 14 Jahre neben seiner eigentlichen Arbeit als Kameraassistent (z. B. für den James-Bond-Film GoldenEye (1995) oder den Kinofilm The Saint – Der Mann ohne Namen (The Saint)) Romane und veröffentlichte diese als Fortsetzungsroman mit Thursday Next als Hauptfigur: Der Fall Jane Eyre (2004), In einem anderen Buch, Im Brunnen der Manuskripte (2005) und Es ist was faul (2006). Das fünfte Buch der „Thursday Next“-Reihe „First Among Sequels“ erschien im Juli 2007. Eine neue Romanreihe über die „Nursery Crime Division“ ist im Entstehen. Der erste Band ist auf Englisch unter dem Titel The Big Over Easy (z. dt. in etwa Das Große Weiche Ei) bereits erschienen und eigentlich Jasper Ffordes erster Roman. Das Buch wurde von 76 Verlagen abgelehnt und nun, nach dem Erfolg der „Thursday Next“-Bücher, überarbeitet.
Die Bücher von Fforde sind für ihre literarischen Anspielungen, Wortspiele, nicht voraussehbaren Handlungsverlauf und auch dafür bekannt, dass man die Bücher sehr schlecht in irgendein literarisches Genre einordnen kann (am ehesten treffen würde Kriminal-Humor-Science-Fiction-Fantasy).

Aus: The Big Over Easy

„It was the week following Easter in Reading, and no one could remember the last sunny day. Gray clouds swept across the sky, borne on a chill wind that cut like a knife. It seemed that spring had forsaken the town. The drab winter weather had clung to the town like a heavy smog, refusing to relinquish the season. Even the early bloomers were in denial. Only the bravest crocuses had graced the municipal park, and the daffodils, usually a welcome splash of color after a winter of grayness, had taken one sniff at the cold, damp air and postponed blooming for another year.
A police officer was gazing with mixed emotions at the dreary cityscape from the seventh floor of Reading Central Police Station. She was thirty and attractive, dressed up and dated down, worked hard and felt awkward near anyone she didn't know. Her name was Mary. Mary Mary. And she was from Basingstoke, which is nothing to be ashamed of."Mary?" said an officer who was carrying a large potted plant in the manner of someone who thinks it is well outside his job description. "Superintendent Briggs will see you now. How often do you water these things?"





Jasper Fforde (London, 11. Januar 1961)




Die deutsche Lyrikerin und Schriftstellerin Katharina Hacker wurde am 11. Januar 1967 in Frankfurt am Main geboren. Ihr Schaffen umfasst erzählende und essayistische Prosa sowie Übersetzungen aus dem Hebräischen. Katharina Hacker besuchte von 1975 bis 1986 das altsprachliche Heinrich-von-Gagern-Gymnasium in Frankfurt am Main, wo sie durch ihr schriftstellerisches Talent auffiel. Ab 1986 studierte sie Philosophie, Geschichte und Judaistik an der Universität Freiburg. 1990 wechselte sie an die Hebräische Universität Jerusalem; parallel arbeitete sie als Deutschlehrerin und an der School for Cultural Studies in Tel Aviv. Seit 1996 lebt sie als freie Autorin in Berlin.


im Oktober

die Farbe platzt ab von den Augen
während der Tag überm Dach den Wind
antreibt und Geruch nach Weihrauch
aus einem Gebüsch steigt Bussardrufe
unablässig tönen und Flugzeuge aller Arten
Passanten sind hier überall promenieren
wie in der Stadt Hunde voran und
leichtes Schuhwerk an den Füßen
während die Landschaft sich vernutzt
unter den täglichen Blicken
werden die Farben von Tag zu Tag
kühner platzen ab von den Augen






Katharina Hacker (Frankfurt am Main, 11. Januar 1967)

Samstag, 10. Januar 2009

Annette von Droste-Hülshoff, Vicente Huidobro

Die deutsche Dichterin Anna Elisabeth Freiin von Droste zu Hülshoff, wurde am 12 Januar 1797 auf der Burg Hülshoff als schwaches Siebenmonatskind geboren. Im Familien- und Freundeskreis nannte man sie nur "Nette". In ihrer Jugend erhielt Annette eine Bildung, die weit über dem hinausging, was für adelige Mädchen sonst üblich war. Auf der Burg Hülshoff wurde kein Unterschied zwischen Mädchen und Jungen gemacht. Zunächst unterrichtete die Mutter die Kinder in der Bibliothek. Später dann wurden sie von einem Hauslehrer unterrichtet in Religion, in alten und neuen Sprachen, Literatur, Mathematik und Naturkunde. 1826 starb ihr Vater, Clemens August von Droste-Hülshoff. Therese-Luise, seine zweite Frau und ihre Töchter "Jenny" (Maria Anna) und Annette zogen in das Haus Rüschhaus und verzichteten auf ihr Erbteil. Ihr Vater hatte das Anwesen bereits 1825 als Witwensitz für seine Frau gekauft. Hier hat sich Annette in ihr "Schneckenhaus", wie sie ihr Wohnzimmer nannte, zurück gezogen.1804 - als siebenjährige versteckte Annette von Droste Hülshoff im Gärtnersturm hinter einem Dachbalken ihr erstes Gedicht. Die erste Veröffentlichung erschien halbanonym im Jarhe 1838: "Gedichte von Annette Elisabeth von D... H....". Wohl deshalb, weil die Familie der Ansicht war, dass es ein "Spleen" von Annette war und dem Ansehen der Familie in der Öffentlichkeit schaden könne. Annette von Droste-Hülshoff nahm ihre literarische Arbeit sehr ernst und war sich bewusst, große Kunst zu schaffen. Ihre Balladen wurden berühmt (Der Knabe im Moor), wie auch ihre Novelle (Die Judenbuche). Ein wichtiges Dokument tiefer Religiosität ist ihr Gedichtzyklus „Das geistliche Jahr“, in dem aber - typisch für die Zeit - auch die Zerrissenheit des Menschen zwischen aufgeklärtem Bewusstsein und religiöser Suche gestaltet wird.



Ein harter Wintertag

Daß ich dich so verkümmert seh',
Mein lieb lebend'ges Wasserreich,
Daß ganz versteckt in Eis und Schnee
Du siehst der plumpen Erde gleich;

Auch daß voll Reif und Schollen hängt
Dein überglaster Fichtengang:
Das ist es nicht, was mich beengt,
Geh' ich an deinem Bord entlang.

Zwar in der immer grünen Zier
Erschienst, o freundlich Element,
Du ähnlich den Oasen mir,
Die des Arabers Sehnsucht kennt;

Wenn neben der verdorrten Flur
Erblühten deine Moose noch,
Wenn durch die schweigende Natur
Erklangen deine Wellen doch.

Allein auch heute wollt' ich gern
Mich des kristallnen Flimmers freun,
Belauschen jeden Farbenstern
Und keinen Sommertag bereun:

Wär' nicht dem Ufer längs, so breit,
Die glatte Schlittenbahn gefegt,
Worauf sich wohl zur Mittagszeit
Gar manche rüst'ge Ferse regt.

Bedenk' ich nun, wie manches Jahr
Ich nimmer eine Eisbahn sah:
Wohl wird mir's trüb und wunderbar,
Und tausend Bilder treten nah.

Was blieb an Wünschen unerfüllt,
Das nähm' ich noch gelassen mit:
Doch ach, der Frost so manchen hüllt,
Der einst so fröhlich drüber glitt!





Der Weiher

Er liegt so still im Morgenlicht,
So friedlich, wie ein fromm Gewissen;
Wenn Weste seinen Spiegel küssen,
Des Ufers Blume fühlt es nicht;
Libellen zittern über ihn,
Blaugoldne Stäbchen und Karmin,
Und auf des Sonnenbildes Glanz
Die Wasserspinne führt den Tanz;
Schwertlilienkranz am Ufer steht
Und horcht des Schilfes Schlummerliede;
Ein lindes Säuseln kommt und geht,
Als flüstre's: Friede! Friede! Friede! —







Annette von Droste-Hülshoff (10. Januar 1797 – 24. Mai 1848)
Burg Hülshoff, im Garten






Der chilenische Lyriker Vicente García Huidobro Fernandez wird am 10. Januar 1893 in Santiago de Chile geboren. Huidobro ist der Älteste von sechs Geschwistern und seine Mutter sieht für ihn den Titel des Marqués de Casa Real vor. Er bekommt eine ausgezeichnete Erziehung bei den Jesuiten, und wird durch seine Mutter schon früh literarisch beeinflusst. Als bekannte Schriftstellerin und Feministin unterhält sie in Santiago de Chile einen literarischen Salon der in erster Linie Appolinaire gewidmet ist. Appolinaire ist es auch, der Huidobro im Anfangsstadium seines Schaffens massgeblich prägt. Die erste Phase seines dichterischen Schaffens ist vor allem romantisch und modernistisch geprägt. 1912 Leitet er die Zeitschrift ,,Musa Joven", welche aus sechs Ausgaben besteht. Ihre Nachfolge tritt die Zeitschrift ,,Azul" an, welche Huidobro mit Pablo de Rokha ein Jahr später gründet, und die drei Ausgaben hat. Wiederum ein Jahr später erhebt sein Gedichtband ,,Pasando y Pasando" erhebliches Aufsehen. Es handelt sich bei diesem Gedichtband um eine Sammlung bissiger Chroniken und Satiren über seine Gesellschaftsschicht und seine Erziehung bei den Jesuiten. Sein Grossvater, um das Ansehen der Familie besorgt, verbrennt den grössten Teil der Auflage.
Im selben Jahr leitet Huidobro in Santiago de Chile die Konferenz ,,Non serviam" und legt somit den Grundstein für die neue Ästhetik. 1916 reist er mit seiner Familie nach Buenos Aires um dort einen Vortrag zu halten. In diesem Vortrag stellt er zum ersten Mal seine creacionistische Theorie vor,
Während seines Aufenthaltes in Buenos Aires erscheint auch sein Gedichtband ,,El espejo de Agua" in welchem sich unter anderen das Gedicht ,,Arte Poetica" befindet. Nachdem er Buenos Aires verlassen hatte, schifft er mit seiner Familie in Europa ein und lässt sich zunächst in Paris nieder. Von dort aus reist er nach Spanien, wo er zur Bildung der ,,Ultraístas" beiträgt. Zurück in Paris schreibt er 1917 für die Zeitschrift ,,Nord - Sud", in welcher er auch Teile von ,,El espejo de Agua" veröffentlicht.
1921 gründet er die Zeitschrift ,,Creación. Revista Internacional del Arte", welche er in Madrid herausgibt. Zusammen mit dem Franzosen Pierre Ruerdy ist er auf der Suche nach der idealen Verwirklichung seiner creacionistischen Theorie.


Stunden

Eine kleine Stadt
Ein auf der Ebene haltender Zug
Taube Sterne schlafen
in jeder Pfütze
Und das Wasser zittert
Vorhänge im Wind
Die Nacht hängt in den Bäumen der Allee
Im blumenbewachsenen Turm
Blutet ein beständiges Tröpfeln
Die Sterne aus
Dann und wann
Fallen die reifen Stunden
Auf das Leben





Nacht

Die Nacht gleitet hörbar über den Schnee
Das Lied fiel aus den Bäumen
Und durch den Nebel klangen Stimmen
Ich zündete meine Zigarre an einem Blick an
Mit jedem Öffnen der Lippen
Überflute ich die Leere mit Wolken
Im Hafen
Sind die Masten voller Nester
Und der Wind
seufzt in den Flügeln der Vögel
DIE WELLEN WIEGEN DAS TOTE SCHIFF
Ich pfeifend am Ufer
Betrachte den zwischen meinen Fingern glimmenden Stern



Übersetzt von Johannes Beilharz







Vicente Huidobro (10. Januar 1893 – 2. Januar 1948)

Freitag, 9. Januar 2009

Simone de Beauvoir, Klaus Schlesinger, Benjamin Lebert

Die französische Schriftstellerin, Philosophin und Feministin Simone de Beauvoir wurde am 9. Januar 1908 in Paris geboren. Während ihres Studiums an der Sorbonne lernte sie 1929 ihren Lebensgefährten, den existentialistischen Philosophen Jean-Paul Sartre kennen. Wie weit die beiden einander in ihrem philosophischen Schaffen beeinflusst haben, bleibt bis heute unklar. Beide lebten sie im Quartier Montparnasse, jedoch in getrennten Wohnungenund führten zeitlebens eine offene Beziehung. Ihr Welterfolg Das andere Geschlecht erschien im Jahr 1949 und machte sie zur Vorzeigeintellektuellen Frankreichs. Sie wurde von Regierungen eingeladen und reiste in ganz Europa, Nord-, Mittel- und Südamerika, im Nahen und Fernen Osten, in die UdSSR und nach China. Über ihre Reiseerfahrungen schrieb sie in Reportagen und Tagebüchern. 1954 erhielt sie den renommierten Prix Goncourt für ihren Roman Les Mandarins (Die Mandarins von Paris). Sie engagierte sich gemeinsam mit Sartre gegen den Vietnam- und den Algerienkrieg. Daneben verfolgte sie konsequent ihren eigenen Weg, übernahm die Redaktion der linken Zeitschrift Les Temps Modernes und engagierte sich im Feminismus. Ab den 1970er Jahren stellte sie sich „à disposition du mouvement féministe international“ („der internationalen Frauenbewegung zur Verfügung"). Als eine der Ersten trat sie für die Straffreiheit der Abtreibung ein.

Aus: Das andere Geschlecht

„Die Auseinandersetzung wird so lange dauern, als Mann und Frau sich nicht als ihresgleichen anerkennen, d. h. solange sich das Frauentum als solches weiter fortsetzt [...]
In der Tat finden die Männer in ihrer Gefährtin einen besseren Komplizen, als der Unterdrücker üblicherweise im Opfer seiner Unterdrückung findet [...] Die ganze Gesellschaft [...] lügt sie [die Frau] an, wenn sie den hohen Wert der Liebe, der Ergebenheit, der Selbsthingabe predigen und ihr dabei verheimlichen, dass weder der Geliebte noch der Ehemann noch die Kinder geneigt sind, eine solch drückende Last zu ertragen [...] Und darin liegt das schlimmste Verbrechen, das gegen sie begangen wird. Von Kindheit an und ihr ganzes Leben lang verwöhnt, verdirbt man sie, indem man ihr als ihre Berufung jene Selbstaufgabe hinstellt, die jeden Existierenden versucht, der sich vor seiner Freiheit ängstigt [...]
Es muss nochmals darauf hingewiesen werden, dass es in der menschlichen Gesellschaft nichts Natürliches gibt und die Frau unter anderm ein Zivilisationsprodukt ist [...] Der Abgrund, der das junge Mädchen vom jungen Mann trennt, ist von den ersten Tagen ihrer Kindheit an ganz bewusst geschaffen worden. Später kann man nicht mehr verhindern, dass die Frau das ist, wozu man sie gemacht hat [...]
Wenn das junge Mädchen vom zartesten Kindesalter an mit dem gleichen Anspruch und der gleichen Anerkennung, mit der gleichen Strenge und der gleichen Freiheit wie ihre Brüder erzogen würde, wenn sie an denselben Studien, denselben Spielen teilnähme, wenn ihr dieselbe Zukunft offenstände, wenn sie von Männern und Frauen umgeben wäre, die ihr unbedingt gleichwertig erschienen, dann würden sich der Kastrations-Komplex und der Ödipus-Komplex von Grund auf ändern. Wenn die Mutter mit derselben Berechtigung wie der Vater die materielle und moralische Verantwortung für das Paar übernähme, würde sie dasselbe bleibende Ansehen genießen. Das Mädchen würde um sich herum eine mann-weibliche und keine männliche Welt empfinden [...] Die Erotik, die Liebe gewännen den Charakter einer freien Überschreitung und nicht den einer Selbstaufgabe...“






Simone de Beauvoir (9. Januar 1908 – 14. April 1986)





Der deutsche Schriftsteller und Journalist Klaus Schlesinger wurde am 9. Januar 1937 in Berlin geboren. Schlesinger absolvierte 1951 bis 1957 eine Ausbildung als Chemielaborant und begann daneben 1956-57 ein Studium als Chemieingenieur in Westberlin, das er abbrechen musste. Danach arbeitete er als Lebensmittelchemiker und 1958-64 als Chemielaborant am Institut für Virologie der Berliner Charité. 1972 absolvierte Schlesinger einen Fernkurs am Literaturinstitut "Johannes R. Becher" in Leipzig und wurde 1973 Mitglied des Schriftstellerverbandes der DDR. Die gemeinsam mit Ulrich Plenzdorf und Martin Stade im Selbstverlag geplante Veröffentlichung einer Anthologie junger DDR-Autoren unter dem Arbeitstitel "Berliner Geschichten" wurde von der Staatssicherheit durch gezielte "operative Maßnahmen" verhindert. Schlesinger wurde seit dieser Zeit von der Staatssicherheit observiert. Nach Beteiligung an mehreren Protestschreiben (gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976, für die im Zusammenhang der Biermann-Proteste Verhafteten 1977 und gegen die Anwendung des Devisengesetzes gegen Robert Havemann, Wolfgang Hilbig und Stefan Heym) wurde er am 7. Juni 1979 - gemeinsam mit Kurt Bartsch, Adolf Endler, Stefan Heym, Karl-Heinz Jakobs, Klaus Poche, Rolf Schneider, Dieter Schubert und Joachim Seyppel - aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen. Daraufhin übersiedelte er 1980 mit einem dreijährigen Reisevisum nach Westberlin. Dort war er 1982 bis 1992 in der Hausbesetzer-Szene (Potsdamer Straße) aktiv. 2000 wurde Schlesinger Mitglied der Akademie der Künste und erhielt den Erich-Fried-Preis.

Aus: Die Seele der Männer

„Mit Frauen hatte Brehm keine Probleme. Wenns darum geht, sagte er zu Andre auf dem Hof vor der Lackkammer in seinem lässigsten Tonfall, könnte er an jedem Finger zehn haben. Aber woher weiß man, welche die richtige ist?
Sie saßen auf Harzfässern, baumelten mit den Beinen und pafften den Rauch ihrer Zigaretten in den dunstigen Morgen. Eben hatte Brehm das Protokoll für die laufende Charge überbracht, von ihm selbst unterzeichnet. Seit er allein im Labor war, blieb ihm gar nichts anderes übrig, als die Protokolle eigenhändig zu unterzeichen, auch wenn er noch Stift war. Jedesmal, wenn er seinen Namen in die rechte untere Ecke setzte, fühlte er sich ein Stück gewachsen.
Gerade weil es so viele sind, ist es schwer, sagte André, der trotz der Kühle nur ein Turnhemd trug, das seine tätowierten, außergewöhnlich muskulösen Oberarme sehen ließ.
Brehm wiegte den Kopf. Er wollte auf ein bestimmtes Thema hinaus, wußte aber nicht, wie, und warf so leicht hin, ob André denn nie Schiß habe.
Wovor Schiß? Daß du hängenbleibst bei einer?
Brehm zog an seiner Zigarette.
Abhauen kannst du jederzeit, sagte André.
Das meinte Brehm nicht. Brehm meinte, daß man sich eine Menge einfangen kann, heutzutage. Davor hatte er Schiß.
André lachte auf. Dafür gibts doch Mittel. In jeder Apotheke. Sogar im Seifenladen.
Aber, sagte Brehm zögernd, manchmal kommts ja ganz plötzlich, und du hast nichts bei, ich meine, zur Sicherheit.
Aus der halboffenen Tür zur Lackkammer hörte man die Hammerschläge, mit denen der lange Adolf die Ringe von den Kunstharzfässern schlug, deren Dauben sich dann sprungartig öffneten, als blühten sie auf.
Kein Problem, sagte André. Brehm dürfe nur nicht vorher Wasser lassen. Nie Wasser lassen vorher! Und wenn du mit allem fertig bist, gehst du um die Ecke, hältst die Vorhaut zu und schiffst los! Verstehst du?
Brehm nickte, obgleich er nichts verstand.“






Klaus Schlesinger (9. Januar 1937 – 11. Mai 2001)





Der deutsche Schriftsteller Benjamin Lebert wurde am 9. Januar 1982 in Freiburg im Breisgau geboren. Lebert ist ein Sohn des Journalisten Andreas Lebert; seine Großeltern sind die Autoren Ursula und Norbert Lebert. Sein Vater war Mitbegründer der Jugendbeilage Jetzt der Süddeutschen Zeitung. Für diese Jugendbeilage schrieb Benjamin einige Beiträge. Durch diese Beiträge wurde die Verlagslektorin Kerstin Gleba (Kiepenheuer & Witsch) auf Benjamin aufmerksam und ermutigte ihn, einen ganzen Roman zu schreiben. In dem autobiografisch geprägten Werk Crazy verarbeitet er typische Adoleszenz-Probleme, aber auch seine Behinderung, Lebert ist halbseitig gelähmt. Nach dem Erfolg seines Erstlings gab der 17-jährige Lebert Kurse an der New York University für Creative Writing. Seit dem sind Der Vogel ist ein Rabe (2003) und Kannst du (Juni 2006) erschienen. Lebert ist Gründungsmitglied des Lübecker Literaturtreffens.

Aus: Crazy

„Mit sechzehn sollte man eigentlich schon gelernt haben, ein Geodreieck zu halten", stellt Mathelehrer Rolf Falkenstein fest. Er gibt es mir zurück, ohne mir beim Zeichnen des Kongruenzsatzbeweises geholfen zu haben. Pech gehabt. Hier sitze ich also an meinem ersten Schultag. Ich schüttle den Kopf.
Dabei hatte eigentlich doch alles recht gut angefangen. Die ersten Stunden, Französisch und Englisch, waren gut gelaufen, ich hatte die so berühmte Vorstellungsarie, die ich so hasse, hinter mich gebracht. Es war die übliche Sache. Vor die Klasse treten, nicht wissen, wohin mit den Händen, und sagen: Hallo Leute. Ich heiße Benjamin Lebert, bin sechzehn Jahre alt, und ich bin ein Krüppel. Nur damit ihr es wißt. Ich dachte, es wäre von beiderseitigem Interesse.
Die Klasse 8B, in der ich mich nun befinde, hat recht ordentlich darauf reagiert: ein paar verstohlene Blicke, ein wenig Gekicher, eine erste schnelle Einschätzung meiner Person. Für die Jungen war ich nun einer der alltäglichen Idioten, mit denen man nicht mehr rechnen mußte, und für die Mädchen war ich schlicht gestorben. Soviel hatte ich erreicht.
Französischlehrerin Heide Bachmann sagte, daß es im Internat Schloß Neuseelen nicht darauf ankäme, ob man eine Behinderung habe oder nicht. In Neuseelen käme es auf liebevolle und konsequent verbindliche Werte und soziale Kompetenzen an. Gut zu wissen.
Die Klasse 8B ist nicht groß: zwölf Schüler. Mich eingeschlossen. In den staatlichen Schulen sieht das anders aus. Da sind es immer um die fünfunddreißig. Aber die müssen schließlich auch nicht zahlen. Hier zahlen wir. Und zwar bis es kracht.“






Benjamin Lebert (Freiburg im Breisgau, 9. Januar 1982)

Donnerstag, 8. Januar 2009

Waldtraut Lewin, Juan Marsé

Die deutsche Schriftstellerin und Dramaturgin Waldtraut Lewin wurde am 8. Januar 1937 in Wernigerode geboren. Nach dem Schulabschluss studierte Waldtraut Lewin von 1951 bis 1961 Germanistik, Latein und Theaterwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. 1964 machte sie ihren Abschluss als Diplomphilosophin. Von 1961 bis 1973 war Waldtraut Lewin als Musikdramaturgin, Opernübersetzerin und Regisseurin am Landestheater Halle tätig. 1970 wurde sie für ihr musikalisches Schaffen mit dem Händelpreis des Rates des Bezirks Halle geehrt. 1973 übernahm sie eine Stelle als Opernregisseurin und Chefdramaturgin für Musiktheater am Volkstheater Rostock. Während ihrer Tätigkeit als Dramaturgin übersetzte sie insgesamt sechzehn italienische Opern Georg Friedrich Händels und schrieb das Libretto für die erste ostdeutsche Rockoper. 1971 veröffentlichte Waldtraut Lewin mit Herr Lucius und sein schwarzer Schwan ihren ersten Roman. Sechs Jahre später gab sie ihre Stelle in Rostock auf um sich fortan als freiberufliche Autorin nur noch der Schriftstellerei zu widmen. Seit 1978 lebt sie als freischaffende Autorin von Romanen, Novellen, Jugendromanen, historischen Jugendromanen, Hörspielen, Libretti, Drehbüchern und Sachbüchern.

Aus: Goethe

“"Rätin, er lebt!"
Die Konstellation war glücklich: die Sonne stand im Zeichen der Jungfrau und kulminierte für den Tag; Jupiter und Venus blickten sie freundlich an, Merkur nicht widerwärtig, Saturn und Mars verhielten sich gleichgültig; nur der Mond, der soeben voll ward, übte die Kraft seines Gegenscheins um so mehr, als zugleich seine Planetenstunde eingetreten war. Er widersetzte sich daher meiner Geburt, die nicht eher erfolgen konnte, als bis diese Stunde vorübergegangen."
Es herrscht helle Aufregung im Haus am Hirschgraben zu Frankfurt an diesem 28. August 1749. Die junge Frau des Hauses liegt in den Wehen, es ist ihr erstes Kind und die Geburt ist alles andere als einfach. Schon am 25. August hatten die Schmerzen eingesetzt und immer noch hat die Quälerei kein Ende.
Unruhig geht Johann Caspar Goethe in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Nicht auszudenken, wenn seiner Frau etwas zustoßen sollte! Sie sind gerade ein Jahr miteinander verheiratet und Catharina Elisabeth ist einundzwanzig Jahre jünger als ihr Mann. Johann Caspar liebt seine Frau, seine "Caja", wie er sie nennt, aber ein bisschen väterlich ist sein Verhältnis zu ihr wohl auch. Immerhin hat er mit einer Heirat gewartet, bis er achtunddreißig Jahre alt war. Da war man schon fast ein "Hagestolz", ein eingefleischter Junggeselle.
Die Schreie Elisabeths dringen bis in sein Arbeitszimmer. Caspar Goethe ist am Ende mit den Nerven. Er ist ein Mann, der bekannt ist für seinen Ernst, für seine gravitätische Würde. Aber nun möchte er am liebsten fort, einfach aus dem Haus laufen, bis alles vorbei ist. Jedoch wenn er an die durchdringenden Augen seiner Schwiegermutter denkt, die seit zwei Tagen hier im Hause ist und ihrer Tochter in diesen Stunden beisteht, kommt ihm diese Idee nicht sehr glücklich vor. Mit seinen Schwiegereltern, den Textors, darf es sich Caspar auf keinen Fall verderben. Das sind hoch angesehene Frankfurter Bürger. Der Vater seiner Frau hat das Amt eines Stadtschultheißen, das heißt, er ist Bürgermeister und außerdem, genau wie Johann Caspar selbst, Jurist. Die Mutter nun gar ist eine Person, die ihre Ahnenreihe bis auf den berühmten mittelalterlichen Maler Lucas Cranach zurückführen kann. Und: Sie hat Haare auf den Zähnen. Caspar hat ziemlichen Respekt vor ihr, vor ihrer scharfen Zunge, ihrem Witz und vor allem vor dem Blick dieser Augen.”






Waldtraut Lewin (Wernigerode, 8. Januar 1937)





Der spanische Schriftsteller Juan Marsé (eigentlich Juan Faneca Roca) wurde am 8. Januar 1933 in Barcelona geboren. Er war ein schlechter Schüler und begann als Jugendlicher in einem Juweliergeschäft zu arbeiten Seine ersten Erzählungen veröffentlichte er 1958 in den Zeitschriften Ínsula und El Ciervo. Ein Jahr darauf erhielt er bereits seinen ersten literarischen Preis, den „Sésamo de cuentos“ für seine Erzählung „Nada para morir“. 1960 erschien sein erster Roman, Encerrados con un solo juguete. Von 1959 bis 1962 lebte er in Paris, wo er als Spanischlehrer, Übersetzer und Laborgehilfe am Institut Pasteur tätig war. Anschließend kehrte er nach Barcelona zurück und war er in der Werbebranche sowie als Verfasser von Filmdrehbüchern tätig; als Journalist war er Chefredakteur der Zeitschriften Boccaccio und Por favor. Die 1990er Jahre brachten seinen internationalen Durchbruch als Schriftsteller: 1990 erhielt er den Literaturpreis „Premio Ateneo de Sevilla“ für den Roman El amante bilingüe (der später auch verfilmt werden sollte); 1994 wurden ihm für El embrujo de Shanghai der „Premio de la Crítica“ und der „Aristeion-Preis“ zugesprochen.

Aus: Das rote Strumpfband auf dem braunen Schenkel (Übersetzt von Hans-Gerd Koch und Susanne Schüssler)

“Nach dem Abendessen, während sie gelangweilt in einen sauren Apfel biß, brachte Nieves den Müll hinunter auf die Straße. Sie trug ihren Bademantel und hochhackige schwarze Schuhe mit zwei schmalen, gekreuzten Riemen über den Zehen. Sie warf die Mülltüte und den Apfel in den Eimer und blieb eine Weile mit verschränkten Armen stehen, um einem prächtigen Kater zuzuschauen, der im Rinnstein saß und sich das Geschlecht leckte. Noch nie hatte sie einen Kater so etwas mitten auf der Straße tun sehen.
Als sie wieder in den Hausflur trat, versperrte ihr ein Mann den Weg, der ein Küchenmesser gezückt hielt.
»Wer sind Sie? Was wollen Sie?«
»Schreien Sie nicht, dann passiert Ihnen nichts.«
»Ich habe kein Geld bei mir ...«
»Ich will kein Geld.« Der Mann trat hinter sie, und sie spürte schwach seinen Atem. Außerdem spürte sie die Messerspitze auf einer ihrer Hinterbacken.
»Gehen Sie zur Treppe und steigen Sie hinauf.«
Nieves gehorchte. Ihre Knie zitterten; sie verlor einen Schuh und tastete auf dem Boden, bis sie ihn wieder am Fuß hatte.
»Schöne Schuhe haben Sie«, sagte er.
»Bitte tun Sie mir nichts.«
»Ich möchte mich mit Ihnen unterhalten.«
»Wohin bringen Sie mich?«
»In Ihre Wohnung. Ich weiß, daß Sie allein leben. Wir könnten den Aufzug nehmen, aber das werden wir nicht tun. Im Aufzug müßte ich Sie auf der Stelle vergewaltigen. Außerdem leide ich an Klaustrophobie.«
»Ich wohne im vierten Stock, im sechsten eigentlich.«
»Ich weiß. Gehen Sie.«
»Ich mache, was Sie wollen, aber bitte tun Sie mir nichts.«
Sie hatte sein Gesicht kaum gesehen, aber doch bemerkt, daß er sehr jung war. Ein hochgeschossener Junge, mit großen Händen und einer Stirnlocke. Die Messerklinge war ungefähr zwanzig Zentimeter lang.
»Werden Sie brav sein«, fragte er, als sie im dritten Stock waren, »und nett zu mir auch?«
»Ja, ja.«
Sie hoffte, auf der Treppe einem der Nachbarn zu begegnen, damit der Vergewaltiger erschrak und das Weite suchte. Aber nein. Schwer atmend betraten sie die Wohnung und gingen ins Wohnzimmer. Es war eine kleine Wohnung, stickig und unaufgeräumt, mit einem kleinen Balkon zur Straße; das einzige Licht kam vom Fernseher, der ohne Ton lief, und von einer Stehlampe neben dem Sofa."






Juan Marsé (Barcelona, 8. Januar 1933)

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